Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2012, Az. 3 StR 216/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4083

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 216/12
vom
2. August 2012
in der Strafsache
gegen

wegen
gefährlicher Körperverletzung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf
dessen Antrag -
am 2.
August 2012 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25.
Januar 2012 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben
a)
im Strafausspruch und
b)
soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des [X.]
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geklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Üb-rigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von §
349 Abs. 2 StPO.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten er-bracht. Der Rechtsfolgenausspruch hat hingegen keinen Bestand.

1. [X.] ist nicht frei von durchgreifenden [X.]. Das [X.] ist zunächst vom Normalstrafrahmen des §
224 Abs. 1 StGB ausgegangen. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs. 1 StGB und §§
46a, 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt. Zum einen sei zwar im Hinblick auf die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit nicht auszuschlie-ßen, dass dessen Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei; dies rechtfertige indes eine Strafrahmenverschiebung nicht, denn der Angeklagte habe gewusst, "dass er unter Alkoholeinfluss leichter reizbar ist, und er ange-sichts des morgendlichen Streits mit der Geschädigten und der insoweit unkla-ren, möglicherweise gefahrgeneigten Situation zum [X.]punkt ihrer Rückkehr trotzdem in erheblichen Maße Alkohol zu sich genommen hatte". Zum anderen habe sich der Angeklagte zwar durch den im Rahmen der Hauptverhandlung abgeschlossenen Vergleich gegenüber der Nebenklägerin verpflichtet, zur [X.] der Angeklagte weiterhin auf Notwehr berufen habe, sei dies jedoch kein Ausdruck der Übernahme von Verantwortung und rechtfertige daher eine Straf-rahmenmilderung ebenfalls nicht. Sodann hat das [X.] dennoch "im Ergebnis" einmal von der "sowohl in §
21 StGB als auch in §
46a StGB" vorge-sehenen Milderungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und ist daher von einem Strafrahmen von einem Monat bis sieben Jahre und sechs Monaten Freiheits-2
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strafe ausgegangen. Die Annahme eines minder schweren Falles komme da-gegen "angesichts des [X.] augenscheinlich nicht in Betracht".

Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Liegen die Voraussetzungen vertypter Strafmilderungsgründe nicht vor oder lehnt der Tatrichter deren An-wendung in Ausübung ihm eingeräumten Ermessens ab, so ist es unzulässig, die dort vorgesehene (fakultative) Strafrahmenverschiebung dennoch zumin-dest einmal vorzunehmen, weil nach den Umständen die tatbestandlichen Vo-raussetzungen der in Betracht kommenden Vorschriften zumindest teilweise vorliegen oder das Tatgericht sein Ermessen ablehnend ausgeübt hat. Zwar ist ein Angeklagter durch eine derartige fehlerhafte Rechtsanwendung in der [X.] nicht beschwert. Hier liegt es indes anders. Jedenfalls die Ablehnung der Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs. 1 StGB ist mit der vom [X.] gegebenen Begründung nicht haltbar. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich dies letztlich nachteilig für den Angeklagten ausgewirkt hat. Im Ein-zelnen:

a) Zwar können Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit verminderte [X.] aufwiegen. Dies kommt bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann in Betracht, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist ("Vorverschulden"; [X.], StGB, 59. Aufl., §
21 Rn. 25 ff. [X.]). Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht (uneingeschränkt) verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon
die [X.] nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt re-4
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gelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; [X.],
aaO,
§
21 Rn. 26 [X.]).

Die vom [X.] getroffenen Feststellungen lassen es als möglich erscheinen, dass der Angeklagte zur [X.] im dargestellten Sinne alko-holkrank war. Das [X.] hat zum Alkoholkonsum des Angeklagten fest-gestellt, dass in der [X.] von der Aufnahme der näheren Beziehung zu der [X.] im März 2011 bis zur Tat am 7.
Juli 2011 der Alltag des Angeklag-ten -
im Vergleich zu seinem vorherigen Konsumverhalten, das aus dem tägli-chen Trinken von Bier und -
in unregelmäßigen Abständen -
dem zusätzlichen Genuss von [X.] bestanden hatte -
von einem gesteigerten Alkoholkon-sum geprägt war, der sich darin äußerte, dass der Angeklagte -
mit der [X.] -
bereits zum Frühstück Alkohol trank. Nach den -
ersichtlich allein auf den Angaben des Angeklagten beruhenden -
Feststellungen des [X.]s nahm er vor der Tat -
über den Tag verteilt -
eine Flasche (0,7 Liter)
[X.] und fünf Flaschen Bier
zu sich. Zum [X.]punkt der Blutentnahme um 21 Uhr betrug seine Blutalkoholkonzentration 2,57 Promille, die Rückrechnung auf die Tatzeit um 19:15 Uhr ergab 3,12 Promille. [X.] beraten konnte das [X.] deshalb eine erhebliche Verminderung der Steue-rungsfähigkeit des Angeklagten gemäß §
21 StGB nicht ausschließen. Danach hätte sich das [X.] im Rahmen der Frage einer Strafrahmenmilderung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB auch mit der Frage, ob vor der Tat dessen
Fähigkeit eingeschränkt war, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkon-sum zu widerstehen, näher auseinandersetzen müssen (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Juni 2008 -
3 [X.], NStZ
2009, 258).

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b) Der [X.] kann nicht sicher ausschließen, dass sich die rechtsfeh-lerhafte Ablehnung des Milderungsgrundes nach §
21 StGB bei der Vernei-nung eines minder schweren Falles (§
224 Abs. 1 Halbs.
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StGB) zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Das [X.] hat insoweit allein auf das [X.] abgestellt. Schon dies wird der gebotenen Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände ([X.], aaO, §
46 Rn. 85 [X.]) nur schwerlich gerecht. Sollte indes zusätzlich der [X.] nach §
21 StGB zu berücksichtigen gewesen sein, so kam es zumindest in Betracht, die Tat des nicht vorbestraften und sich bindend zur Schadenswiedergutmachung verpflichtenden Angeklagten als minder schweren Fall einzustufen.

2. Auch die Entscheidung des [X.]s, die Anordnung der [X.] in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) abzu-lehnen, kann nicht bestehen bleiben. Die sachverständig beratene [X.] hat bereits das Bestehen eines Hanges verneint. Mitgeteilt werden hierzu lediglich die Ergebnisse der Beurteilung des [X.]en. Eine Ausei-nandersetzung mit den Feststellungen zum Alkoholkonsum des Angeklagten fehlt völlig. Hinzu kommt, dass die (zusätzliche) Begründung der Ablehnung eines Hanges, der Alkoholmissbrauch des Angeklagten erreiche einen chroni-schen Alkoholismus nicht und es fehle insbesondere eine körperliche Abhän-gigkeit, besorgen lässt, dass die [X.] bei ihrer Beurteilung und Ent-scheidung von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen sein könnte. Für einen Hang im Sinne von §
64 StGB genügt bereits eine -
auf psychischer Disposition beruhende oder durch
Übung erworbene -
intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen
(st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 20.
Dezember 2011 -
3 [X.], NStZ-RR
2012, 106; [X.], aaO, §
64 Rn. 7).

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3. Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch und zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt -
hierzu nahelie-gend unter Heranziehung eines anderen [X.]en -
neuer Verhand-lung und Entscheidung.

[X.] Pfister

Hubert

Mayer Ri'in [X.] Dr. Spaniol befindet sich

im Urlaub und ist daher gehindert

zu unterschreiben.

[X.]

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Meta

3 StR 216/12

02.08.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2012, Az. 3 StR 216/12 (REWIS RS 2012, 4083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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