Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2023, Az. 1 C 35/22

1. Senat | REWIS RS 2023, 8477

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Gegenstand

Widerruf von Familienasyl und -flüchtlingsschutz infolge des Todes des Stammberechtigten


Leitsatz

Mit dem Tod des Stammberechtigten "erlischt" im Sinne von § 73a Satz 2 und 3 AsylG dessen Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine im Jahr 1950 geborene [X.] Staatsangehörige, wendet sich gegen den Widerruf der Zuerkennung ihrer [X.] und ihrer Anerkennung als Familienasylberechtigte; hilfsweise begehrt sie die Verpflichtung der Beklagten, ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.

2

Im Oktober 2015 erkannte das [X.] (im Folgenden: [X.]) der Klägerin - abgeleitet von deren Ehemann - die [X.] zu und sie als Familienasylberechtigte an. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahre 2016 widerrief das [X.] im Juni 2019 die der Klägerin zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1) und deren Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 2). Mit dem Tod des Stammberechtigten erlösche auch der von diesem abgeleitete Schutzstatus des Familienangehörigen. Der Klägerin könne auch nicht aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden. Zugleich lehnte das [X.] die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab (Ziff. 3). Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihr bei Rückkehr die Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung drohte. Indes liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor (Ziff. 4), da es der betagten Klägerin nicht möglich wäre, in [X.] ihr Existenzminimum zu sichern.

3

Das Verwaltungsgericht hat die gegen Ziffer 1 bis 3 dieses Bescheides erhobene Klage abgewiesen. Die Asylberechtigung und die Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Klägerin seien als höchstpersönliche, nicht übertragbare Rechtspositionen mit dessen Tod erloschen. Zur Auslegung des in den Widerrufsbestimmungen verwendeten Begriffs "erlischt" sei nicht ausschließlich auf die in § 72 [X.] aufgeführten [X.] zu rekurrieren, sondern der allgemein übliche Sprachgebrauch zugrunde zu legen. Einer Analogie zu § 72 [X.] bedürfe es daher nicht. Eine Notwendigkeit, den Tod des Schutzberechtigten gesondert zu regeln, bestehe nicht, weil es sich hierbei um eine Selbstverständlichkeit, folgend aus der Höchstpersönlichkeit der Rechtsposition, handle. Die Klägerin sei auch nicht aus anderen Gründen als Asylberechtigte anzuerkennen. Ebenso wenig sei ihr aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Weder habe ihr zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus [X.] eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung gedroht noch habe sie eine solche im Falle einer Rückkehr nach [X.] in absehbarer Zukunft zu besorgen. Die Ablehnung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes sei nicht zu beanstanden.

4

Zur Begründung ihrer von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision führt die Klägerin aus, das angegriffene Urteil beruhe auf der Verletzung von § 72 [X.]. Dieser könne keine Anwendung finden, da die in ihm aufgezählten [X.] abschließend seien. Eine Erweiterung im Wege einer Analogie verbiete sich, da eine Regelungslücke nicht vorliege. Der Tod des Stammberechtigten lasse eine solche auch nicht gewissermaßen planwidrig entstehen. Der Gesetzgeber habe eine analoge Anwendung nicht ermöglichen wollen. Der Inhalt der Vorschrift müsse daher als abschließend angesehen werden.

5

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe

6

Die Sprungrevision der Klägerin, ü[X.] die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i. V. m. § 141 Satz 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass der Widerruf der Zuerkennung der [X.] (1.) und der Anerkennung der [X.][X.]echtigung (2.) der Klägerin rechtmäßig ist und die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus hat (3.).

7

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist gemäß § 77 Abs. 1 [X.] der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu [X.]ücksichtigen, wenn das Verwaltungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - diese zu [X.]ücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Septem[X.] 2007 - 10 [X.] 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Die Rechtslage ist daher auf der Grundlage des Asylgesetzes ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Septem[X.] 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezem[X.] 2022 zur Beschleunigung der [X.] und Asylverfahren ([X.] [X.]), sowie der Richtlinie 2011/95/[X.] und des Rates vom 13. Dezem[X.] 2011 ([X.] L 337 [X.], [X.]. [X.] 2017 L 167, [X.]) und der Richtlinie 2013/32/[X.] des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 ([X.] [X.]) zu beurteilen.

8

1. Der Widerruf der [X.] ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

9

Er findet seine Grundlage in § 73a Satz 3 [X.]. Danach ist die Zuerkennung des internationalen Schutzes (1.1.) unter anderem für den Fall zu widerrufen, dass der internationale Schutz des Ausländers, von dem die Zuerkennung abgeleitet worden ist, erlischt (1.2.) und dem Ausländer nicht aus anderen Gründen internationaler Schutz zuerkannt werden könnte (1.3.).

1.1. Der Klägerin wurde die Flüchtlingseigenschaft, abgeleitet von ihrem Ehemann, gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 [X.] zuerkannt.

1.2. Die Flüchtlingseigenschaft des Ehemannes der Klägerin ist infolge seines Ablebens erloschen (a). [X.] Recht steht dem Erlöschen nicht entgegen (b).

a) Der Tod des Stamm[X.]echtigten bewirkt ein Erlöschen seiner Flüchtlingseigenschaft.

aa) Der Wortlaut des § 73a Satz 3 [X.] steht dem nicht entgegen.

Von dem natürlichen Sprachgebrauch des Verbs "erlischt" ist nicht nur das Erlöschen infolge des Eintritts eines Erlöschensgrundes im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 [X.], sondern auch das Erlöschen des internationalen Schutzes infolge des Versterbens des Stamm[X.]echtigten gedeckt. Demgegenü[X.] könnte der Fachsprachgebrauch nahelegen, die Bedeutung des Verbs "erlischt" auf den Eintritt eines Erlöschensgrundes im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu beschränken, da das Verb in einer Aufzählung mit den Partizipien "widerrufen" und "zurückgenommen" verwendet wird, deren Bedeutung im Lichte von § 73 [X.] zu sehen ist.

In diese Richtung mag auch weisen, dass § 73a Satz 3 [X.] auf das Erlöschen des internationalen Schutzes des Stamm[X.]echtigten und somit nicht auf den Fortbestand der Verknüpfung als Familienangehöriger eines Flüchtlings, sondern auf den Wegfall der Schutz[X.]echtigung des Stamm[X.]echtigten abhebt. Indes ist der Norm nicht zu entnehmen, dass sie ein Erlöschen des internationalen Schutzes mit dem Eintritt des Todes des Stamm[X.]echtigten ausschließt. Vielmehr ist das Erlöschen des Status mit dem Versterben des Statusinha[X.]s eine Selbstverständlichkeit, deren gesetzliche Regelung weder der Rechtskundige noch der juristische Laie erwartet.

bb) Einem weiten Verständnis des Begriffs "erlischt" im Sinne des § 73a Satz 3 [X.] steht in systematischer Hinsicht auch nicht § 72 Abs. 1 Satz 1 [X.] entgegen, dem zufolge unter anderem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn der Ausländer eindeutig, freiwillig und schriftlich gegenü[X.] dem [X.] auf sie verzichtet oder auf seinen Antrag die [X.] Staatsangehörigkeit erworben hat.

Die Norm ist mit dem Gesetz vom 21. Dezem[X.] 2022 zur Beschleunigung der [X.] und Asylverfahren ([X.] [X.]) an Art. 45 Abs. 5 [X.] 2013/32/[X.] angepasst worden. Der Hinweis der Begründung des Gesetzentwurfs, nach Art. 45 Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.] 2013/32/[X.] erlösche eine Zuerkennung des internationalen Schutzes als solche von Rechts wegen nur in den beiden dort genannten Fällen ([X.]. 20/4327, [X.]), führt im vorliegenden Kontext nicht weiter. Zwar ordnet auch Art. 45 Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.] 2013/32/[X.] ein Erlöschen des internationalen Schutzes mit dem Eintritt des Todes des Ausländers nicht an. Einer solchen ausdrücklichen Regelung bedurfte es indes auch auf [X.] nicht. Die Flüchtlingseigenschaft ist ein höchstpersönliches Recht, das seinem Wesen nach der Person des Flüchtlings anhaftet. Sie ist weder ü[X.]tragbar noch erblich. Mit dem Tod des Statusinha[X.]s geht sie unter und nicht im Wege der Gesamt- oder der Einzelrechtsnachfolge auf andere Personen ü[X.] (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Septem[X.] 2000 - 1 [X.] - [X.] 11 Art. 116 GG Nr. 28 S. 5). Ihr Erlöschen zeitgleich mit dem Ableben des Statusinha[X.]s ist, wie vorstehend ausgeführt, eine Selbstverständlichkeit, deren ausdrücklicher Regelung es nicht bedarf.

cc) Die Erstreckung des Begriffs "erlischt" im Sinne des § 73a Satz 3 [X.] auf den Fall des Todes des Stamm[X.]echtigen trägt dem Grundgedanken des Asylrechts Rechnung, dass Schutz nur für den Fall gewährt wird, dass es der Schutzgewährung auch bedarf.

Sowohl der internationale Familienschutz wie auch das [X.] gründen maßgeblich auf der [X.] Vermutung, dass Verfolgerstaaten nicht selten dazu neigen, im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen ein Familienmitglied auch Repressalien gegen dessen Ehegatten oder (minderjährige) Kinder zu ergreifen, und dass diesen in einer solchen besonderen Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das gleiche Schicksal droht (BVerwG, Urteile vom 27. April 1982 - 9 [X.] 239.80 - BVerwGE 65, 244 <249 f.>, vom 2. Juli 1985 - 9 [X.] 35.84 - [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 34 S. 101, vom 26. April 1988 - 9 [X.] 28.86 - BVerwGE 79, 244 <246> und vom 21. Januar 1992 - 9 [X.] 66.91 - BVerwGE 89, 315 <319>). Verstirbt der stamm[X.]echtigte politische Gegner, so ist ein weiterer schutzrelevanter Zugriff auf dessen Familienangehörigen keineswegs sicher ausgeschlossen. Indes ist hinsichtlich eines solchen Zugriffs nicht mehr von der Fortgeltung einer Regelvermutung auszugehen. § 73a Satz 3 [X.] trägt einer fortbestehenden Gefährdung eines Familienangehörigen im Einzelfall vielmehr dadurch Rechnung, dass die Zuerkennung des internationalen [X.] nur zu widerrufen ist, wenn dem Ausländer nicht aus anderen Gründen internationaler Schutz zuerkannt werden könnte. Erfüllt der Familienschutz[X.]echtigte im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung, so scheidet ein Widerruf des [X.] nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift aus. § 73a Satz 3 [X.] verlagert die Beurteilung des [X.] einer zunächst aus Gründen der Verfahrensvereinfachung im Kontext von § 26 [X.] nicht ü[X.]prüften individuellen Verfolgungsgefährdung damit auf den Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung, was in der Sache der Situation des § 73 Abs. 1 Satz 1 [X.] entspricht.

Eine Rechtfertigung, den Familienangehörigen eines verstorbenen Stamm[X.]echtigten gegenü[X.] dem Familienangehörigen eines Stamm[X.]echtigten, dessen Schutz[X.]echtigung infolge des Verzichts auf die Flüchtlingseigenschaft oder des Erwerbs der [X.]n Staatsangehörigkeit erloschen oder a[X.] widerrufen oder zurückgenommen wird, durch die Zuerkennung eines jenseits des § 73a Satz 1 [X.] unwiderruflichen Schutzrechts zu begünstigen, ist nicht zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als auch der Stamm[X.]echtigte selbst zu Lebzeiten den Beendigungsgründen der §§ 72 ff. [X.] unterliegt. Der abgeleitete [X.][X.]echtigte würde anderenfalls eine Position "erben", die der Stamm[X.]echtigte und andere Flüchtlinge niemals hätten (so [X.]eits [X.], Urteil vom 18. Septem[X.] 2014 - 2 A 231/14 - juris Rn. 24; [X.], Urteil vom 29. März 2017 - 1 A 2464/15 - juris Rn. 36; ähnlich VG Arns[X.]g, Urteil vom 5. Februar 2016 - 3 K 2897/14.A - [X.] f.).

Dieses Normverständnis trägt der grundsätzlichen Akzessorietät des internationalen [X.] angemessen Rechnung (vgl. nur [X.], in: [X.], Ausländerrecht, Stand: Juni 2023, § 26 [X.] Rn. 47) und beugt einer anderenfalls eintretenden "Versteinerung" des internationalen [X.] vor. Erlischt die Flüchtlingseigenschaft des Stamm[X.]echtigten mit dessen Tod, so soll infolge dieses Ablebens auch der Familienflüchtlingsschutz des Angehörigen keinen Bestand haben, sofern diesem nicht aus anderen Gründen Flüchtlingsschutz zuerkannt werden kann. Es obliegt dem Familienangehörigen nach dem Tod des Stamm[X.]echtigten, das (Fort-)Bestehen einer Verfolgungsgefährdung innerhalb des Widerrufsverfahrens geltend zu machen.

Ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes infolge des Todes des Stamm[X.]echtigten läuft auch nicht den mit der Schaffung dieses Instituts verfolgten integrationspolitischen Zielsetzungen (vgl. [X.]. 11/6960 S. 29 f.) zuwider. Die mit deren Realisierung einhergehende gewisse Verselbständigung des Status der Familienangehörigen vollzieht sich nicht im Asyl-, sondern maßgeblich im Aufenthaltsrecht durch die Gewährung eigenständiger befristeter und unbefristeter Aufenthaltsrechte. Der Widerruf der [X.] infolge des Todes des Stamm[X.]echtigten hat indes nicht gleichsam automatisch auch den Widerruf einer dem Ausländer erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 [X.] zur Folge. Ein solcher Widerruf nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Der Gesetzge[X.] hat die Ausübung dieses Ermessens nicht an bestimmte Vorgaben geknüpft. Zwar kommt dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des ursprünglich an den Schutzstatus anknüpfenden Aufenthalts regelmäßig besonderes Gewicht zu (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2003 - 1 [X.] 13.02 - BVerwGE 117, 380 <384>). Dieses kann jedoch im Einzelfall durch entgegenstehende Interessen des Ausländers an einem weiteren Verbleib im [X.] ü[X.]wunden werden. Die bei einer Ausweisung zu [X.]ücksichtigenden Umstände des § 53 Abs. 2 [X.] sowie die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes können Veranlassung für ein Absehen von dem Widerruf geben. Besondere Bedeutung ist in diesem Zusammenhang dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen und [X.] Integration beizumessen ([X.], Urteil vom 26. Juli 2006 - 11 S 951/06 - ZAR 2006, 414 <415 f.>; OVG Lüneburg Beschluss vom 5. März 2007 - 10 [X.] - juris Rn. 5).

dd) Die historisch-genetische Auslegung des § 73a Satz 3 [X.] zwingt zu keinem anderen Normverständnis.

Soweit in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes vom 21. Dezem[X.] 2022 zur Beschleunigung der [X.] und Asylverfahren hervorgehoben wird, dass die Aufzählung der in § 73a Satz 3 [X.] aufgeführten Gründe für einen Widerruf des internationalen Schutzes für Familienangehörige abschließend sei ([X.]. 20/4327, [X.]), zielt diese Feststellung darauf, dass ein Rückgriff auf nicht in § 73a Satz 3 [X.] erfasste Aufhebungsgründe oder gar auf § 49 VwVfG ausgeschlossen ist. Dass die Entwurfsge[X.] indes beabsichtigten, auch ein von dem Begriff "erlischt" mitumfasstes Erlöschen des Flüchtlingsschutzes des Stamm[X.]echtigten mit dessen Tod auszuschließen, lässt sich der Entwurfsbegründung nicht entnehmen. Dass der Widerruf des internationalen [X.] allein für den Fall des Erlöschens des Status des Stamm[X.]echtigten nach Maßgabe des § 72 Abs. 1 Satz 1 [X.], nicht jedoch auch infolge des Todes des Stamm[X.]echtigten vorgesehen werden sollte, drängt sich ob der anderenfalls bewirkten weitgehenden Versteinerung des Flüchtlingsschutzes der Familienangehörigen nicht auf.

Nichts anderes ist auch der Begründung der Vorgängervorschrift des § 73 Abs. 2b Satz 3 [X.] in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] ([X.] I S. 1970, [X.]. [X.] 2008 I [X.]92) zu entnehmen. Die seinerzeitige Intention der Bundesregierung, den Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes für die Fälle vorzusehen, in denen der Stamm[X.]echtigte seinen Schutzstatus "wieder verloren" hat, [X.] einem auch das Ableben des Stamm[X.]echtigten erfassenden Verständnis des Begriffs "erlischt" in dieser Norm nicht.

Ein solches Verständnis ist dem asylrechtlichen Widerrufsrecht auch keineswegs fremd. Bereits unter der Geltung des § 7a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des bis zum 30. Juni 1992 gültigen Gesetzes ü[X.] das Asylverfahren vom 16. Juli 1982 ([X.] I [X.]46) war der Wegfall der [X.][X.]echtigung nicht auf den Wegfall der Voraussetzungen für die Anerkennung als Asyl[X.]echtigter beschränkt, sondern konnte auch in einem Wegfall der "[X.]" gründen, sofern der Familienangehörige nicht aus eigenem [X.] anzuerkennen war (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 [X.] 48.91 - BVerwGE 88, 326 <330 f.>).

b) Dieses den Tod des Stamm[X.]echtigten einbeziehende Verständnis des Begriffs "erlischt" in § 73a Satz 3 [X.] steht mit höherrangigem Recht im Einklang. Weder Verfassungs- (aa) noch [X.] (bb) noch Völkerrecht (cc) begründen eine Verpflichtung der [X.], Familienangehörigen eines verstorbenen Stamm[X.]echtigten unabhängig von einer diesen drohenden Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens dauerhaft asylrechtlichen Schutz zu gewähren (vgl. [X.]eits [X.], Beschlüsse vom 19. Dezem[X.] 1984 - 2 BvR 1517/84 - NVwZ 1985, 260, vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 720/91 - NVwZ 1991, 978 und vom 14. Dezem[X.] 2000 - 2 BvR 517/99 - juris Rn. 3).

aa) § 73a Satz 3 [X.] trägt dem Verbot, den Ausländer in einen Verfolgerstaat abzuschieben, angemessen Rechnung. Er stellt sicher, dass ein Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes nur erfolgen darf, wenn die von dem Familienangehörigen vorzubringenden Verfolgungsgründe eine Beibehaltung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu rechtfertigen vermögen. Diese Verfolgungsgründe können im Zusammenhang mit der vormaligen Verfolgung des Stamm[X.]echtigten stehen und dessen Tod ü[X.]dauern; sie können a[X.] auch eigenständiger Natur sein. Das [X.] und die Verwaltungsgerichte sind verpflichtet, entsprechende Verfolgungsgründe im Rahmen der Widerrufsentscheidung zu [X.]ücksichtigen (vgl. in anderem Kontext auch [X.], Beschluss vom 5. August 2011 - 6 A 583/11.Z.A. - juris Rn. 12).

bb) Nach Art. 45 Abs. 5 [X.] 2013/32/[X.] erlischt die Zuerkennung des internationalen Schutzes als solche von Rechts wegen nur in den beiden dort genannten Fällen des eindeutigen Verzichts und des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Mitgliedstaats, sofern die Mitgliedstaaten dies beschließen. Der Tod des Stamm[X.]echtigten findet in dieser und anderen unionsrechtlichen Bestimmungen keine Erwähnung. Dies verwundert indes nicht, da das Erlöschen in Bezug auf den verstorbenen Stamm[X.]echtigten, wie vorstehend ausgeführt, eine Selbstverständlichkeit darstellt, die keiner Regelung bedarf. Dass das Unionsrecht den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft des Familienangehörigen eines verstorbenen Flüchtlings nicht regelt, folgt [X.]eits aus dem Umstand, dass es das Institut des internationalen [X.] nicht kennt. Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] verpflichtet die Mitgliedstaaten allein dazu, Familienangehörigen der Person, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, die in den Art. 24 bis 35 genannten Leistungen zu gewähren.

cc) Völkerrecht begründet das Verbot der Zurückweisung in den Verfolgerstaat. Art. 1 Abs. [X.] GFK regelt nicht abschließend diejenigen Fälle, in denen eine Person, auf die die Bestimmungen des Art. 1 Abs. A GFK zutreffen, nicht mehr unter dieses Abkommen fällt. Der Tod des Stamm[X.]echtigten findet auch hier keine Erwähnung, da das Erlöschen in Bezug auf den verstorbenen Stamm[X.]echtigten keiner Regelung bedarf und auch das Völkerrecht die Gewährung internationalen [X.] nicht kennt.

1.3. Gemäß § 73a Satz 3 [X.] scheidet der Widerruf der Zuerkennung der [X.] aus, wenn dem Familienangehörigen aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre.

Die Tatsache, dass es sich bei der Rechtsstellung aus § 26 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 [X.] um eine vollwertige Flüchtlingseigenschaft handelt, hat zur Folge, dass die hiermit einhergehende Rechtsstellung nicht [X.]eits allein dann zu widerrufen ist, wenn eine für die Gewährung des [X.]s erforderliche einfachgesetzliche Voraussetzung wegfällt, sondern erst für den Fall, dass der Angehörige des Schutzes vor Verfolgung nicht mehr bedarf. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein etwaiges [X.] ungeprüft bliebe (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 [X.] 48.91 - BVerwGE 88, 326 <331 f.>).

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Klägerin habe weder zum Zeitpunkt ihrer Ausreise aus [X.] flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung gedroht, noch habe sie eine solche im Falle einer Rückkehr nach [X.] in absehbarer Zukunft zu besorgen. Die Klägerin sei im Jahre 2013 legal aus [X.] ausgereist; ihrem Vorbringen seien keine Gründe zu entnehmen, die für eine drohende Verfolgung im oben genannten Sinne sprächen. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht im Einklang mit § 77 Abs. 2 [X.] zur Vermeidung von Wiederholungen den als zutreffend gewürdigten Ausführungen und der Begründung des [X.]es in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid gefolgt. Das [X.] ist gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die tatrichterlichen Feststellungen des [X.] gebunden.

2. Der Widerruf der Anerkennung als [X.][X.]echtigte ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er findet seine Grundlage in § 73a Satz 2 [X.], dem zufolge die Anerkennung als Asyl[X.]echtigter unter anderem für den hier aus den Gründen zu 1. vorliegenden Fall zu widerrufen ist, dass die Anerkennung des Asyl[X.]echtigten, von dem die Anerkennung abgeleitet worden ist, erlischt und der Ausländer nicht aus anderen Gründen als Asyl[X.]echtigter anerkannt werden könnte.

3. Ohne Verstoß gegen § 4 Abs. 1 [X.] hat das Verwaltungsgericht zudem angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus dem Umstand, dass der Widerruf des Familienflüchtlingsschutzes und der Anerkennung als Asyl[X.]echtigte rechtmäßig ist, hat das Verwaltungsgericht gefolgert, dass auch die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides getroffene ablehnende Entscheidung ü[X.] die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aufzuheben sei. Im Übrigen ist es auch insoweit im Einklang mit § 77 Abs. 2 [X.] zur Vermeidung von Wiederholungen den als zutreffend gewürdigten Ausführungen und der Begründung des [X.]es in dem mit der Klage angefochtenen Bescheid gefolgt. Dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Meta

1 C 35/22

11.10.2023

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Gießen, 14. Oktober 2022, Az: 6 K 2801/19.GI.A, Urteil

§ 4 Abs 1 AsylVfG 1992, § 26 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992, § 26 Abs 5 AsylVfG 1992, § 72 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992, § 73a S 2 AsylVfG 1992, § 73a S 3 AsylVfG 1992, Art 45 Abs 5 S 1 EURL 32/2013, Art 45 Abs 5 S 2 EURL 32/2013, Art 23 Abs 2 EURL 95/2011, Art 1 Abs A FlüAbk, Art 1 Abs C FlüAbk, § 25 Abs 2 S 1 Alt 1 AufenthG 2004, § 52 Abs 1 S 1 Nr 4 AufenthG 2004, § 53 Abs 2 AufenthG 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.10.2023, Az. 1 C 35/22 (REWIS RS 2023, 8477)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8477

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