Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2011, Az. 3 StR 398/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 760

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 398/11
vom
6. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags
u.a.

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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 6.
Dezember 2011 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22.
Juni 2011 mit den zugehöri-gen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt worden ist;
b) im Strafausspruch sowie hinsichtlich der Einziehungsanord-nung.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die den [X.] dadurch
entstandenen notwen-digen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt und das sichergestellte [X.]
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messer eingezogen. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Re-vision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

Während der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes in [X.] mit gefährlicher Körperverletzung rechtlicher Nachprüfung standhält (§
349 Abs.
2 StPO), müssen die Verurteilung wegen Totschlags und damit auch die einheitlich verhängte Jugendstrafe aufgehoben werden, weil das [X.] den Tötungsvorsatz nicht rechtsfehlerfrei belegt hat.

1. Nach den Feststellungen des [X.]s trafen der Angeklagte und der später getötete

G.

im Kreis von [X.] nachts vor einer Diskothek aufeinander. Beide standen unter dem Einfluss zuvor genossenen Alkohols. G.

begann aus nicht aufklärbarem Grund damit, den Angeklag-ten zu beschimpfen, schubste ihn und forderte ihn zu einer körperlichen Ausei-nandersetzung heraus. [X.] hatte indes daran kein Interesse und schickte sich an, mit seinen Begleitern den Ort zu verlassen. G.

ging gleichwohl erneut auf ihn zu und schlug ihm mit der Hand oder der Faust hart ins Gesicht. [X.], der glaubte, diese Provokation nicht mehr untätig hinnehmen zu können, ohne vor seinen Bekannten das Gesicht zu verlieren, zog ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern aus der [X.] und ging auf G.

zu. Um den Streit zu schlichten, stellte sich nunmehr der Zeuge R.

zwischen die Kontrahenten. Er breitete, mit dem Rü-cken zu G.

und mit der Brust zum Angeklagten gewandt, seine beiden Arme aus und sprach beruhigend auf letzteren ein, wobei ihn G.

hin und wieder von hinten schubste. Während der Zeuge "seine Schlichtungsversuche noch fortsetzte, stach der Angeklagte mit seinem Klappmesser unter der linken Achselhöhle des Zeugen hindurch in einem Bogen in Richtung des Oberkör-2
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pers des Geschädigten. Dabei erkannte er die Möglichkeit, dass er dem [X.] durch diesen Stich tödliche Verletzungen zufügen könnte. Diese Möglichkeit nahm er billigend in Kauf". Der Stich führte beim Geschädigten zu einer Verletzung des Herzens, an der dieser, nachdem er zunächst noch hatte fliehen können
und dabei aber alsbald zusammengebrochen war, am nächsten Morgen im Krankenhaus verstarb. [X.] berichtete sichtlich ge-schockt und teilweise unter Tränen in der Nacht seiner Freundin und einem Bekannten davon, dass er glaube, jemanden umgebracht zu haben. Als er am Morgen erfuhr, dass G.

gestorben war, stellte er sich der Polizei.

2. [X.] hat einen Tötungsvorsatz bestritten und sich dahin eingelassen, er habe sein Messer nur vor dem Körper geschwenkt, um den Geschädigten und die anderen Anwesenden von sich fern zu halten. Diese Ein-lassung hat das [X.] widerlegt aufgrund der für glaubhaft erachteten Angaben mehrerer Zeugen, der Angeklagte habe gezielt nach seinem Opfer gestochen. Seine Überzeugung vom bedingten Tötungsvorsatz hat das Land-gericht wie folgt begründet: [X.] habe gezielt gestochen und so hef-tig, dass die Messerklinge das Herz erreicht habe. Dafür, dass dem Angeklag-ten die mit einem solchen Stich verbundene Gefahr nicht bewusst gewesen sein könnte, gebe es keine Anhaltspunkte. [X.] sei durchschnittlich intelligent und bei der Tat in seiner Einsichtsfähigkeit nicht erheblich beschränkt gewesen. Das [X.] spreche nicht gegen einen bedingten Tötungs-vorsatz; es rechtfertige "nur" die Annahme, dass der Angeklagte seine Tat im Nachhinein bereue.

3. Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht 4
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zum Wissenselement auf einem fehlerhaften Maßstab
sowie im Übrigen auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.

Soweit das [X.] die für die Annahme des Tötungsvorsatzes not-wendige Kenntnis des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seines An-griffs damit begründet hat, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im [X.] der §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit unbeeinträchtigt war, hat es einen fehlerhaf-ten Maßstab angelegt. Die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Mensch nicht getö-tet oder verletzt werden darf, ist etwas anderes, weiter verbreitet und von situa-tiven Umständen in geringerem Maße beeinträchtigt als die Fähigkeit zu erken-nen, dass eine bestimmte Handlung für das Opfer lebensgefährlich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29.
September 2011 -
3 [X.] und vom 15.
November 2011
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3 StR 348/11).

Darüber hinaus hat das [X.] bei seiner Entscheidung den sowohl für das Wissens-
als auch das Willenselement des bedingten Vorsatzes erheb-lichen Umstand nicht gewürdigt, dass die Sicht des Angeklagten auf seinen Kontrahenten durch den mit ausgebreiteten Armen vor ihm stehenden Zeugen eingeschränkt war. Aufgrund der beschränkten Sicht, des Körpers des vor ihm stehenden Zeugen R.

sowie der durch das Schubsen des Zeugen durch den Geschädigten bewirkten Dynamik des Geschehens war die Möglichkeit eines gezielten Stiches in die Herzregion indes deutlich verringert. Entsprechend musste der Angeklagte das Messer bogenförmig um den Zeugen R.

herum-führen. Dem Umstand, dass der Stich des Angeklagten das Opfer am Herzen verletzt hat, kann deshalb nicht dieselbe Bedeutung beigemessen werden, die einem Stich ins Herzen eines unmittelbar vor dem Täter stehenden Opfers zu-kommt.

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Des Weiteren hat das [X.] zwar dargelegt, dass insbesondere bei spontanen, unüberlegten und in affektiver
Erregung ausgeführten Handlun-gen aus dem Wissen um den möglichen Tod des Opfers nicht ohne Berück-sichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten auf das voluntative Vorsatzelement geschlossen werden kann. Gleichwohl hat es die durch die Provokationen des Geschädigten bewirkte "emotionale Erregung" des Angeklagten lediglich beiläufig bei der Erörterung erheblich verminderter Schuldfähigkeit erwähnt, bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes dagegen nicht in seine Überlegungen miteinbezogen.

Zuletzt gibt die Würdigung des [X.]s des Angeklagten [X.] zu rechtlichem Bedenken. Das Erschrecken des Angeklagten über seine Tat zwingt keinesfalls zu dem Schluss, es handele sich lediglich um Reue nach der Tat. Sollte es sich dabei nicht nur um eine fehlerhafte Formulierung han-deln, wäre das [X.] hiervon aber ausgegangen, soweit es dargelegt hat, dieses Verhalten rechtfertige "nur" diese Annahme.

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4. Über den Vorwurf des Totschlags muss deshalb erneut verhandelt und entschieden werden. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhe-bung der einheitlichen Jugendstrafe sowie der [X.] nach sich.

[X.]Pfister

Hubert

Schäfer Menges
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Meta

3 StR 398/11

06.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2011, Az. 3 StR 398/11 (REWIS RS 2011, 760)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 760

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