Bundesfinanzhof, Beschluss vom 04.08.2010, Az. X B 198/09

10. Senat | REWIS RS 2010, 4300

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Gegenstand

Fehlerhafte Sachaufklärung als Grund für die Zulassung der Revision - Voraussetzung für Revisionszulassung aufgrund objektiv willkürlicher Entscheidung des FG in Schätzungsfällen


Leitsatz

1. NV: Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ist nur gegeben, wenn das FG eine konkrete Möglichkeit, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, nicht genutzt hat, obwohl sich ihm die Notwendigkeit der weiteren Aufklärung nach Lage der Akten hätte aufdrängen müssen.

2. NV: Eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ist für sich nicht geeignet, die Bindung des Bundesfinanzhofs an den vom FG festgestellten Sachverhalt zu beseitigen.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision des § 115 Abs. 2 der [X.]sordnung ([X.]O) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O gebotenen Form dargelegt worden.

2

Um die Zulassung der Revision zu erreichen, muss der Beschwerdeführer substantiiert geltend machen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] ([X.]) erfordert oder ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 [X.]O).

3

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur in Betracht, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Lange in [X.]/ [X.]/[X.], § 115 [X.]O [X.]). Diese abstrakte Rechtsfrage muss in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig und klärungsbedürftig sein.

4

Nach Auffassung des [X.] ist die Rechtsfrage entscheidungserheblich, ob eine Schätzung rechtswidrig ist, die zwar den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzrahmen nicht verlässt, jedoch nicht das Verhandlungsergebnis einer getroffenen tatsächlichen Verständigung im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung widerspiegelt. Im Zuge einer tatsächlichen Verständigung sei im Rahmen der Schlussbesprechung im Streitfall ein durchschnittlicher Rohgewinnaufschlag im [X.]rüfungszeitraum in Höhe von 303 % bezogen auf den korrigierten Wareneinsatz vereinbart worden.

5

Die von dem Kläger gestellte Rechtsfrage ist in diesem Rechtsstreit nicht klärungsfähig. Soweit er vorträgt, im Rahmen der Schlussbesprechung sei es zu einer tatsächlichen Verständigung gekommen, ist zu berücksichtigen, dass das Urteil keine Feststellungen über die Schlussbesprechung und eine mögliche tatsächliche Verständigung des [X.] und des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) enthält. Im Tatbestand des Urteils wird lediglich ausgeführt, der Betriebsprüfer habe aufgrund bestimmter Einwände des [X.] den Aufschlag auf Speisen auf 200 % reduziert und auf dieser Grundlage einen Aufschlagsatz auf den gesamten Wareneinsatz für 1999 von 361 %, für 2000 von 321 % sowie für 2001 von 326 % ermittelt.

6

Abgesehen davon, dass das [X.] das Zustandekommen einer tatsächlichen Verständigung bestreitet, handelt es sich bei der vom Kläger behaupteten Verständigung auf einen Rohgewinnaufschlag von 303 % auf den korrigierten Wareneinsatz um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung findet (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2008 [X.], Zeitschrift für Steuern und Recht 2008, [X.], m.w.[X.] aus der [X.]-Rechtsprechung). Eine abweichende Sachverhaltsdarstellung ist für sich nicht geeignet, die Bindung des [X.] an den vom [X.] ([X.]) festgestellten Sachverhalt zu beseitigen (vgl. [X.]-Urteil vom 1. Dezember 1995 [X.]/93, [X.]E 179, 115, [X.] 1996, 91, m.w.[X.]).

7

2. Soweit der Kläger mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend macht, das [X.] hätte auch unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag bzw. dessen [X.] von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 [X.]O) den Sachverhalt weiter aufklären müssen, wären für eine schlüssige Verfahrensrüge Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das [X.] hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem [X.] unter Berücksichtigung seines [X.] die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschlüsse vom 18. März 2004 [X.], [X.]/NV 2004, 978; vom 28. Juli 2004 [X.], [X.]/NV 2005, 43, jeweils m.w.[X.]). Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ist nur gegeben, wenn das [X.] eine konkrete Möglichkeit, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, nicht genutzt hat, obwohl sich ihm die Notwendigkeit der weiteren Aufklärung nach Lage der Akten hätte aufdrängen müssen ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, [X.]sordnung, § 115 [X.]O [X.]).

8

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des [X.] in seiner Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere ist nicht vorgetragen oder erkennbar, aus welchen Gründen sich dem [X.] eine weitere Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf eine tatsächliche Verständigung in der Schlussbesprechung hätte aufdrängen müssen. In dem Erörterungstermin vom 23. April 2009 war dem Vorbringen der [X.]arteien nur zu entnehmen, dass Dissens darüber bestand, welcher Aufschlagsatz auf welchen Wareneinsatz hätte angewendet werden sollen. Auch in der Erklärung des Steuerberaters [X.] vom 23. Januar 2009, in der er ausführt "wie [X.] in Erinnerung ist, wurde bei der Besprechung von einem durchschnittlichen Rohaufschlag im [X.]rüfungszeitraum von 303 % gesprochen bezogen auf den Wareneinsatz" findet sich kein Hinweis auf eine mögliche tatsächliche Verständigung, dem das [X.] hätte nachgehen müssen.

9

3. Daneben enthält die Beschwerdebegründung lediglich Ausführungen darüber, dass und warum das [X.] den Streitfall unrichtig entschieden habe. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich genommen nicht die Zulassung der Revision (Gräber/Ruban, [X.]sordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.[X.]). Eine Ausnahme hiervon kommt nur dann in Betracht, wenn das angefochtene Urteil derart schwerwiegende Fehler bei der Auslegung des revisiblen Rechts aufweist, dass die Entscheidung des [X.] "objektiv willkürlich" erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 30. August 2001 [X.], 80/01, [X.]E 196, 30, [X.] 2001, 837).

Das Vorliegen einer solchen Konstellation vermochte der Kläger nicht schlüssig darzulegen. Eine "objektive Willkür" im vorgenannten Sinn hat der [X.] im Fall einer auch hier zu beurteilenden Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nur dann bejaht, wenn das vom [X.] gefundene [X.] schlechthin unvertretbar (wirtschaftlich unmöglich) war (vgl. [X.]-Beschluss vom 13. Oktober 2003 [X.]/02, [X.]E 203, 404, [X.] 2004, 25) oder krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abwich und in keiner Weise erkennbar war, dass überhaupt Schätzungserwägungen angestellt worden waren ([X.]-Beschluss vom 16. Mai 2003 [X.]/02, [X.]/NV 2003, 1150; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 69).

Davon kann im vorliegenden Fall jedoch nicht die Rede sein. Die vom [X.] und vom [X.] geschätzten Einkünfte aus dem Restaurantbetrieb des [X.] erweisen sich in der Höhe als realistisch; der Kläger selbst gibt durch die Formulierung der unter 1. behandelten Rechtsfrage zu, dass die "Schätzung nicht den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzrahmen verlässt". Die Erwägungen des Betriebsprüfers und des [X.], die zu dem [X.] geführt haben, sind nachvollziehbar und vertretbar.

Meta

X B 198/09

04.08.2010

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 29. Oktober 2009, Az: 15 K 219/07, Urteil

§ 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 04.08.2010, Az. X B 198/09 (REWIS RS 2010, 4300)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4300

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