Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2010, Az. II ZR 27/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8495

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Gegenstand

Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für die Berufung gegen Entscheidungen der Amtsgerichte: Allgemeiner Gerichtsstand einer Partei im Ausland und im Inland


Leitsatz

Die Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG a.F. ist nicht anwendbar, wenn ein in der Schweiz eingetragener Verein einen allgemeinen Gerichtsstand auch im Inland hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 10. März 2009, VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610) .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 23. Dezember 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, einem beim Handelsregisteramt des Kantons [X.] in der [X.] eingetragenen Verein mit statutarisch geregeltem Sitz in B./[X.], der seinen Mitgliedern Wohnrechte in einer in M. ([X.], [X.]) belegenen Ferienanlage nach dem "[X.] einräumt, Rückzahlung des für den Erwerb der Vereinsmitgliedschaft aufgewendeten Entgelts.

2

Die Klägerin unterschrieb am 12. September 1995 einen "Vermittlungsauftrag und Aufnahmeantrag", mit dem sie unter Anerkennung der Statuten die Aufnahme in den Verein "[X.] Luftkurort M." gegen eine Gesamtgebühr von 9.325,00 DM (Klageforderung) beantragte. Die Mitgliedschaft wurde der Klägerin mit Urkunde vom 12. Dezember 1995 bestätigt.

3

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, mit der in den Statuten des Beklagten geregelten [X.] sei die [X.] Gerichtsbarkeit wirksam ausgeschlossen worden. Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das [X.] als unzulässig verworfen, weil die Berufung entgegen § 119 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nicht beim [X.] eingelegt worden sei. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

5

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

6

Der beklagte Verein habe seinen allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz in der [X.] und damit außerhalb des Geltungsbereichs des [X.] gehabt, so dass gemäß § 119 Abs. 1 Ziff. 1 b [X.] das [X.] zur Entscheidung über die Berufung zuständig gewesen sei.

7

Der Sitz einer juristischen Person bestimme sich gemäß § 17 ZPO grundsätzlich nach dem Gründungssitz und nicht nach dem effektiven Verwaltungssitz. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der effektive Verwaltungssitz des Beklagten in [X.] befinde. Selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich bei dem Beklagten um eine sog. "Scheingesellschaft" oder "Briefkastenfirma" handele, führe dies nicht dazu, dass der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand in der [X.] verliere. Angesichts der zahlreichen bilateralen Abkommen zwischen der [X.] und der Bundesrepublik [X.], insbesondere dem Abkommen über die Freizügigkeit, müsse ein [X.] Verein, der sich innerhalb der vom Abkommen vorgegebenen Grenzen in [X.] betätige, auch dann als solcher anerkannt werden, wenn der Verwaltungssitz vorübergehend in [X.] liege. Damit stehe fest, dass der Beklagte in [X.] keinen allgemeinen, sondern nur einen besonderen Gerichtsstand habe.

8

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zu Unrecht mit der Begründung als unzulässig verworfen, gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b [X.] a.F. sei nicht das [X.], sondern das [X.] für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig. Nach dieser - durch Art. 22 Nr. 14 a des [X.] vom 17. Dezember 2008 ([X.], 2586, 2696) mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobenen und hier nach § 40 EG[X.] in der bisherigen Fassung noch anzuwendenden - Vorschrift sind die [X.]e in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine [X.] erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb [X.]s hatte. Dies trifft hier entgegen der Auffassung des [X.]s nicht zu.

1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.], dass § 119 Abs. 1 Nr. 1 b [X.] a.F. dann nicht anwendbar ist, wenn die [X.] neben einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland auch einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat ([X.], [X.]. v. 27. Juni 2007 - [X.] 114/06, NJW-RR 2008, 551 [X.]. 12 ff.; v. 10. März 2009 - [X.] 105/07, [X.], 1610 [X.]. 8). So liegt es auch hier.

2. Zu Unrecht hat das [X.] unter Anwendung des § 17 ZPO einen allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten ausschließlich in der [X.] angenommen und einen allgemeinen Gerichtsstand in der Bundesrepublik [X.] verneint.

a) Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten bestimmt sich hier nicht nach § 17 ZPO, sondern nach Art. 2 i.V.m. Art. 53 des Übereinkommens "über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in [X.] am 16. September 1988" (nachfolgend: [X.]). Danach sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen (Art. 2 [X.]). Der Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen steht für die Anwendung des Übereinkommens dem Wohnsitz gleich. Bei der Entscheidung darüber, wo sich der Sitz befindet, hat das Gericht die Vorschriften seines internationalen Privatrechts anzuwenden (Art. 53 [X.]).

b) Dies führt hier zur Annahme eines allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten in [X.].

aa) Das [X.] ist hier anwendbar. Es ist in der Bundesrepublik [X.] als dem Wohnsitzstaat der Klägerin am 1. März 1995 und in der [X.] als dem "Wohnsitzstaat" des Beklagten am 1. Januar 1992 in [X.] getreten ([X.], [X.]). Es findet im Streitfall gem. Art. 54 b II a, 1. Fall [X.] Anwendung, weil die [X.] nicht Mitglied der [X.] ist.

bb) Das [X.] internationale Privatrecht folgt im Grundsatz der Sitztheorie, der die Annahme eines einheitlichen [X.]s zu Grunde liegt, d.h. es beurteilen sich alle gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse grundsätzlich nach dem so bestimmten [X.] ([X.]/[X.] 4. Aufl. Intern.[X.] Rdn. 6, 400). Die Sitztheorie ist für in der [X.] gegründete Gesellschaften weiterhin anwendbar (Senat, [X.]Z 178, 192 [X.]. 19 f. - Trabrennbahn; [X.]/[X.] 4. Aufl. Intern.[X.] Rdn. 433; [X.]/[X.] 3. Aufl. Art. 60 [X.] Rdn. 8).

cc) Nach dem gem. Art. 53 [X.] anwendbaren [X.]n internationalen Privatrecht und der dort geltenden Sitztheorie beurteilt sich der Sitz einer juristischen Person nach dem Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes ([X.]Z 97, 269, 271 m.w.Nachw.; [X.]Z 178, 192 [X.]. 21;[X.]/[X.] 2. Aufl. Art. 53 EuGVÜ Rdn. 6). Maßgebend dafür ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen [X.], also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden ([X.]Z 97, 269, 272).

Dieser Ort lag in der Bundesrepublik [X.]. Zu Unrecht hat es das Berufungsgericht insoweit für maßgeblich gehalten, es sei von dem Beklagten niemals eingeräumt worden, dass die Verwaltung von [X.] aus erfolgt sei; es sei lediglich eingeräumt worden, dass sich die wesentlichen Vermögensbestandteile in [X.] befinden würden. Das Berufungsgericht hat insoweit wesentlichen Sachvortrag der [X.]en außer Acht gelassen.

(1) Für die Frage der [X.] nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b [X.] a.F. ist regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische allgemeine Gerichtsstand einer [X.] zu Grunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen ([X.], [X.]. v. 28. März 2006 - [X.] 100/04, [X.], 1808 [X.]. 11; [X.], [X.]. v. 10. März 2009 - [X.] 105/07, [X.], 1610 [X.]. 8). Dabei ist es unerheblich, dass das Amtsgericht im unstreitigen Tatbestand Z. in der [X.] als den "Sitz" des Beklagten benannt hat. Unerheblich ist weiter, dass die [X.]en und Vorinstanzen irrtümlich vom Vorliegen (nur) eines besonderen Gerichtsstands im Inland (hier: Gerichtsstand des Vermögens gem. § 23 ZPO) ausgegangen sind. Maßgebend ist allein, dass die tatsächlichen Umstände, die die Tatbestandsvoraussetzungen eines allgemeinen inländischen Gerichtsstands erfüllen, in erster Instanz unstreitig waren und unstreitig sind ([X.], [X.]. v. 27. Juni 2007 - [X.] 114/06, NJW-RR 2008, 551 [X.]. 11).

(2) Das war hier der Fall. Nach den bereits mit der Klageschrift vorgetragenen bzw. in erster Instanz unstreitigen tatsächlichen Umständen wurden die Geschäfte des Beklagten ausschließlich und unmittelbar in [X.] geführt. Die Klägerin hat mit der Klageschrift die Schreiben des Beklagten vom 15. Januar 2004 sowie vom 18. April 2006 vorgelegt. Beide Schreiben weisen im Briefkopf eine Adresse in M. sowie eine [X.] Telefon- und Faxnummer aus. Nach dem Schreiben vom 15. Januar 2004 war unter diesen Angaben ausdrücklich die "Geschäftsstelle" des Vereins zu erreichen, im Schreiben vom 18. April 2006, das von dem Vorstandsmitglied D. unterschrieben worden war, wird im [X.] weiter eine [X.] E-Mail-Adresse (f.-m…@t-online.de) sowie eine [X.] Internetadresse ( www.f ...de) angegeben. Dem entspricht es, dass der in der Handelsregistereintragung dokumentierte Zweck des Vereins allein die Betreuung der Mitglieder und des Eigentums der Ferienwohnanlage in M. umfasst. Diese in [X.] gelegene Ferienanlage ist unstreitig das wesentliche zu verwaltende Vermögen des Beklagten. Ebenfalls unstreitig und im Übrigen durch den eingereichten [X.] dokumentiert sind zwei von drei Vorständen, so auch der Verfasser des Schreibens vom 18. April 2006, in [X.] wohnhaft (vgl. zu diesen Kriterien als Indiz für den Verwaltungssitz [X.], [X.]. v. 10. März 2009 - [X.] 105/07, [X.], 1610 [X.]. 12). Bereits in der Klageschrift hat die Klägerin - vom Beklagten unbeanstandet - zudem M. als Ort im Passivrubrum angegeben. Aus vom Beklagten selbst erstinstanzlich eingereichten Unterlagen ergibt sich weiter, dass die Mitgliederversammlungen des Vereins in M. stattfinden, der Jahresbericht des Vorstandsvorsitzenden an die Mitgliederversammlung sowie die Bilanz unter dem Briefkopf "M." erstellt werden und schließlich die Bilanz durch einen Rechnungsprüfer aus Mü. geprüft wird.

Die einzige Verbindung des Beklagten mit dem Ausland bestehen neben der Angabe des Sitzes in den Statuten sowie der dort geregelten Zuständigkeit eines Schiedsgerichts, dessen Zusammensetzung im Falle der fehlenden Benennung eines Schiedsrichters durch eine [X.] der Präsident eines [X.] Gerichts bestimmen soll, darin, dass einer von drei Vorständen im Handelsregistereintrag mit einem ausländischen Geschäftssitz angegeben ist. Das reicht für die Annahme eines (alleinigen) Verwaltungssitzes im Ausland angesichts der für einen inländischen Verwaltungssitz sprechenden gewichtigen Umstände nicht aus (vgl. auch [X.], [X.]. v. 10. März 2009 - [X.] 105/07, [X.], 1610 [X.]. 12).

III. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler ist das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - mit den sachlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts nicht beschäftigt. Die Zurückverweisung bietet Gelegenheit, dies nachzuholen.

[X.]                              Caliebe                              Drescher

                  [X.][X.]

Meta

II ZR 27/09

15.03.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Regensburg, 23. Dezember 2008, Az: 2 S 246/07 (2), Urteil

§ 119 Abs 1 Nr 1 Buchst b GVG vom 27.07.2001, Art 53 VollstrZustÜbk 1988

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2010, Az. II ZR 27/09 (REWIS RS 2010, 8495)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8495

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

II ZR 28/10

IV ZR 93/17

IV ZR 93/17

II ZR 27/09

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