Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.01.2017, Az. 10 AZN 938/16 (A)

10. Senat | REWIS RS 2017, 17721

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Gegenstand

Beiordnung eines Notanwalts


Leitsatz

Die Beiordnung eines Notanwalts setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann.

Tenor

Der Antrag des [X.] vom 11. Dezember 2016 auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt von der [X.]eklagten die Zahlung eines [X.] sowie eine Gehaltserhöhung für den Zeitraum Oktober 2013 bis Januar 2014. Das Arbeitsgericht hat die diesbezügliche Klage des [X.] abgewiesen. Das [X.] hat die [X.]erufung des [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat das [X.] nicht zugelassen.

2

Das Schlussurteil des [X.]s wurde dem Kläger am 5. Oktober 2016 zugestellt. Mit einem am 17. Oktober 2016 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz hat der anwaltlich vertretene Kläger eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit einem am 5. Dezember 2016 kurz vor Mitternacht beim [X.] eingegangenen Fax hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] die bis zu diesem Zeitpunkt nicht begründete Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen.

3

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2016 hat der Kläger die [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung seiner Rechte beantragt. Sein Prozessbevollmächtigter habe am 5. Dezember 2016 um 19:49 Uhr für die [X.]eschwerdebegründung zusätzlich zu den vereinbarten gesetzlichen Gebühren ein weiteres Honorar von 600,00 Euro pro Stunde zuzüglich Mehrwertsteuer gefordert. Nachdem der Kläger eine weitere Zahlung abgelehnt habe, sei die Forderung durch den Prozessbevollmächtigten um 22:29 Uhr erneuert worden. Dies stelle eine faktische Mandatsniederlegung dar. Die anschließende Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sei pflichtwidrig und gegen den Willen des [X.] erfolgt, entweder aus Irrtum oder um dem Kläger den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht rechtswirksam. Um einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, benötige der Kläger einen Anwalt. Da auf seine Anfragen im Zeitraum 6. bis 8. Dezember 2016 achtzehn namentlich benannte Rechtsanwälte die Übernahme des Mandats abgelehnt hätten, müsse ihm ein Anwalt vom Gericht beigeordnet werden. Die Rechtsverfolgung erscheine auch weder mutwillig noch aussichtslos. Das Schlussurteil des [X.]s weiche von mehreren Urteilen des [X.]s ab. Ferner liege eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör vor.

4

II. Der Antrag des [X.] auf [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts war zurückzuweisen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

5

1. Auf ihren Antrag kann einer [X.] für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem [X.] oder für einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag ein zur Vertretung vor dem [X.] notwendiger Rechtsanwalt (§ 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG) beizuordnen sein, wenn sie keinen zu ihrer Vertretung bereiten [X.] findet (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. §§ 555, 78b ZPO). Die [X.] muss darlegen und glaubhaft machen, dass sie eine gewisse Anzahl von Rechtsanwälten vergeblich um die Übernahme eines Mandats ersucht hat (vgl. [X.] 11. Mai 2007 - III S 37/06 (PKH) - Rn. 6; 14. Oktober 2002 - VI [X.] 105/02 -; [X.] 27. April 1995 - III Z[X.] 4/95 -; [X.] 28. Dezember 2007 - 9 [X.]/07 - [X.]E 125, 230; 25. August 2014 - 8 [X.] (A) - [X.]E 149, 57). Die [X.]eiordnung eines Notanwalts setzt ferner voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint (§ 78b Abs. 1 ZPO). Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher [X.]eratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (vgl. [X.]SG 29. März 2012 - [X.] 14 [X.] 251/11 [X.] - Rn. 5; [X.] 6. Juli 1988 - [X.] Z[X.] 147/87 - zu II 2 a der Gründe).

6

2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

7

a) Die [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts kommt bereits deshalb nicht in [X.]etracht, weil der Kläger anwaltlich vertreten wird. Der Kläger trägt nicht vor, dass er das Mandat seines Prozessbevollmächtigten gekündigt hat. Dieser hat mit seinen E-Mails vom 5. Dezember 2016 auch nicht das Mandat „faktisch niedergelegt“, wie der Kläger meint. Ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] von ihm ernsthaft eine höhere als bislang vereinbarte Vergütung verlangt hat, kann dahinstehen. Die vom Kläger vorgelegten E-Mails, in denen sein Prozessbevollmächtigter zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Aussichtslosigkeit rät, um ihn so vor einer sicher zu erwartenden [X.]lamage als „verbohrter Rechthaber“ zu schützen, verbunden mit der Ankündigung, dass er anderenfalls 600,00 Euro Schmerzensgeld pro Stunde verlangen müsse, die er sich mit dem Fall weiter beschäftige, könnten auch als sarkastisch-ironische [X.]emerkung gedeutet werden. Selbst wenn man die E-Mails des Prozessbevollmächtigten des [X.] als Forderung nach einer höheren Vergütung ansehen würde, käme dies einer Mandatsniederlegung nicht gleich. Vielmehr würde damit zum Ausdruck gebracht, dass der Prozessbevollmächtigte am Mandatsverhältnis festhalten will, aber eine höhere Gegenleistung verlangt. Das Festhalten des Prozessbevollmächtigten am Mandatsverhältnis wird im Übrigen auch dadurch dokumentiert, dass er in der Folgezeit die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen, also eine Prozesshandlung vorgenommen hat. Ob die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde - wie der Kläger meint - weisungswidrig geschah, ist in diesem Zusammenhang ohne [X.]edeutung, da es an der bestehenden anwaltlichen Vertretung des [X.] nichts ändern würde.

8

b) Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die [X.]estellung eines Notanwalts nicht deshalb verlangt werden kann, weil der bisher zur Vertretung bereite Anwalt nicht willens war, eine Nichtzulassungsbeschwerdebegründung nach den Vorstellungen oder den Vorgaben der [X.] zu fertigen, oder weil er das Rechtsmittel für aussichtslos hält. Dies stünde insbesondere im Widerspruch zur Eigenverantwortung des Rechtsanwalts und den mit einem Anwaltsprozess verfolgten Zwecken (vgl. [X.] 18. Dezember 2012 - [X.] - Rn. 4; 18. Dezember 2013 - III ZR 122/13 - Rn. 12; 12. März 2014 - V ZR 253/13 - Rn. 2).

9

c) Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen kommt die [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts auch deshalb nicht in [X.]etracht, weil die Rechtsverfolgung als aussichtslos erscheint.

aa) Der Kläger begehrt die [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts, wobei er für das weitere Verfahren auf die Notwendigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags hinweist. Dabei gibt er nicht klar zu erkennen, für welche versäumte Frist er einen Wiedereinsetzungsantrag beabsichtigt. Soweit seine Ausführungen iVm. der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz mit zahlreichen Rechtsanwälten so verstanden werden sollte, dass er einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigt, wäre ein solcher Antrag aussichtslos. Der Kläger war ganz offenkundig nicht unverschuldet verhindert, die [X.] zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Denn mit dem am 17. Oktober 2016 eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat er rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Daran ändert die spätere Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nichts, unbeschadet des Umstands, dass der Kläger diese Rücknahme für unwirksam hält. Auch eine gegebenenfalls irrtümliche oder weisungswidrige Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde wären kein Grund, für die erneute Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung zu gewähren. Insoweit würde ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegen, welches sich der Kläger zurechnen lassen müsste (vgl. [X.] 2. April 1998 - V Z[X.] 6/98 - zu II 3 der Gründe).

bb) Auch ein etwaig beabsichtigter Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte [X.]eschwerdebegründungsfrist wäre aussichtslos. Ein solcher Antrag könnte selbst bei anwaltlicher [X.]eratung ganz offenbar nur dann mit Erfolg gestellt werden, wenn noch eine rechtzeitig eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde anhängig wäre. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber wirksam mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des [X.] vom 5. Dezember 2016 zurückgenommen worden.

(1) Der Prozessbevollmächtigte des [X.] konnte die Nichtzulassungsbeschwerde unbeschadet einer angeblichen Mandatsniederlegung wirksam zurücknehmen. Die [X.] ermächtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen (§ 81 ZPO). Dazu gehört auch die Rücknahme eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs (vgl. [X.] 2. Dezember 1987 - [X.] Z[X.] 125/87 - zu II 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte - wie der Kläger meint - zuvor sein Mandat „faktisch niedergelegt“ hat. Im vorliegenden Anwaltsprozess endet die erteilte [X.] gemäß § 87 Abs. 1 ZPO erst durch die Anzeige der [X.]estellung eines neuen Anwalts (vgl. [X.] 25. April 2007 - [X.]/06 - Rn. 11; 18. Juli 2007 - XII Z[X.] 162/06 - Rn. 7).

(2) Die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten ist wirksam. Auch wenn die Rücknahme weisungswidrig erfolgt sein sollte, steht dies ihrer Wirksamkeit als Prozesshandlung nicht entgegen (vgl. [X.] 2. April 1998 - V Z[X.] 6/98 - zu II 2 der Gründe; 2. Dezember 1987 - [X.] Z[X.] 125/87 - zu II 1 der Gründe). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Prozesshandlungen auch grundsätzlich weder angefochten noch widerrufen werden können. Eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtungsregeln verbietet sich, weil das Prozessrecht die Verfahrenslage weitgehend vor Unsicherheit schützen will und deshalb einen Widerruf von Prozesshandlungen - namentlich solcher, die sich maßgeblich auf die [X.]eendigung des Verfahrens auswirken - nur in Ausnahmefällen zulässt (vgl. [X.] 27. Mai 1981 - [X.] ZR 589/80 - zu I und II der Gründe, [X.]Z 80, 389).

(3) Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung lediglich in einem Einzelfall zugelassen, in dem die Rücknahmeerklärung zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem die Erklärung beruhte, für den [X.] und das Gericht ganz offensichtlich war (vgl. [X.] 21. März 1977 - II Z[X.] 5/77 -). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Jedenfalls für das Gericht war ein etwaig entgegenstehender Wille des [X.] zur Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde nicht erkennbar.

(4) Soweit der Kläger eine Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung aus dem Umstand ableiten will, dass sein Prozessbevollmächtigter erkennbar in der Absicht gehandelt habe, ihm größtmöglichen Schaden zuzufügen, führt dies zu keiner anderen [X.]eurteilung. Die angebliche Schädigung durch einen Prozessbevollmächtigten und daraus folgende Ansprüche wären in einem diesbezüglichen Schadensersatzprozess zu klären. Die Wirksamkeit der Prozesshandlung als solche würde ferner auch schon deshalb nicht infrage gestellt werden können, weil die behauptete [X.] des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dem Gericht nicht erkennbar war.

        

    Linck    

        

    [X.]rune    

        

    Schlünder    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZN 938/16 (A)

10.01.2017

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG München, 2. April 2014, Az: 5 Ca 11655/13, Urteil

§ 11 Abs 4 S 1 ArbGG, § 78b Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.01.2017, Az. 10 AZN 938/16 (A) (REWIS RS 2017, 17721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17721

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