Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.02.2017, Az. VI B 58/16

6. Senat | REWIS RS 2017, 15867

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Gegenstand

(Revisionszulassung wegen einer greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung - Darlegung des Zulassungsgrundes der Rechtsfortbildung - Grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO)


Leitsatz

1. NV: Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat oder sein Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt bzw. auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht .

2. NV: Eine Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1) kommt in Betracht, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist; insbesondere dann, wenn der Einzelfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Voraussetzung hierfür ist u.a., dass die Rechtsfortbildung im Allgemeininteresse liegt und die herausgestellte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Zur Klärungsbedürftigkeit muss der Beschwerdeführer substantiiert ausführen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist .

3. NV: Für die Beurteilung des groben Verschuldens i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt es auf die persönlichen Umstände, Fähigkeiten und Kenntnisse des Steuerpflichtigen und die besonderen Umstände des Einzelfalles an, so dass das Verhalten eines weniger gewandten Steuerpflichtigen anders beurteilt wird als das des gewandten und erfahrenen. Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Von fachkundigen Steuerpflichtigen und auch von steuerlich beratenden Personen wird ein höherer Grad an Sorgfalt hinsichtlich der von ihnen zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften verlangt .

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 28. April 2016 3 K 3025/14 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen entweder nicht vor oder sind schon nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechend dargelegt.

2

1. Die Zulassung der Revision ist nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil die angefochtene Entscheidung greifbar gesetzwidrig oder gar willkürlich wäre.

3

a) Zwar ist die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O auch dann zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des Finanzgerichts ([X.]) zu einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung geführt hat, die angefochtene Entscheidung mithin an einem qualifizierten Rechtsfehler leidet, der im allgemeinen Interesse einer Korrektur durch das Revisionsgericht bedarf. Die Entscheidung des [X.] muss dabei jedoch in einem solchen Maße fehlerhaft sein, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 14. Mai 2013 X B 184/12, [X.], 1257, und vom 19. Oktober 2012 III B 40/12, [X.], 222).

4

Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das [X.] eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. [X.] vom 28. Juli 2003 V B 72/02, [X.] 2003, 1597) oder sein Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt bzw. auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (z.B. [X.] vom 8. Februar 2006 III B 128/04, [X.] 2006, 1116, und vom 25. Februar 2009 X B 121/08, [X.] 2009, 890).

5

Eine Entscheidung ist dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (z.B. [X.] in [X.] 2006, 1116, und in [X.] 2009, 890). Von Willkür kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (z.B. [X.] vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, [X.], 30, [X.] 2001, 837, und vom 19. Februar 2009 XI B 68/08, [X.] 2009, 975; vgl. auch Beschlüsse des [X.] vom 3. November 1992  1 BvR 1243/88, [X.] 87, 273, 278 f.; vom 26. Mai 1993  1 BvR 208/93, [X.] 89, 1, 13 f., und [X.] vom 8. Juli 1997  1 BvR 1934/93, [X.] 96, 189, 203).

6

Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. zusammenfassend [X.] vom 16. Mai 2012 IV B 48/11, [X.] 2012, 1462, Rz 20, m.w.[X.]). Als unzutreffend behauptete Würdigungen und Wertungen des [X.] beinhalten keine greifbare Gesetzwidrigkeit oder Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung.

7

b) Gemessen daran liegt im Streitfall kein zu einer greifbaren Gesetzwidrigkeit bzw. Willkürlichkeit der Entscheidung führender Rechtsfehler vor.

8

aa) Die Kläger sind der Ansicht, die Entscheidung des [X.] sei in Bezug auf die Streitjahre 2011 und 2012 greifbar gesetzwidrig, weil das Gericht für diese Jahre unter Hinweis auf die steuerrechtliche Ausbildung der Klägerin als Steuerfachangestellte und eine entsprechende berufliche Tätigkeit einen entschuldbaren Rechtsirrtum in Bezug auf die nicht nach § 35a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angegebenen Pflegekosten verneint habe. Damit setze das [X.] einfache Steuerfachangestellte dem Steuerberater gleich, was nicht angemessen oder sachgerecht sei, da der [X.] (Urteil vom 10. August 1988 IX R 219/84, [X.]E 154, 481, [X.] 1989, 131) beispielsweise einem Juristen, der nicht auf dem Gebiet des Steuerrechts tätig sei, einen entschuldbaren Rechtsirrtum zugestehe.

9

bb) Diese Würdigung des [X.] rechtfertigt entgegen der Ansicht der Kläger indes nicht die Annahme einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung.

Für die Beurteilung des groben Verschuldens i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) kommt es auf die persönlichen Umstände, Fähigkeiten und Kenntnisse des Steuerpflichtigen und die besonderen Umstände des Einzelfalles an, so dass das Verhalten des weniger gewandten Steuerpflichtigen anders beurteilt wird als das des gewandten und erfahrenen. Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des [X.] dürfen --abgesehen von den zulässigen und begründeten Verfahrensrügen sowie einer den Denk- oder [X.] widersprechenden Würdigung der [X.] von der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 31. Januar 2005 VIII B 18/02, [X.] 2005, 1212, m.w.[X.]). Von fachkundigen Steuerpflichtigen und auch von steuerlich beratenden Personen wird ein höherer Grad an Sorgfalt hinsichtlich der von ihnen zu erwartenden Kenntnis und sachgemäßen Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften verlangt (von [X.] in [X.], [X.] § 173 Rz 86).

Hiervon ist das [X.] ausgegangen. Wenn es darauf abstellt, dass aufgrund der steuerrechtlichen Ausbildung der Klägerin und aufgrund ihrer täglichen Arbeit als Steuerfachangestellte im Streitfall grobes Verschulden vorliege, da diese nicht nur über oberflächliche steuerrechtliche Kenntnisse verfüge und in den Streitjahren 2011 und 2012 Zugriff auf das in Anhang 17b des [X.] abgedruckte Schreiben des [X.] vom 15. Februar 2010 --Anwendungsschreiben zu § 35a EStG-- (BStBl I 2010, 140) gehabt habe, ist dies nicht greifbar gesetzwidrig. Ob die entsprechende Würdigung einer revisionsrechtlichen Überprüfung standhalten würde, ist dagegen nicht entscheidend, da eine bloß fehlerhafte Würdigung keinen schweren [X.] begründet.

2. Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) ist schon nicht ordnungsgemäß dargelegt.

a) Eine Fortbildung des Rechts kommt in Betracht, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist; insbesondere dann, wenn der Einzelfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen ([X.] vom 2. Dezember 2013 III B 32/12, [X.] 2014, 542, m.w.[X.]). Voraussetzung hierfür ist u.a., dass die Rechtsfortbildung im Allgemeininteresse liegt und die herausgestellte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist ([X.] in [X.] 2014, 542). Zur Klärungsbedürftigkeit muss der Beschwerdeführer substantiiert ausführen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf ([X.] vom 12. Oktober 2012 III B 78/12, [X.], 39, m.w.[X.]).

b) Diesbezügliche Ausführung enthält die im Stile einer Revisionsbegründung gefasste Beschwerdebegründung der Kläger nicht. Insbesondere genügt allein der Hinweis nicht, es sei bislang höchstrichterlich nicht geklärt, wer im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] konkret auf dem Gebiet des Steuerrechts tätig und hierfür vorgebildet sei.

Es liegt zudem auf der Hand, dass ein ausgebildeter und als solcher tätiger Steuerfachangestellter nicht als steuerlicher Laie im Sinne einer nicht auf dem Gebiet des Steuerrechts tätigen oder hierfür vorgebildeten Person angesehen werden kann. Wann einem Steuerfachangestellten dann ein entschuldbarer Rechtsirrtum zugestanden werden kann oder ob er sich den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entgegenhalten lassen muss, ist eine Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.

3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI B 58/16

09.02.2017

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 28. April 2016, Az: 3 K 3025/14 E, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO, § 173 Abs 1 Nr 2 AO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.02.2017, Az. VI B 58/16 (REWIS RS 2017, 15867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15867

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