Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.05.2023, Az. 10 BN 2/23

10. Senat | REWIS RS 2023, 4711

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Gegenstand

Normenkontrolle gegen Festsetzung eines Wasserschutzgebiets


Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 16. August 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen jeweils zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Antragsteller wenden sich gegen eine Rechtsverordnung des [X.] über ein Wasserschutzgebiet, dessen Festsetzung der Beigeladene, ein Wasser- und Bodenverband als Körperschaft des öffentlichen Rechts, beim [X.] beantragt hatte. Die Rechtsverordnung bezweckt die Sicherung der öffentlichen Wasserversorgung für die Bevölkerung im Gebiet der [X.]. Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken in der engeren Schutzzone ([X.]) des Wasserschutzgebiets.

2

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag der Antragsteller abgelehnt und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II

3

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

4

1. Es kann dahinstehen, ob der Rechtssache die ihr von den Antragstellern beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die von ihnen aufgeworfene Frage,

ob in einem Normenkontrollverfahren gemäß § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO Erklärungen und Beweismittel der Antragsteller, die erst nach Ablauf einer - soweit hier von Interesse - von der Vorsitzenden des Senats gemäß § 87 Abs. 1 und 2 VwGO gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückgewiesen werden können und ohne weitere Ermittlungen darüber entschieden werden kann,

zukommt.

5

Ob und inwieweit § 87b VwGO im Normenkontrollverfahren Anwendung findet (bejahend etwa [X.], in: [X.], VwGO, 3. Aufl. 2020, § 87b Rn. 1; Fertig, in: [X.] VwGO, Stand 1. Oktober 2022, § 87b Rn. 1; Riese, in: [X.]/[X.], VwGO, Stand August 2022, § 87b Rn. 33; [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 28. Aufl. 2022, § 87b Rn. 2; ablehnend etwa [X.], Urteil vom 29. Januar 2020 - 7 [X.]/[X.] - BauR 2020, 768 <771>; [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 87b Rn. 2 m. w. N.), kann offenbleiben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2021 - 7 [X.] 2.21 - juris Rn. 37). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil der Verwaltungsgerichtshof sein Urteil selbständig tragend auf die weitere Erwägung gestützt hat, dass der Einwand der Antragsteller, die [X.] hätte nicht um insgesamt 10°aufgeweitet werden dürfen (jeweils seitlich 5°), nicht durchgreift ([X.] Rn. 94 ff.). Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2020 - 4 [X.] 53.19 - juris Rn. 15 m. w. N. und vom 20. März 2023 - 10 B 1.23 - juris Rn. 6). Das ist nicht der Fall.

6

Die Antragsteller meinen zwar, der Verwaltungsgerichtshof habe bei seiner Würdigung gegen § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil es den [X.] widerspräche, wenn Aussagen in einem nachweislich übergangenen und bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigten Gutachten durch andere Argumente als widerlegt angesehen würden. So liegt es aber nicht.

7

Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grenzen der "Freiheit" des Gerichts sind jedoch überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 30. August 2018 - 7 B 5.18 - juris Rn. 6 m. w. N. und vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 44). Eine "aktenwidrige Entscheidung" liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht, sei es, dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig - "ins Blaue hinein" - Tatsachen angenommen werden, sei es, dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 8 C 5.11 - [X.] 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 Rn. 25; Beschluss vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 44). Ein Verstoß gegen die Denkgesetze kann als Verfahrensmangel gerügt werden, wenn er nicht die Anwendung des materiellen Rechts betrifft, sondern - dieser gleichsam vorgelagert - sich ausschließlich auf die tatsächliche Würdigung beschränkt und damit dem [X.] zuzuordnen ist (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 ff.>; Beschluss vom 3. April 1996 - 4 B 253.95 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 269 S. 28). Diese Verfahrensrüge greift aber nur durch, wenn das Gericht einen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juli 1988 - 4 B 100.88 - [X.] 310 § 96 VwGO Nr. 34 S. 4 f., vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 15 f. und vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4).

8

Von diesen Maßstäben ausgehend ist ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass die stromseitliche Ausdehnung der [X.] sich als tragfähig erweise. Er hat diesen Vorhalt der Antragsteller gemäß § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO zurückgewiesen ([X.] Rn. 91) und ist im Übrigen davon ausgegangen, dass der Einwand der Antragsteller, die [X.] habe nicht um insgesamt 10°ausgeweitet werden dürfen, nicht durchgreife. Bei der stromseitlichen Abgrenzung der weiteren Schutzzone habe die Gutachterin des Beigeladenen den östlichen und westlichen Rand des [X.] um jeweils 5°aufgeweitet, um den Einfluss von Inhomogenitäten und Anisotropien ("nicht: Dispersion") im Grundwasserleiter zu berücksichtigen, was der Vertreter des [X.] als regelkonform bewertet habe ([X.] Rn. 95). Der pauschale Vorhalt der Antragsteller, die "Dispersion" habe nicht angesetzt werden dürfen, wie dies im Gutachten Prof. Dr. S. aus Mai 2020 in den Verfahren 8 N 15.2460 und 8 N 15.2461 erläutert werde, gehe daher fehl. Eine Dispersion sei mit dem Sicherheitszuschlag nicht berücksichtigt worden. Damit kam es für den Verwaltungsgerichtshof auf die Würdigung dieses Gutachtens nicht an. Ein Verstoß gegen Denkgesetze steht damit bereits deshalb nicht in Rede.

9

2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines sonstigen [X.] zuzulassen. Die Antragsteller monieren aktenwidrige Tatsachenfeststellungen und einen Verstoß gegen die Denkgesetze bei der Tatsachenwürdigung.

Aktenwidrige Feststellungen oder Tatsachenfeststellungen ins Blaue hinein werden in der Beschwerdebegründung nicht substantiiert dargelegt. Die Beschwerdebegründung zeigt keinen zweifelsfreien Widerspruch zwischen den tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichtshofs und dem Akteninhalt auf. Dies gilt für die beanstandete Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der Abweichung von der Regel des DVGW-Arbeitsblatts W 101. Die Beschwerde stellt den Annahmen des Tatsachengerichts eigene fachliche Annahmen über die richtige Anwendung der einschlägigen Regelwerke und die Bezugnahme auf Bestandteile der Akten gegenüber. Dieses Vorbringen lässt den geltend gemachten Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht erkennen. Die aus Sicht der Antragsteller zutreffenden Annahmen über das gebotene methodische Vorgehen betreffen das Ergebnis der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung. Das Vorbringen ist nicht geeignet, eine Aktenwidrigkeit aufzuzeigen. Soweit der Verwaltungsgerichtshof annimmt, bei dem Brunnen III "[X.]" erfolge keine mehr oder weniger kontinuierliche Entnahme, sondern dort würden "länger andauernde [X.]" auftreten, so dass der Ansatz der maximalen Monatsentnahme für die Bemessung der weiteren Schutzzone sachgerecht sei, sind die Antragsteller dem entgegengetreten. Die Beschwerde rügt, dass neben diesen [X.] "nur für einzelne Monate" keine darüber hinausgehenden "länger andauernden [X.]" vorlägen. Damit zeigt die Beschwerde aber keine aktenwidrigen Feststellungen in der oben aufgezeigten Weise auf. Auch sonstige Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich.

Dass der Verwaltungsgerichtshof sich auf die Aussage des Sitzungsvertreters des [X.] zur maximalen Monatsentnahme bei der Schutzgebietsbemessung stützt, geschieht unter Berücksichtigung der fachlichen Stellungnahme des [X.] vom 7. April 2022. Dort wird bestätigt, dass das Vorgehen des Fachbeistands des Wasserversorgers regelkonform war. Die gerügte Feststellung des [X.] verstößt damit nicht gegen Denkgesetze. Einen schlechthin unmöglichen Schluss zieht der Verwaltungsgerichtshof nicht. Soweit die Stellungnahme des [X.] als Verstoß gegen die Denkgesetze beanstandet wird, kann daraus nicht die Verfahrenswidrigkeit des ergangenen Urteils abgeleitet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

10 BN 2/23

30.05.2023

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 16. August 2022, Az: 8 N 19.1138, Urteil

§ 87b VwGO, § 108 Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.05.2023, Az. 10 BN 2/23 (REWIS RS 2023, 4711)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4711

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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