Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2014, Az. 2 StR 383/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5994

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 383/13
vom
30. April 2014
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 30.
April 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer

und [X.] am Bundesgerichtshof
Dr.
[X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr.
[X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
Zeng,

Bundesanwältin
beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwalt

als Vertreter des Nebenklägers

,

[X.]

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. März 2013 mit den Feststellungen aufgeho-ben.
2. [X.] wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung "an zwei Menschen"
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revi-sion hat Erfolg.
[X.] Nach den Feststellungen des [X.] traf der Angeklagte am Abend des 18.
August 2012 vor dem Club "[X.]

"
in K.

auf den Zeugen [X.]

, den er zu Unrecht verdächtigte, seine frühere Freundin zur Trennung von ihm
veranlasst zu haben. Es entwickelte sich ein lautstarkes, mit Beleidi-gungen einhergehendes Streitgespräch, das in wechselseitige Schläge der Kontrahenten mündete. Die als Türsteher des Clubs arbeitenden Zeugen [X.]

und E.

beendeten die Auseinandersetzung, indem sie beide auseinander drängten.
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Die kurze Kampfpause nutzte der Angeklagte, um ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von ca. zehn Zentimeter aus der Hosentasche zu ziehen und es aufzuklappen. Er entzog sich dem Griff des Zeugen E.

und ging mit dem Messer auf den vom Zeugen [X.]

zurückgehaltenen Zeugen [X.]

los. [X.]

wich zurück, woraufhin der Angeklagte mit einer Ausholbewegung von oben nach unten mindestens zweimal mit dem Messer heftig und unkontrolliert gegen den Kopf des Zeugen [X.]

schlug. Er wusste, dass ein solches
Vor-gehen
tödliche Verletzungen hervorrufen kann, was er jedoch billigend in Kauf nahm. Der Geschädigte [X.]

erlitt zwei stark blutende Schnittwunden am Kopf. Weitere Ausholbewegungen mit dem Messer
führte der Angeklagte in Richtung Brust-
und Bauchbereich des Opfers, das seinerseits versuchte, den Schlagbewegungen auszuweichen, und dadurch weitere Schnittverletzungen erlitt. Das Geschehen verlagerte sich im Zuge der Angriffe des Angeklagten. Der Zeuge E.

, der sich weiterhin -
auch für den Angeklagten sichtbar
-
un-mittelbar neben den Kontrahenten bewegte und versuchte, verbal zu [X.], griff schließlich erneut ein und versuchte, den Angeklagten zu fassen. Dabei wurde er von einer ausholenden Bewegung des Angeklagten, die eigentlich dem Geschädigten [X.]

galt, am linken Arm verletzt. Die stark blu-.

Angeklagte ließ von dem Geschädigten [X.]

ab, folgte dem Zeugen E.

, mit dem er freundschaftlich verbunden war, und entschuldigte sich bei diesem. Anschließend floh er vom [X.].
Der Geschädigte [X.]

erlitt zwei Schnittwunden am Kopf sowie weite-re Verletzungen am rechten Unterarm und an der rechten Hand. Aufgrund ho-hen Blutverlustes bestand die potentielle Gefahr des Verblutens bei nicht zeit-naher ärztlicher Versorgung. Beim Zeugen E.

ergab sich am linken [X.] eine ca. 6
cm lange Schnittverletzung, bei der sämtliche Strecksehnen durchtrennt wurden.
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Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit dem freiwilligen Ablassen von dem Geschädigten [X.]

von einem unbeendeten [X.] strafbefreiend zurückgetreten sei, und hat eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil beider Tatopfer angenommen. Auch hinsichtlich des Zeugen E.

sei von vorsätzlichem Handeln auszugehen. Dass er diesen nicht habe verletzten wollen, ändere nichts daran, dass er dessen Einschreiten bemerkt und dennoch weiter unkontrolliert mit dem Messer
zugeschlagen habe. Er habe dadurch einen Treffer des Zeugen jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen.
I[X.] Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Die Ausführungen des [X.], wonach der Angeklagte auch hinsichtlich des
Geschädigten E.

mit bedingtem [X.] gehandelt
habe, genügen bei dem hier festgestellten Sachverhalt nicht den An-forderungen, die an die Darlegung und Begründung des bedingten Tatvorsatzes zu stellen sind.
a) Es kann dahinstehen, ob die Strafkammer zutreffend angenommen hat, der Angeklagte habe einen "Treffer"
des Geschädigten E.

durch seine Messerstiche für möglich gehalten. Daran könnten Zweifel bestehen, weil der Angeklagte zwar bemerkte, dass der Zeuge das Kampfgeschehen begleitete und auch zu beschwichtigen versuchte, sich aber in den landgerichtlichen [X.]en kein Hinweis findet, ob es für den Angeklagte im Rahmen des dyna-mischen Kampfgeschehens greifbare Anhaltspunkte dafür gegeben hat, dass der Zeuge nach der Wiederaufnahme der nunmehr mit einem Messer geführten Auseinandersetzung erneut eingreifen und dabei durch einen gegen den [X.] [X.]

geführten Messerstich getroffen und verletzt werden könnte. Inso-weit ist nicht völlig auszuschließen, dass der mit dem
Geschädigten [X.]

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gende Angeklagte jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als er mit dem Messer ausholte und schließlich den Zeugen E.

traf, noch gar nicht objektiv damit gerechnet hat, dass letzterer "plötzlich"
in das Kampfgeschehen eingriff.
b)
Das [X.] ist jedenfalls ohne genügende Begründung davon ausgegangen, dass der Angeklagte den eingetretenen Erfolg auch "billigend in Kauf"
genommen hat. Dass bei dem Angeklagten auch hinsichtlich einer Kör-perverletzung des Zeugen E.

das voluntative Vorsatzelement gegeben ist, versteht sich bei der
vom [X.] geschilderten Tatsituation, die auf den Kampf gegen den Zeugen [X.]

ausgerichtet war, auch nicht von selbst (vgl. [X.], [X.], 451).
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] zur [X.] von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der [X.] vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der [X.] an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft -
nicht nur vage
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darauf vertraut, der tat-bestandliche Erfolg werde nicht eintreten.
Da die Grenzen dieser beiden Schuldformen eng beieinander liegen, müssen die Merkmale der
inneren Tat-seite in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellun-gen belegt werden. Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzele-ment muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des [X.]s auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Um-stände mit in Betracht ziehen. Geboten ist somit eine Gesamtschau aller objek-tiven und subjektiven Tatumstände. Hierbei können je nach der Eigenart des 9
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Falles unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Aus dem Vorleben des [X.] sowie aus seinen Äußerungen vor, bei oder nach der Tat können sich Hinweise auf seine Einstellung zu den geschützten Rechtsgü-tern ergeben. Für den Nachweis bedingten Vorsatzes kann insbesondere "an die vom Täter erkannte objektive Größe und Nähe der Gefahr" angeknüpft wer-den ([X.]St 36, 1, 9 f. mwN). An einer solchen Gesamtschau fehlt es hier.
Das [X.] hat sich -
ohne nähere Begründung -
allein auf die [X.] beschränkt, eine billigende Inkaufnahme liege vor. Dies genügt nicht, zumal sich dem Sachverhalt konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Angeklagte eher auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut haben [X.], als ihn etwa gleichgültig hinzunehmen. Der Angeklagte war mit dem Zeugen E.

freundschaftlich verbunden; dessen Verletzung war Anlass, das [X.] abzubrechen, ihm zu folgen und sich sofort bei ihm zu entschuldi-gen. Mögen diese Umstände den [X.] im Zeitpunkt der Ausholbewegung mit dem Messer zwar nicht grundsätzlich ausschließen, hätte sich doch der Tatrichter mit ihnen auseinandersetzen müssen, bevor er von einem billigenden Inkaufnehmen ausgeht.
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2. Die Verurteilung des [X.] hat insoweit (bezogen auf die ge-fährliche Körperverletzung zum
Nachteil des Zeugen E.

) keinen Bestand. Dies führt ohne Weiteres auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfrei fest-gestellten, tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen [X.]

.
Fischer

[X.] [X.]

[X.] Zeng
12

Meta

2 StR 383/13

30.04.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.04.2014, Az. 2 StR 383/13 (REWIS RS 2014, 5994)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5994

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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