Bundessozialgericht, Urteil vom 20.07.2023, Az. B 12 KR 8/21 R

12. Senat | REWIS RS 2023, 9275

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 27. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, wonach der Beigeladene zu 1. (im Folgenden: [X.]) in seinen zwischen dem [X.] und [X.] für ihn - den Kläger - verrichteten Tätigkeiten aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ([X.]) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe.

2

Der Kläger betreibt ein Viehvermarktungsunternehmen, das ua den Ankauf von [X.] in [X.] und deren Weiterveräußerung in [X.] sowie die Vermarktung von [X.] und deren Transport in verschiedene Schlachthöfe zum Gegenstand hat. Die in [X.] von einem Landwirt mit einem Speditionsunternehmen zu einem Selektionshof gebrachten Tiere wurden gesichtet und bei Erkrankungen aussortiert. Anschließend wurden die ausgesuchten Tiere mit im Fuhrpark des [X.] befindlichen LKW nach [X.] transportiert. Der Kläger beschäftigt fest angestellte Mitarbeiter. Daneben wurden im gegenständlichen [X.]raum Transportfahrten und andere Aufgaben von [X.] übernommen, mit denen kein schriftlicher Vertrag abgeschlossen worden war und die ihre Arbeiten in Rechnung stellten. Der Beigeladene ist als Landwirt selbstständig tätig und hielt im streitigen [X.]raum Mastschweine. Darüber hinaus übernahm er für das Unternehmen des [X.] diverse Arbeiten, unter anderem das Selektieren von [X.] in [X.] und deren Transport nach [X.] sowie die Auslese und den Transport von Schweinen vom Schweinemastbetrieb zum verarbeitenden Betrieb.

3

Das Hauptzollamt führte bei dem Kläger Ermittlungen durch und stellte die Ermittlungsergebnisse der beklagten [X.] Nord zur Verfügung. Diese stellte gegenüber dem Kläger fest, dass der Beigeladene seit dem [X.] der Versicherungspflicht in der [X.] und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege, soweit er für den Kläger als Kraftfahrer und Betriebshelfer im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig werde (Bescheid vom [X.]). Ebenfalls unter dem [X.] übersandte die Beklagte dem Beigeladenen den "Feststellungsbescheid über das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der [X.] ab 01.05.2006". Sie wies darauf hin, dass er als Beteiligter "gegen den Bescheid über die Feststellung der Versicherungspflicht" Widerspruch erheben könne. Den Widerspruch des [X.] wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.10.2014). Dagegen hat der Kläger beim [X.] Klage erhoben [X.] 310/14).

4

Auch der Beigeladene erhob am selben Tag beim [X.] Klage gegen die ihm mit Schreiben vom [X.] übersandte Entscheidung der Beklagten ([X.] KR 303/14; im Folgenden: Parallelverfahren). Der hiesige Kläger wurde durch Beschluss vom 29.12.2016 dort beigeladen. Das [X.] wies diese Klage nach Beiladung des hier Klagenden (Beschluss vom 29.12.2016 gemäß § 75 Abs 2 [X.]G) ab. Bei der Gesamtabwägung würden die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwiegen (Urteil vom 6.4.2017). Von keinem der Beteiligten wurde das Urteil angefochten.

5

Im vorliegenden Verfahren hat das [X.] den Kläger des [X.] zum Rechtsstreit beigeladen (Beschluss vom 31.8.2015 gemäß § 75 Abs 2 [X.]G). Sodann hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.2.2018). Das Schleswig-Holsteinische L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die Klage sei nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig. Es handele sich um unterschiedliche Prozessrechtsverhältnisse, die vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG nicht dem Verbot der doppelten Rechtshängigkeit unterfielen. Gleichwohl sei der Senat wegen der Rechtskraft des im Parallelverfahren ergangenen Urteils an einer Sachentscheidung gehindert. Funktional hätten beide Verfahren denselben Streitgegenstand betroffen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass in den angefochtenen Bescheiden zu Recht eine abhängige Beschäftigung bejaht und Versicherungspflicht angenommen worden sei (Urteil vom 27.7.2021).

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 Abs 4 GG. Eine vollständige Identität der Streitgegenstände des vorliegenden und des [X.] sei mangels Identität der Beteiligten nicht gegeben. Daher sei auch von unterschiedlichen Lebenssachverhalten auszugehen. Dies zeige sich auch darin, dass die Beklagte zwei selbstständige Bescheide - sowohl ihm als auch dem Beigeladenen gegenüber - bekanntgegeben habe. Das L[X.] habe somit "die Sperrwirkung als Folge der Rechtshängigkeit" fehlerhaft angewandt. Zu Unrecht habe das L[X.] auch eine abhängige Beschäftigung bejaht.

7

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des [X.] vom 27. Juli 2021 und des [X.] vom 26. Februar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2014 aufzuheben, und

        

festzustellen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. für ihn vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2012 nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden ist und insoweit keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Zu Recht hat das [X.] seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des [X.] zurückgewiesen. Die Klage war nicht schon wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (dazu 1.). Einer erneuten Entscheidung über die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung steht aber das rechtskräftige Urteil des [X.] Schleswig vom 6.4.2017 ([X.] KR 303/14) entgegen, mit dem die gegen die Feststellung der Versicherungspflicht gerichtete Klage des hier Beigeladenen abgewiesen worden ist (dazu 2.).

1. Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die vorliegende Klage nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit gemäß § 202 Satz 1 [X.]G (idF des [X.] und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom [X.], [X.] 1577) iVm § 17 Abs 1 Satz 2 GVG (idF des [X.] zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17.12.1990, [X.] 2809) unzulässig war. Danach kann die Sache während der Rechtshängigkeit von keiner [X.] anderweitig anhängig gemacht werden.

Für eine doppelte Rechtshängigkeit in diesem Sinn ist hier schon deshalb kein Raum, weil zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 14. Aufl 2023, § 94 RdNr 7b [X.]) das Parallelverfahren bereits nicht mehr anhängig war. Die Rechtshängigkeit einer Sache endet mit Eintritt der formellen Rechtskraft, also ua mit der Beendigung des Rechtsstreits durch ein rechtskräftiges Urteil, sodass eine zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige Klage noch zulässig werden kann (B[X.] Urteil vom 12.12.2013 - [X.] AS 17/13 R - [X.] 4-1500 § 192 [X.] Rd[X.]7). Im entscheidenden Zeitpunkt der hier dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] war die mit dem Parallelverfahren betriebene Klage bereits formell rechtskräftig abgeschlossen.

Damit kann hier offenbleiben, ob auch die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 Satz 1 GG im Hinblick auf die besondere prozessuale Stellung von Beigeladenen vorliegend eine doppelte Rechtshängigkeit ausschließt (zum vergleichbaren Zurücktreten der Rechtshängigkeitsvorschriften im Fall einer Verurteilung nach § 75 Abs 5 [X.]G vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 57, 1 = [X.] 2200 § 1237a [X.]5, juris Rd[X.]0; B[X.] Urteil vom 19.5.1982 - 11 RA 37/81 - [X.] 2200 § 1239 [X.] juris Rd[X.]8). Nach dieser Vorschrift steht dem der Rechtsweg offen, wer durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Allerdings bieten sowohl das vorliegende als auch das mit weiterem Urteil vom [X.] entschiedene Verfahren B 12 KR 8/21 R Anlass darauf hinzuweisen, dass für die Annahme des [X.], bei von Auftraggeber/Arbeitgeber und Auftragnehmer/Beschäftigter eigenständig erhobenen Klagen sei im Rahmen des § 17 Abs 1 Satz 2 GVG wegen zwei gesonderter, unterschiedlicher Prozessrechtsverhältnisse nicht allein auf eine Identität des Streitgegenstands abzustellen, gewichtige Gründe sprechen dürften.

Der zu einem sozialgerichtlichen Verfahren Beigeladene ist zwar Beteiligter (§ 69 [X.] [X.]G), wohl aber nicht "[X.]" der Sache iS von § 17 Abs 1 Satz 2 GVG, weil seine prozessuale Stellung hinter der eines [X.]n (Kläger/Beklagte) erheblich zurückbleibt. Nach § 75 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann der Beigeladene nur innerhalb der Anträge der anderen Beteiligten selbstständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen. Abweichende [X.] kann nach § 75 Abs 4 Satz 2 [X.]G zwar der nach § 75 Abs 2 [X.]G notwendig Beigeladene stellen. Auch ist der Beigeladene selbstständig rechtsmittelbefugt. Gleichwohl sind die Einflussmöglichkeiten auch des notwendig Beigeladenen auf das Verfahren insbesondere deshalb erheblich begrenzt, weil er einer Verfahrensbeendigung durch die [X.]n nicht widersprechen kann (vgl [X.], 230, 231). Selbst der notwendig Beigeladene hat hierauf keinen Einfluss. Einer prozessbeendenden Handlung der [X.]n muss er nicht zustimmen (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 18, 131, 132 = [X.] Nr 9 zu § 160 [X.]G, juris Rd[X.]6; B[X.] Urteil vom 30.6.1977 - 12/3 [X.] - [X.] 1500 § 101 [X.]). Lediglich im Fall einer Prozessbeendigung durch Vergleich der [X.]n kann sich im [X.] an das Verfahren die Frage stellen, inwieweit auch ein Beigeladener (materiell) an den Vergleich gebunden ist, wenn er an dessen Zustandekommen nicht beteiligt war (hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 14. Aufl 2023, § 75 Rd[X.]7d [X.]). Würde daher ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung von mehreren Betroffenen zulässigerweise durch selbstständige Klagen angefochten und würden sämtliche Klagen bis auf ein Verfahren, in dem alle anderen Kläger beigeladen worden sind, wegen doppelter Rechtshängigkeit als unzulässig betrachtet, wären die Beigeladenen außerstande, eine Beendigung dieses einen Verfahrens durch Prozesserklärung des oder der [X.]n zu verhindern. Eine solche Rechtsschutzlücke wäre mit der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG schwerlich vereinbar. Dies gilt umso mehr, als die von den Betroffenen eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung eigenständig erhobenen Klagen auf dasselbe Ziel gerichtet sein können, aber nicht müssen.

2. Einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren steht aber die materielle Rechtskraft des in dem Parallelverfahren ergangenen Urteils entgegen. Nach § 141 Abs 1 [X.] [X.]G (idF des [X.] des [X.]G vom 17.8.2001, [X.] 2144) binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Dabei kann offenbleiben (so bereits B[X.] Urteil vom 13.12.1960 - 2 [X.] - B[X.]E 13, 181 = [X.] Nr 7 zu § 141 [X.]G, juris Rd[X.]5), ob diese Rechtskraft zu einem Prozesshindernis führt (prozessuale Theorie) oder lediglich eine inhaltlich abweichende Entscheidung ausschließt (materiell-rechtliche Theorie; vgl zu den so genannten Rechtskrafttheorien [X.] in BeckOGK-[X.]G, Stand 1.2.2023, § 141 Rd[X.]4 f [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 14. Aufl 2023, § 141 Rd[X.]a [X.]). Falls - wie hier - dieselben Beteiligten in einem weiteren Verfahren über denselben Gegenstand streiten, steht die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines Urteils einer erneuten Entscheidung entgegen.

a) Der Kläger des vorliegenden Verfahrens war im Parallelverfahren beigeladen und damit Beteiligter des Verfahrens (§ 69 [X.] [X.]G). Dass ein Beigeladener über eine schwächere Position verfügt als die [X.] (siehe oben 1.), kommt im Zusammenhang mit der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils nach § 141 Abs 1 [X.]G nicht zum Tragen. Denn der Beigeladene ist im Rahmen der Beschwer uneingeschränkt rechtsmittelbefugt. Er kann unabhängig von den [X.]n selbstständig Rechtsmittel einlegen, um die Bindungswirkung eines Urteils zu verhindern.

b) Die Streitgegenstände des vorliegenden Klage- und des früheren [X.] waren jeweils identisch. Neben dem einheitlichen, auf Aufhebung der behördlichen Entscheidung (und Feststellung der fehlenden Versicherungspflicht) gerichteten Klageziel aller Beteiligten ist auch der Klagegrund einheitlich.

Gegenstand war und ist jeweils ein die Versicherungspflicht in der [X.] und nach dem Recht der Arbeitsförderung feststellender, durch Bescheid vom [X.] verkörperter Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt iS von § 31 Satz 1 [X.]B X (idF der Bekanntmachung vom 18.1.2001, [X.] 130) war zwar lediglich an den Unternehmer - vorliegend den Kläger - gerichtet, hat wegen der festgestellten Versicherungspflicht des vermeintlich Beschäftigten aber auch diesem gegenüber rechtliche Wirkung im Sinn einer Drittwirkung entfaltet: Auch ist er gegenüber dem Beigeladenen gemäß § 37 Abs 1 Satz 1 [X.]B X (idF der Bekanntmachung vom 18.1.2001 aaO) durch ein Schreiben der Beklagten vom [X.] bekanntgemacht und damit wirksam geworden (§ 39 Abs 1 [X.]B X idF der Bekanntmachung vom 18.1.2001 aaO).

Soweit der Kläger meint, es lägen jeweils zwei unterschiedliche "Bescheide" im Sinn mehrerer Verwaltungsakte vor, ist dies nicht zutreffend. Gegenstand einer wie hier erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]G), gegebenenfalls kombiniert mit einer Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 [X.] [X.]G), ist allein ein Verwaltungsakt gemäß § 31 Satz 1 [X.]B X, dessen Aufhebung oder Abänderung begehrt wird. Mit einem Bescheid wird ein Verwaltungsakt regelmäßig nur formal zum Ausdruck gebracht, also verkörpert (vgl ua B[X.] Urteil vom [X.] - B 12 KR 18/02 R - [X.] 4-2500 § 266 [X.] Rd[X.]5; B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] 4-3100 § 18a [X.] Rd[X.]0). Mit dem an den vermeintlich Beschäftigten gerichteten bloßen Schreiben vom [X.] hat die Beklagte schon nicht den äußeren Anschein eines (neuen) Verwaltungsakts mit einer eigenständigen Regelung erweckt. Sie hat ausdrücklich nur eine Mehrausfertigung des an den Unternehmer - hier den Kläger - gerichteten Feststellungsbescheids übersandt. Das Schreiben enthält auch seinem Inhalt nach keine eigenständige Regelung im Sinn eines Verwaltungsakts, sondern informiert lediglich über die an den Unternehmer gerichtete Verwaltungsentscheidung.

Neben dem einheitlichen Klagegrund ist auch das Klageziel aller Beteiligten einheitlich auf Aufhebung der behördlichen Entscheidung (und Feststellung der fehlenden Versicherungspflicht) gerichtet.

c) Die hier durch § 141 Abs 1 [X.] [X.]G angeordnete [X.] wird durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs 4 GG nicht ausgeschlossen, sondern gestützt:

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art 19 Abs 4 GG gewährleistet den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfachgesetzlichen Prozessordnungen. Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den [X.] eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Bei der Auflösung des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Widerstreits zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse des Einzelnen an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits hat das Gericht einen angemessenen Ausgleich zu finden (vgl [X.] Nichtannahmebeschluss vom 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04 - [X.]K 9, 22 RdNr 9 [X.]; grundlegend: [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 249/92 - [X.]E 88, 118). Im Zusammenhang mit der Bindungswirkung rechtskräftiger Entscheidungen kann sich ein Verstoß gegen Art 19 Abs 4 GG insbesondere ergeben, wenn der Gegenstand des rechtskräftig entschiedenen Verfahrens nicht mit dem weiteren Verfahren deckungsgleich ist (vgl [X.] stattgebender Kammerbeschluss vom 27.5.2020 - 1 BvR 1255/19 - juris Rd[X.]2).

Die Bindungswirkung nach § 141 Abs 1 [X.] [X.]G berührt die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs 4 GG, weil sie einer erneuten Entscheidung in einem Verfahren entgegensteht. Sie verletzt das Grundrecht jedoch regelmäßig nicht, wenn über den Streitgegenstand unter Beteiligung der von der Bindungswirkung betroffenen Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens - zweier Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips - darf eine sachlich abweichende Entscheidung zwischen denselben Beteiligten nicht mehr ergehen (B[X.] Urteil vom 27.6.2007 - B 6 KA 27/06 R - [X.] 4-1500 § 141 [X.] Rd[X.]1 [X.]). Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung verbietet eine neue Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand. Dieses Verbot liegt im Interesse des Ansehens der Gerichte, der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens unter den [X.]en. Mit der Streitentscheidung hat der Staat zwischen den [X.]en [X.] geschaffen und damit seine Rechtsprechungsaufgabe erfüllt (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.]Z 123, 30, juris Rd[X.]4; [X.] Urteil vom 18.1.1985 - [X.] - [X.]Z 93, 287, juris Rd[X.]0 [X.]). Die Rechtskraft soll den Streit zwischen den Beteiligten endgültig beilegen, der über denselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden soll ([X.] Beschluss vom 3.3.2004 - IV Z[X.]3/03 - NJW 2004, 1805).

Dies gilt auch dann, wenn derselbe Streitgegenstand von den Verfahrensbeteiligten erneut zur Prüfung gestellt wird, die zuvor in einer anderen Prozessrolle an dem früheren Verfahren beteiligt waren. Denn die materielle Rechtskraft hat gegenüber allen Verfahrensbeteiligten eine rechtsstaatliche Funktion. Sie dient einerseits dem Rechtsfrieden und andererseits der Rechtssicherheit. Richterliche Entscheidungen sollen durch die Maßgeblichkeit und Rechtsbeständigkeit ihres Inhalts den Streitgegenstand verbindlich klären und damit den Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten herstellen. Der durch das Grundgesetz jedermann eingeräumte [X.] besteht für einen den Gerichten unterbreiteten Sachverhalt in aller Regel aber nur einmal. Ohne die materielle Rechtskraft und den mit ihr verbundenen Anspruch auf die Endgültigkeit der Streitbeilegung würde der effektive Rechtsschutz gerade nicht garantiert. Daher wirkt die materielle Rechtskraft auch bei "falschen" Urteilen. Sie nimmt zugunsten der Rechtssicherheit auch die Rechtsbeständigkeit falscher Urteile in Kauf. Es soll nicht nur die wiederholte Inanspruchnahme der Justiz in derselben Sache verhindert werden; auch sollen sich widersprechende gerichtliche Entscheidungen vermieden werden.

d) Ungeachtet dessen ist zu berücksichtigen, dass die materielle Rechtskraft den Eintritt der formellen Rechtskraft, also eine unanfechtbare Entscheidung voraussetzt. Die formelle und damit auch materielle Rechtskraft des im Parallelverfahren ergangenen Urteils hätte der Kläger aber durch das zulässige Rechtsmittel der Berufung vermeiden können. Zudem greift die materielle Rechtskraft in sozialrechtlichen Streitigkeiten nur eingeschränkt. Sie kann unter den Voraussetzungen des § 44 [X.]B X durchbrochen werden (vgl allerdings zur Aufhebung eines rechtswidrigen Statusfeststellungsbescheids nach § 44 [X.]B X nur bei gleichgerichtetem Interesse von Auftragnehmer und Auftraggeber B[X.] Urteil vom 29.3.2022 - B 12 R 2/20 R - B[X.]E 134, 84 = [X.] 4-1300 § 44 Nr 45).

e) Das hier gefundene Ergebnis steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 15.3.1989 - 7 C 10/88 - juris; vgl auch [X.] Beschluss vom [X.] 15.772 - BeckRS 2015, 48457). Das [X.] hat angenommen, die mit § 141 [X.]G nahezu wortgleiche Regelung des § 121 VwGO müsse im Hinblick auf Art 19 Abs 4 GG im Wege der teleologischen Reduktion durch verfassungskonforme Auslegung so angewendet werden, dass eine Rechtskrafterstreckung auf den Beigeladenen eines Verfahrens jedenfalls dann nicht eintritt, wenn dieser seinerseits bereits seine Rechte in einem von ihm gleichzeitig betriebenen Verfahren durchzusetzen sucht. Der der Entscheidung des [X.] zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich vom vorliegenden jedoch dadurch, dass es die notwendigen Beiladungen sowohl im Parallelverfahren als auch im eigenen Verfahren für rechtswidrig erachtet und selbst für eine einfache Beiladung keinen Anlass gesehen hat. Es hat dies damit begründet, dass die Entscheidung im Parallelverfahren aus Rechtsgründen keineswegs nur einheitlich gegenüber den dortigen Klägern und dem Kläger des anhängigen Verfahrens als dortigem Beigeladenen hätte ergehen müssen. Allenfalls habe es sich um "parallele Ansprüche" oder nur um "parallele Interessen" der Beteiligten gehandelt, die in keinem notwendigen Zusammenhang gestanden hätten. Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall erheblich, weil die Statusfeststellung im angefochtenen Verwaltungsakt der Beklagten sowohl den Kläger als auch den Beigeladenen unmittelbar betrifft und die Grundlage für weitere zwingende Rechtsfolgen bildet.

3. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass zur Überzeugung des Senats an der Feststellung von Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung keine ernsthaften Zweifel bestehen. Die Betroffenen waren insbesondere in die Arbeitsorganisation des Unternehmers eingegliedert.

4. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 [X.]G iVm §§ 154 Abs 1 und 2, 162 Abs 3 VwGO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 [X.]G iVm § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 Satz 1 iVm § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

        

Heinz 

Bergner

Beck   

Meta

B 12 KR 8/21 R

20.07.2023

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Schleswig, 26. Februar 2018, Az: S 11 KR 310/14, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.07.2023, Az. B 12 KR 8/21 R (REWIS RS 2023, 9275)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9275

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1255/19

1 BvR 249/92

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