Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. 1 StR 504/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 1235

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 504/12

vom
20. November
2012
in der Strafsache
gegen

wegen
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 20. November
2012
gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2012 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurück-verwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Vollzug der Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Sein Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Um-fang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet [X.]. § 349 Abs. 2 StPO.
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I.
Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte mehrere Taten
der vorsätzlichen Sachbeschädigung begangen und einmal den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwirklicht hat.
Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das [X.] ausgeführt:
"Der Angeklagte leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche derzeit zwar remittiert ist, zum Tatzeitpunkt aber [X.] war. Aufgrund dessen war er in seiner Einsichtsfähigkeit mit [X.] eingeschränkt, eine vollständige Aufhebung seiner Einsichtsfähigkeit kann aufgrund dessen Erkrankung nicht ausgeschlossen werden" ([X.] 5).
Beim Angeklagten sei auch schon eine Negativsymptomatik,
wie [X.] und [X.] Rückzugstendenzen,
festzustellen. Des Weiteren lägen auch paranoide [X.] vor in Form von Beeinträchtigungs-
und Verfol-gungsgedanken mit dem subjektiven Gefühl, bedroht zu werden ([X.] 10).
II.
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststel-lungen nicht belegt.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund einer nicht nur vo-rübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfä-hig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 26. September 2012 -
4 [X.] mwN).
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Es ist dabei stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausge-wirkt hat und warum die [X.] auf sie
zurückzuführen sind ([X.] aaO mwN).
Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das [X.] der Auf-fassung ist, bereits mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichts-fähigkeit seien die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Dies trifft indes nicht zu.
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von [X.], wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2012 -
1 StR 332/12 mwN).
Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkre-ten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist -
sofern nicht sei-ne Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war -
voll schuldfähig.
In einem solchen Fall ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig.
Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2005 -
3 StR 3/05 mwN).
Im vorliegenden Fall lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass dem Angeklagten bei der Bege-hung der Tat die Unrechtseinsicht vollständig
gefehlt hat. Der Tatrichter hat schon nicht im Einzelnen dargelegt, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichtsfähigkeit ausgewirkt hat. Hin-9
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sichtlich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat er vielmehr [X.], dass der Angeklagte die Beamten als Amtsträger erkannt hat und sich auch des Umstandes bewusst war, dass diese im Begriff waren, eine rechtmä-ßige Amtshandlung vorzunehmen ([X.] 5).
Bei der Gefährlichkeitsprognose stellt der Tatrichter u.a. darauf ab, dass beim Angeklagten nicht die erforderlichen Hemmungsmechanismen vorlägen und er nicht in der Lage sei, inneren Regungen entsprechende Hemmungen in adäquater Weise entgegenzusetzen ([X.] 13). Diese Überlegungen könnten eher auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hindeuten.
Der [X.] kann daher nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die [X.] gemäß § 63 StGB auf den aufgezeigten Rechtsfeh-lern beruht.
Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Fest-stellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Insoweit war die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
III.
Aufzuheben war allerdings auch der Freispruch.
Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Un-terbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgeho-ben, hindert
das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Stra-fe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anord-16
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nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei [X.] schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, [X.]). Dieses gesetzge-berische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Frei-spruch aufhebt (vgl. [X.], Beschluss vom 26. September 2012 -
4 [X.] mwN).
IV.
Der neue Tatrichter wird, wenn er erneut zur Erörterung der Vorausset-zungen des § 63 StGB gelangt, Gelegenheit haben näher darzulegen, weshalb konkret eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher -
über [X.] hinausgehender -
rechtswidriger Taten besteht.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann auch die etwaige Bestel-lung eines Betreuers berücksichtigt werden (vgl. hierzu die Rechtsprechungs-hinweise bei [X.], StGB,
59. Aufl. 2012,
Rn. 23b zu § 63).
Es darf allerdings
nicht
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wie im angefochtenen Urteil -
zu Lasten des Angeklagten in die Gesamtwürdigung einbezogen werden, dass der Angeklagte sich für eine andere Person ausgibt und hier auch nicht die geringste Über-nahme von Verantwortung für seine Taten zeigt ([X.] 15).
Denn zum einen liegt ein zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten vor. Zum anderen ist eine solche Überlegung jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn das [X.] zuvor ([X.] 6) zugunsten
des Angeklagten unterstellt hat, dass er krank-21
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heitsbedingt meint, jemand anderes zu sein. Dann darf ihm dies nicht angelas-tet werden.
[X.] Jäger

Sander Radtke

Meta

1 StR 504/12

20.11.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2012, Az. 1 StR 504/12 (REWIS RS 2012, 1235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1235

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4 StR 348/12

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