Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2016, Az. 1 StR 239/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 10060

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:140616B1STR239.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 239/16
vom
14. Juni 2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter Erpressung

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO am 14.
Juni 2016 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2015 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg (§
349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des
[X.] vom 17.
Mai 2016 unbegründet im Sinne von §
349 Abs. 2 StPO.

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I.
Nach den Feststellungen des [X.]s ([X.] war der Angeklagte vom [X.] Stuttgart am 1. September 2010 erstmals
rechtskräftig wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt [X.], weil er im Juli 2009 die M.

AG mit der Drohung einer Weitergabe von vier Millionen Datensätzen von Bankkunden, die er während seiner Tätigkeit als selbständiger Softwareberater bei dieser Bank entwendet hatte, zur Zahlung eines Betrags von 201 Millionen Euro nötigen wollte. Da der Angeklagte identifiziert und festgenommen werden konnte, kam es zur [X.] Zahlung jedoch nicht.
Aus der Untersuchungshaft heraus hatte sich der Angeklagte ab Oktober 2010 erneut über einen bevollmächtigten Rechtsanwalt erfolglos an die [X.] zu fordern, der aus Sicht des Angeklagten [X.] Stuttgart am 31. Januar 2012 wegen versuchter Erpressung rechtskräftig zu einer weiteren Freiheitsstrafe von drei Jahren
verurteilt ([X.] S.
10).
Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am 15. Mai 2014 forderte der Angeklagte nach den Feststellungen des [X.]s
im Rahmen der verfah-rensgegenständlichen Tat ab 29. Juli 2014 wiederum durch mehrfache Schrei-ben
sowie E-Mails von der M.

AG jeweils mit einer Frist bis zum 8. September
2014 nochmals die Zahlung eines Gesamtpreises von neu-nundzwanzig Millionen Euro zum Erwerb der Presse-, Buch-
und Filmrechte mit dem Arbeitstit

die Entwendung der vier Millionen Kundendatensätze nicht an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Vertreter der Bank nahmen die Schreiben des Angeklagten 2
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ernst, zu einer Zahlung seitens der Bank kam es jedoch nach Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden auch in diesem Fall nicht. Die Bank teilte dem Ange-klagten mit Schreiben vom 3. September 2014 mit, dass sie keinerlei Zahlungen an ihn leisten werde, so dass sein Erpressungsvorhaben gescheitert war.
Das [X.] geht -
dem psychiatrischen Sachverständigen folgend
-
davon aus ([X.] S. 34 ff.), dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten
bei der Tat weder aufgehoben noch wesentlich vermindert gewesen sei. Es legt für die zu bestimmende Rechtsfolge den Strafrahmen der besonders schweren Erpres-sung zu Grunde und mildert diesen wegen des vertypten [X.].
II.
Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch; ergänzend verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des [X.].
Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils ist aber rechtsfehlerhaft. Die Ausführungen zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten und zur [X.] halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den vom sachverständig beratenen [X.] zur Schuldfä-higkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen leidet dieser zum einen an hyperthymen Persönlichkeitseigenschaften. Diese zeigten sich durch [X.], ein
positiv-naives Selbstwertgefühl und die deutliche Neigung, sich und die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Zum anderen bestehe bei dem Angeklagten eine [X.], die durch ein Nebeneinander von einer oder mehreren depressiven oder hypomanischen Episoden gekennzeichnet sei 5
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und das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung i.S.d. §
20 StGB erfülle.
Allerdings haben sich nach Auffassung des Sachverständigen, dem das [X.] folgt, keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass diese
Störun-gen weder für sich allein noch zusammen Auswirkungen auf die Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten gehabt haben könnten. Der Angeklagte bei einer Kontrolluntersuchung durch einen Psychiater im Rahmen der durch die Strafvollstreckungskammer erteilten Weisung am 28. Juli 2014 unmittelbar vor den ersten Schreiben sei aber nichts Auffälliges festgestellt worden. Im Üb-rigen habe der Angeklagte bei der Tat planvoll und geordnet gehandelt sowie adäquat auf Schreiben der Gegenseite reagiert. Das Verhalten des Angeklag-ten vor, bei und nach der Tat belege daher, dass ihm trotz seiner besonderen Persönlichkeitseigenschaften und der bestehenden affektiven Störung noch in ausreichendem Maß Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten und gerade kein Kontrollverlust eingetreten sei. Gleichzeitig stellt das [X.] aber auch fest ([X.] S.
6), dass der Angeklagte seit 2011 bis zu seiner Haftentlassung am 15. Mai 2014 medikamentös behandelt wurde. Nachdem er auf freien Fuß gekommen war, habe er die Behandlung aber nicht mehr konse-quent fortgesetzt.
2. Diese Ausführungen des [X.]s, mit denen das [X.] das Vorliegen der Voraussetzungen des §
21 StGB verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die vom [X.] vorgenommenen
Wertungen weisen Lücken auf und lassen besorgen, dass das [X.] einzelne für bzw. gegen die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit sprechende Indi-zien übersehen oder
falsch gewichtet hat und infolgedessen zu einer [X.] Gesamtwürdigung gelangt ist.
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Das [X.] hat zwar zunächst zutreffend das vom [X.] bei dem Angeklagten diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangs-merkmale des
§
20 StGB zugeordnet, eine konkretisierende Darstellung und Würdigung aller für die Beurteilung der Schuldfähigkeit relevanter Gesichts-punkte erfolgt aber nicht. Insbesondere lässt das Urteil bereits eine eingehende Darstellung des Zustands des Angeklagten zu den [X.] unter Berücksich-tigung seines Lebenslaufs und seiner Vorbelastungen vermissen. Dazu hätte aber Veranlassung bestanden, da der Angeklagte nach den festgestellten [X.] bereits zweimal durch eine gleichartige Tatbegehungsweise aufge-fallen war. [X.] bleibt auch, welche Auswirkungen sich dadurch ergeben, dass der Angeklagte die während der Haftzeit durchgeführte medikamentöse Behandlung nicht mehr konsequent fortgeführt hat. Insoweit werden notwendige Anknüpfungstatsachen vom [X.] zu Art und Umfang der Medikation nicht mitgeteilt.
Hinzu kommt, dass
bei bipolaren Störungen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, so dass hier ein nur allgemeiner Hinweis auf die Diagnose nicht ausreichend aussagekräftig ist ([X.], [X.] vom 28. Januar 2016

3 StR 521/15, [X.], 135; vom 13. August 2013

2 StR 128/13, [X.], 368, 369 und vom 23. August 2012

1 [X.], [X.], 98). Gerade in manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zu Beeinträchtigungen der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Einsichtsfähigkeit kommen. Dies umso mehr als der Angeklagte, wie vom [X.] ([X.] S. 36) festgestellt, selbst angegeben hat, sich zu Beginn

zu haben. Soweit das [X.] ([X.] S. 37) allein aus dem planvoll und geordneten Vorgehen des Angeklagten und den adäquaten Reaktionen auf die Äußerungen der [X.] aber letztlich zum Ausschluss einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit kommt, wird
hier nur ein Aspekt berücksichtigt, ohne im Rahmen der notwendi-11
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gen Gesamtbewertung die dargestellten weiteren Gesichtspunkte mit einzube-ziehen.
Vielmehr spricht die

wie dem Angeklagten aus zwei ergebnislosen [X.] bekannt war

bereits von vornherein zum Scheitern verurteilte Tat schon gegen eine rational bestimmte Vorgehensweise des Angeklagten. Aufgrund dieser Erörterungsmängel bedarf die Frage der verminderten Schuld-fähigkeit nach §
21 StGB

gegebenenfalls unter vertiefender sachverständiger Hilfe

neuer tatrichterlicher Prüfung.
Angesichts des Störungsbildes
schließt der Senat aus, dass sich im Rahmen der neuen Verhandlung Erkenntnisse ergeben, die zur Annahme von Schuldunfähigkeit führen.
3. Unabhängig davon konnte der Strafausspruch auch deshalb nicht be-stehen bleiben, weil die vom [X.] vorgenommene Bestimmung des Strafrahmens weitere Rechtsfehler aufweist.
Das [X.] hat im Rahmen der Strafzumessung ([X.] S. 40) die An-wendung des Regelstrafrahmens von §
253 Abs. 1 StGB nicht als angemessen angesehen und nach einer Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und der Tatumstände auf den erhöhten Strafrahmen des §
253 Abs. 4 Satz
1 StGB zurückgegriffen. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Gesamtwürdigung wurde vom [X.] aber nicht geprüft, ob die Berücksichtigung des vertyp-ten Milderungsgrundes des Versuchs hier nicht bereits zu einer Verneinung ei-nes besonders schweren Falls der Erpressung führen kann. In diesem Fall wäre der Strafrahmen des §
253 Abs. 1 StGB maßgeblich, der eine geringere Min-dest-
und Höchststrafe vorsieht als der wegen Versuchs geminderte Strafrah-men des besonders schweren Falls gemäß
§
253 Abs. 4 Satz
1 StGB.

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4. Der Senat hebt deshalb den Strafausspruch mit den zu Grunde lie-genden Feststellungen auf, um dem Tatrichter eine umfassende widerspruchs-freie Entscheidung über den neuen Strafausspruch zu ermöglichen.
Raum Graf Ri[X.] Prof. Dr. [X.]

befindet sich im Urlaub

und ist deshalb an der

Unterschriftsleistung

gehindert.

Raum

Mosbacher

Bär
16

Meta

1 StR 239/16

14.06.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2016, Az. 1 StR 239/16 (REWIS RS 2016, 10060)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10060

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3 StR 521/15

2 StR 128/13

1 StR 389/12

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