Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.09.2015, Az. 1 B 36/15

1. Senat | REWIS RS 2015, 5333

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Gegenstand

Rechtsschutzbedürfnis für Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Gewährung unionsrechtlichen Flüchtlingsschutzes


Gründe

I

1

Der Kläger, ein [X.] Volkszugehöriger [X.] Volks- und chaldäisch-römisch-katholischer Religionszugehörigkeit, reiste 2009 auf dem Luftweg von [X.] kommend in das [X.] ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zu seinem Reiseweg gab er an, er habe den [X.] Ende 2007 verlassen und sei nach Aufenthalten in [X.], der [X.] und [X.] nach [X.] gekommen. Das [X.] ([X.]) machte von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch. Mit Bescheid vom 1. September 2011 erkannte es dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung als [X.] zu, den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter lehnte es hingegen wegen Einreise aus einem sicheren [X.] ab. Das Verwaltungsgericht hat der auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat beim Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg gehabt. Dabei hat das Berufungsgericht offengelassen, ob der Kläger trotz seiner Einreise aus einem sicheren [X.] im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG ([X.]) einen grundrechtlichen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter hat, da ihm jedenfalls einfachgesetzlich nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ein Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten zustehe.

2

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beklagten, mit der diese die Zulassung der Revision erstrebt.

II

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Die unter anderem auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

4

Die Beklagte rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich der Frage, ob einer Asylanerkennung des [X.] seine Voraufenthalte in anderen [X.] entgegenstehen, nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Denn der Kläger ist nach eigenen Angaben nicht nur über [X.] nach [X.] eingereist, sondern hat sich zuvor längere Zeit in [X.] und in der [X.] aufgehalten. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht diesen Vortrag als unglaubhaft angesehen hat. Damit hätte - ungeachtet der Frage, ob einer Asylanerkennung die Einreise aus einem kraft Verfassungsrecht sicheren [X.] ([X.]) entgegensteht, - vor allem näherer Darlegung bedurft, warum eine Asylanerkennung nicht mit Blick auf die vorangegangenen Aufenthalte in [X.] und der [X.] wegen anderweitiger Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen [X.] nach § 27 AsylVfG ausgeschlossen ist; allein der Umstand, dass diese Frage von den Beteiligten nicht problematisiert worden war, machte entsprechende Darlegungen nicht entbehrlich (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2011 - 10 [X.] - juris Rn. 2). Die Ausführungen im Berufungsurteil, aus welchem Grund der Aufenthalt des [X.] in [X.] dem einfachgesetzlichen Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten nicht entgegensteht, lassen nicht den Schluss zu, das Berufungsgericht habe den Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1 AsylVfG in Bezug auf die [X.] geprüft und verneint.

5

Auf die übrigen von der Beschwerde erhobenen [X.] kommt es damit nicht entscheidend an. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass das Berufungsgericht im neuerlichen Berufungsverfahren zunächst der Frage nachzugehen haben wird, ob für die (nur) auf Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, nachdem das [X.] von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 343/2003 ([X.]) Gebrauch gemacht und den Kläger mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 1. September 2011 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Das [X.] Asylrecht unterscheidet zwar zwischen dem verfassungs- und dem unionsrechtlich geregelten Flüchtlingsschutz. Nach dem [X.] umfasst ein Asylantrag grundsätzlich beide Begehren (vgl. § 13 AsylVfG) und hat das [X.] über diese in einem Bescheid zu entscheiden (vgl. § 31 AsylVfG). Auch bei Gericht werden beide Begehren zulässigerweise zusammen geltend gemacht. Lehnt das [X.] indes - wie hier - den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, gewährt es aber zugleich unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz, bedarf besonderer Begründung, inwiefern die gerichtliche Weiterverfolgung des Asylbegehrens mit dem Ziel der (zusätzlichen) Anerkennung als Asylberechtigten dem Kläger einen weiteren Vorteil brächte. Denn der Gesetzgeber hat mit dem [X.] von 2004 Asylberechtigte und Flüchtlinge rechtlich weitgehend gleichgestellt, so dass der Unterscheidung keine erhebliche praktische Bedeutung mehr zukommt, insbesondere können sich beide Personengruppen auf die einem Flüchtling gegenüber anderen Ausländern in der [X.] gewährten Vorteile berufen. Hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Folgen sind Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, ebenfalls gleichgestellt (vgl. etwa § 5 Abs. 3, § 25 Abs. 1 und 2 [X.] hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und § 29 Abs. 2 [X.] bezüglich Erleichterungen beim Familiennachzug). Auch für das Familienasyl und den Familienflüchtlingsschutz bestehen nach § 26 AsylVfG inzwischen keine Unterschiede mehr. Bei dieser Sachlage obliegt es dem Kläger darzulegen, welche weitergehenden Vorteile ihm die begehrte Asylanerkennung brächte. Andernfalls wäre es eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte, wenn diese trotz des vom [X.] gewährten Flüchtlingsschutzes über die Asylanerkennung sachlich entscheiden müssten. Dies zu verhindern ist Zweck der Sachurteilsvoraussetzung des [X.] (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1998 - 9 C 1.97 - BVerwGE 106, 339 <340 f.>).

Meta

1 B 36/15

16.09.2015

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. April 2015, Az: 9 A 1380/12.A, Urteil

§ 27 AsylVfG 1992, § 108 Abs 1 S 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 Abs 6 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 16.09.2015, Az. 1 B 36/15 (REWIS RS 2015, 5333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5333

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Referenzen
Wird zitiert von

6 A 139/17 As HGW

4 A 82/16 As HGW

Au 6 K 17.33930

W 2 K 16.31047

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