Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 10 AZR 251/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 6537

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Gegenstand

Tantiemeanspruch - Entstehungsgrund - Auslegung von Leistungsverhalten


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2011 - 11 Sa 916/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.]onderzahlungen für die Jahre 2007 bis 2011.

2

Der Kläger war bis zum 30. Juni 2011 für die Beklagte als „Leiter IT“ tätig. Der Arbeitsvertrag vom 22. Dezember 1995 regelt in § 3 (Bezüge) Folgendes:

        

„1.     

[X.]err J erhält als Vergütung für seine Tätigkeit ein Jahres-Bruttogehalt in [X.]öhe von DM 120.000,00 (in Worten: [X.]), das monatlich nach Abzug der gesetzlichen Abgaben in 12 gleichen Teilbeträgen ausgezahlt wird. Bei erfolgreicher Zusammenarbeit im [X.] erfolgt die Zahlung einer Tantieme in [X.]öhe von DM 10.000,00 (Brutto).

        

…“    

        

3

Die Beklagte zahlte dem Kläger jährlich eine Tantieme und jedenfalls seit Januar 2001 auch monatliche Vorauszahlungen auf diese, ohne dass es später zu einer Verrechnung kam. In den Jahren 2004 bis 2006 erhielt der Kläger jeweils 34.103,00 Euro brutto ohne Verrechnung auf den monatlich gezahlten Vorschuss i[X.]v. 766,94 Euro.

4

Im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Neuregelung der Vergütung schlug der Kläger mit E-Mail vom 7. März 2007 vor:

        

„…    

        

J       

        

T-Rest für 2006 wie gehabt 35T. Jahresgehalt 2006 entspricht dann 2005. Fix ab Juni 9.100 anstelle 7.160 (davon sind 766 Tantieme Vorauszahlung). Ergibt für 2007 Fix von [X.] Tantieme für 2007 wäre dann 21,4T (vorausgesetzt Jahresgehalt bleibt gleich zu 2005/2006). Das sind dann 18 % Tantiemeanteil anstelle von 36,5 %. Und wenn das mit dem [X.] würde, wäre klasse. Ich fahre ja jetzt eine besonders kleine Kiste (118d), vielleicht kann der Nächste dafür etwas größer als normal werden.

        

Bitte kurze [X.], ob das so OK geht. …“

5

Mit weiterer E-Mail vom 30. [X.] 2007 ua. an den damaligen Geschäftsführer [X.] gab der Kläger ein gemeinsames Gespräch vom 23. Juli 2007 wie folgt wieder:

        

„…    

        

wir hatten am 23.07. in unserem gemeinsamen Gespräch folgende Punkte besprochen bzw. festgelegt:

        

1.    

mein monatliches Grundgehalt wird auf 8.500,00 Euro angehoben und eine monatliche Tantiemevorauszahlung von 600,00 Euro gezahlt. Und zwar rückwirkend zum 01.01.2007 mit Umsetzung zum [X.].

        

2.    

Aufgrund der Zusage eines [X.] Ihrerseits vom April diesen Jahres und meiner [X.]ituation, dass sich in einem [X.] 6 und dem [X.] keine drei Kindersitze unterbringen lassen, wollte sich [X.]r. [X.] bei [X.]r. D persönlich dafür einsetzen, dass ich den [X.] als Dienstwagen bekomme (bei dem die monatliche Leasingrate mit 25.000 km/Jahr 570 Euro beträgt).

        

Ich möchte an dieser [X.]telle höflich nachfragen wie der [X.]tand der Dinge ist, da [X.] aufgefallen ist, dass die Gehaltszahlung für [X.] nicht angepasst wurde.“

6

Nachfolgend rechnete die Beklagte die Monate Januar bis Oktober 2007 mit dem bisherigen Gehalt i[X.]v. 6.391,15 Euro brutto, einem weiteren Gehalt i[X.]v. 2.108,85 Euro brutto, einem [X.]achbezug für die [X.] i[X.]v. 423,95 Euro und der bisherigen Tantiemevorauszahlung i[X.]v. 766,94 Euro abzüglich eines Betrags i[X.]v 166,94 Euro ab. Die Abrechnungen für die Monate Januar bis [X.]eptember 2008 weisen ein Gehalt i[X.]v. 8.500,00 Euro brutto, eine Tantiemevorauszahlung i[X.]v. 600,00 Euro brutto und einen [X.]achbezug für die [X.] von 938,25 Euro aus, ab Oktober 2008 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind einheitlich 9.100,00 Euro brutto abgerechnet worden. Letztmalig mit der Verdienstabrechnung Mai 2008 erhielt der Kläger für das [X.] einen als „Einmalsonderzahlung“ ausgewiesenen Betrag i[X.]v. [X.] Euro brutto.

7

In einer E-Mail des [X.] vom 30. April 2009 an den Gesellschafter der [X.] heißt es:

        

„…    

        

in den 13 Jahren, in denen ich hier tätig bin, hat sich mein Gehalt immer aus dem fixen und einem nicht unerheblichen variablen Teil zusammengesetzt. [X.]err [X.] hat [X.] am 2. März aufgefordert, ihm einen Vorschlag für die Tantieme von [X.]errn V und [X.] für das [X.] zu unterbreiten, so wie auch schon in den letzten Jahren.

        

Meinen Vorschlag, basierend auf dem sehr positiven Feedback für 2008 von [X.]errn [X.] via Mail vom 24.12.2008, habe ich ihm am 13. März zugesendet ([X.]chriftsätze habe ich unten angehängt).

        

…“    

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf eine jährliche Tantieme i[X.]v. 34.103,00 Euro entsprechend der in den Jahren 2004 bis 2006 gezahlten Beträge.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 129.365,50 Euro brutto nebst Zinsen in [X.]öhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 10.000,00 Euro seit dem 1. April 2008, aus 34.103,00 Euro seit dem 1. April 2009, aus 34.103,00 Euro seit dem 1. April 2010 sowie aus 34.103,00 Euro seit dem 1. April 2011 und aus weiteren 17.056,50 Euro seit dem 1. Juli 2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 Abs. 1 ZPO).

I. Das [X.] hat angenommen, ein vertraglicher Anspruch auf eine Tantieme sei nicht begründet worden. Nach § 3 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags sei nur für das [X.] eine Tantieme iHv. 10.000,00 DM brutto vereinbart worden. Einem durch betriebliche Übung entstandenen Anspruch stehe entgegen, dass eine Tantieme gewinnabhängig sei; aus der zufälligen Gewährung gleich hoher Tantiemen in den Jahren 2004 bis 2006 habe der Kläger deshalb nicht auf die Zusage der [X.] zu einer dauerhaften Zahlung in dieser Höhe schließen können.

II. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

1. Es kann dahinstehen, ob - wegen des Einzelfallcharakters der Zahlungen sowie einer individuellen Vereinbarung über die Zahlung einer festgelegten Tantieme im [X.] - nichttypische Erklärungen auszulegen sind, deren Würdigung durch die Tatsacheninstanzen nur einer eingeschränkten Überprüfung durch den Senat dahin gehend unterliegt, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt, allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder für die Auslegung wesentliche Umstände außer [X.] gelassen wurden (vgl. [X.] 15. Februar 2012 - 10 [X.] - Rn. 36), oder ob der Erklärungswert des Verhaltens der [X.] in vollem Umfang revisionsrechtlich zu überprüfen ist. Bereits einer eingeschränkten Überprüfung hält die Beurteilung des [X.]s nicht stand, denn es hat eine mögliche (und naheliegende) Auslegung nicht in Erwägung gezogen und erheblichen Vortrag nicht gewürdigt.

2. Zutreffend ist das [X.] noch davon ausgegangen, dass der Kläger nicht aus betrieblicher Übung einen Anspruch auf eine Tantieme in einer bestimmten Höhe erworben hat. Eine betriebliche Übung bezieht sich auf eine Vielzahl oder zumindest auf eine abgrenzbare Gruppe von Arbeitnehmern, ohne dass individuelle Besonderheiten die vertraglichen Beziehungen gestalten; das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung enthält ein kollektives Element (vgl. [X.] 21. April 2010 - 10 [X.]/09 - Rn. 11; 11. April 2006 - 9 [X.] - Rn. 15, [X.]E 118, 16). Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass die Beklagte durch kollektive Handhabung Tantiemezahlungen vorgenommen hat; sein Vortrag beschränkt sich auf das ihm gegenüber gezeigte Leistungsverhalten.

3. Das [X.] hat aber verkannt, dass der Kläger zumindest aufgrund konkludenter Abrede einen vertraglichen Anspruch auf eine Tantieme dem Grunde nach erworben haben kann, über deren Höhe die Beklagte gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. Die Parteien haben in § 3 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags die Zahlung einer festen Tantieme bei erfolgreicher Zusammenarbeit im [X.] vereinbart. Dies lässt für sich genommen eine Auslegung als denkbar erscheinen, dass für die Folgejahre kein Anspruch begründet werden sollte. Im Zusammenhang mit dem nachfolgenden langjährigen Leistungsverhalten der [X.] ist es aber naheliegend, dass dem Grunde nach ein vertraglicher Anspruch des [X.] auf eine jährliche Tantieme begründet und im Arbeitsvertrag lediglich für das [X.] ein bestimmter Betrag festgelegt worden ist. Das [X.] hat nicht berücksichtigt, dass der Kläger bis einschließlich 2007 eine jährliche Tantieme und diese in drei Jahren sogar in gleicher Höhe erhalten hat. Es hat auch nicht gewürdigt, dass die Beklagte jedenfalls seit 2001 später nicht verrechnete monatliche Vorauszahlungen geleistet und bei keiner Zahlung einen Unverbindlichkeitsvorbehalt erklärt hat. Es greift deshalb zu kurz und verstößt gegen die §§ 133, 157 BGB, einen Anspruch bereits deshalb zu verneinen, weil eine Tantieme nicht in einer bestimmten Höhe zugesagt wurde. Naheliegend (und wahrscheinlich) ist vielmehr, dass nach §§ 133, 157 BGB die Annahme gerechtfertigt ist, die Beklagte habe sich zumindest kraft konkludenter Abrede dem Grunde nach zur Zahlung einer Tantieme verpflichtet und lediglich vorbehalten, nach § 315 BGB jährlich über deren Höhe zu bestimmen (zu einer ähnlichen Auslegung von Leistungsverhalten vgl. [X.] 21. April 2010 - 10 [X.]/09 -).

III. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1. Ein Anspruch auf eine variable Vergütung ist nicht dadurch untergegangen, dass die Parteien eine Änderung der Bezüge vereinbart haben. Dies ergibt sich bereits aus der E-Mail des [X.] vom 30. April 2009, welcher die Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten ist. Danach hat der damalige Geschäftsführer der [X.] den Kläger aufgefordert, für das [X.] einen [X.] zu unterbreiten. Daraus folgt, dass beide Parteien von einem fortbestehenden Anspruch auf eine variable Vergütung ausgegangen sind.

2. Da das [X.] das Leistungsverhalten nur unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung erörtert und gewürdigt hat, ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Ergibt die Auslegung von Arbeitsvertrag und Leistungsverhalten einen Anspruch auf Festsetzung einer Tantieme nach § 315 BGB, ist weiter zu prüfen, ob dieser Anspruch durch eine Neuregelung der Vergütung im Jahr 2007 inhaltlich verändert wurde, auch insoweit ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Das [X.] wird abschließend die Höhe des Anspruchs gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil festsetzen müssen. Dazu hat die Beklagte im Rahmen abgestufter Darlegungs- und Beweislast vorzutragen, nach welchen Kriterien sie in der Vergangenheit - für den Kläger erkennbar - die Tantieme festgelegt hat. [X.] richten sich häufig nach Geschäftsergebnis und individueller Leistung; die dreimalige Zahlung einer Tantieme in gleicher Höhe kann aber auch den Schluss erlauben, dass sie sich nicht nach dem Geschäftsergebnis gerichtet hat.

        

    Mikosch    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    Simon    

        

    Trümner    

                 

Meta

10 AZR 251/12

17.04.2013

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 27. Mai 2011, Az: 1 Ca 7858/10, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 315 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 10 AZR 251/12 (REWIS RS 2013, 6537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6537


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 10 AZR 251/12

Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 251/12, 17.04.2013.


Az. 1 Ca 7858/10

Arbeitsgericht Düsseldorf, 1 Ca 7858/10, 27.05.2011.


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Wird zitiert von

9 AZR 367/21

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