Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.11.2015, Az. XI R 32/14

11. Senat | REWIS RS 2015, 2159

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Gegenstand

Ermäßigter Steuersatz für Stadtrundfahrten im nachträglich genehmigten Linienverkehr


Leitsatz

NV: Der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG kommt auch dann in Betracht, wenn die nach dem Personenbeförderungsgesetz erforderliche Genehmigung mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr rückwirkend erteilt wird .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 11. Juni 2014  7 K 7090/13 aufgehoben.

Die Umsatzsteuer für die Streitjahre wird unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 2005 bis 2007 vom 19. Januar 2012 und für 2008 und 2009 vom 16. November 2011, in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 13. März 2013, sowie der Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 vom 18. November 2014 um ... € (2005), um ... € (2006), um ... € (2007), um ... € (2008), um ... € (2009), um ... € (2010) und um ... € (2011) herabgesetzt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die vormals dafür zuständige Senatsverwaltung erteilte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH & Co. KG, am 28. März 2000 die bis zum 30. März 2005 befristete Genehmigung, in … sog. "Open-Door-Stadtrundfahrten" (Stadtrundfahrten), bei denen die Fahrgäste an verschiedenen über das Stadtgebiet verteilten Haltestellen ein- und aussteigen können, durchzuführen.

2

Noch am selben Tag beantragte die Klägerin, die ihr erteilte Genehmigung auf die "[X.]" ([X.]), die heutige "… GmbH & Co. KG", zu übertragen. Dem kam die Senatsverwaltung mit Verfügung vom 19. Juli 2000 nach.

3

Mit [X.] gestattete die [X.] der Klägerin die vollständige, selbständige und exklusive Nutzung der Genehmigung zur Durchführung von Stadtrundfahrten ab dem 1. Januar 2002. Dafür erhielt sie, die [X.], ein Entgelt von jährlich … % der erzielten Nettoumsätze.

4

Am 23. März 2005 genehmigte die nunmehr zuständige [X.]ehörde ([X.]) der [X.] (erneut) die Durchführung von Stadtrundfahrten für den Zeitraum vom 1. April 2005 bis 31. März 2013.

5

Die Klägerin führte (ab dem 1. Januar 2002 und auch) in den Streitjahren 2005 bis 2011 die in Rede stehenden Stadtrundfahrten durch und unterwarf die Umsätze in den entsprechenden Umsatzsteuererklärungen dem ermäßigten Steuersatz.

6

Mit gleichlautenden Schreiben vom 14. November 2012 beantragten die Klägerin und [X.] jeweils, die mit dem vorgenannten [X.] erfolgte Übertragung der Genehmigung (rückwirkend) ab dem 1. Januar 2002 gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 43 des Personenbeförderungsgesetzes (P[X.]efG) zu gestatten. Diese Anträge beschied das [X.] mit Verfügung vom 19. November 2012 wie folgt: "Dem Antrag der beiden Unternehmen auf Übertragung der [X.]etriebsführung der open-door-Stadtrundfahrten-Genehmigung, welche als Sonderlinienverkehr ... mit einer Gültigkeit vom 01.04.2005 bis zum 31.03.2013 genehmigt wurde, gebe ich statt. Die [X.]etriebsführerschaft zur Ausübung des ursprünglich genehmigten Verkehrs wird somit auf die [Klägerin] übertragen. Grundlage meiner Entscheidung ist ... auch der neben dem Antrag der Unternehmen vorliegende privatrechtliche Vertrag zwischen dem Linieninhaber und dem neuen [X.]etriebsführer. An dem rechtsbestimmten Inhalt der Verkehrsgenehmigung wird durch die Übertragung nichts geändert. Deshalb wird auch weder der Inhalt der [X.] verändert noch findet eine Anpassung der Laufzeit statt. ... Dementsprechend war dem Antrag auf Übertragung der [X.]etriebsführung zu entsprechen. Dieser [X.]escheid ergeht als Ergänzung zur bereits erteilten Genehmigung. Die mit der ursprünglich erteilten Genehmigung festgelegten [X.]edingungen und Auflagen gelten fortan und sind durch den [X.]etriebsführer ebenso zu beachten."

7

Im [X.] an eine bei der Klägerin durchgeführten, die [X.]esteuerungszeiträume 2005 bis 2007 umfassenden Außenprüfung vertrat der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) auch hinsichtlich der Folgejahre 2008 bis 2011 die Auffassung, die streitbefangenen Stadtrundfahrten unterlägen der Art nach nicht dem ermäßigten Steuersatz, weil sie nicht der "Raumüberwindung" dienten. Das [X.] erließ dementsprechend am 16. November 2011, 19. Januar 2012 und 13. Juni 2012 geänderte bzw. erstmalige Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.

8

Hiergegen legte die Klägerin jeweils Einspruch ein.

9

Mit [X.] vom 13. März 2013 entsprach das [X.] dem [X.]egehren der Klägerin, soweit sie sich gegen die jeweilige [X.]emessungsgrundlage gewandt hatte, und wies die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurück. Es war nunmehr der Ansicht, die Klägerin sei in den Streitjahren nicht Inhaberin der erforderlichen Genehmigung für den Linienverkehr gewesen. Der die Übertragung der [X.]etriebsführung betreffenden Verfügung des [X.]s vom 19. November 2012 komme keine Rückwirkung zu.

Im Verlauf des anschließenden Klageverfahrens änderte das [X.] am 23. April 2014 die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr 2011. Der [X.] für 2011 vom 23. April 2014 wurde Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens.

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab. Es führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1524 veröffentlichten Urteil aus, dass auch touristischen Zwecken dienende Stadtrundfahrten dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung (a.[X.]) unterliegen könnten, wenn es sich insoweit um genehmigten Linienverkehr handele.

Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG a.[X.] erfordere, dass der Unternehmer, der Personen mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr befördere, im [X.]esitz einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 42 oder § 43 P[X.]efG erforderlichen Genehmigung sei. Erst die besonderen, mit der Genehmigung nach dem P[X.]efG einhergehenden Pflichten, zu denen insbesondere die [X.]etriebs- und [X.]eförderungspflicht nach §§ 21, 22 P[X.]efG gehörten, rechtfertigten die umsatzsteuerrechtliche [X.]egünstigung.

In den Streitjahren habe keine Genehmigung für die Klägerin zur Durchführung des [X.] vorgelegen. Die am 19. November 2012 erteilte Genehmigung zur Übertragung der bereits zugunsten der [X.] bestehenden Genehmigung zum Linienverkehr entfalte keine Rückwirkung.

Dem Personenbeförderungsrecht sei eine rückwirkende Linienver-kehrsgenehmigung fremd. Der Verfügung vom 19. November 2012 könne kein von dieser Rechtslage abweichender Inhalt entnommen werden. Das [X.] habe den gleichlautenden Anträgen der Klägerin und [X.], der Übertragung der Genehmigung zuzustimmen, nicht rückwirkend entsprochen, sondern entschieden, dass die mit der ursprünglich erteilten Genehmigung festgelegten [X.]edingungen "fortan" gelten würden.

Gegen das Urteil des [X.] richtet sich die Revision der Klägerin.

Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und bringt im Wesentlichen vor, der am 19. November 2012 erteilten Zustimmung zur Übertragung der [X.]etriebsführung komme Rückwirkung mit der Folge zu, dass sie, die Klägerin, in den Streitjahren berechtigt gewesen sei, die ursprünglich der [X.] erteilten [X.]genehmigungen zu nutzen.

Während des Revisionsverfahrens hat das [X.] am 18. November 2014 die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2010 und 2011 erneut geändert. Die bisher berücksichtigten Vorsteuerbeträge wurden hierbei um [X.] (2010) bzw. [X.] (2011) entsprechend den zwischen den [X.]eteiligten nicht streitigen Feststellungen einer bei der Klägerin durchgeführten [X.] gemindert. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 1. Oktober 2014 dem [X.] gegenüber mitgeteilt, dass gegen den Erlass der entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 keine [X.]edenken bestünden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2005 bis 2009 vom 16. November 2011 bzw. 19. Januar 2012 in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 13. März 2013 sowie der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2010 und 2011 vom 18. November 2014 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um [X.] (2005), [X.] (2006), [X.] (2007), [X.] (2008), [X.] (2009), [X.] (2010) und [X.] (2011) herabgesetzt wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Es hält die Vorentscheidung für zutreffend. Eine Linienbeförderungsgenehmigung habe in den Streitjahren jeweils nur für die [X.] vorgelegen. Entgegen der Auffassung der Klägerin entfalte die am 19. November 2012 erteilte Zustimmung zur Übertragung der [X.]etriebsführung keine Rückwirkung. Dieser Verfügung sei ein erkennbarer Wille der Genehmigungsbehörde, die Übertragung rückwirkend zu genehmigen, nicht zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

[X.] Die Revision ist begründet. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass die von der Klägerin ausgeführten [X.] nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

1. Die Vorentscheidung ist, soweit das [X.] über die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2010 und 2011 entschieden hat, bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil ihr nach Ergehen der die Umsatzsteuer für 2010 und 2011 betreffenden [X.] vom 18. November 2014 nicht mehr existierende [X.]escheide zugrunde liegen.

a) Die während des Revisionsverfahrens ergangenen [X.] vom 18. November 2014 haben die Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 vom 13. März 2013 bzw. 23. April 2014, die Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen sind, i.S. von § 68 Satz 1 [X.]O ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird nach der auch im Revisionsverfahren (§ 121 [X.]O) geltenden Vorschrift des § 68 [X.]O der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (vgl. dazu z.[X.]. Urteile des [X.] --[X.]F[X.]-- vom 3. November 2005 V R 63/02, [X.], 161, [X.], 337, unter [X.], Rz 17; vom 5. Juni 2014 XI R 25/12, [X.], 465, [X.]F[X.]/NV 2014, 1692, Rz 27; jeweils m.w.N.). Damit liegen der Vorentscheidung in ihrer Wirkung suspendierte [X.]escheide zugrunde mit der Folge, dass auch das [X.]-Urteil insoweit keinen [X.]estand haben kann (vgl. dazu z.[X.]. [X.]F[X.]-Urteil vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, [X.], 367, [X.]F[X.]/NV 2015, 451, Rz 15, m.w.N.).

b) Da sich hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage durch die [X.] vom 18. November 2014 keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin im Revisionsverfahren auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das [X.] gemäß § 127 [X.]O. Der erkennende [X.] kann auf der Grundlage der [X.] finanzgerichtlichen Feststellungen entscheiden (vgl. dazu z.[X.]. [X.]F[X.]-Urteile vom 12. September 2007 VIII R 38/04, [X.], 37, unter [X.], Rz 16; vom 18. September 2012 VIII R 45/09, [X.], 226, [X.], 479, Rz 15; jeweils m.w.N.).

2. Die Steuer betrug nach § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz in den Streitjahren 2005 und 2006  16 % und in den Streitjahren 2007 bis 2011  19 % der [X.]emessungsgrundlage.

a) Die Steuer ermäßigte sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 [X.]uchst. b UStG a.F. auf 7 % u.a. für "die [X.]eförderungen von Personen ... im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ... aa) innerhalb einer Gemeinde oder bb) wenn die [X.] nicht mehr als 50 Kilometer beträgt".

b) Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 [X.]uchst. b UStG a.F. beruhte auf Art. 12 Abs. 3 [X.]uchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang [X.] Kategorie 5 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur [X.]armonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]). Danach konnten die Mitgliedstaaten auf die dort jeweils bezeichneten Lieferungen und Dienstleistungen --u.a. die "[X.]eförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks"-- statt des in Art. 12 Abs. 3 [X.]uchst. a Unterabs. 1 der [X.]/[X.] vorgesehenen allgemeinen Steuersatzes einen ermäßigten Steuersatz anwenden (ab dem 1. Januar 2007 gelten insoweit Art. 96 bzw. Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem).

c) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] (EuG[X.]) ist auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes erlaubt (vgl. dazu EuG[X.]-Urteil Pro Med Logistik und [X.] vom 27. Februar 2014 in den verbundenen Rechtssachen [X.]/12 und [X.]/12, [X.]:[X.], [X.], 437, Rz 43, m.w.N.).

aa) Die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahrnehmung der Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes unterliegt allerdings der zweifachen [X.]edingung, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (vgl. dazu EuG[X.]-Urteil Pro Med Logistik und [X.], [X.]:[X.], [X.], 437, Rz 45, m.w.N.).

bb) Diese Voraussetzungen der selektiven Anwendung des ermäßigten Steuersatzes sind hinsichtlich der Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 [X.]uchst. b UStG a.F. erfüllt. Denn die nur für die Personenbeförderung im genehmigten Linienverkehr geltende [X.]etriebs- und [X.]eförderungspflicht nach §§ 21, 22 [X.] ist geeignet, unterschiedliche Leistungen zu kennzeichnen, so dass diese Tätigkeit einen konkreten und spezifischen Aspekt der genannten Kategorie darstellen kann (zur Personenbeförderung im Verkehr mit Taxen vgl. [X.]F[X.]-Urteil vom 2. Juli 2014 XI R 22/10, [X.]F[X.]E 246, 537, [X.], 416, Rz 50, m.w.N.). Die selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes hinsichtlich der begünstigten [X.] im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen verstößt zudem nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Aus maßgeblicher Sicht des [X.] ist ein Unterschied zwischen Stadtrundfahrten, die im genehmigten Linienverkehr mit [X.]etriebs- und [X.]eförderungspflichten und solchen, die ohne diese Pflichten nicht im genehmigten Linienverkehr durchgeführt werden, gegeben (zur Personenbeförderung im Verkehr mit Taxen vgl. [X.]F[X.]-Urteil in [X.]F[X.]E 246, 537, [X.], 416, Rz 64, m.w.N.).

3. Die Klägerin hat in den Streitjahren dem ermäßigten Steuersatz unterliegende [X.]eförderungsleistungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 [X.]uchst. b UStG a.F. ausgeführt.

a) Die streitbefangenen Stadtrundfahrten dienten der [X.]eförderung von Personen. Denn die Klägerin hat Personen mit Kraftfahrzeugen als [X.]eförderungsmittel fortbewegt (vgl. dazu [X.]F[X.]-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 44/10, [X.]F[X.]E 234, 504, [X.], 1003, Rz 16 ff., m.w.N.).

b) Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 [X.]uchst. b UStG a.F. setzte ferner eine Personenbeförderung "im genehmigten Linienverkehr" im verkehrsrechtlichen Sinne voraus (vgl. dazu [X.]F[X.]-Urteil in [X.]F[X.]E 234, 504, [X.], 1003, Rz 17). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Klägerin hat die in Rede stehenden Stadtrundfahrten im genehmigten Linienverkehr ausgeführt. Denn die zugunsten der Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 43 [X.] erteilte Genehmigung des [X.]s vom 19. November 2012 zur Übertragung der [X.]etriebsführung des bereits der [X.] genehmigten Linienverkehrs wirkt auf die Streitjahre zurück.

aa) Der erkennende [X.] ist nach § 118 Abs. 2 [X.]O an die vom [X.] näher begründete Würdigung, der Genehmigung des [X.]s vom 19. November 2012 komme keine Rückwirkung zu, nicht gebunden. Denn die Auslegung eines Verwaltungsakts durch das [X.] ist im Revisionsverfahren überprüfbar (vgl. dazu [X.]F[X.]-Urteile vom 12. Juni 1997 I R 72/96, [X.]F[X.]E 183, 30, [X.]St[X.]l II 1997, 660; vom 24. August 2005 II R 16/02, [X.]F[X.]E 210, 515, [X.], 36; vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, [X.]F[X.]E 214, 18, [X.]St[X.]l II 2007, 96; vom 4. Juni 2008 I R 72/07, [X.], 1977; Lange in [X.]übschmann/[X.]epp/[X.] --[X.][X.]Sp--, § 118 [X.]O Rz 210, m.w.N.). Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, ist vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten (vgl. dazu [X.]F[X.]-Urteil vom 24. März 1998 I R 83/97, [X.]F[X.]E 186, 67, [X.]St[X.]l II 1998, 601; Lange in [X.][X.]Sp, § 118 [X.]O Rz 210, m.w.N.; einschränkend Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 118 Rz 25, m.w.N.).

bb) Welchen Regelungsinhalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei die §§ 133, 157 des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregeln enthalten. Entscheidend ist danach, wie der [X.]etroffene nach den ihm bekannten Umständen, mithin nach seinem "objektiven [X.]", den materiellen Gehalt der Erklärung unter [X.]erücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. z.[X.]. [X.]F[X.]-Urteil in [X.]F[X.]E 214, 18, [X.]St[X.]l II 2007, 96, unter [X.]3.b aa, Rz 36 f., m.w.N.).

cc) Nach diesen Auslegungsmaßstäben und nach den gesamten Umständen des [X.] konnte die Klägerin entgegen der vom [X.] vertretenen Auffassung die Genehmigung des [X.]s vom 19. November 2012 nur dahingehend verstehen, dass die Übertragung der [X.]etriebsführung rückwirkend genehmigt wurde.

Das [X.] hat mit der in Rede stehenden Verfügung vom 19. November 2012 den auf Genehmigung der Übertragung der [X.]etriebsführung ab dem 1. Januar 2002 gerichteten Anträgen der Klägerin und [X.] vom 14. November 2012 "stattgegeben". Es weist in dem [X.] vom 19. November 2012 ausdrücklich darauf hin, dass Grundlage für die Entscheidung "auch der neben dem Antrag der Unternehmen vorliegende privatrechtliche Vertrag zwischen dem Linieninhaber und dem neuen [X.]etriebsführer" gewesen sei, und führt im [X.] an verkehrsrechtliche Erörterungen abschließend aus, "dementsprechend war dem Antrag auf Übertragung der [X.]etriebsführung zu entsprechen". Danach hat das [X.] den übereinstimmenden Anträgen der Klägerin und der [X.], die auf die Zustimmung zur "Übertragung der [X.]etriebsführung ab dem 01. Januar 2002" gerichtet waren und denen der in der Genehmigung vom 19. November 2012 ausdrücklich als Entscheidungsgrundlage in [X.]ezug genommene privatrechtliche Vertrag vom 27. Dezember 2001 beigefügt war, in vollem Umfang, mithin rückwirkend für die Streitjahre, stattgegeben.

Soweit das [X.] in der Verfügung vom 19. November 2012 daneben ausgeführt hat, "die mit der ursprünglich erteilten Genehmigung festgelegten [X.]edingungen und Auflagen gelten fortan und sind durch den [X.]etriebsführer ebenso zu beachten", lässt dies entgegen der vom [X.] vertretenen Auffassung nicht den Schluss darauf zu, dass die [X.]ehörde die Übertragung der [X.]etriebsführung abweichend von den unmissverständlichen, auf die (rückwirkende) Genehmigung ab dem 1. Januar 2002 gerichteten Anträgen der Klägerin und [X.] nur mit Wirkung für die Zukunft genehmigt hätte. Denn diese behördlichen Ausführungen bezogen sich nicht auf die Übertragung der [X.]etriebsführung (als solche), sondern auf die (künftige) [X.]eachtung der festgelegten [X.]edingungen und Auflagen.

dd) Da es auf die materielle [X.]indungswirkung der betreffenden Genehmigung ankommt, ist es vorliegend ohne [X.]elang, ob die Verfügung vom 19. November 2012 möglicherweise verkehrsrechtlichen Vorschriften, die die rückwirkende Genehmigung zur Übertragung der [X.]etriebsführung ausschließen, oder einer herrschenden Rechtspraxis, verkehrsrechtliche Genehmigungen nur mit Wirkung für die Zukunft auszusprechen, widerspricht. Es bedarf daher keiner Entscheidung darüber, ob die Genehmigung der Übertragung der [X.]etriebsführung auf einen anderen i.S. von § 2 Abs. 2 [X.] rückwirkend möglich ist. Selbst wenn keine rückwirkende Genehmigung hätte erteilt werden können, wäre diese für diesen Fall rechtswidrige, jedoch nicht nichtige Entscheidung der [X.]ehörde rechtswirksam.

c) Die Rückwirkung der Genehmigung vom 19. November 2012 ist, anders als das [X.] meint, nicht auf den Zeitraum ab dem 1. April 2005 begrenzt. Entgegen den Feststellungen des [X.] war die Übertragung der erst am 1. April 2005 beginnenden Verkehrsgenehmigung vom 23. März 2005 nicht beantragt. Soweit das [X.] auf diese der [X.] erteilte Genehmigung vom 23. März 2005 in der Verfügung vom 19. November 2012 [X.]ezug nimmt, ergibt sich nichts anderes. Denn den übereinstimmenden Anträgen der Klägerin und [X.], der Übernahme der [X.]etriebsführung ab dem 1. Januar 2002 zuzustimmen, hat das [X.] ohne Einschränkung entsprochen. Aufgrund des [X.]escheids vom 19. Juli 2000 lag auch eine Genehmigung vor, die übertragen werden konnte.

4. Das [X.] ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher auch hinsichtlich der Streitjahre 2005 bis 2009 aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden. Die Sache ist spruchreif.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

XI R 32/14

18.11.2015

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 11. Juni 2014, Az: 7 K 7090/13, Urteil

§ 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG 2005, § 2 Abs 1 Nr 3 PBefG, § 2 Abs 2 Nr 3 PBefG, § 43 PBefG, Art 12 Abs 3 Buchst a UAbs 3 EWGRL 388/77, Art 96 EGRL 112/2006, Art 98 Abs 2 EGRL 112/2006, Anh 3 Nr 5 EGRL 112/2006, Anh H EWGRL 388/77, UStG VZ 2005, UStG VZ 2006, UStG VZ 2007, UStG VZ 2008, UStG VZ 2009, UStG VZ 2010, UStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.11.2015, Az. XI R 32/14 (REWIS RS 2015, 2159)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2159

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Referenzen
Wird zitiert von

B 5 RE 3/18 R

B 5 RE 1/18 R

B 2 U 7/19 R

B 2 U 17/19 R

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