Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 66/08

3. Senat | REWIS RS 2011, 4190

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 04.08.2011 III R 55/08 - Kindergeld für im Inland selbständig tätige polnische Staatsangehörige - Persönlicher, zeitlicher und sachlicher Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Zurückverweisung wegen Amtsermittlungspflicht des FG)


Leitsatz

NV: Die Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit führt nur dann zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. Dafür kann ggf. auch die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen .

Tatbestand

1

I. [X.]er Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist [X.] Staatsangehöriger. Er hält sich seit Juni 2004 in [X.] auf. Von September 2004 bis Januar 2006 war er im Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungsfreie Handwerke betrieben werden können (Anlage B zur Handwerksordnung), eingetragen.

2

In [X.] lebt die geschiedene Ehefrau des [X.]. Ursprünglich wohnte im gleichen Haushalt (u.a.) auch die aus der Ehe hervorgegangene, 1985 geborene Tochter. Sie besuchte zunächst noch eine Schule und hatte im Kalenderjahr 2004 keine eigenen Einkünfte.

3

Ausweislich einer Bescheinigung der [X.] ([X.]) vom März 2006 unterlag der Kläger u.a. seit … September 2003 "bis auf weiteres" der Sozialversicherung für Landwirte in [X.].

4

[X.]ie Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des [X.], ihm (u.a.) für seine Tochter Kindergeld zu gewähren, im April 2006 ab. [X.]en hiergegen gerichteten Einspruch wies sie durch Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2006 als unbegründet zurück.

5

Mit Urteil vom 11. Februar 2008  10 K 2579/06 Kg (juris) hob das Finanzgericht ([X.]) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verpflichtete sie, über den Antrag des [X.], ihm (u.a.) für seine Tochter für die [X.] von Juni 2004 bis einschließlich Juni 2005 Kindergeld zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab.

6

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] 1408/71), in ihrer durch die Verordnung ([X.]) Nr. 118/97 des Rates vom 2. [X.]ezember 1996 --[X.] 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen [X.]en --ABl[X.]-- 1997 Nr. L 28, [X.]) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung ([X.]) Nr. 631/2004 des [X.] und des Rates vom 31. März 2004 --[X.] 631/2004-- ([X.] --ABlEU-- 2005 Nr. L 100, [X.]).

7

[X.]ie Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

[X.]er Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Er trägt im Wesentlichen vor, das [X.] sei zu Recht davon ausgegangen, dass er vom persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 nicht erfasst werde. [X.]enn dieser werde durch die Regelung in Anhang [X.]. [X.] der [X.] 1408/71 eingeschränkt. [X.]ies ergebe sich aus dem Wortlaut des Anhangs; danach beziehe sich die Einschränkung auf alle Fälle des Art. 1 Buchst. a Ziff. ii der [X.] 1408/71. Auch die systematische Stellung der Regelung und die Überschriften "persönlicher Geltungsbereich der [X.]" und "Arbeitnehmer und/oder Selbständige (Art. 1 Buchst. a Ziff. ii und iii der [X.])" sprächen für diese Auslegung. In [X.] sei er in der Sozialversicherung der Landwirte lediglich freiwillig versichert.

Selbst wenn man von der Anwendbarkeit der [X.] 1408/71 ausginge, fänden auf ihn nach ihrem Art. 13 Abs. 2 Buchst. b aber die [X.] Vorschriften Anwendung.

Entscheidungsgründe

I[X.] [X.]ie Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geht das [X.] zwar davon aus, dass der Kläger für seine Tochter im Streitzeitraum grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) hat, sofern er noch den Nachweis erbringt, dass die Einkünfte und Bezüge seiner Tochter auch in den Monaten Januar bis Juni 2005 den maßgeblichen (anteiligen) Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschritten haben. Nicht gefolgt werden kann dem [X.] jedoch insoweit, als es offenbar davon ausgeht, dass ein Anspruch des [X.] auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der [X.] 1408/71 ausgeschlossen sein könnte, weil diese Verordnung auf den Kläger nicht anzuwenden sei. [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst wird und welches Recht in diesem Fall auf ihn anzuwenden wäre.

2. Ein Anspruch des [X.] auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die [X.] 1408/71 und die Verordnung ([X.]) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die [X.]urchführung der Verordnung Nr. 1408/71 ([X.] 574/72) in ihrer durch die [X.] 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die [X.] 631/2004, ausgeschlossen sein.

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. [X.]ie [X.] 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung ([X.]) Nr. 883/2004 des [X.] und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit --[X.] 883/2004-- ([X.] 2004 Nr. L 166, [X.]). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer [X.]urchführung erlassenen Verordnung. [X.]iese --die Verordnung ([X.]) Nr. 987/2009 des [X.] und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die [X.]urchführung der [X.] 883/2004 --[X.] 987/2009-- ([X.] 2009 Nr. L 284, [X.])-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in [X.]. [X.]ie [X.] 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der [X.] 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die [X.] 1408/71 und die hierzu ergangene [X.] 574/72.

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der [X.] 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- vom 14. Oktober 2010 [X.]/09, [X.], Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --[X.]-- 2011, 86 Rdnr. 33).

c) [X.]ie bisherigen Feststellungen des [X.] reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 unterfällt.

aa) [X.]er persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der [X.] 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

[X.]ie in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 aufgeführten Systeme der [X.] Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der [X.] 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der [X.] Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. [X.] vom 7. Juni 2005 [X.]/03, [X.] und [X.], [X.]. 2005, [X.]. 29 ff.; vom 10. März 2011 [X.]/09, [X.], [X.] 2011, 436 [X.]. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus ([X.]/[X.], [X.], Kommentar, Fach [X.], [X.] Kommentierung, Art. 72 der [X.] 1408/71 Rz 5). [X.]ie [X.] 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme [X.] Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. [X.] aufgeführt sind. [X.]enn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein [X.] Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel [X.] der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels [X.] der [X.] 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. [X.] vom 12. Mai 1998 [X.]/96, [X.], [X.]. 1998, I-2691 [X.]. 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 [X.]/96, [X.], [X.]. 1999, [X.] [X.]. 89 ff.; ferner [X.] vom 30. Januar 1997 [X.] und [X.], [X.] und [X.], [X.]. 1997, [X.] [X.]. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 [X.]/95, [X.], [X.]. 1997, I-3279 [X.]. 21 ff., und vom 5. März 1998 [X.]/96, [X.], [X.]. 1998, [X.] [X.]. 35 f., jeweils zu Art. 73 der [X.] 1408/71; ferner [X.]-Urteil [X.] in [X.] 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 [X.]/07, [X.], 358, [X.], 923 Rz 16 ff.). [X.]as setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 bereits bejaht wurde.

Sollte sich dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 13. August 2002 [X.] R 54/00 ([X.]E 200, 204, BStBl II 2002, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VII[X.] Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des [X.] für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der [X.] Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der [X.] ([X.]) versichert ist. [X.]ass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 in Bezug auf ihre in [X.]eutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der [X.] Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

[X.]ie [X.] 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der [X.] Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern, soll jeweils das System der [X.] Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die [X.] Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend)eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch [X.]-Urteil [X.] in [X.]. 1999, [X.] Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 zu ermitteln.

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in [X.] und/oder in [X.]eutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt.

In [X.]eutschland war der Kläger zwar im Hinblick auf seine Tätigkeit im Rahmen seines gewerblichen Engagements nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. Eigenen Angaben zufolge war er jedoch nach seiner Einreise zunächst im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen auf 400-Euro-Basis tätig. Es sind daher, wovon letztlich auch das [X.] selbst ausgeht, noch Feststellungen dazu erforderlich, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger im Streitzeitraum in [X.]eutschland abhängig beschäftigt und deshalb hier ggf. versicherungspflichtig war und daher ggf. als Arbeitnehmer i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt.

[X.]arüber hinaus ermöglichen die bisherigen Feststellungen des [X.] auch keine Beurteilung, ob der Kläger ggf. in [X.] als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. Nach den Feststellungen des [X.] hat die [X.] im März 2006 bescheinigt, dass der Kläger u.a. seit dem … September 2003 --und damit auch während des [X.] als Landwirt der [X.] Sozialversicherung für Landwirte unterlegen habe. [X.]iese Feststellung allein reicht jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger deshalb als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. [X.]enn nicht jede Mitgliedschaft in einem System der [X.] Sicherheit führt zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] 1408/71. [X.]iese knüpft insoweit in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 vielmehr daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten System der [X.] Sicherheit oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert ist (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3). [X.]ie Mitgliedschaft in einem System der [X.] Sicherheit eines Mitgliedstaats führt also nur dann zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der [X.] 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. [X.]afür kann ggf. auch die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen (vgl. Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der [X.] 1408/71). [X.]ie erforderlichen Feststellungen zum [X.] System der [X.] Sicherheit und zu dem konkreten Versichertenstatus des [X.] im Rahmen dieses Systems sind daher nun nachzuholen.

ee) [X.]ahinstehen kann, ob die (geschiedene) Ehefrau des [X.] als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 und der Kläger als ihr Familienangehöriger anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 richten würde. [X.]enn diese Bestimmungen knüpfen nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. [X.]-Urteil vom 3. Juni 1999 [X.]/97, [X.], [X.]. 1999, [X.] [X.]. 22 ff.).

3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des [X.] ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der [X.] 1408/71 erfasst ist, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der [X.] 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt.

Anzuknüpfen ist dabei allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71 gilt. [X.]ie Vorschriften des Titels II der [X.] 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von [X.] gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II der [X.] 1408/71 im Lichte der [X.]efinitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. [X.]-Urteil vom 30. Januar 1997 [X.]/95, Hervein, [X.]. 1997, I-609 [X.]. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der [X.] Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der [X.] 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in [X.]eutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der [X.] 1408/71.

b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger [X.] Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste --neben der Höhe der Einkünfte und Bezüge der Tochter in den Monaten Januar bis Juni 2005-- noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des [X.] für die Tochter in [X.] ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der [X.] 1408/71 bzw. der [X.] 574/72 zu klären. [X.]abei wären bei Anwendung des Art. 76 der [X.] 1408/71 bzw. des Art. 10 der [X.] 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. [X.] der [X.] 1408/71 zu berücksichtigen.

c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 die [X.] Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob [X.]eutschland als der nach der [X.] 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 [X.]/09 ([X.]E 231, 183) und [X.]/10 ([X.]E 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des [X.] in den bei diesem anhängigen Verfahren [X.]/10 und [X.]/10 in Betracht kommen könnte.

4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der [X.] 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. [X.] Insoweit wäre, worauf das [X.] bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des [X.] für die Tochter in [X.] ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Zudem fehlen, wie ausgeführt, noch Feststellungen zu den Einkünften und Bezügen der Tochter in den Monaten Januar bis Juni 2005.

5. [X.]ie Streitsache wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O an das [X.] zurückverwiesen. Soweit der Senat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 [X.]/04 ([X.]E 210, 265, [X.], 184; vgl. ferner Senatsurteil vom 24. Februar 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 1429) an einer entsprechenden Zurückverweisung an das [X.] gehindert sah, weil das [X.] --auch bei rechtlich gebundenen [X.] von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte nicht aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären dürfe, hält er daran im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des [X.] (§ 76 Abs. 1 [X.]O) nicht mehr fest.

Meta

III R 66/08

04.08.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 11. Februar 2008, Az: 10 K 2579/06 Kg, Urteil

§§ 62ff EStG 2002, § 62 EStG 2002, Art 1 Buchst a EWGV 1408/71, Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71, Art 13 EWGV 1408/71, Art 76 EWGV 1408/71, Anh I Teil I Buchst D EWGV 1408/71, Art 10 EWGV 574/72, Art 13ff EWGV 1408/71, Art 1 Buchst u EWGV 1408/71, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.08.2011, Az. III R 66/08 (REWIS RS 2011, 4190)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4190

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