Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 3 StR 29/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9363

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Gegenstand

Strafprozessrecht: Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme


Tenor

Der Antrag des Beschuldigten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des [X.] vom 24. November 2021, mit dem die Wirksamkeit der Rücknahme der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 20. Juli 2021 festgestellt worden ist, wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen hat der Beschuldigte durch seine Verteidigerin Revision eingelegt. Anschließend hat er durch eigenes Schreiben mitgeteilt, seinen "Einspruch zu" dem Urteil zurückzuziehen und es zu akzeptieren; er "möchte weitere Unannehmlichkeiten ersparen". Die [X.] hat beschlossen, dass er die Kosten der zurückgenommenen Revision zu tragen habe. Die Verteidigerin hat im Folgenden die Revision begründet und beantragt, die Unwirksamkeit der Revisionsrücknahme festzustellen. Nachdem das [X.] die Wirksamkeit der Rücknahme festgestellt hat, beantragt der Beschuldigte nunmehr die Entscheidung des [X.]. Hiermit hat er keinen Erfolg.

2

1. Wird die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] Sache des [X.], hierüber eine feststellende Klärung zu treffen. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass bis zum Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht insoweit die Zuständigkeit des Tatgerichts gegeben sei. Ob dies zutrifft und auch dann gelten kann, wenn von einem Verfahrensbeteiligten die Wirksamkeit der Rücknahme bereits in Zweifel gezogen worden war, ist bedenklich, kann jedoch dahinstehen. Jedenfalls ist nach einer Entscheidung durch den iudex a quo und bei Fortbestehen des Streites das Rechtsmittelgericht zur abschließenden Entscheidung über die Wirksamkeit der [X.] berufen. Ob eine solche Entscheidung im Revisionsverfahren in analoger Anwendung des § 346 Abs. 2 StPO einen entsprechenden (fristgebundenen) Antrag voraussetzt oder aber die Entscheidung des [X.] formlos und ohne Einhaltung einer Frist herbeigeführt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung (s. insgesamt [X.], Beschluss vom 20. Juli 2004 - 4 StR 249/04, [X.], 113 mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 28. Mai 2013 - 3 [X.], juris Rn. 5 ff.); denn mangels förmlicher Zustellung des Beschlusses ist nach dem aus den Akten ersichtlichen Verfahrensgang von einer Einhaltung der Wochenfrist auszugehen (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 StR 34/17, [X.], 320, 321).

3

2. Der Beschuldigte hat seine Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).

4

Dafür kommt es nicht darauf an, dass er selbst die Erklärung in Bezug auf ein durch die Verteidigerin eingelegtes Rechtsmittel abgegeben hat (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, juris Rn. 4). Inhaltlich hat sein Schreiben, mit dem er sich ausdrücklich an das Gericht wendet, trotz des gewählten Wortlauts ("Einspruch") ersichtlich eine Beendigung des Revisionsverfahrens zum Ziel.

5

Überdies war er bei Abgabe der Erklärung prozessual handlungsfähig. Insofern muss ein Angeklagter oder Beschuldigter bei Abgabe einer [X.]erklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (insgesamt [X.], Beschlüsse vom 26. Mai 2020 - 3 StR 595/19, [X.], 458; vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, juris Rn. 6 mwN).

6

Zwar leidet der Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen an einer paranoiden Schizophrenie. Allerdings hat die [X.], die sich in der Hauptverhandlung - sachverständig beraten - einen persönlichen Eindruck von ihm verschafft hat, in ihrem Beschluss vom 24. November 2021 ausgeführt, sie gehe davon aus, dass der Beschuldigte bei der Rücknahmeerklärung wie auch während der gesamten Hauptverhandlung verhandlungsfähig gewesen sei. Hat das Tatgericht keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit, kann diese grundsätzlich vom Revisionsgericht ebenfalls bejaht werden (s. [X.], Beschluss vom 14. Juni 2018 - 3 [X.], NStZ-RR 2018, 290, 291). Zudem hat der Beschuldigte aktiv an der Hauptverhandlung mitgewirkt, indem er sich zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache eingelassen hat (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 1. Oktober 1998 - 4 [X.], [X.], 109, 110). Überdies deutet sein handschriftlich abgefasstes Schreiben nicht auf einen akuten Schub der Schizophrenie und eine Verhandlungsunfähigkeit hin. Ferner befindet er sich seit dem 6. Januar 2021 in einstweiliger Unterbringung. Diese hat ausweislich der Urteilsgründe zu einer Gesundung und einer Fähigkeit zur Distanzierung von vorherigen [X.] geführt. Seine Erkrankung wurde im klinischen Umfeld stabilisiert, obschon der Behandlungsverlauf problematisch war und sich der Beschuldigte nach einem Übergriff auf einen Arzt bis in den April 2021 in Absonderung befand.

7

Soweit der Beschuldigte nach seinem Vorbringen die Rücknahme aufgrund von unzutreffenden Überlegungen und Ratschlägen des Pflegepersonals erklärt hat, handelt es sich um etwaige Beweggründe, die nicht auf einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit beruhen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 2020 - 3 StR 595/19, [X.], 458 f. mwN). Eine unzulässige Willensbeeinflussung, welche die Unwirksamkeit der Erklärung zur Folge haben könnte (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 3. März 2005 - [X.], [X.]St 50, 40, 58 mwN; vom 22. November 2001 - 1 [X.], [X.]R StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 6), ergibt sich daraus gleichfalls nicht.

8

3. Angesichts der wirksamen [X.] sind Ausführungen dazu entbehrlich, dass vorsätzliche Sachbeschädigungen mittels Brandlegung erhebliche Taten darstellen können (vgl. [X.], Beschluss vom 26. November 2019 - 3 StR 501/19, juris).

9

4. Da das [X.] bereits zum einen über die Kosten der Revision entschieden und zum anderen die Wirksamkeit der [X.] festgestellt hat, hat es damit sein Bewenden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15, juris Rn. 13; vom 18. März 2015 - 3 [X.], juris Rn. 3; vom 20. Juli 2004 - 4 StR 249/04, [X.], 113, 114).

Schäfer     

      

[X.]     

      

Paul   

      

Anstötz     

      

[X.]     

      

Meta

3 StR 29/22

23.03.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 20. Juli 2021, Az: 4 KLs 5/21

§ 302 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 3 StR 29/22 (REWIS RS 2022, 9363)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9363


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 StR 29/22

Bundesgerichtshof, 3 StR 29/22, 23.03.2022.


Az. 4 KLs 5/21

Landgericht Bielefeld, 4 KLs 5/21, 16.06.2021.


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