Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2023, Az. 4 StR 171/23

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4447

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Gegenstand

Strafverfahren: Feststellende Entscheidung des Revisionsgerichts bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme; Formerfordernisse für die Rücknahmeerklärung


Tenor

Es wird festgestellt, dass die Revision der Beschuldigten gegen das Urteil des [X.] vom 19. Dezember 2022 wirksam zurückgenommen ist.

Gründe

1

Das [X.] hat im Sicherungsverfahren – im zweiten Rechtsgang – die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nachdem der Pflichtverteidiger der Beschuldigten frist- und formgerecht Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, hat die weitere Pflichtverteidigerin der Beschuldigten mit Schreiben vom 27. Februar 2023, dem [X.] per Fax zugegangen am selben Tag, erklärt, dass sie „nach mehrfacher und ausführlicher Rücksprache mit der Mandantin und deren Betreuer“ die Revision zurücknehme. Das [X.] hat hierauf mit Beschluss vom 6. März 2023 der Beschuldigten die Kosten der Revision gemäß § 473 Abs. 1 [X.] auferlegt. Mit Schreiben vom 13. März 2023 an das [X.] hat der Pflichtverteidiger erklärt, die Beschuldigte habe ihm mitgeteilt, eine Ermächtigung zur Rücknahme der Revision nicht erteilt zu haben, und Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des [X.]s vom 6. März 2023 erhoben. Am folgenden Tag hat er dem [X.] frist- und formgerecht die Revisionsbegründung sowie ein Schreiben der Beschuldigten übermittelt, in welchem diese erklärt, dass sie ihre weitere Verteidigerin nicht ausdrücklich zur Revisionsrücknahme ermächtigt habe, und für den Fall, dass sie „eine Erklärung abgegeben haben sollte, die als solcherart Ermächtigung zu werten sein könnte oder ist“, diese zurücknehme; an der Revision solle festgehalten werden. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 21. März 2023 hat die Pflichtverteidigerin sodann erklärt, dass die Beschuldigte sie „in vielen ausführlichen Telefonaten ab dem 09.02.2023 mehrfach darum gebeten [habe], die Revision gegen das Urteil vom 19.12.2022 zurückzunehmen“.

2

Mit Beschluss vom 13. April 2023 hat das [X.] festgestellt, dass die Revision der Beschuldigten wirksam zurückgenommen worden ist. Gegen diese dem Verteidiger am 19. April 2023 zugestellte Entscheidung des [X.]s richtet sich der am 26. April 2023 eingegangene Antrag auf Entscheidung des [X.].

3

1. Wird die Wirksamkeit einer [X.] von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, ist es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] Sache des [X.], hierüber eine feststellende Entscheidung zu treffen. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Streit über die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung – wie hier – nach einer feststellenden Entscheidung des iudex a quo fortbesteht (vgl. nur [X.], Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 [X.] Rn. 2 mwN). Ob eine solche Entscheidung im Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 346 Abs. 2 [X.] einen – fristgerechten – Antrag voraussetzt oder die Entscheidung des [X.] formlos und ohne Einhaltung einer Frist herbeigeführt werden kann, bedarf keiner Entscheidung, weil der Antrag des Verteidigers jedenfalls innerhalb der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 Satz 1 [X.] bei dem [X.] eingegangen ist.

4

2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen worden.

5

a) Das Schreiben vom 27. Februar 2023, mit dem die Verteidigerin die Zurücknahme der Revision erklärt hat, ist dem [X.] formgerecht übermittelt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] bestehen für die Rücknahmeerklärung wie auch für die Erklärung eines [X.] trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich dieselben Formerfordernisse wie für die Einlegung des Rechtsmittels (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2011 – 4 [X.], [X.], 314 Rn. 7; Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 [X.], [X.]St 18, 257, 260 mwN). Den somit zu beachtenden Anforderungen des § 341 Abs. 1 [X.] genügt die Rücknahmeerklärung, denn sie ist schriftlich erfolgt (vgl. zur Wahrung der Schriftform durch Telefax [X.], Beschluss vom 5. April 2000 – [X.] 1/98, [X.]Z 144, 160, 164).

6

Auf die für Verteidiger geltende Pflicht zur elektronischen Übermittlung einer Revision aus § 32d Satz 2 [X.] erstreckt sich die Übertragung der für die Einlegung eines Rechtsmittels geltenden Formerfordernisse auf dessen Zurücknahme nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 16. November 2022 – 1 Ws 312/22, NStZ-RR 2023, 81; [X.], [X.]., § 302 Rn. 4; [X.], ebd., § 32d Rn. 3; [X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 302 Rn. 7). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus historischen und teleologischen Erwägungen. § 32d Satz 2 [X.] zählt diejenigen [X.], für die die Übermittlung als elektronisches Dokument zwingend vorgeschrieben und infolgedessen eine Wirksamkeitsvoraussetzung ist (vgl. [X.], Beschluss vom 20. April 2022 – 3 [X.], [X.], 388 mwN), enumerativ auf. Schriftsätze anderen Inhalts unterliegen demgegenüber nur der Sollvorschrift des § 32d Satz 1 [X.]. Ausweislich der Begründung des diesen Vorschriften zugrundeliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (BT-Drucks. 18/9416, S. 50 f.) handelt es sich hierbei um eine bewusste Differenzierung, mit der der Gesetzgeber nur bestimmte schriftliche Erklärungen von Verteidigern oder Rechtsanwälten – nämlich nur solche, bei denen ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation abzugeben sind – der strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs unterwerfen wollte. Die Erklärungen der [X.] und des [X.] fehlen in dem Katalog des § 32d Satz 2 [X.], was bei der Anwendung des Gesetzes unbeschadet des Umstandes, dass auch sie regelmäßig nicht eilbedürftig sind, hinzunehmen ist (so auch [X.], aaO). Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 32d Satz 2 [X.] auf diese [X.] ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt gerechtfertigt, der die Rechtsprechung veranlasst hat, für sie grundsätzlich dieselbe Form zu verlangen wie für die Einlegung des Rechtsmittels. Denn dieser besteht maßgeblich in dem Gedanken des Übereilungsschutzes; der [X.] soll den zu der Erklärung Berechtigten zu einer gründlichen Prüfung des Für und Wider seines Schrittes veranlassen und ihn vor einer unüberlegten Entscheidung bewahren (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 1963 – 1 [X.], [X.]St 18, 257, 260). Dies gewährleisten aber bereits die Formanforderungen des § 341 Abs. 1 [X.], namentlich das hier gewahrte Schriftformerfordernis. Die für Rechtsanwälte geltenden Pflichten zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sind hingegen weder geeignet noch bestimmt, diesen Schutz weiter zu erhöhen; sie sollen vielmehr lediglich sicherstellen, dass die vom Gesetzgeber gewollten Vorteile der elektronischen Aktenführung verwirklicht werden können (vgl. KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 32d Rn. 1). Sie auf die im Gesetz nicht genannten [X.] nach § 302 [X.] zu erweitern ist somit auch teleologisch nicht veranlasst.

7

b) [X.] steht auch nicht entgegen, dass sie nicht von demjenigen Pflichtverteidiger abgegeben worden ist, der auch die Revision eingelegt hatte (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juli 1995 – 3 [X.]). Die Verteidigerin war zu der Erklärung ermächtigt (§ 302 Abs. 2 [X.]). Für diese Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 [X.] Rn. 5). Eine solche enthielt sowohl das Rücknahmeschreiben der Verteidigerin vom 27. Februar 2023 als auch deren weitere schriftliche Stellungnahme vom 21. März 2023. Deren Beweiswirkung wird auch durch das von dem anderen Verteidiger eingereichte Schreiben der Beschuldigten vom 14. März 2023 nicht entkräftet. Denn aus diesem geht hervor, dass die Beschuldigte sich gerade nicht imstande sieht auszuschließen, dass sie ihrer Verteidigerin gegenüber – wie von dieser vorgetragen – eine Erklärung abgegeben habe, die als Ermächtigung „zu werten“ war.

8

Die Beschuldigte hat die der Verteidigerin erteilte Ermächtigung auch nicht wirksam widerrufen. Ein Widerruf der Ermächtigung zur Revisionsrücknahme ist nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 4 StR 558/16, [X.], 185, 186). Dies war aber am 14. März 2023 bereits geschehen; ein zu einem früheren Zeitpunkt der Verteidigerin gegenüber erklärter Widerruf der Ermächtigung ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein Widerruf oder eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung selbst kommt nicht in Betracht (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Februar 2021 – 4 [X.] Rn. 4 mwN).

9

c) Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Bedeutung der von ihr abgegebenen Erklärung zu erfassen (vgl. zur maßgeblichen prozessualen Handlungsfähigkeit [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 1 [X.] Rn. 9 ff.; Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 [X.], [X.], 487, 488 mwN). Zwar ist ausweislich der Urteilsgründe bei der Beschuldigten in der Kindheit eine Grenzbegabung (IQ 73) festgestellt worden und sie hat nur bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Schule, eine Förderschule, besucht. Überdies besteht bei ihr eine paranoide Schizophrenie. Allerdings konnte deren Symptomatik durch die der Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verabreichten antipsychotischen Medikamente erheblich vermindert werden, so dass im Urteilszeitpunkt Halluzinationen zwar noch vorhanden, aber nicht mehr handlungsleitend waren. Der Beschuldigten konnten ihre Erkrankung und die Bedeutung der medikamentösen Therapie jedenfalls oberflächlich vermittelt werden. Die Beschuldigte war ausweislich des im Freibeweisverfahren verwertbaren Akteninhalts (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 [X.], [X.], 487, 488 mwN) zudem bereits während des laufenden landgerichtlichen Verfahrens in der Lage, sich mit schriftlichen Eingaben unter Angabe der Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft und [X.]“ zu wenden und auf in sich schlüssige Weise ihre Interessen wahrzunehmen, insbesondere ihre „Entlassung auf Bewährung aus dem Maßregelvollzug“ unter Äußerung des Bedauerns über die [X.] und dem Versprechen, sich an etwaige Bewährungsauflagen halten zu wollen, anzuregen. Auch ihr Schreiben vom 14. März 2023, mit dem sie nicht geltend macht, die Bedeutung einer von ihr erteilten Ermächtigung zur Zurücknahme der Revision nicht verstanden zu haben, sondern nur die Erteilung in Abrede stellt und eine etwa doch erklärte Ermächtigung widerruft, spricht für die Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten, welche im Übrigen auch das [X.] – auf der Grundlage seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks – ohne weiteres angenommen hat.

3. Über die Beschwerde gegen den Kostenbeschluss des [X.]s hat der Senat – wie der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – nicht zu entscheiden, weil er nicht mit einer Revision gegen das landgerichtliche Urteil befasst ist (§ 464 Abs. 3 Satz 3 [X.]).

Quentin     

  

Bartel     

  

Rommel

  

Maatsch     

  

Marks     

  

Meta

4 StR 171/23

04.07.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 19. Dezember 2022, Az: 506 KLs 22/22

§ 302 Abs 2 StPO, § 341 Abs 1 StPO, § 346 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.07.2023, Az. 4 StR 171/23 (REWIS RS 2023, 4447)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4447

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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