Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2012, Az. IX ZB 194/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1067

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]

vom

22. November 2012

in dem Insolvenzeröffnungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 287 Abs. 1 Satz 1, § 290 Abs. 1 Nr. 2
Dem Schuldner ist das Rechtsschutzinteresse an einen zweiten
Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung nicht deshalb abzusprechen, weil sein erster Antrag in ei-nem vorausgegangenen Verfahren nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] abgelehnt worden ist.
[X.], Beschluss vom 22. November 2012 -
IX [X.] -
LG [X.]

AG Charlottenburg

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.]
Dr.
Kayser, [X.], Prof. Dr. Gehrlein, [X.] und die Richterin Möhring

am 22. November 2012
beschlossen:

Auf die Rechtsmittel
des Schuldners werden die Beschlüsse der Zivilkammer
85 des Landgerichts [X.]
vom
7.
Juni 2011 und des [X.] vom 1.
Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung -
auch über die Kosten der Rechtsmittel
-
an das [X.] zurückver-wiesen.

Der Streitwert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:

I.

Der Schuldner fertigte im April
2006 eine unrichtige Umsatzsteuer-jahreserklärung, die er dem Finanzamt vorlegte. Am 10.
Oktober 2006 stellte er einen ersten Antrag auf Restschuldbefreiung verbunden mit dem Antrag auf Insolvenzeröffnung. Das Insolvenzgericht versagte ihm durch seit April 2010 rechtskräftigen Beschluss vom 9.
März 2010 die Restschuldbefreiung nach 1
-

3

-
§
290 Abs.
1 Nr.
2 [X.].
Am 19.
Mai 2010 wurde
das Insolvenzverfahren nach Vollziehung der [X.] aufgehoben (§
200 [X.]).

Mit Schriftsatz
vom 18.
Januar 2011 hat der Schuldner erneut die Eröff-nung des Insolvenzverfahrens,
die Erteilung der Restschuldbefreiung und die Stundung
der Verfahrenskosten beantragt. Das Insolvenzgericht hat die Anträ-ge auf Erteilung der Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten als unzulässig zurückgewiesen; den Antrag auf Insolvenzeröffnung hat es noch nicht beschieden. Das Landgericht
hat die Beschwerde des Schuldners zurück-gewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Stundung der Verfahrenskosten erreichen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§
7, 6, 4d Abs.
1, §
289
Abs.
2 Satz
1 [X.], Art.
103f EG[X.], §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 ZPO) und im Übrigen zulässig (§
574 Abs.
2 Nr.
1
und 2, §
575 Abs. 1 und 2 ZPO). Sie hat in der Sa-che Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, im Fall der Versagung der Restschuldbefreiung nach §
290 Abs.
1 Nr.
2 [X.] in einem Erstverfahren sei dem Antragsteller für die Dauer von drei Jahren ab Rechtskraft des [X.] in entsprechender Anwendung der in §
290 Abs.
1 Nr.
2
[X.] enthaltenen Frist das Rechtsschutzinteresse für einen auf die Erlangung der Restschuldbefreiung gerichteten [X.] abzusprechen. Es sei hinzu-nehmen, dass
es im Extremfall zu einer Sperrfrist von deutlich mehr als drei Jahren komme, wenn die Handlung, welche
die Versagung der Restschuldbe-2
3
4
-

4

-
freiung im Erstverfahren rechtfertige, vor Stellung des ersten [X.] vorgenommen worden sei. Dies habe sich der Schuldner selber zuzuschreiben.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

a)
Ein erneuter
Antrag auf Restschuldbefreiung und Stundung der Ver-fahrenskosten
nach §
287 Abs.
1 Satz
1,
§
4a
[X.] ist
wegen fehlenden [X.] unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung gemäß §
290 Abs.
1 Nr.
5 und 6 [X.] oder nach Ablehnung der Stundung der Verfahrenskosten wegen Vorliegens dieser Versagungstatbestände gestellt geworden ist ([X.], [X.] vom 16.
Juli 2009 -
IX
ZB 219/08, [X.]Z
183, 13 Rn.
8
ff; vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZB 89/09, Z[X.]
2010,
140 Rn.
6; vom 4.
Februar 2010 -
IX
ZA 40/09, Z[X.]
2010, 491 Rn.
6
f; vom 11.
Februar 2010 -
IX
ZA 45/09, Z[X.]
2010, 490 Rn.
6
ff; vom 18.
Februar
2010 -
IX
ZA 39/09, Z[X.]
2010, 587 Rn.
6
f; vom 9.
März 2010 -
IX
ZA 7/10, Z[X.]
2010, 783 Rn.
5
ff). Entspre-chendes
gilt, wenn im Erstverfahren die Restschuldbefreiung rechtskräftig nach §
290 Abs.
1 Nr.
4 [X.] versagt worden ist
([X.], Beschluss vom 14.
Januar 2010 -
IX
ZB 257/09, Z[X.]
2010, 347 Rn.
6) oder wenn der Schuldner auf den ihm in [X.] an den
Antrag eines Gläubigers erteilten gerichtlichen Hin-weis, er könne einen eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, bis zur Entschei-dung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers nicht reagiert hat ([X.], [X.] vom 21.
Januar 2010 -
IX
ZB 174/09, Z[X.]
2010, 344 Rn.
7
f) oder er seinen Antrag auf Restschuldbefreiung zurückgenommen hat,
um so eine Ent-scheidung des Insolvenzgerichts über einen Versagungsantrag zu verhindern
([X.], Beschluss vom 12.
Mai 2011 -
IX
ZB 221/09, Z[X.]
2011, 1127 Rn.
7; vom 6.
Oktober 2011 -
IX
ZB 114/11 Z[X.]
2011, 2198 Rn.
3; vgl. [X.], 5
6
-

5

-
InsVZ
2010, 232
ff; [X.], ZVI
2012, 206, 207).
Die Frage, ob auch die Ver-sagung der Restschuldbefreiung nach §
290 Abs.
1 Nr.
2 [X.] im Erstverfahren eine (weitere) Sperrfrist von drei Jahren für das Zweitverfahren auslöst, die mit Rechtskraft des [X.] beginnt, hat der [X.]
in seinem [X.] vom 21.
Februar 2008 (IX
ZB 52/07, Z[X.] 2008, 319 Rn.
10)
noch nicht
abschließend entschieden.
Soweit in jener Entscheidung die
Verneinung einer Sperrfrist auch für die Fälle des § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gesehen werden konnte, hat der [X.] hieran später nicht mehr festgehalten ([X.], Beschluss vom 16.
Juli 2009 -
IX
ZB 219/08, [X.]Z 183, 13 Rn.
13).

b)
Die
Literatur
hat
teilweise (vgl. HmbKomm-[X.]/Streck, 4.
Aufl., §
287 Rn.
6a; FK-[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
287 Rn.
36; Graf-Schlicker/[X.],
[X.], 3.
Aufl., §
287
Rn.
6; [X.], InsVZ
2010, 232, 234) aus den angeführ-ten
Entscheidungen abgeleitet, dass in
allen Fällen der Versagung der Rest-schuldbefreiung im Schlusstermin nach §
290 Abs.
1 [X.] der Schuldner erst nach Ablauf von drei Jahren wieder einen zulässigen Antrag auf Restschuldbe-freiung stellen
könne.
Dieser Schluss ist nicht gerechtfertigt.
Es ist kein allge-meines Prinzip
erkennbar, dass die Rechtskraft der Entscheidung im Erstver-fahren über einen gewissen Zeitraum Wirkung für nachfolgende Anträge auf Restschuldbefreiung entfalten müsse. Auch das weitere Argument,
dass für eine Differenzierung nach den [X.] kein Raum
bleibe, trifft nicht zu.

aa)
Der [X.]
hat
in seinen Entscheidungen stets darauf abgestellt, dass die Versagungsgründe des §
290 Abs.
1 Nr.
5 und 6 [X.] ihrer verfahrensför-dernden Funktion beraubt würden, wenn Verstöße des Schuldners wegen der Befugnis zur Einleitung eines weiteren Insolvenzverfahrens nicht nachhaltig sanktioniert würden. Der unredliche Schuldner, der im Erstverfahren gegen sei-7
8
-

6

-
ne Auskunfts-
und Mitwirkungspflichten verstößt, kann ohne die Frist -
unter Umständen auf Kosten des Staates
-
sofort einen neuen Restschuldbefreiungs-
und Stundungsantrag stellen
([X.], Beschluss vom 16.
Juli 2009 -
IX
ZB 219/08, [X.]Z 183, 13 Rn. 12 f; vom 3. Dezember 2009 -
IX
ZB 89/09, Z[X.]
2010, 140 Rn.
6). Diese sinnwidrigen Folgen treten bei den [X.], die selbst eine Frist
von mehreren Jahren
normieren, innerhalb derer das unredliche Verhalten des Schuldners zur Versagung der Restschuld-befreiung führen soll, nicht ein. Für die Versagungstatbestände, die Sperrfristen von drei Jahren und mehr kennen (etwas anderes gilt für den Versagungsgrund des §
290 Abs.
1 Nr.
4 [X.] wegen der kurzen Sperrfrist von nur einem Jahr, vgl. [X.], Beschluss vom 14.
Januar 2010 -
IX
ZB 257/09, Z[X.]
2010, 347 Rn.
6), kann
im Wege der Rechtsfortbildung keine zusätzliche Sperrfrist entwi-ckelt werden.

Im Fall des §
290 Abs. 1 Nr. 2 [X.]
ergäbe sich dann eine unverhältnis-mäßig lange Sperre, wie auch das Beschwerdegericht zu Bedenken gegeben hat.
Denn zu der
in dem
Tatbestand selbst geregelten Frist müsste die Sperr-frist von drei Jahren hinzugerechnet werden, wobei jene
Frist mit der Rechts-kraft des
[X.] im Erstverfahren
beginnt, unter Umständen erst nach einem
mehrjährigen Insolvenzverfahren. Im vorliegenden Fall dürfte der Schuldner wegen der unrichtigen Steuererklärung vom
April
2006 erst ab April
2013, mithin
erst
nach sieben Jahren, einen neuen Antrag auf Verfahrens-kostenstundung und Restschuldbefreiung stellen (vgl. [X.]/[X.], Z[X.]
2012, 409, 411; [X.], NZI
2012, 161, 164; [X.], ZVI
2012, 85, 88
f
zu §
287a Abs.
2 Nr.
2 [X.]-Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, Stand: 12.
Juli 2012).

9
-

7

-

bb) Der [X.] hat die
Bemessung der
Frist von drei Jahren auch
mit der geplanten Einführung des §
290 Abs.
1 Nr.
3a [X.] in dem "Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläu-bigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen"
vom 5.
Dezember 2007
(BR-Drs. 16/7416)
gerechtfertigt, der eine
Sperrfrist für ein Zweitverfahren nur für die Versagungstatbestände des
§
290 Abs.
1 Nr.
5 und 6 [X.] vorsah
(Beschluss vom 16.
Juli 2009 -
IX
ZB 219/08, [X.]Z
183, 13 Rn.
16),
und ferner
mit der Frist des §
290 Abs.
1 Nr.
2 [X.]
des geltenden Rechts (Beschluss vom 18.
Februar 2010 -
IX
ZA 39/09, Z[X.]
2010, 587 Rn.
7). Auch deshalb
verbietet es sich, an die in §
290 Abs.
1 Nr.
2 [X.] nor-mierte Frist
eine weitere Sperrfrist in
entsprechender Anwendung von §
290 Abs.
1 Nr.
2 und 3 [X.] anzuschließen.

III.

Die angefochtenen Beschlüsse
können damit keinen Bestand haben. Sie sind aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung über die begehrte Stundung
der Verfahrenskosten ist dem [X.] nicht möglich; daher ist die Sa-che zurückzuverweisen (§
577 Abs.
4 Satz
1 ZPO).

Da die erforderliche materielle Prüfung der Voraussetzungen für die Stundung der Verfahrenskosten bislang nicht erfolgt ist, hält der [X.] es für sachgerecht, die Sache analog §
572 Abs.
3 ZPO an das Insolvenzgericht zur Entscheidung über den Stundungsantrag, aber auch über den noch nicht be-schiedenen Insolvenzeröffnungsantrag,
zurückzuverweisen (vgl. [X.], [X.] vom 22. Juli 2004 -
IX ZB 161/03, [X.]Z 160, 176, 185; vom 8.
Juni 10
11
12
-

8

-
2010 -
IX
ZB 153/09, Z[X.] 2010, 1291 Rn. 28; MünchKomm-[X.]/Ganter, 2.
Aufl.,
§ 7 Rn. 106).

Kayser
Raebel
Gehrlein

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 01.02.2011 -
36c [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 07.06.2011 -
85 [X.]/11 -

Meta

IX ZB 194/11

22.11.2012

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2012, Az. IX ZB 194/11 (REWIS RS 2012, 1067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1067

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