Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.11.2011, Az. 10 AZR 60/11

10. Senat | REWIS RS 2011, 1375

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Gegenstand

Treuegeld - ablösende Betriebsvereinbarung


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2010 - 5 Sa 1763/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung von [X.].

2

Der Kläger ist seit 1973 für die [X.]eklagte bzw. ihre [X.] im [X.]etrieb [X.] tätig. Die [X.]eklagte zahlte bis zum [X.] [X.] nach Maßgabe der „Musterbetriebsordnung für [X.] in den neuen [X.]undesländern“ von 1994 ([X.]). Nach Ziff. 6.16 der [X.] erhielten Mitarbeiter des Tarif- und des [X.] bis 39 Dienstjahren einmal jährlich ein [X.] von 375,00 DM. Die Auszahlung sollte jeweils mit der [X.] erfolgen. Eine [X.]etriebsvereinbarung zur Umsetzung der [X.] wurde für den [X.]etrieb [X.] nicht geschlossen. Die [X.]eklagte schloss mit dem [X.]etriebsrat dieses [X.]etriebs im Jahr 2002 lediglich die [X.]etriebsvereinbarung Nr. 86.1 („Rundungen auf glatte Euro-[X.]eträge“). Nach Ziff. 3.5 dieser [X.]etriebsvereinbarung beträgt das [X.] bei 26 bis 39 Dienstjahren jährlich 200,00 Euro. Mit Schreiben vom 25. Juni 2003 kündigte die [X.]eklagte gegenüber dem [X.]etriebsrat des [X.]etriebs [X.] die [X.] zum 31. Dezember 2003. In dem Schreiben heißt es:

        

„...   

        

die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleistungen führen in ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den [X.].

        

Es ist das erklärte Ziel von [X.], ein Sozialleistungssystem zu installieren, welches den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt und den [X.]edürfnissen der Mitarbeiter besser Rechnung trägt.

        

…“    

3

Seit dem [X.] führte die [X.]eklagte zahlreiche Rechtsstreitigkeiten mit ihren Arbeitnehmern wegen des [X.]s.

4

Am 1. Januar 2008 trat für die [X.]etriebe der [X.]eklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 19 „[X.] [X.] [X.]“ (G[X.]V Nr. 19) in [X.]. In deren Präambel heißt es:

        

„Die [X.]etriebsrente ergänzt die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und soll für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Unternehmens ... zusammen mit einer angemessenen Eigenvorsorge zu einer zusätzlichen, wirtschaftlichen Absicherung beitragen.

        

Auf [X.]asis dieser gemeinsamen Zielsetzung schließen Geschäftsführung und Gesamtbetriebsrat die vorliegende Gesamtbetriebsvereinbarung ab.“

5

Eine frühere betriebliche Altersversorgung war zum 31. Dezember 1997 für neu eintretende Mitarbeiter geschlossen worden.

6

Die [X.]eklagte hat dem Kläger im Jahr 2009 kein [X.] gezahlt.

7

Der Kläger hat beantragt,

        

1.    

die [X.]eklagte zu verurteilen, an ihn 200,00 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in [X.]öhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit dem 29. Mai 2009 zu zahlen;

        

2.    

festzustellen, dass die [X.]eklagte verpflichtet ist, [X.] entsprechend der Regelung in Ziff. 6.16 der Musterbetriebsordnung der [X.] in den neuen [X.]undesländern (Stand: 1. Juli 1994) und unter den dort jeweils geregelten Voraussetzungen in der dort jeweils geregelten [X.]öhe an ihn zu zahlen.

8

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ansprüche des [X.] auf [X.] seien durch die G[X.]V Nr. 19 zum 1. Januar 2008 abgelöst worden. Sie habe ab Mitte 2007 auf [X.]etriebsversammlungen mehrfach darauf hingewiesen, dass die abzuschließende G[X.]V zur betrieblichen Altersversorgung auch Ansprüche auf [X.] und [X.] ersetzen werde. Die kollektive Ausgestaltung der [X.] sei für alle Mitarbeiter offensichtlich gewesen. Eine Ablösung durch [X.]etriebsvereinbarung sei deshalb ohne Weiteres zulässig gewesen. Für die betriebliche Altersversorgung würden bis zum [X.] zudem 45.262.737,11 Euro aufgewendet, während sich für [X.] und [X.]er in dieser Zeitspanne nur 10.137.593,02 Euro ergeben würden.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die [X.]eklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Die Klage ist insgesamt zulässig. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt, dass der Feststellungsantrag sich nicht auf das [X.], für das der Kläger eine Zahlungsklage erhoben hat, bezieht. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, weil durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit auch für die nachfolgenden Jahre geklärt werden kann (vgl. [X.] 23. Februar 2011 - 10 [X.] - Rn. 15).

II. Die Klage ist sowohl mit dem Leistungsantrag für das [X.] wie auch mit dem Feststellungsantrag für die folgenden Jahre begründet.

1. Der Kläger hat einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung eines jährlichen [X.] erworben. Die Beklagte und ihre [X.] haben im Zeitraum von 1994 bis 2003 Leistungen nach Maßgabe von Ziff. 6.16 der [X.] vorbehaltlos und ohne kollektivrechtliche Grundlage im Betrieb [X.] erbracht. Aus diesem Leistungsverhalten konnte der Kläger auf einen Bindungswillen der [X.] schließen, dauerhaft bei Vorliegen der Voraussetzungen ein [X.] zahlen zu wollen (vgl. [X.] 28. Juni 2006 - 10 [X.] - Rn. 37, [X.]E 118, 360 [[X.]]; 28. März 2007 - 10 [X.] - Rn. 30 [[X.]]). Dieser Anspruch ist nicht durch eine gegenläufige betriebliche Übung nach Einstellung der Zahlungen entfallen (vgl. [X.] 25. November 2009 - 10 [X.] 779/08 - Rn. 21 ff., [X.] BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 87 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 11). Darüber streiten die Parteien nicht.

2. Der Anspruch auf [X.] ist mit Inkrafttreten der [X.] Nr. 19 zum 1. Januar 2008 nicht entfallen.

a) Ein vertraglicher Anspruch auf eine Sonderzahlung kann durch Kündigung oder einvernehmlich abgeändert oder beseitigt werden, er ist wie sonstige im Arbeitsvertrag geregelte [X.] ohne entsprechende Abrede aber nicht „betriebsvereinbarungsoffen“ ([X.] 5. August 2009 - 10 [X.] 483/08 - Rn. 11, [X.] BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 85 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 10). Im Verhältnis von vertraglichen Ansprüchen zu solchen aus einer Betriebsvereinbarung gilt das Günstigkeitsprinzip. Anderes kann gelten, wenn ein wirksamer Vorbehalt vereinbart ist, wonach eine spätere Betriebsvereinbarung einen vertraglichen Anspruch verdrängen kann (vgl. [X.] 15. Februar 2011 - 3 [X.] 45/09 - Rn. 45; [X.] 25. Aufl. § 77 Rn. 198).

b) Beruht der Anspruch auf Sozialleistungen auf einer betrieblichen Einheitsregelung, einer [X.] oder einer betrieblichen Übung, gelten nach der Rechtsprechung des [X.] Besonderheiten. Solche Ansprüche sind Teil einer generellen Regelung. Sie stehen in einem kollektiven Bezug, der den Arbeitnehmern bekannt ist. Ihre Abänderung durch nachfolgende Betriebsvereinbarung ist möglich, wobei nicht das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel), sondern ein modifiziertes Günstigkeitsprinzip gilt (st. Rspr. seit [X.] [X.] 16. September 1986 - [X.] 1/82  - zu [X.] 2 der Gründe, [X.]E 53, 42 ; 19. Februar 2008 - 3 [X.] 61/06 - Rn. 33, [X.] [X.] § 1 Nr. 52 = EzA [X.] § 1 Betriebliche Übung Nr. 9). Die Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber der bisherigen betrieblichen Übung für die Gesamtheit der von ihr erfassten Arbeitnehmer nicht ungünstiger sein. Auch ein solcher kollektiver [X.] erübrigt sich, wenn die vertragliche Regelung „betriebsvereinbarungsoffen” ist, weil sie einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt der Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung enthält. Der kollektive [X.] kann ferner entbehrlich sein, wenn der Arbeitgeber ein ihm zustehendes Gestaltungsrecht ausübt oder eine Vertragsanpassung wegen der Störung der Geschäftsgrundlage zu erfolgen hat ([X.] 19. Februar 2008 - 3 [X.] 61/06 - Rn. 34, aaO).

c) Es bedarf keiner Entscheidung, auf welche Weise der vertragliche Anspruch des [X.] auf Zahlung eines jährlichen [X.] abgeändert werden kann. Selbst wenn zugunsten der [X.] unterstellt wird, dass der Anspruch einer Ablösung ohne kollektiven [X.] zugänglich ist, ist er durch die [X.] Nr. 19 nicht abgelöst worden. Die [X.] Nr. 19 bestimmt diese Rechtsfolge nicht. Auf einen kollektiven [X.] kommt es nicht an.

aa) Soll eine Betriebsvereinbarung vertragliche Ansprüche auf eine Sozialleistung ablösen, muss dieses Regelungsziel in jedem Falle ausdrücklich bestimmt sein oder sich der Betriebsvereinbarung durch Auslegung entnehmen lassen. Maßgeblich ist dabei der [X.] der vereinbarten Sozialleistung. Entspricht der [X.] einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung dem durch [X.], betrieblicher Einheitsregelung oder betrieblicher Übung begründeten Anspruch, so kommt in diesem [X.] der Wille zur Ablösung der bisherigen Leistung regelmäßig zum Ausdruck (vgl. zur Ablösung einer Betriebsvereinbarung ohne Kündigung: [X.] 10. August 1994 - 10 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 77, 313; [X.] § 77 Rn. 143). [X.] sind gewöhnlich nicht bezweckt. Soll hingegen eine Sozialleistung abgelöst und durch eine grundlegend andere Sozialleistung ersetzt werden, kann dieses Regelungsziel dem [X.] der neuen Sozialleistung nicht entnommen werden. Es bedarf dann einer ausdrücklichen Regelung in der neuen Betriebsvereinbarung.

bb) Die [X.] Nr. 19 regelt eine Ablösung von [X.] und [X.]zahlungen im Betrieb [X.] durch (Wieder-)Einführung der betrieblichen Altersversorgung nicht. Der Wortlaut verhält sich in keiner Weise zu einer Ablösung solcher Ansprüche. Diese ergibt sich auch nicht aus dem [X.]. Mit der [X.] Nr. 19 ist die Schaffung einer betrieblichen Altersversorgung beabsichtigt. Diese soll nach der [X.] die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzen und zusammen mit einer angemessenen Eigenvorsorge zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Absicherung beitragen. Es handelt sich um eine Versorgung im Sinne des [X.]. Demgegenüber wird mit der Zahlung eines [X.] eine langjährige Betriebszugehörigkeit im bestehenden Arbeitsverhältnis anerkannt und das Festhalten am Arbeitsverhältnis honoriert. Beide [X.]e unterscheiden sich ganz erheblich voneinander. Dies verdeutlicht das Leistungsverhalten der [X.], die mindestens seit 1994 bis zur Schließung der betrieblichen Altersversorgung zum 31. Dezember 1997 parallel [X.] und [X.]er sowie Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erbracht hat.

cc) Unerheblich ist, was der Geschäftsführer der [X.] in Betriebsversammlungen geäußert hat. Sein Ablösewille hat sich in der [X.] Nr. 19 jedenfalls nicht niedergeschlagen.

d) Der [X.] zu 1. ist der [X.]öhe nach unstreitig. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch    

        

    Mikosch    

        

    Mestwerdt    

        

        

        

    Großmann    

        

    Auerbach    

                 

Meta

10 AZR 60/11

16.11.2011

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Neuruppin, 16. Juni 2010, Az: 5 Ca 1687/09, Urteil

§ 611 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.11.2011, Az. 10 AZR 60/11 (REWIS RS 2011, 1375)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1375

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Referenzen
Wird zitiert von

1 Ca 741/13

6 Ca 6748/16

4 Sa 1232/12

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