Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.09.2023, Az. VIa ZR 1470/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6888

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 24. Zivilsenats des [X.] vom 27. September 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der Klageanträge zu 1, zu 3 und zu 4 betreffend eine deliktische Schädigung des [X.] durch das Inverkehrbringen des im Klageantrag zu 1 bezeichneten Fahrzeugs zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 21. Juli 2017 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten [X.] d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] ausgerüstet ist. Die [X.]-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. In dem Fahrzeug erfolgt zur Minderung der Stickoxidemissionen eine Abgasrückführung, die unter anderem [X.] arbeitet und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert wird. Das Fahrzeug verfügt außerdem über eine [X.] ([X.]), bei der durch den Einsatz einer Kühlung die Erwärmung des Motoröls verzögert wird und so die Stickoxidemissionen gesenkt werden. Im Fahrzeug findet ferner eine Abgasnachbehandlung in der Weise statt, dass im Abgassystem durch die Zuführung des [X.] entsteht, welches in einem SCR-Katalysator die im Abgas enthaltenen Stickoxide in Stickstoff und Wasser umwandelt. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des [X.] wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3

Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen (Klageantrag zu 1) und die Zahlung von [X.] (Klageantrag zu 2) jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 3) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Klageantrag zu 4) begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Das [X.] hat unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen fahrlässigen Verstoßes gegen Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 den [X.] zu 1 und 4 teilweise stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage sowohl im Hinblick auf eine deliktische Schädigung des [X.] als auch im Hinblick auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche insgesamt abgewiesen und die Anschlussberufung des [X.] zurückgewiesen, mit der er die vom [X.] abgewiesenen Klageanträge im Wesentlichen weiterverfolgt hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Zurückweisung der Berufung der Beklagten und ihre weitergehende Verurteilung gemäß seiner Anschlussberufung zu den [X.] zu 1, 3 und 4, soweit diese auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt sind. Hinsichtlich des zunächst ebenfalls weiterverfolgten Klageantrags zu 2 sowie der zusätzlich geltend gemachten kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche hat der Kläger die Revision vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

5

Das angefochtene Urteil unterliegt aufgrund der beschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht und des nachträglich weiter eingegrenzten Revisionsangriffs des [X.] der revisionsrechtlichen Nachprüfung insoweit, als das Berufungsgericht hinsichtlich der auf eine deliktische Schädigung des [X.] durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützten Klageanträge zu 1, 3 und 4 zum Nachteil des [X.] erkannt hat.

6

Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche einschließlich davon abhängiger Nebenansprüche beschränkt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, juris Rn. 8 bis 11; Urteil vom 10. Juli 2023 - [X.] 1620/22, juris Rn. 5 bis 7). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat das Berufungsgericht die Revisionszulassung nicht wirksam weitergehend auf einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB beschränkt. Bei den in Betracht kommenden materiell-rechtlichen Regelungen des § 826 BGB und des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV handelt es sich um Anspruchsgrundlagen innerhalb eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung, die nicht durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet sind und die daher tatsächlich und rechtlich nicht voneinander getrennt werden können (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 8 und 10). Bei beiden Regelungen besteht der maßgebliche Streitstoff darin, ob der Fahrzeughersteller auf der Grundlage einer erwirkten [X.]-Typgenehmigung und der hinzutretenden materiell unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung schuldhaft ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug in den Verkehr gebracht und dadurch dem jeweiligen Fahrzeugerwerber einen an seine Vertrauensinvestition bei Kaufvertragsabschluss anknüpfenden Schaden zugefügt hat (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juni 2022 - [X.] 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 26; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 45, zur [X.] bestimmt in [X.]Z; Urteil vom 10. Juli 2023, aaO, Rn. 6).

A.

7

Die Revision ist zulässig. Insbesondere ist die Revisionsbegründungsfrist des § 551 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO gewahrt. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat innerhalb der verlängerten Frist die Revisionsbegründung nach § 130d Satz 2 ZPO zulässigerweise in Schriftform eingereicht. Er hat gemäß § 130d Satz 3 ZPO bei der Ersatzeinreichung glaubhaft gemacht, dass im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des Schriftsatzes eine elektronische Einreichung wegen einer vorübergehenden Störung des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs [X.]) vorübergehend nicht möglich war (vgl. [X.], Urteil vom 25. Mai 2023 - [X.], NJW 2023, 2484 Rn. 9 f.; Urteil vom 25. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 22 f.).

B.

8

Die Revision ist im Umfang des nachträglich beschränkten Rechtsmittelangriffs begründet.

I.

9

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Der Kläger habe die Voraussetzungen für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet, weil er mangels tatsächlicher Anhaltspunkte in nicht zu berücksichtigender Weise ins Blaue hinein zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten vorgetragen habe. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 [X.]-FGV oder mit Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 scheitere bereits daran, dass diese Normen nicht dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts individueller Fahrzeugerwerber und damit dem Schutz einzelner Käufer vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags dienten.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Personen verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des [X.] verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 12; Beschluss vom 23. Februar 2022 - [X.], juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom 20. April 2022 - [X.], juris Rn. 25; Beschluss vom 21. September 2022 - [X.], [X.], 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der [X.] gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen betreffend die [X.] hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters oder der [X.] aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nicht verneint werden.

Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Die Einwände der Revisionserwiderung gegen die dogmatische Herleitung eines solchen Anspruchs geben dem [X.] weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] zu richten (vgl. nur [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 27 ff.; anders [X.], Beschlüsse vom 21. Juli 2023 - 1 O 55/19, 1 [X.]/20 und 1 O 223/20, jeweils juris). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines [X.]s gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen jedenfalls fahrlässiger Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der [X.] kann auch nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang des nachträglich beschränkten Rechtsmittelangriffs zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Das Berufungsgericht wird dem Kläger die Möglichkeit eröffnen müssen, einen [X.] darzulegen. Es wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.] 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 49 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen zu haben.

[X.]     

      

Krüger     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Wille     

      

Meta

VIa ZR 1470/22

11.09.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 27. September 2022, Az: 24 U 468/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.09.2023, Az. VIa ZR 1470/22 (REWIS RS 2023, 6888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6888

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 303/20

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