Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2010, Az. 5 StR 510/09

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 10562

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5 StR 510/09 [X.] vom 13. Januar 2010 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a.
- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 13. Januar 2010 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. August 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. [X.]e
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in [X.] mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die [X.] förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklag-ten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen [X.]. 1 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen: 2 a) Der mehrfach, jedoch nicht wegen Sexualstraftaten vorbestrafte 23 Jahre alte Angeklagte konsumiert bereits seit früher Jugend Alkohol und 3 - 3 - illegale Drogen. Er befand sich deshalb in der Vergangenheit schon zweimal über mehrere Monate in stationärer Therapie. Nach Beendigung der letzten Behandlung im April 2008 lebte der Angeklagte in einer sozialtherapeutisch betreuten Wohngemeinschaft und besuchte regelmäßig eine Suchtberatung. Bei ihm liegt nach Auffassung der sachverständig beratenen [X.] eine —psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, schädlicher [X.] ([X.]) vor; sein Trinkverhalten ist als [X.] Alkoholmissbrauchsverhalten mit schädlichen Auswirkungen im [X.], physischen und [X.] Bereich zu beschreiben und —der Stö-rungsform des Alpha- und Betaalkoholismus (nach [X.] zuzuordnen; eine —komplette Ausprägungsform süchtiger Abhängigkeitfi lasse sich [X.] nicht belegen ([X.]). 4 b) Der Angeklagte lebte in einer betreuten Wohngemeinschaft ge-meinsam mit der zur Tatzeit 17 Jahre alten Geschädigten und einer 16-jährigen weiteren Mitbewohnerin. In der Tatnacht drang der alkoholisierte Angeklagte in [X.] der Geschädigten ein und forderte sie zu sexuel-len Handlungen auf. Weil sie dies ablehnte, drosselte er sie mit einem Gürtel und schlug ihren Kopf gegen die Zimmerwand. Dann nötigte er sie unter [X.] des um ihren Hals gelegten Gürtels, ihm in [X.] zu folgen. Dort drohte er ihr mit einem Elektroschockgerät. Nachdem er zunächst den Oral-verkehr mit ihr erzwungen hatte, forderte er sie auf, vaginal mit ihm zu ver-kehren. Von diesem Vorhaben ließ er jedoch ab, als die Geschädigte auf die Gefahr der Entstehung einer Schwangerschaft hinwies. Stattdessen [X.] er mehrfach erfolglos, mit seinem nicht ausreichend erigierten Glied in den Anus des Mädchens einzudringen. Schließlich gelangte er durch Selbstbe-friedigung zum Samenerguss. c) Die [X.] nimmt eine erhebliche Verminderung der [X.] (§ 21 StGB) des Angeklagten aufgrund von Alkoholgenuss an. Sie stützt sich dabei zum einen auf die von ihm angegebenen Alkohol-konsummengen, die zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 5 - 4 - 2,15 › geführt haben. Zum anderen begründet sie ihre Annahme mit Be-kundungen der Zeugin über ihren Eindruck vom Angeklagten in der Tatnacht (—der war voll auf Drogefi, —völlig [X.], —übelst komischfi, —so hatte ich ihn noch nie [X.] [X.]9). Das [X.] kommt indes zu dem Er-gebnis, dass seine erheblich verminderte Schuldfähigkeit den Angeklagten nicht entlastet, —da er sehr wohl wusste –, dass er unter dem Einfluss von Alkohol aggressiv reagiert und zu Gewalthandlungen neigt.fi Bereits im Rah-men der letzten Begutachtung in einem anderen Strafverfahren, die ebenfalls durch den von der [X.] gehörten Sachverständigen vorgenommen worden war, sei —herausgearbeitet und vom Angeklagten so auch im Grunde bestätigt worden, dass der Grund für seine Gewalthandlungen in alkoholbe-dingter Enthemmung zu suchen seifi ([X.]8). 6 d) Eine Unterbringung nach § 64 StGB lehnt die [X.] gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen ab. Zwar könne —unter [X.] vom Vorliegen eines Hanges ausgegangen werden, wobei es sich aber um einen Grenzfall handele. Jedoch stünden hier neben der eigentlichen [X.] vorrangig sozio-rehabilitative Aspekte im [X.], die besser in einer Betreuungsform außerhalb des [X.] zu therapieren seien. 2. Die Einwände der Revision gegen den Schuldspruch, insbesondere die tatrichterliche Beweiswürdigung, sowie die hierauf bezogene Verfahrens-rüge sind offensichtlich unbegründet. 7 3. Indes hält der Rechtsfolgenausspruch der sachlich-rechtlichen Prü-fung nicht stand. 8 a) Das [X.] hat dem Angeklagten eine Strafmilderung auf-grund seiner erheblich verminderten Schuldfähigkeit mit rechtsfehlerhafter Begründung versagt. Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] eine Strafrahmenverschiebung aufgrund verminderter 9 - 5 - Schuldfähigkeit abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alko-holeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem sol-chen Zustand zu Straftaten neigt (vgl. [X.]R StGB § 21 Vorverschulden 4; [X.], 239, 242). Dabei sind an die Vergleichbarkeit der unter Alkohol-einfluss begangenen Straftaten keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter zuvor bereits eine gleiche oder ähnli-che Tat begangen hat. Entscheidend ist regelmäßig nicht die äußerliche Ver-gleichbarkeit der einzelnen Taten, sondern die nämliche Wurzel des [X.] deliktischen Verhaltens ([X.], 239, 243 m.w.N.). Indes kann die Versagung der Strafrahmenverschiebung nicht mit dem Hinweis auf frühere unter Alkoholeinfluss begangene Straftaten begründet werden, wenn die neue Tat im Hinblick auf ihre andersartige Anlage und Zielrichtung und den zugrunde liegenden strafrechtlich bedeutsamen Antrieb in gänzlich andere Richtung als die bisherigen Taten weist, sie also mit den bisherigen Bild der Delinquenz nicht in Einklang zu bringen ist, und mit der der Täter deshalb nicht rechnen konnte (vgl. [X.]R StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3). 10 Der Angeklagte ist zwar bereits früher, soweit ersichtlich einmal, unter Alkoholeinfluss gewalttätig geworden. Er soll dabei dem Geschädigten mehr-fach ins Gesicht geschlagen und gegen die Rippen getreten sowie unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis seine damalige Lebensgefährtin geschla-gen, gewürgt und in den Arm gebissen haben. Indes weisen jener Fall und der vorliegende unterschiedliche charakteristische Besonderheiten auf. [X.] eines Delikts gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist der Angeklagte zuvor nicht bestraft worden. Auch deuten die Feststellungen nicht darauf hin, dass die situativen Verhältnisse des Einzelfalles das Risiko der Tatbegehung infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hätten (vgl. [X.], 239, 243): Der Angeklagte trank bei sich zu Hause zunächst mit seiner anderen Mitbewohnerin, dann mit einem Freund; sein Verhältnis zu seinen beiden Mitbewohnerinnen war gut. Es bestanden weder eine intime Beziehung zur Geschädigten, noch Konflikte oder erkennbare sexuelle Spannungen innerhalb der Wohngemeinschaft, die vorhersehbar die Gefahr - 6 - gewaltsamer sexueller Übergriffe des zudem massiv alkoholgefährdeten [X.] unter Alkoholeinfluss begründeten. b) Darüber hinaus ist die Ablehnung der Unterbringung nach § 64 StGB rechtsfehlerhaft begründet. 11 Die Frage, ob ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt, wird im [X.] Urteil nicht abschließend geklärt. Die in diesem Zusammenhang wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen veranlassen den Senat zu dem Hinweis, dass eine Alkoholabhängigkeit nicht zwingende Vor-aussetzung für die Annahme eines Hanges ist (vgl. [X.]R StGB § 64 Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine einge-wurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmit-tel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physi-schen Abhängigkeit erreicht haben muss ([X.], Beschluss vom 18. [X.] 5 StR 363/98; Beschluss vom 18. Juli 2007 [X.] 5 StR 279/07). [X.] solche Neigung liegt bei dem festgestellten Alkoholmissbrauch des Ange-klagten durchaus nahe. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB) oder andere Voraussetzungen der Maßregelanord-nung offensichtlich nicht vorliegen. Der Hinweis darauf, dass der Angeklagte besser in einer Betreuungsform außerhalb des [X.] zu [X.] wäre, vermag die Ablehnung der Unterbringung nach § 64 StGB auch eingedenk des eröffneten tatgerichtlichen Ermessens nicht zu rechtfertigen. 12 c) Nach alledem erscheinen auf Grund der bisherigen Feststellungen die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und eine Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB nahe liegend. Angesichts der bislang nicht näher aufgeklärten Motivlage und des Verhaltens und [X.] des Angeklagten bei der Tat bedarf es aber erneut der [X.] - fassenden Prüfung seiner Schuldfähigkeit mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO). Einzubeziehen ist [X.] unter Umständen sogar im Hinblick auf eine jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossene Unterbringung nach § 63 StGB [X.] die Frage, ob eine sonstige schwere seelische Störung oder eine krankhafte Alkoholüberempfindlichkeit des Angeklagten in Betracht kommt. [X.]Raum [X.] König

Meta

5 StR 510/09

13.01.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2010, Az. 5 StR 510/09 (REWIS RS 2010, 10562)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10562

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