Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2021, Az. NotSt (Brfg) 4/20

Senat für Notarsachen | REWIS RS 2021, 7647

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Gegenstand

Disziplinarverfahren gegen einen Notar: Verletzung der Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit bei Auswärtsbeurkundungen; Beurkundung in den Räumen einer Gemeinde


Leitsatz

1. Der Notar verstößt gegen seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit, wenn er - jedenfalls: wiederholt - Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können.

2. Die Beurkundung in Räumen der Gemeinde kann geeignet sein, den Anschein zu begründen, der Notar stehe in einem unangemessenen Näheverhältnis zu dieser Gemeinde, und auf diese Weise die notariellen Amtspflichten aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO verletzen.

Tenor

Der Antrag des [X.], die Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2020 erlassene und durch Zustellung an die Parteien am 2. und 5. Oktober 2020 verkündete Urteil des Notarsenats des [X.] zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Rechtsanwalt und wurde 2011 zum Notar bestellt. In den Jahren 2016 bis 2018 beurkundete er insgesamt 38 Vereinbarungen und Erklärungen im Zusammenhang mit Grundstücksübertragungen (darunter fünf Grundschuldbestellungen und zwei Unterschriftsbeglaubigungen) in Räumlichkeiten der [X.]     , bei denen diese jeweils selbst Vertragspartei war. Aufgrund dessen leitete der Beklagte ein Disziplinarverfahren ein und verhängte gegen den Kläger durch Disziplinarverfügung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die sich aus § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.] ergebende Amtspflicht, jedes Verhalten zu vermeiden, das den Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt, eine Geldbuße von 2.500 €. Zur Begründung führte er aus, mit der planmäßigen und wiederholten Vornahme von Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei sei aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters der Anschein einer gewissen Abhängigkeit, vor allem aber der Anschein der Parteilichkeit zugunsten dieser Vertragspartei, hier der [X.]     , entstanden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Präsidentin des [X.]s C.   zurück.

2

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheids. Das [X.] hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgen möchte.

II.

3

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO iVm § 64 Abs. 2 [X.] iVm § 105 [X.]) liegt nicht vor. Insbesondere kommt der Rechtssache - entgegen der Auffassung des [X.] - keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

4

a) Der [X.] der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist erfüllt, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen- oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen Fall hinausgeht und an deren Klärung daher im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht (s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - [X.]([X.]) 2/20, [X.] 2020, 532 Rn. 14 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn die Streitfrage bereits in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt ist (Senat aaO). Letzteres ist hier der Fall.

5

aa) Im Ansatz zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Regelung des § 10a [X.], die den Notar hinsichtlich seiner Urkundstätigkeit grundsätzlich auf den Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat, verweist, keine weiteren örtlichen Einschränkungen vorsieht (s. [X.], [X.], 3486, 3487). Dies gilt insbesondere für die Frage, ob eine Beurkundung in der Geschäftsstelle des Notars oder außerhalb davon - innerhalb des Amtsbezirks - vorgenommen wird ([X.] aaO). Bei der Wahl des [X.] muss der Notar jedoch darauf achten, dass hierdurch nicht der Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 2 [X.]; § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 2 und 9 BNBotO in Verbindung mit Nr. IX. 2. der Richtlinien für die Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder der [X.]). Daraus, dass § 10a [X.] eine Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle des Notars nicht untersagt, darf nicht geschlossen werden, dass diese von vornherein mit der allgemeinen Pflicht zu unabhängiger und unparteilicher Amtsführung vereinbar sei (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2017 - [X.]([X.]) 3/17, [X.] 2018, 550 Rn. 28). Ob die Unabhängigkeit des Notars und seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit durch Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle gefährdet werden können, ist indessen eine Frage des Einzelfalls. Sofern die Gefahr des Anscheins einer Parteilichkeit des Notars entstehen könnte, hat dieser allerdings von der Auswärtsbeurkundung Abstand zu nehmen; berufswidriges Verhalten kann insoweit geahndet werden ([X.] aaO S. 3487 f).

6

bb) Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass der Notar gegen seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verstößt, wenn er - jedenfalls: wiederholt - Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können; denn durch ein solches Verhalten erweckt er aus der maßgeblichen Sicht des objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten vertrauten Beobachters (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2017 aaO) den Eindruck, den Interessen dieser Vertragspartei näher zu stehen als den Belangen der anderen Partei (so auch [X.], [X.] 2020, 227 Rn. 25 ff mwN; [X.], [X.] 2019, 244, 245; [X.]/[X.], [X.], § 14 Rn. 70 [Stand: 1. Februar 2021]; enger: [X.], [X.] 2020, 232, 235 ff, nach deren Meinung der konkret gewählte Ort der Beurkundung allein nicht ausreicht, um den bösen Schein im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.] zu erzeugen). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der solchermaßen "begünstigten" Vertragspartei um eine [X.] (Gebietskörperschaft) handelt, weil [X.]n - etwa als Grundstücksverkäufer - durchaus in einem Interessengegensatz zur anderen Vertragspartei stehen können ([X.] aaO Rn. 28; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO S. 236; [X.], [X.] 2020, 74, 76). Die Beurkundung in Räumen der [X.] kann demnach geeignet sein, den Anschein zu begründen, der Notar stehe in einem unangemessenen Näheverhältnis zu dieser [X.], und auf diese Weise die notariellen Amtspflichten aus § 14 Abs. 3 Satz 2 [X.] (beziehungsweise den diese Regelung konkretisierenden Richtlinien der örtlichen Notarkammer) verletzen.

7

b) Der [X.] der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nur gegeben, wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 aaO Rn. 5 mwN). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den [X.] dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht auch die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 aaO mwN). Die hier angegriffene Entscheidung begegnet keinen solchen Bedenken.

8

aa) Im Einklang mit den vorerwähnten Grundsätzen (s.o., a) hat das [X.] zu Recht angenommen, der Kläger habe fahrlässig seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verletzt, indem er in mindestens 31 Fällen (ohne Einbeziehung der Grundschuldbestellungen und Unterschriftsbeglaubigungen) in den Räumen der [X.]      Beurkundungen vornahm, an denen die [X.] selbst als Vertragspartei beteiligt war. Sachliche Gründe für diese Auswärtsbeurkundung hat der Kläger nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.

9

bb) Auch im Hinblick auf die Auswahl der für das einheitliche Dienstvergehen (§ 95 [X.]) verhängten Sanktion in Gestalt einer Geldbuße (§ 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]) und die Bemessung ihrer Höhe bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Auf die zutreffenden Ausführungen des [X.]s wird insoweit Bezug genommen.

c) Die [X.] der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO oder einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) macht der Kläger nicht geltend; hierfür ist auch kein Anhaltspunkt ersichtlich.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO iVm § 77 Abs. 1 [X.] iVm § 109 [X.].

Herrmann     

      

Tombrink     

      

Pernice

      

Brose-Preuß     

      

Müller-Eising     

      

Meta

NotSt (Brfg) 4/20

22.03.2021

Bundesgerichtshof Senat für Notarsachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Celle, 2. Oktober 2020, Az: Not 15/20

§ 10a BNotO, § 14 Abs 3 S 2 BNotO, § 95 BNotO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2021, Az. NotSt (Brfg) 4/20 (REWIS RS 2021, 7647)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7647

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