Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.08.2011, Az. 4 StR 338/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4080

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 338/11

vom
10. August
2011
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen
Person u.a.

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2
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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 10. August 2011 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2011

a)
im Schuldspruch dahin geändert, dass die [X.] wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen entfällt,

b)
im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.

3.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird [X.].

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines [X.], 1
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zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und dem Angeklagten für die Dauer von drei Jahren die psychotherapeutische
Behandlung von Per-sonen weiblichen Geschlechts untersagt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Diese hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Nach den vom
[X.] getroffenen Feststellungen behandelte der Angeklagte, der seit 1999 als "Psychologischer Psychotherapeut" tätig war und mit dem Zusatz "Biodynamische Körperpsychotherapie" warb, ab Februar 2007 die Zeugin Dr. T.

, die damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität B.

beschäftigt war. Die Behandlung der von ihm diagnostizierten "Angst und depressiven Störung", in deren Rahmen er Körperkontakt einsetzte, führte -
was der Angeklagte zumindest erkannt hatte -
zu einer zunehmenden Regredierung bei der Zeugin, wobei sie sich als Baby bzw. Kind und den Angeklagten als ihre Mutter ansah.

Während der Therapie übte der Angeklagte in seinen Praxisräumen
-
nachdem es dort schon zuvor zu sexuellen Handlungen gekommen war -
am 14. und 21. Juni 2007 den Geschlechtsverkehr mit der Zeugin aus; hierzu hatte er ihr erklärt, "es sei Bestandteil der Körpertherapie, Energien durch Bewegun-gen überall am Körper zum Fließen zu bringen" ([X.]). Am 10. August 2007 kam
es in einem vom Angeklagten zu Therapiezwecken genutzten [X.] zum wechselseitigen Oralverkehr.

Die [X.] bewertete dies als sexuellen Missbrauch unter Ausnut-zung eines [X.] in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person. Hierzu ging sie -
sachverständig beraten -
davon aus, dass die Zeugin nicht in der La-2
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ge gewesen sei, "einen Willensentschluss gegen das sexuelle Ansinnen des Angeklagten zu bilden, da es für sie existentielle Bedeutung hatte, nicht ihre Mutter [den Angeklagten] zu verlieren, und sie seine Bedürfnisse und Wünsche

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines [X.] in drei Fällen begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. dazu auch [X.], Urteil vom 14. April 2011 -
4 [X.], NJW 2011, 1891). Die Voraussetzungen des schweren sexuellen [X.] einer widerstandsunfähigen Person (§
179 Abs.
1 Nr. 2, Abs.
5 Nr.
1 StGB) sind hingegen nicht belegt.

a) Opfer einer Tat nach §
179 StGB kann nur sein, wer aufgrund einzel-ner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfä-hig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des [X.] zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen ([X.], Urteil vom 15. März 1989 -
2 [X.], [X.]St 36, 145, 147; Beschluss vom 28. Oktober 2008
-
3 [X.], [X.], 324, 325). Die Feststellung der
Widerstandsunfähig-keit ist eine normative Entscheidung ([X.], Beschluss vom 1. Oktober 2008
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2 [X.], [X.], 14, 15); sie erfordert die Überzeugung des Tatrichters, dass das Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig war (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2008 -
3 [X.], [X.], 324, 325).

b) Die Überzeugung, dass die Zeugin Dr. T.

widerstandsunfähig im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB war, stützt die [X.] allein auf das [X.] eines Sachverständigen. Dabei kann dahinstehen, ob die [X.], die sich dem Gutachten mit der Begründung angeschlossen hat, die Ausfüh-rungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen seien detailliert, wider-5
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spruchsfrei und nachvollziehbar ([X.]), für ihre Entscheidung über eine aus-reichende Grundlage verfügte, da die bloße Nachvollziehbarkeit einer sachver-ständigen Beurteilung die notwendige richterliche Überzeugung nicht begrün-den kann. Dies bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die im Urteil wiederge-gebenen Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht die [X.] der Zeugin im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB.

Hierzu hat der [X.] in der Antragsschrift vom 4. Juli 2011 ausgeführt, dass die Zeugin

"aus ([X.], die Beziehung zu ihrem Therapeuten -
dem Ange-klagten -
könne abbrechen und ihre "Mutter

werde ihr genommen, nicht in der Lage gewesen [sei], "nein

zu sagen und Widerstand zu leisten ([X.] 37).

Bereits diese Ausführungen belegen, dass die Nebenklägerin sowohl das sexuelle Ansinnen des Angeklagten als auch ihre Handlungsalternativen und deren Folgen erkannt hat. Dass sie sich dafür entschieden hat
-
wenn auch aus krankhaft bedingter Existenzangst -
keinerlei Wider-stand zu äußern [und zu leisten], zeigt aber, dass die Nebenklägerin eine Abwägung vorgenommen, mithin ein Willensbildungsprozess stattgefun-den hat. Der Umstand, dass sie in ihrer Entscheidung "nicht frei gewe-sen" sei ([X.] 37), steht dem nicht entgegen. Denn er bedeutet ledig-lich, dass der zu erwartende Behandlungsabbruch für die Nebenklägerin einen derart großen (vermeintlichen) Nachteil dargestellt hätte, den sie für sich nicht in Kauf nehmen wollte.

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Dem tritt der Senat auch im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des [X.]s, insbesondere zum (erfolgreichen verbalen) Widerstand der Nebenklägerin bei dem Vorfall am D.

See, sowie die Ausführungen des Sachverständigen zum erhaltenen Wahrnehmungsvermögen der Zeugin bei.

3. Der Senat schließt im Hinblick auf die umfassende Beweisaufnahme durch das [X.] -
unter anderem durch Anhörung zweier Sachverständi-ger, die die Nebenklägerin begutachtet haben -
aus, dass nach einer Aufhe-bung und Zurückverweisung der Sache die sichere Feststellung getroffen wer-den kann, dass die Nebenklägerin den sexuellen Handlungen des Angeklagten keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Er lässt daher -
dem Antrag des [X.]s entsprechend -
den Schuldspruch wegen schweren se-xuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in drei Fällen entfallen.

4. Dies
hat die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs zur Folge, da die [X.] die gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen dem ge-genüber § 174c StGB höheren
Strafrahmen des § 179 Abs. 6 StGB entnommen hat. Ferner hebt der Senat das gegen den Angeklagten verhängte Berufsverbot auf, um der neu zur Entscheidung berufenen [X.] eine umfassende eigene Entscheidung über die Rechtsfolgen zu ermöglichen. Bei der neuen Entscheidung über die Verhängung eines Berufsverbots wird auch zu bedenken

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sein, dass der Angeklagte -
soweit ersichtlich -
seinen Beruf über viele Jahre hin beanstandungsfrei ausgeübt hat; auch dies steht indes einer negativen Ge-fährlichkeitsprognose nicht von vorneherein entgegen.

Mutzbauer Roggenbuck Cierniak

Franke [X.]

Meta

4 StR 338/11

10.08.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.08.2011, Az. 4 StR 338/11 (REWIS RS 2011, 4080)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4080

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4 StR 338/11

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