Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.06.2013, Az. 1 StR 48/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5122

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Gegenstand

Nachträgliche Anordnung der Unterbringung eines Heranwachsenden in der Sicherungsverwahrung in einem Altfall: Auslegung der Übergangsvorschrift


Leitsatz

Auslegung der Übergangsvorschrift zum Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. September 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten [X.]     (im Folgenden [X.]) zurückgewiesen.

2

Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

3

Das Rechtsmittel, das vom [X.] vertreten wird, hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines [X.] darauf, ob die Staatsanwaltschaft inhaltlich auch eine Verfahrensrüge (§ 275a Abs. 4 Satz 2 StPO) erhoben hat, bedarf es daher nicht.

I.

4

Prozessgeschichte:

5

Das [X.] Traunstein hatte [X.] durch Urteil vom 1. Oktober 2004 wegen Mordes in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen unter Einbeziehung des Urteils des [X.] vom 15. Dezember 2003 zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.

6

Die hiergegen eingelegte Revision des [X.] hat der [X.] durch Beschluss vom 1. März 2005 (1 [X.]) gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

7

[X.] war in diesem Verfahren am 9. Januar 2004 vorläufig festgenommen worden und befand sich zunächst in Untersuchungshaft und dann in Strafhaft.

8

Als Entlassungstermin nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten ist der 7. Juli 2013 vorgemerkt.

9

Die Staatsanwaltschaft hat mit Antrag vom 5. Juni 2012 die nachträgliche Unterbringung des [X.] in der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 [X.] (aF) beantragt. Das [X.] hat ohne Einholung von Sachverständigengutachten Hauptverhandlung anberaumt, da es "rechtliche Bedenken hinsichtlich einer wirksamen gesetzlichen Grundlage für die beantragte nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung habe".

II.

Dem rechtskräftigen Urteil vom 1. Oktober 2004 liegt folgende [X.] zugrunde:

Der zur Tatzeit (7. Januar 2004) 19 Jahre und neun Monate alte [X.] beschloss mit seiner damaligen Verlobten (im Folgenden [X.]) nachts in eine Pizzeria einzubrechen, um dort das Geld aus den beiden vorhandenen Spielautomaten zu entwenden. Zur Durchführung der Tat nahmen sie zwei große Messer, zwei Hämmer und eine Stablampe mit. [X.] kletterte durch ein eingeschlagenes Fenster in das Lokal und bemerkte, dass entgegen ihren Erwartungen die [X.] anwesend war und auf einer Eckbank schlief. Er ließ [X.] ein, wobei die [X.] erwachte und durch das Lokal lief. [X.] sprang sie von hinten an, umklammerte sie und hielt ihr Mund und Nase zu, um sie am Schreien zu hindern.

Als die [X.] sich heftig wehrte, stach [X.] ihr zweimal mit dem Messer seitlich in den Bauch. Ihr gelang es, [X.] das Messer aus der Hand zu schlagen. [X.], der davon ausging von der [X.] als Stammgast erkannt worden zu sein, verlangte von [X.] die Hergabe des zweiten Messers. Dieses rammte er der [X.] von unten in Richtung [X.] und traf dabei bereits das Herz. Er zog das Messer leicht zurück und rammte es nochmal heftig in ihr Herz. Die [X.] erlitt tödliche Verletzungen. Als sie am Boden lag, brachte ihr [X.] noch mindestens drei Schnitte in der [X.] bei. Einer dieser Schnitte war so tief, dass er den gesamten Hals bis zur Wirbelsäule durchtrennte. Er schnitt ihr darüber hinaus noch beide Pulsadern auf. [X.] und [X.] nahmen dann Geld aus einem Geldbeutel und aus einem der beiden von [X.] mit einem Hammer aufgeschlagenen Spielautomaten mit.

[X.] war zur Tatzeit weder aufgrund vorhergegangenen Alkoholkonsums noch aufgrund einer psychischen Erkrankung in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit beeinträchtigt.

III.

Im jetzigen Verfahren (wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) hat das [X.] im angefochtenen Urteil unter anderem folgende Feststellungen getroffen:

Im Vollzug ist [X.] disziplinarisch zweimal in Erscheinung getreten. Zum externen Drogenberater nahm er mehrfach Kontakt auf. In einem Prognosegutachten von Anfang 2010 für die Strafvollstreckungskammer wird unter Einbeziehung eines Zusatzgutachtens von 2009 festgestellt, bei [X.] bestehe die Gefahr, dass dessen durch die [X.] zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe; die Kombination diverser Stressoren stelle ein erhebliches Rückfallrisiko dar. Die baldige Aufnahme einer Behandlung im Rahmen einer sozialtherapeutischen Abteilung für Gewaltstraftäter sei notwendig.

Als Diagnose sei zu stellen: Schädlicher Gebrauch von Alkohol nach [X.], [X.] sowie Nikotinabhängigkeit nach [X.], [X.] 17.25. Außerdem seien selbstunsichere, schizoide und dissoziale Persönlichkeitszüge vorhanden, die aber (noch) nicht das Ausmaß einer (kombinierten) Persönlichkeitsstörung erreichten. Bei [X.] bestehe keine ausreichende Therapiemotivation für die erforderlichen gruppentherapeutischen Maßnahmen. [X.] sei auch durch "übersexualisiertes Verhalten" aufgefallen. Die Justizvollzugsanstalt könne jedoch eine abschließende Bewertung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 [X.] (aF) nicht abgeben.

I[X.]

Das [X.] hat den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 [X.] (aF) "aus Rechtsgründen zurückgewiesen, da diese Norm im konkreten Fall nicht als gesetzliche Grundlage herangezogen werden kann" ([X.]). Zur Begründung wird u.a. ausgeführt: Weder zum Zeitpunkt der Tat noch der Verurteilung sei für einen einem Jugendlichen gleichgestellten Heranwachsenden eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich gewesen.

Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 2 [X.] sei § 7 Abs. 2 [X.] in der Fassung vom 8. Juli 2008 nicht anwendbar. Aber selbst wenn, sei durch die Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 4. Mai 2011, [X.] 128, 326) ein "rechtliches Vakuum" eingetreten, das durch das beabsichtigte Gesetz zur Reform der Sicherungsverwahrung nicht ausgefüllt würde, da der Entwurf der "Übergangsregelung nicht der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] genügen dürfte und daher voraussichtlich nicht endgültige Gesetzeskraft erreichen wird".

[X.]

Die Urteilsausführungen zur Nichtanwendbarkeit des § 7 Abs. 2 [X.] (aF) halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 ([X.] I 2425 f.) ist am 1. Juni 2013 in [X.] getreten. Durch Artikel 7 dieses Gesetzes wurde nach Artikel 316e [X.] der Artikel 316f als Übergangsvorschrift eingeführt. Aus dessen Absatz 2 Satz 1 ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden sind. Danach ist die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten [X.] noch nicht in [X.] getreten war oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.

Durch die Änderung (auch) des Artikel 316e [X.], in dessen Absatz 1 Satz 2 nach den Wörtern "Absätzen 2 und 3" die Wörter "sowie in Artikel 316f Absatz 2 und 3" eingefügt wurden, ist sichergestellt, dass die bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in Fällen rückwirkender Gesetzesanwendung oder in Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung ("Vertrauensschutzfälle") nur unter den vom [X.] in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) formulierten hohen Voraussetzungen weiter anwendbar sind (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 vom 6. Juni 2012 S. 30).

Die Übergangsvorschrift Artikel 316f [X.] regelt sowohl die dem StGB als auch die dem [X.] unterfallenden Sachverhalte. Absatz 2 Satz 1 bestimmt, dass auf Altfälle hinsichtlich der Sicherungsverwahrung nach Vorschriften des [X.] das bis zum 31. Mai 2013 geltende Recht anzuwenden ist mit den in den Sätzen 2 bis 4 enthaltenen Grundsätzen (vgl. auch BT-Drucks. 17/9874 vom 6. Juni 2012 S. 31).

Die vom [X.] selbst nur für die Übergangszeit bis zu einer Neuregelung vorgesehene Fortgeltung ist also fortgeschrieben, wobei sich Artikel 316f Absatz 2 Satz 2 [X.] mit Blick auf die Anforderungen des Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe e [X.] nicht auf die bloße Übernahme der Formulierung des [X.] beschränkt, sondern darüber hinaus ein Kausalitätserfordernis zwischen psychischer Störung und hochgradiger Gefahr statuiert.

Der Senat hält diese (modifizierte) Fortgeltung für verfassungs- und konventionsgemäß (vgl. in diesem Sinne auch [X.] [2. Kammer des Zweiten Senats] Beschluss vom 11. März 2013 - 2 BvR 2000/12, [X.], 213, 214; vgl. auch zu § 66 StGB: [X.], Urteile vom 23. April 2013 - 5 StR 610 und 617/12 sowie vom 24. April 2013 - 5 StR 593/12).

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s war § 7 Abs. 2 [X.] (aF) zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils (25. September 2012) daher nach den vom [X.] durch Urteil vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) aufgestellten Grundsätzen anzuwenden.

Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 25. September 2012 (1 [X.]) ausdrücklich und in einem Verwerfungsbeschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO vom 5. März 2013 (1 StR 37/13) inzidenter entschieden, wobei die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 [X.] (aF) auch in diesen Fällen nicht das Vorliegen neuer Tatsachen voraussetzt (vgl. [X.], Urteil vom 30. August 2011 - 5 StR 235/11 Rn. 11).

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben, da auch die seit 1. Juni 2013 geltenden Regelungen eine grundsätzliche Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 [X.] aF für Altfälle der vorliegenden Art vorsehen und das Urteil auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht.

Die Sache war an das [X.] zurückzuverweisen. Denn der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die auch die - zu Recht - sehr hohen Anforderungen an die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 105 Abs. 1, § 7 Abs. 2 [X.] aF in der modifizierten Fortgeltung erfüllen.

Eine vom Senat abschließende Entscheidung ist hier schon deshalb nicht möglich, weil das [X.] keine - nach der gebotenen Anhörung zweier Sachverständiger - entsprechenden Feststellungen getroffen hat.

Wahl                        Rothfuß                       Jäger

             [X.]

Meta

1 StR 48/13

12.06.2013

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 25. September 2012, Az: NSV 402 Js 1100/04 jug

§ 105 Abs 1 JGG, § 7 Abs 2 JGG vom 08.07.2008, Art 316f Abs 2 StGBEG, Art 7 SichVAbstUmsG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.06.2013, Az. 1 StR 48/13 (REWIS RS 2013, 5122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5122

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