Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2016, Az. IX ZA 24/15

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 17359

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:210116BIX[X.]24.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.] 24/15

vom

21. Januar 2016

in dem Insolvenzverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 234 Abs. 3
Ein nach Ablauf eines Jahres nach dem Ende der versäumten Frist gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch dann unzulässig, wenn die [X.] dadurch verursacht worden ist, dass ein zuzustellendes Schriftstück von der Person, an die eine zulässige Ersatzzustellung erfolgte, dem Empfänger vorent-halten wurde.

[X.], Beschluss vom 21. Januar 2016 -
IX [X.] 24/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], die Richterin [X.], [X.] Pape, [X.] und die Richterin Möhring

am 21. Januar 2016
beschlossen:

Der Antrag des
Schuldners auf Bewilligung von Prozesskosten-hilfe
für das Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den [X.] der 6. Zivilkammer des [X.] vom 29. Juli 2015 wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Schuldner beantragte am 28.
Januar 2010 die Eröffnung des [X.] über sein Vermögen. Im Anhörungsfragebogen des Insolvenz-gerichts gab er die Anschrift seiner Mutter, bei der er damals lebte, als seine Wohnanschrift an. Am 30.
April 2010 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und
ein Prüfungstermin für den 12.
Juli 2010 anberaumt. In der Folgezeit [X.] zahlreiche Gläubiger Forderungen als solche aus einer vorsätzlich [X.] unerlaubten Handlung an. Am 22.
Juni 2010 wurde dem Schuldner eine Aufstellung dieser Forderungen mit einer
Belehrung über die Rechtsfolgen des § 302 [X.] und über die Möglichkeit des Widerspruchs unter der von ihm angegebenen Anschrift durch Übergabe an seine Mutter zugestellt. Am
Prü-fungstermin vom 12.
Juli 2010 nahm der Schuldner nicht teil.
Mit Schreiben vom
1
-

3

-
27.
März 2015 widersprach er
gegenüber dem Insolvenzgericht mehreren als [X.] angemeldeten Forderungen bezüglich dieser Qualifizierung und beantragte wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinset-zung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er aus, er habe erst am 13.
März 2015 vom Insolvenzverwalter erfahren, dass [X.] [X.] worden seien und er diesen zur Vermeidung der Rechtsfolgen des §
302 [X.] widersprechen könne. Seine inzwischen verstorbene Mutter, zu der sein Verhältnis seit Beginn des Insolvenzverfahrens zerrüttet gewesen sei, ha-be ihm die von ihr entgegengenommenen
Unterlagen nicht ausgehändigt.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand
und
auf Eintragung der Widersprüche zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat keinen Erfolg gehabt. Zur Durchführung der vom Beschwerdegericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde beantragt der Schuldner Prozesskostenhilfe.

II.

Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, denn die beabsichtigte Rechtsbeschwerde bietet keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
114 Abs.
1 Satz 1 ZPO).
Dies ergibt sich schon aus der bisherigen Recht-sprechung des [X.] und des Bundesverfassungsgerichts.

1. [X.] hat die Voraussetzungen einer Wiedereinset-zung in den vorigen Stand nach §
186 [X.] in Verbindung mit
§
233 ZPO be-jaht, sie aber gleichwohl abgelehnt, weil die Ausschlussfrist des § 234 Abs.
3 ZPO verstrichen sei.
2
3
4
-

4

-

2. Diese Beurteilung ist frei von Rechtsfehlern.

a) Nach §
234 Abs.
3 ZPO kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an [X.], nicht mehr beantragt werden. Wird zur Prüfung der im [X.] angemeldeten Forderungen ein Prüfungstermin durchgeführt, muss ein [X.] des Schuldners gegen eine angemeldete Forderung in diesem Ter-min erfolgen. Die Jahresfrist des §
234 Abs.
3 ZPO endete daher ein Jahr nach dem Prüfungstermin vom 12.
Juli 2010 und war zum Zeitpunkt des [X.] am 27.
März 2015 längst abgelaufen.

b) Die absolute Ausschlussfrist des §
234 Abs.
3 ZPO
soll eine unange-messene Verzögerung des Rechtsstreits verhindern und den Eintritt der Rechtskraft gewährleisten. Sie
ist mit dem Grundgesetz vereinbar ([X.], [X.] vom 18.
Dezember 1972 -
2
BvR 756/71, zitiert nach
[X.], Beschluss vom 19.
Februar 1976 -
VII
ZR 16/76, [X.] 1976, 569; vom 24.
September 1986 -
VIII
ZB 42/86, [X.], 256). Es kann aber geboten sein, sie im [X.] ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn nur so die verfassungsmäßi-gen Rechte des Antragstellers gewahrt werden können.

aa) Ein solcher Ausnahmefall liegt insbesondere dann vor, wenn das Versäumen
der Jahresfrist
der Sphäre des
Gerichts
und nicht derjenigen des Antragstellers
zuzurechnen ist
([X.], Beschluss vom 19.
März 2013 -
VI
ZB 68/12, NJW 2013, 1684 Rn.
10; zu §
123 Abs.
2 Satz 4 [X.] vgl. B[X.], [X.] vom 30.
Januar 2014 -
7
W (pat) 13/14,
nv
Rn. 18). Dann verbietet es der Anspruch einer [X.] auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren (Art.
2 Abs.
1 iVm Art.
20 Abs.
3 GG), die [X.] mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag
5
6
7
8
-

5

-
wegen Ablaufs der Jahresfrist auszuschließen. Das Rechtsstaatsprinzip ist
durch die Anwendung des §
234 Abs.
3 ZPO etwa
dann verletzt, wenn der [X.] eine fehlerhafte Urteilsausfertigung zugestellt wurde ([X.], Beschluss vom 7.
Juli 2004 -
XII
ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651, 1653), wenn das Gericht über einen rechtzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrag nicht innerhalb eines [X.] entschieden ([X.], Beschluss vom 12.
Juni 1973 -
VI
ZR 121/73, NJW 1973, 1373) oder eine ablehnende Entscheidung über einen [X.] nicht zugestellt hat ([X.], Beschluss vom 20.
Februar 2008 -
XII
ZB 179/07, NJW-RR 2008, 878 Rn.
15
f), und
wenn das Gericht bei einer [X.] durch seine Verfahrensweise über einen längeren Zeitraum das Vertrauen er-weckt
hat, der eingelegte Rechtsbehelf sei zulässig ([X.], Urteil vom 15.
Dezember 2010 -
XII
ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 37; [X.] NJW 2004, 2112, 2114) oder ein gestellter Wiedereinsetzungsantrag sei begründet (vgl. [X.], NJW 2004, 2149, 2150).

bb) Im Streitfall sind die Gründe, derentwegen der Schuldner die Jahres-frist des §
234 Abs.
3 ZPO versäumt hat, nicht der Sphäre des Gerichts zuzu-rechnen. Das Gericht hat das Schreiben, das die Aufstellung der angemeldeten [X.] und die nach §
175 Abs.
2 [X.] vorgeschriebene Belehrung enthielt, dem
Schuldner unter der von ihm angegebenen
Wohnanschrift durch Übergabe an seine Mutter gemäß §§
176,
178 Abs.
1 Nr.
1 ZPO wirksam
zu-stellen lassen. Der Umstand, dass die Mutter das Schreiben nicht an den Schuldner weiterleitete, liegt in der Sphäre des Schuldners und kann nicht dem Gericht zugerechnet werden. Dass der Schuldner das Verhalten seiner Mutter nicht zu vertreten hat, führt allein nicht zur Unanwendbarkeit der Ausschlussfrist des §
234 Abs.
3 ZPO. Diese
greift selbst im Falle höherer Gewalt ein (vgl. zu der entsprechenden Regelung in §
93 Abs.
2 Satz 5 [X.]G:
[X.] in [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.]G, 2015, §
93 Rn.
69 unter [X.]
-

6

-
weis auf BT-Drucks. 12/3628, S. 13;
anders etwa die Regelung in §
60 Abs.
3 VwGO, §
56 Abs.
3 FGO, §
67 Abs.
3 SGG).

cc) Die Ausschlussfrist des §
234 Abs.
3 ZPO schützt im Zivilprozess insbesondere das Vertrauen des Gegners auf den Eintritt der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung. Es wird deshalb vertreten, dass die [X.] nicht anzuwenden sei, wenn es an einem solchen schutzwürdigen Vertrauen auf Seiten des [X.] fehlt, etwa weil dieser die Versäu-mung der Ausschlussfrist arglistig veranlasst hat (MünchKomm-ZPO/[X.],

10
-

7

-
4.
Aufl., §
234 Rn.
15; [X.], NJW-RR 2002, 716, 717).
Ob dieser An-sicht zu folgen ist, braucht nicht entschieden zu werden, weil eine solche Fall-gestaltung nicht vorliegt.

Kayser
[X.]
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.05.2015 -
98 IN 22/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 29.07.2015 -
6 [X.]/15 -

Meta

IX ZA 24/15

21.01.2016

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZA

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.01.2016, Az. IX ZA 24/15 (REWIS RS 2016, 17359)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17359

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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