Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2023, Az. 4 StR 495/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5576

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen Mordes u.a.: Nachträgliche Gesamtstrafenbildung und Härteausgleich bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und vorangegangener Strafverurteilung im Ausland


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. August 2022 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über einen wegen nicht möglicher Gesamtstrafenbildung durchzuführenden Härteausgleich unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Das [X.] hat – soweit hier von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der Angeklagte, ein [X.] Staatsangehöriger, ist in [X.] nicht, in [X.] hingegen bereits mehrfach vorbestraft. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht [X.] am 19. Februar 2020 wegen eines am 24. Januar 2019 begangenen [X.] zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Mit – rechtskräftigem – Urteil vom 17. Juli 2020 änderte das Bezirksgericht [X.] auf ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Amtsgerichts dahingehend ab, dass es „die Haftzeit der verhängten Freiheitsstrafe um drei Jahre erhöhte“. Das Amtsgericht [X.] bildete aus der vorgenannten Freiheitsstrafe und weiteren gegen den Angeklagten seit 2018 verhängten Strafen am 16. Februar 2021 nachträglich eine „Gesamtstrafe“ von sechs Jahren und acht Monaten.

4

b) Die hier verfahrensgegenständliche Tat beging der Angeklagte am 4. Februar 2019. An diesem Tag drangen er und ein weiterer Beteiligter in das Wohnhaus des Geschädigten ein, um daraus Wertgegenstände zu entwenden. Als sich der Geschädigte ihnen entgegenstellte, schlugen sie ihn nieder, fesselten ihn und umwickelten seinen Kopf mit Klebeband. Anschließend durchsuchten sie das Haus nach stehlenswerten Gegenständen und verließen schließlich unter Mitnahme mehrerer Sachen des Geschädigten das Haus. Dieser kam – wie vom Angeklagten in Kauf genommen – durch Ersticken zu Tode. Das [X.] hat die Tat als Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge gewertet und eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Die besondere Schwere der Schuld hat es nicht festgestellt.

5

2. Während die rechtliche Nachprüfung hinsichtlich des Schuldspruchs, der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe sowie der Entscheidung des [X.]s, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, keinen Rechtsfehler ergeben hat, kann das Urteil insoweit, als die Strafkammer einen Härteausgleich nicht erwogen hat, keinen Bestand haben.

6

a) Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, welche von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der [X.] verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären (vgl. [jeweils unter Verweis auf [X.], Urteil vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 26] [X.], Beschluss vom 26. Januar 2022 – 3 [X.] Rn. 4 mwN; Beschluss vom 23. April 2020 – 1 StR 15/20, [X.]St 65, 5 Rn. 17; Beschluss vom 23. April 2020 – 1 [X.], [X.]St 65, 1 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 28. Januar 2020 – 4 StR 599/19; Beschluss vom 3. Juli 2019 – 4 StR 256/19; vgl. vor [X.], Urteil vom 21. September 2017 – [X.]/16 enger [X.], Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 [X.]; [X.]/[X.], [X.], 449, 454). Derartige Härten werden in vergleichbaren Fällen vorausgegangener Verurteilungen durch [X.] Gerichte nach § 55 StGB durch eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe vermieden, während ausländische Strafen wegen des mit einer Gesamtstrafenbildung verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit grundsätzlich nicht gesamtstrafenfähig sind (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675/[X.] sowie [X.], Beschluss vom 23. April 2020 – 1 [X.], [X.]St 65, 1 Rn. 9 mwN; anders zu einer – hier nicht gegebenen – [X.] [X.], Urteil vom 15. April 2021 – [X.]/19). Die Mitgliedstaaten müssen jedoch grundsätzlich sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere, in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in dem Maße berücksichtigen wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen und ihnen gleichwertige Rechtswirkungen zuerkennen (Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675/[X.]; [X.], Urteil vom 21. September 2017 – [X.]/16 Rn. 26; [X.], Beschluss vom 23. April 2020 – 1 [X.], [X.]St 65, 1 Rn. 11 mwN).

7

b) Auf welche Weise dies geschieht, ist unionsrechtlich nicht vorgegeben ([X.], Urteil vom 12. Januar 2023 – [X.]/22 [X.] Rn. 79; s.a. [X.], Beschluss vom 8. März 2023 – 1 StR 130/22 Rn. 19 ff.; Beschluss vom 26. Januar 2022 – 3 [X.] Rn. 10 ff.). Es gelten daher dieselben Grundsätze wie bei einer an sich gesamtstrafenfähigen, aus zufälligen Gründen aber nicht mehr berücksichtigungsfähigen inländischen Vorstrafe. Hiernach ist die konkrete Ausgestaltung des Härteausgleichs im Fall der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe davon abhängig, ob die besondere Schwere der Schuld vom Tatgericht festgestellt worden ist. Hat das Tatgericht die besondere Schwere der Schuld verneint, kann die Kompensation nicht anders als im Wege der so genannten [X.], nämlich durch Anrechnung des als vollstreckt geltenden Teils der Strafe auf die [X.] im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB, erfolgen ([X.], Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 [X.], [X.]St 55, 1 Rn. 6; Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 [X.], [X.]St 54, 259 Rn. 6; vgl. auch [X.], Beschluss vom 23. August 2022 – 6 StR 201/22; Beschluss vom 23. Juli 2008 – 5 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15). Es handelt sich in diesem Fall zwangsläufig um einen dem Tatrichter überantworteten Akt der Strafzumessung. Eine Verlagerung der Kompensation auf das Vollstreckungsverfahren, namentlich auf die bei festgestellter besonderer Schuldschwere durch das Vollstreckungsgericht zu treffende Entscheidung über die Verlängerung der [X.] (vgl. zu Fällen der festgestellten besonderen Schuldschwere [X.], Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18, NStZ-RR 2018, 320 Rn. 26; Beschluss vom 9. Dezember 2008 – 4 [X.], [X.]R StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 26; zur Berücksichtigung einer [X.] Vorstrafe auch [X.], Beschluss vom 23. April 2020 – 1 [X.], [X.]St 65, 1 Rn. 12 ff.), scheidet hier aus.

8

c) Nach diesen Maßgaben hat das [X.] es im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft unterlassen, über einen Härteausgleich zu entscheiden.

9

aa) Wäre die dem angefochtenen Urteil vorausgegangene Verurteilung des Angeklagten in [X.] vom 17. Juli 2020 durch ein [X.]s Gericht erfolgt, hätten die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB vorgelegen. Dass die zugrundeliegende Einzelstrafe wegen der Tat vom 24. Januar 2019 in einer [X.] „Gesamtstrafe“ aufgegangen ist, welche angesichts der zäsurbildenden Wirkung einer weiteren ([X.]) Verurteilung nach hiesigen Grundsätzen zur nachträglichen Gesamtstrafe nicht hätte gebildet werden können, lässt die Notwendigkeit eines Härteausgleichs nicht entfallen. Eine ausgleichspflichtige Härte lässt sich schon deshalb nicht ausschließen, weil die dem Angeklagten mit dem [X.] Urteil vom 17. Juli 2020 auferlegte Freiheitsstrafe bei einer Gesamtstrafenbildung nach [X.]r Rechtslage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB) vollständig in der hiesigen lebenslangen Freiheitsstrafe aufgegangen wäre.

bb) [X.], in dem ohne den die Unanwendbarkeit des § 55 StGB begründenden Umstand die Feststellung der besonderen Schuldschwere auf der Hand gelegen hätte und deshalb ein ausgleichspflichtiger Nachteil zu verneinen ist (vgl. zu solcher Konstellation [X.], Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 [X.], [X.]St 55, 1 Rn. 8 f.; Beschluss vom 28. Mai 2009 – 5 [X.]/09; Beschluss vom 23. Juli 2008 – 5 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15), liegt nicht vor. Das [X.] hat der aus der nicht möglichen Gesamtstrafenbildung resultierenden Härte auch nicht bereits in anderer Weise Rechnung getragen (vgl. zu einem solchen Fall [X.], Beschluss vom 28. Januar 2020 – 4 StR 599/19, NStZ-RR 2020, 122). Insbesondere hat es diese bei seiner Entscheidung, die besondere Schwere der Schuld zu verneinen, nicht erörtert, sondern ausschließlich andere Strafmilderungsgründe herangezogen.

d) Ob eine Entscheidung über einen Härteausgleich dann entbehrlich gewesen wäre, wenn sicher zu erwarten wäre, dass die vom [X.] verhängte lebenslange Freiheitsstrafe in [X.] vollstreckt und in dem zu diesem Zweck dort zu führenden Verfahren zum Erlass eines Gesamturteils der Nachteil – unter Beachtung des Art. 8 Abs. 2 bis 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/[X.] – ausgeglichen werden könnte (vgl. zu dem [X.] Verfahren zum Erlass eines Gesamturteils [X.], Urteil vom 15. April 2021 – [X.]/19, NJW 2021, 3107 mit Schlussantrag des Generalanwalts de la Tour vom 8. Oktober 2020, BeckRS 2020, 26217), kann dahinstehen. Denn auch dies ist hier nicht der Fall. Ausweislich der Urteilsgründe ist es vielmehr nur „sehr wahrscheinlich, dass die Republik [X.] die Vollstreckung der hiesigen Strafe übernehmen wird“. Eine Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe in [X.] kann daher auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden.

3. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von dem [X.] nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

Quentin     

  

Rommel     

  

Maatsch

  

Scheuß     

  

Momsen-Pflanz     

  

Meta

4 StR 495/22

12.07.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 3. August 2022, Az: 7 Ks 60/19 - 2/22

§ 54 Abs 1 S 1 StGB, § 54 Abs 2 S 2 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2023, Az. 4 StR 495/22 (REWIS RS 2023, 5576)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5576

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