Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2022, Az. 5 StR 332/21

5. Strafsenat | REWIS RS 2022, 3255

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Gegenstand

Verbotene Vernehmungsmethode: Geltung des Verwertungsverbots zugunsten von Mitbeschuldigten


Leitsatz

Das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gilt absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Februar 2021 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 54 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und die Einziehung von Wertersatz des aus den Taten [X.] angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf zwei Verfahrensbeanstandungen und die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat – im Wesentlichen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen – keinen Erfolg.

2

Der näheren Erörterung bedarf nur die Aufklärungsrüge, mit der die Revision beanstandet, das [X.] habe es unterlassen, über den ihn begünstigenden Inhalt der Angaben des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren Beweis zu erheben, nachdem es deren Unverwertbarkeit auf Antrag der Verteidigung wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 [X.] bejaht hatte.

Dieser Beanstandung liegt zugrunde:

3

Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren eine Einlassung abgegeben. Die [X.] hat diese – wie vom Angeklagten beantragt – wegen eines Verstoßes gegen § 136a [X.] für unverwertbar gehalten. Soweit seine Einlassung auch Angaben zu anderen Tatbeteiligten enthielt, die möglicherweise eine Aufklärungshilfe im Sinne von § 31 BtMG darstellen könnten, hat sie erwogen, die Einlassung insoweit „vor dem Hintergrund des [X.]“ gleichwohl zu verwerten, sich hieran jedoch aufgrund der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, [X.], 706) gehindert gesehen.

4

1. Die Verfahrensrüge erweist sich als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]), weil jeglicher Vortrag dazu fehlt, wie sich im Zeitpunkt der Einlassung des Angeklagten die Erkenntnislage hinsichtlich der von ihm belasteten Tatbeteiligten für die Ermittlungsbehörden darstellte. Da eine zulässige Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge voraussetzt, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein können (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 1993 – 5 [X.], [X.]R [X.] § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6 mwN; vom 13. Dezember 2016 – 3 [X.], [X.], 119; Urteile vom 18. Juli 2019 – 5 [X.] Rn. 12; vom 29. Juni 2021 – 1 StR 287/20 Rn. 14), wären hier solche Angaben erforderlich gewesen. Denn nur so konnte beurteilt werden, ob durch die Angaben des Angeklagten überhaupt ein für die Anwendung des § 31 BtMG erforderlicher wesentlicher Aufklärungserfolg hätte herbeigeführt werden können. War ein solcher nicht feststellbar, bedurfte es einer weiteren inhaltlichen Aufklärung der Angaben des Angeklagten schon deshalb nicht, weil das [X.] aufgrund der Aussage eines Tatbeteiligten ohnehin die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe bejaht und betreffend die nicht verwertbaren Angaben des Angeklagten bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten Aufklärungsbemühungen berücksichtigt hat.

5

2. Es bedarf deshalb keines vertieften [X.] auf die von der Revision unter Berufung auf Literaturmeinungen vertretene Auffassung, nach der auch im Fall eines [X.] gemäß § 136a Abs. 3 Satz 2 [X.] die entlastenden Angaben des Beschuldigten gleichwohl verwertbar sein sollen (vgl. dazu etwa [X.]/[X.], [X.], 655; [X.], [X.], 113; [X.]/Schuhr, § 136a Rn. 90 mwN; vgl. auch [X.]/Kulhanek, [X.], 105. EL, § 136a Rn. 52: zur Vermeidung der Verurteilung von Unschuldigen; offen gelassen von [X.]/Gleß, [X.], 27. Aufl., § 136a Rn. 71a; aA [X.], Beschluss vom 5. August 2008 – 3 StR 45/08, [X.], 706; SSW-[X.]/[X.], § 136a Rn. 63; [X.]/[X.]/[X.], [X.]; § 136a Rn. 40; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 136a Rn. 105, [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 136a Rn. 27; BeckOK-[X.]/Monka, [X.]., § 136a Rn. 29; KK-[X.]/Diemer, 8. Aufl., § 136a Rn. 38). Die in diesem Zusammenhang beiläufig vertretene Auffassung der Verteidigung, dass die – zu den Schuldspruch betreffenden Entlastungsbeweisen entwickelten – Grundsätze der [X.] gleichermaßen Geltung beanspruchten, wenn – wie hier – nur der Rechtsfolgenausspruch betroffen ist, nimmt jedenfalls die Besonderheiten, die mit der Anwendung des § 31 BtMG verbunden sind, nicht hinreichend in den Blick:

6

Der gesetzliche [X.] kommt nur zur Anwendung, wenn das Gericht sich die Überzeugung davon verschafft hat, dass die Darstellung des [X.] über die Beteiligung anderer an der Tat zutrifft (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2009 – 3 [X.], [X.], 394 mwN), er mithin über den eigenen Tatbeitrag hinaus einen erheblichen Aufklärungsbeitrag geleistet hat. Der Zweifelsgrundsatz kommt ihm dabei nicht zugute (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 [X.], [X.]R BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 7; Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 [X.], [X.], 162; vom 27. November 2014 – 2 [X.], [X.], 77, 78). Wie aber ein Gericht unter (teilweiser) Verwertung einer an sich unverwertbaren Einlassung zu einer vollen tatgerichtlichen Überzeugung von deren Richtigkeit gelangen soll, soweit sie allein weitere Tatbeteiligte betrifft, erschließt sich nicht. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 [X.] absolut und auch zugunsten von Mitbeschuldigten ([X.], Urteil vom 14. Oktober 1970 – 2 StR 239/70; vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 136a Rn. 33; [X.]/[X.], 5. Aufl., [X.] § 136a Rn. 43) gilt, sodass selbst bei einer den Angeklagten begünstigenden Berücksichtigung seiner Angaben ein Aufklärungserfolg im Sinne des § 31 BtMG über den eigenen Tatbeitrag hinaus grundsätzlich nicht bewirkt werden könnte. Auch die von der Verteidigung zitierte Literatur geht davon aus, dass mit unverwertbaren Beweismitteln kein „positiver Nachweis“ zu führen sei und sie nur die Überzeugungskraft anderer (belastender) Beweismittel erschüttern können sollen ([X.]/Schuhr, § 136a Rn. 90). Dann sind in solchen Fällen aber regelmäßig allenfalls Aufklärungsbemühungen strafmildernd zu berücksichtigen; genau dies hat die [X.] getan.

7

3. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Annahme des [X.]s, die Einlassung des Angeklagten sei wegen Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 [X.] unverwertbar, überhaupt zutreffend ist, denn eine Rüge mit der Stoßrichtung, die [X.] habe ihre Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass sie zu Unrecht von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen sei, hat der Beschwerdeführer nicht erhoben.

[X.]     

      

[X.]     

      

Köhler

      

Resch     

      

von Häfen     

      

Meta

5 StR 332/21

07.06.2022

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Flensburg, 3. Februar 2021, Az: I KLs 19/17

§ 136a Abs 3 S 2 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2022, Az. 5 StR 332/21 (REWIS RS 2022, 3255)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3255 NJW 2022, 2487 REWIS RS 2022, 3255

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 193/16

5 StR 649/18

1 StR 287/20

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