Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.03.2018, Az. 1 StR 277/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 12802

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:060318U1STR277.17.1

[X.]St:
nein
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja
________________________

GG Art. 20

Die Verletzung der Aussagefreiheit kann auch außerhalb von Vernehmungen nach §§ 136, 136a [X.] zu einem Beweisverwertungsverbot führen.

[X.], Urteil vom 6. März 2018

1 [X.]

LG Traunstein
[X.]:[X.]:[X.]:2018:060318U1STR277.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1
StR
277/17

vom
6. März 2018
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Brandstiftung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat
aufgrund der Hauptverhandlung vom 7. November 2017
in der Sitzung am 6. März 2018, an denen
teilgenom-men haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer
und [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Bär,

[X.] beim Bundesgerichtshof

in der Verhandlung vom 7. November 2017 ,
Staatsanwältin

bei der Verkündung am 6. März 2018

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung vom 7. November 2017 ,
Rechtsanwalt

in der Verhandlung vom 7. November 2017

als Verteidiger
der Angeklagten M.

,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung vom 7. November 2017 ,
Rechtsanwalt

in der Verhandlung vom 7. November
2017

als Verteidiger der Angeklagten R.

,

Justizobersekretärin

in der Verhandlung vom 7. November 2017 ,
Justizangestellte

bei
der Verkündung am 6. März 2018

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für
Recht erkannt:

-
3
-
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten M.

und R.

wegen

vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt, die Angeklagte M.

zu einer Frei-
heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte
R.

zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Dagegen wenden sich die
Revisionen der Angeklagten, jeweils mit der Sachrüge und verschiedenen Ver-fahrensrügen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:

Die zur Tatzeit 52
Jahre alte Angeklagte M.

kehrte nach wech-
selnden beruflichen Tätigkeiten und nach einer im Jahre 2004/2005 erfolgten Zwangsräumung ihrer damaligen [X.].

Wohnung zu ihrer Mutter, der An-
geklagten R.

, zurück nach [X.].

. Ab diesem Zeitpunkt ging sie
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keiner geregelten Tätigkeit mehr nach. Die beiden Angeklagten gründeten stattdessen eine GmbH für ein kunsthandwerkliches Gewerbe, wobei sie die Produkte zumeist an Krankenhäuser und Kliniken verkauften. Zugleich hatten sie 2008 ein Haus in O.

angemietet, welches aber infolge von Miet-
schulden 2013 zwangsgeräumt wurde. Nach etwa viereinhalb Monaten ohne festen Wohnsitz mieteten die Angeklagten sodann eine Doppelhaushälfte in [X.].

, in welcher am 19. Juli 2016 der verfahrensgegenständliche Brand
gelegt wurde.

Nach den Feststellungen der [X.] kam es bei dem im Dezember
2013 abgeschlossenen Mietverhältnis zu Mietstreitigkeiten, welche zu einem Räumungsprozess führten, der am 13. Mai 2016 durch einen Vergleich been-det wurde. Hierauf gestützt wurde vom zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung für den 19. Juli 2016 festgesetzt.

Entsprechend einem von den beiden Angeklagten gefassten [X.] er-warben sie am Räumungstag in einer nahegelegenen Tankstelle 5,58 l Benzin und brachten es in einem Benzinkanister zum Haus. Anschließend rief gegen 8.50 Uhr die Angeklagte M.

beim Amtsgericht an, um das Ergebnis einer
dort gerade laufenden Verhandlung zur Aufschiebung der Zwangsräumung nachzufragen, welches aber noch nicht vorlag. Beide Angeklagten nahmen [X.] jeweils zehn Tabletten des Antidepressivums Sertralin ein. [X.] verteilten sie an zehn räumlich voneinander getrennten Stellen im Haus sowie in der Garage jeweils zusammengerolltes Zeitungspapier und sonstiges brennbares Material, übergossen es mit Benzin und entzündeten dann die prä-parierten Stellen. Weil ein Teil des ausgebrachten Benzins verdampft und dadurch ein [X.] entstanden war, führte dies mit dem Anzünden zu einer explosionsartigen Verpuffung im Dachgeschoss. Die beiden 4
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Angeklagten, welche nach der Verpuffung zunächst auf den Balkon im [X.] ausgewichen waren,
gingen allerdings dann, um nicht bemerkt zu wer-den, wieder ins Haus hinein in den Bereich der offenen Balkontür. Dort hielten sie sich auf, bis sie schließlich von der durch Nachbarn herbeigerufenen [X.] mittels Drehleitereinsatzes unverletzt gerettet werden konnten.

Infolge der Verpuffung im Dach, der zahlreichen Brandherde und des zur Löschung eingesetzten Löschwassers beim Einsatz der Feuerwehr entstanden zahlreiche Schäden am Haus, wodurch Reparaturkosten in Höhe von 161.536,48

t-zungsmaßnahmen ab März 2017 wieder vermietet werden.

2. Das [X.] hat sich seine Überzeugung hinsichtlich der [X.] maßgeblich auf Grund der Angaben der Ange-klagten R.

gegenüber dem behandelnden Arzt

D.

im Beisein
der Zeugin [X.]

, den späteren Äußerungen gegenüber [X.]

sowie gegenüber dem Zeugen [X.] F.

am folgenden Tag, welche jeweils
die Brandentstehung betrafen, gebildet. Die Angaben der Angeklagten gegen-über [X.] Ra.

, der die Angeklagte R.

trotz ihrer nach Belehrung ge-
mäß §§ 136, 163a [X.] erfolgten Erklärung, sie wolle keine Angaben zur Sa-che machen, weiter befragt hatte, hat das [X.] nicht verwertet.

D.

, den die Angeklagten nicht von der ärztlichen Verschwiegenheits-
pflicht entbunden haben, hat
von seinem
Zeugnisverweigerungsrecht nach §
53 [X.] Gebrauch gemacht.
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-
II.

A. Die Revision der Angeklagten R.

hat bereits mit einer Verfah-
rensrüge umfassenden Erfolg.

1. Die Revision der Angeklagten R.

beanstandet u.a., dass die
Angeklagte R.

unter Verletzung auf ihr Recht zu Schweigen polizeilich

136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1 S. 1 [X.]

und
tz des Wider-spruchs in der Hauptverhandlung habe die [X.] die Äußerungen der Angeklagten gegenüber dem behandelnden Arzt

D.

, die von der Zeugin
[X.]

mitgehört wurden, sowie die
anschließend gemachten Angaben
gegenüber [X.]

und
die
weiteren Äußerungen am folgenden Tag ge-
genüber [X.] F.

bei der Fahrt zum Ermittlungsrichter zu Unrecht verwertet
und ihre Überzeugungsbildung auf die rechtswidrig gewonnenen Erkenntnisse gestützt.

a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Die Angeklagte R.

wurde noch im Bereich des [X.]
durch [X.] Ra.

über ihre Rechte nach §§ 136, 163a [X.] belehrt. Sie äußerte
daraufhin, wie auch ihre mitangeklagte Tochter, die Angeklagte M.

, zur
Sache nicht aussagen zu wollen. In der Folge wurden die beiden Angeklagten in unterschiedlichen Polizeifahrzeugen ins Klinikum [X.].

verbracht, um
mögliche gesundheitliche Folgen der Raucheinwirkungen abklären zu lassen. Mit der Begleitung der Angeklagten R.

war die Kriminalbeamtin [X.]
K.

beauftragt worden, welche, wie bei der Kriminalpolizei üblich, Zivilklei-
dung trug. Auf dem Weg zum Auto fragte die Angeklagte R.

die Beam-
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tin, obgleich es hierfür keinen Anlass gab, ob sie Ärztin sei, was diese verneinte und auf ihren Polizeibeamtenstatus hinwies.

Im Krankenhaus wartete die Zeugin [X.]

mit der Angeklagten
auf den zuständigen Arzt

D.

, wobei die Beamtin das Gespräch mit der
Angeklagten in Kenntnis dessen fortführte, dass sich diese vor einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt nicht zur Sache äußern wollte. Als der Arzt eintraf, ging sie zusammen mit der Angeklagten in das Behandlungszimmer.

Als die Angeklagte sich zur Untersuchung durch den Arzt teilweise ent-kleidete, fragte sie, ob sie hinausgehen sollte, erhielt jedoch weder vom Arzt noch der Angeklagten irgendeine Antwort, worauf sie im Raum verblieb. Die Angeklagte gab auf Befragen des Arztes an, sie habe, genauso wie ihre [X.], die Angeklagte M.

, zehn Tabletten des Medikamentes Sertralin ge-

t-
em die Angeklagte auf Fragen des Arztes zur Brandentstehung und -entwicklung wie vorstehend geantwortet hat-te, verließ die Zeugin [X.]

kurz den Raum, um sich bei ihren Kollegen
zu vergewissern, dass die Angeklagte bereits belehrt worden sei, und
ging dann

nach Bejahung der Frage

in den Untersuchungsraum zurück, wo sie bis zum Ende der ärztlichen Untersuchung verblieb.

Danach begleitete die Zeugin [X.]

die Angeklagte R.

zur Bewachung auf die Intensivstation des Krankenhauses, für die sie bis 18.45
Uhr abgestellt war. Auch dort kam es zu weiteren Gesprächen, nachdem die Angeklagte die Zeugin [X.]

mehrfach an ihr Bett kommen ließ,
um in Erfahrung zu bringen, wie es ihrer Tochter gehe. Dabei äußerte sie u.a. 12
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wör

Am nächsten Morgen transportierten die Zeugen [X.] S.

und
[X.] F.

die Angeklagte zur Vorführung zum Amtsgericht [X.].

, wo-
bei sie erneut belehrt wurde. Nach der Belehrung führte der Zeuge [X.] F.

sich die Angeklagte R.

dahingehend einließ,

b) Der Verwertung dieser Angaben

nach der Berufung auf das Schweigerecht der
Angeklagten R.

haben beide Angeklagte am
zweiten Hauptverhandlungstag vor der Vernehmung der Ermittlungsbeamten widersprochen. Trotz des Widerspruchs hat die [X.] ihre Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten R.

und
M.

insbesondere
auf die Aussagen der Zeugen [X.]

und [X.] F.

gestützt. Die
Angaben gegenüber dem Zeugen [X.] Ra.

am [X.] hat sie nicht verwertet.
Hinsichtlich der Verwertung der Angaben im Behandlungszimmer hatte die [X.]

im Gegensatz zur Vernehmung durch [X.] Ra.

keine Be-
denken, da der Angeklagten R.

bewusst gewesen sei, dass die Polizis-
tin den Untersuchungsraum nicht verlassen habe. Die Angaben am [X.] hält die [X.] für verwertbare freiwillige Spontanäußerungen au-ßerhalb einer Vernehmungssituation, die Angaben gegenüber dem Zeugen [X.] F.

seien nach erneuter Belehrung eigenverantwortlich und aus freiem
Willen erfolgt.

2. Die Verfahrensrüge hat Erfolg, weil die verfassungsrechtlich garantier-te [X.] der Angeklagten R.

verletzt wurde und dies
zu einem Beweisverwertungsverbot führt.
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a) Es ist allerdings fraglich, ob das Gesamtgeschehen um die ärztliche Untersuchung der Angeklagten R.

wie die Beschwerdeführerin
meint

Denn eine Vernehmung liegt nur dann vor, wenn der Vernehmende dem Be-schuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt ([X.], Beschluss vom 13. Mai 1996

[X.] Rn.
21, [X.]St 42, 139, 145 f.). Dies mag hier, insbesondere im Blick auf die ärztliche Untersuchung, zweifelhaft sein. Aus dem Gesamtzusammenhang des [X.]-vorbringens und seiner hieraus deutlich gewordenen Angriffsrichtung lässt sich jedoch sicher entnehmen, dass die Beschwerdeführerin

über die Verneh-mung hinaus

die Verletzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit der ärztli-chen Untersuchung und ihrer Zuführung dorthin geltend machen wollte. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Beschwerdeführerin diesen Gesamtkomplex als Verstoß gegen Art. 3 [X.] gewertet wissen will.

Der [X.] braucht auch nicht zu entscheiden, ob die Beanstandung der Beschwerdeführerin als [X.] der Verletzung des
fairen Verfahrens (Art. 6 Abs.
1 Satz 1 [X.]) auszulegen und zulässig ausgeführt wäre. Dem könnte entgegenstehen, dass sich der [X.] (ebenso wie die hiermit kor-relierende grundgesetzliche Verbürgung) nur auf das Verfahren in seiner [X.] bezieht (vgl.
[X.], 26. Aufl., Art. 6 E[X.] Rn. 183 ff.). Das [X.]-vorbringen befasst sich jedoch ausdrücklich nur mit den Geschehnissen um die Zuführung zum Arzt, dessen Behandlung, dem nachfolgenden Krankenhaus-aufenthalt sowie dem anschließenden Transport zum Ermittlungsrichter. Eine ausdrückliche Beanstandung des [X.]es fehlt ebenso wie eine Information über den gesamten Verfahrensgang, die erst eine [X.] des Verfahrens ermöglichen würde.
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Die Verfahrensrüge ist vielmehr als [X.] der Verletzung der Selbstbe-lastungsfreiheit anzusehen, weil die Angeklagte R.

im Kern bean-
standet, dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen, der [X.] ärztlicher Hilfe und dem hartnäckigen Verhalten der [X.] ihre Aussagefreiheit faktisch nicht wahrnehmen konnte. Eine solche Ver-fahrensbeanstandung ist auch jenseits einer einfachgesetzlichen Anbindung statthaft.

b) Die [X.] ist zulässig erhoben, weil die [X.] (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]) auch mit Blick
auf diesen nicht ausdrücklich benannten [X.] gewahrt sind. Ob es bei dieser [X.] eines vorrangigen Wi-derspruchs in der Hauptverhandlung bedurfte, ist nicht entscheidungserheblich, weil ein umfassender Widerspruch gegen die Verwertung von Zeugenaussagen vorlag (vgl. etwa zu § 136 [X.] vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. Oktober 2014

5 [X.], [X.]St 60, 38, 40
Rn. 6 und vom 3. Dezember 2003

5 [X.], [X.], 389; ablehnend bei Kernbereichsverletzungen: BeckOK-[X.]/Eschelbach, [X.]., [X.], § 257 Rn. 21).

c) Die [X.] ist auch begründet.

aa) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Aus-druck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhen-den rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 8. Oktober 1974

2 BvR 747/73, [X.]E 38, 105, 113;
vom 22. Oktober 1980

2 BvR 1172/79, [X.]E 55, 144, 150 f. und vom 13. Januar 1981

1 BvR 116/77,
[X.]E 56, 37, 43). Der Grundsatz der [X.] ist im Rechts-20
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staatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 8. Oktober 1974

2 BvR 747/73, [X.]E 38, 105, 113; vom 22. Oktober 1980

2 BvR 1172/79, [X.]E 55, 144, 150; vom 13.
Januar 1981

1 BvR 116/77, [X.]E 56, 37, 43 und
vom 14. Januar 2004

2 BvR 564/95, [X.]E 110, 1, 31). Er umfasst das Recht auf Aussage-
und Entschließungsfreiheit inner-halb des Strafverfahrens ([X.], Beschluss vom 25. August 2014

2 BvR 2048/13, NJW 2014, 3506
f.
Rn.13). Dazu gehört, dass im Rahmen des Straf-verfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 1981

1 BvR 116/77, [X.]E 56, 37, 49; Urteil vom 3. März 2004

1 BvR 2378/98, [X.]E 109, 279, 324). Der Be-schuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. [X.], Be-schlüsse
vom 8. Oktober 1974

2 BvR 747/73, [X.]E 38, 105, 113
und
vom 13. Januar 1981

1 BvR 116/77, [X.]E 56, 37, 43; [X.], Urteil vom 26. Juli 2007

3 [X.], [X.]St 52, 11, 17 ff.
Rn. 20, 26
f.).

[X.]) Eine solche eigenverantwortliche Entscheidung war bei der Ange-klagten R.

nicht gegeben. Dies ergibt hier eine Gesamtbewertung der
Vorgänge um die Zuführung der Angeklagten zu dem Arzt

D.

und die
dort stattgefundene Untersuchung.

Dabei ist entscheidend, dass sich die Angeklagte nach der ersten Beleh-rung im ununterbrochenen polizeilichen Gewahrsam befand, in dem zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen wurde. Letztlich war sie auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt. Das begann schon während des Transports der Angeklagten zum Arzt. Dabei lenkte die Po-lizeibeamtin [X.]

immer wieder das Gespräch auf die Tat, ebenso wie
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-
auch im Wartebereich vor dem Arztzimmer. Die Angeklagte hatte zuvor aus-drücklich von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Sie war

weshalb sie ja einem Arzt vorgestellt werden musste

in einer gesundheitlich sehr ange-schlagenen Verfassung. Sie hatte eine Überdosis Psychopharmaka zu sich genommen und befand sich bei deutlich erhöhter
Pulsfrequenz in der Angst, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Schon diese prekäre gesund-heitliche Verfassung der dezidiert nicht aussagebereiten Angeklagten R.

verbot weitere Fragen. Dies gilt umso mehr als die Angeklagte R.

wie sich aus ih

sie gar nicht als Kriminalbe-amtin wahrgenommen hat.

Weiterhin beeinträchtigten die Gesamtumstände der ärztlichen Untersu-chung die Angeklagte R.

in ihrer Aussagefreiheit. Die 75-jährige Ange-
klagte war dringend behandlungsbedürftig. Um einen korrekten ärztlichen Be-fund zu erhalten, war die Angeklagte R.

gezwungen, möglichst genaue
Angaben zur Brandentstehung zu machen, auch wenn dies mit einer Selbstbe-lastung einherging. Diese [X.] hat
die Zeugin [X.]

mit
ihrer Anwesenheit bewusst ausgenutzt, um die entsprechenden Erkenntnisse zu erheben, gerade weil sie genau wusste, dass die Angeklagte erklärt hatte, keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen zu wollen.

Auch
war ihre Anwesenheit bei der Untersuchung nicht deswegen erfor-derlich, um die Gefahr einer Flucht der Angeklagten zu unterbinden, was be-reits daraus hervorgeht, dass sie nach sich und ihre Tochter belastenden Äu-ßerungen der Angeklagten den Behandlungsraum verließ, um sich bei ihren Kollegen zu versichern, dass die Angeklagte belehrt worden war.
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Dabei ist es auch unerheblich, dass die Polizeibeamtin im [X.] die Frage gestellt hatte, ob sie hinausgehen solle, ohne allerdings ir-gendeine Antwort zu erhalten. Dies konnte sie nicht automatisch als Zustim-mung werten, weil auch die Möglichkeit bestand, dass die Frage weder vom Arzt noch der Angeklagten gehört worden war, zumal die Zeugin aus dem [X.] entnehmen musste, dass die bereits ältere Angeklagte in ihrer [X.] offensichtlich beeinträchtigt war. Jedenfalls hätte die Zeugin bei die-ser Sachlage sicherstellen müssen, dass ihre Frage trotz Ausbleibens einer Antwort Gehör gefunden hatte, was aber nicht erfolgt ist.

cc) Danach kann es dahinstehen, ob das Arzt-Patienten-Gespräch wie im vorliegenden Fall nicht ohnehin einem absoluten Verwertungsverbot wegen einer Verletzung des Kernbereichsschutzes unterliegt (vgl. [X.], Urteile vom 10. August 2005

1 StR 140/05
Rn. 15, [X.]St 50, 206, 210
und vom 22. De-zember 2011

2 [X.], [X.]St 57, 71, 74
ff.
Rn. 13
ff.). Ist der [X.] betroffen, sind Ermittlungsmaßnahmen unzulässig ([X.], Beschluss
vom 12.
Oktober 2011

2 BvR 236/08
Rn. 265, [X.]E 129, 208,
265
f.; Ur-teil vom 3. März 2004

1 BvR 2378/98
Rn. 152, [X.]E 109, 279, 322 f.; vgl. auch BT-Drucks.
16/5846, [X.]). Einen derartigen Schutz haben sowohl der Gesetzgeber als auch das [X.] im Falle von [X.] ausdrücklich für möglich gehalten ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011

2 BvR 236/08
Rn. 265, [X.]E 129, 208, 265 f.; vgl. auch BT-Drucks.
16/5846, S.
36 f.).
Näherer Vertiefung bedarf hier diese Frage indes nicht, weil bereits wegen des Verstoßes gegen die Aussagefreiheit ein Beweisverwer-tungsverbot besteht.
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dd) In Bezug auf die der ärztlichen Untersuchung nachfolgenden Ge-spräche der [X.]

am Krankenbett, bestehen grundsätzlich keine
rechtlichen Bedenken gegen deren Verwertbarkeit, da die Angeklagte R.

selbst die
Zeugin hat rufen lassen, um von ihr Näheres zum Gesund-
heitszustand ihrer Tochter zu erfahren, und dann von sich aus einige Details zur Brandlegung erzählte, so dass insoweit ihr Schweigerecht von den [X.] respektiert wurde. Allerdings hat
das [X.] seine Über-zeugung von der Täterschaft beider Angeklagter neben den Äußerungen am Krankenbett und bei der Fahrt zum Ermittlungsrichter gegenüber [X.] F.

gerade auch auf ihre Angaben während der ärztlichen Untersuchung gestützt, so dass der [X.] nicht ausschließen kann, dass der Tatrichter abweichende Feststellungen getroffen hätte, wenn er diese Angaben nicht in seine [X.] aufgenommen hätte, zumal diese nahezu einem Geständnis gleichkom-men.

ee) Der [X.] kann daher auch dahin stehen lassen, ob die Belehrung durch [X.] F.

am darauffolgenden Tag ausreichend war, oder er ange-
sichts der unverwertbaren Erkenntnisse anlässlich der ärztlichen Untersuchung nicht eine qualifizierte Belehrung hätte erteilen müssen, durch welche die An-geklagte R.

darüber in Kenntnis gesetzt worden wäre, dass die von ihr
gegenüber dem behandelnden Arzt

D.

gemachten Äußerungen grund-
sätzlich unverwertbar sind. Insoweit kann der [X.] nicht beurteilen, ob sie auch dann die fraglichen Mitteilungen gegenüber dem Zeugen [X.] F.

getätigt hätte, wenn ihr die Unverwertbarkeit der gegenüber dem Arzt gemach-ten Angaben bewusst gewesen wären. Jedenfalls gilt auch insoweit, dass der [X.] keine Feststellungen treffen kann, ob

eine Verwertbarkeit unterstellt

die
Angaben gegenüber [X.] F.

ohne die Angaben gegenüber

D.

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-
15
-
dem Tatrichter eine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft der Ange-klagten vermittelt hätten.

B. Revision der Angeklagten M.

Die Revision der Angeklagten M.

hat im selben Umfang Erfolg.
Auch deren Verurteilung ist im Wesentlichen auf die Angaben ihrer Mutter, der Mitangeklagten R.

gestützt. Wegen seiner Absolutheit entfaltet dieses
Beweisverwertungsverbot seine Wirkung auch auf die von den Eingriffen in die Aussagefreiheit der Mitangeklagten nicht unmittelbar betroffene Angeklagte
M.

. Dies gilt hier in besonderem Maße, weil die Angeklagte R.

gegenüber ihrer Tochter zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht gehabt hätte (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss vom 15. Dezember 1987

5 [X.], [X.]R [X.] § 52 Abs.
1 Nr.
3 Mitbeschuldigter 3), in dessen Ausübung mittel-bar gleichfalls eingegriffen wurde.

C. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, da der [X.] nicht ausschließen kann, dass die [X.] ohne die unver-wertbaren Erkenntnisse ebenso von der Täterschaft der beiden Angeklagten überzeugt gewesen wäre; denn gerade bei der ärztlichen Untersuchung hatte die Angeklagte R.

-

hat sie danach nicht mehr in dieser Eindeutigkeit beschrieben. Zwar hat Sie im

[X.] für sich allein hätten allerdings in eine Gesamtwürdigung eingestellt wer-den müssen. Sollte der einzelne Tatbeitrag aufgrund der verbleibenden Be-weismittel zur Überzeugung der neuen Kammer nicht feststellbar sein, weist der
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16
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h-selseitig eine Beihilfetat der Angeklagten in Betracht kommen könnte.

D. Nachdem die angefochtene Entscheidung bereits auf die bezeichnete Verfahrensrüge aufzuheben war, kommt es auf die Sachrüge nicht mehr an.

Ri[X.] Prof. Dr. [X.] ist

im Urlaub und deshalb an

der Unterschriftsleistung

gehindert.

Raum Raum [X.]

Fischer Bär
35

Meta

1 StR 277/17

06.03.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.03.2018, Az. 1 StR 277/17 (REWIS RS 2018, 12802)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12802

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 KLs 34/21 (Landgericht Bochum)


Referenzen
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Zitiert

1 StR 277/17

5 StR 176/14

2 BvR 564/95

2 BvR 2048/13

2 StR 509/10

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