Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.04.2019, Az. VI R 36/16

6. Senat | REWIS RS 2019, 8200

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Fahrtkosten eines Gesamthafenarbeiters nach neuem Reisekostenrecht


Leitsatz

1. Lohnsteuerrechtlicher Arbeitgeber eines Gesamthafenarbeiters, der sowohl in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Gesamthafen-Betriebsgesellschaft steht als auch durch die arbeitstägliche Arbeitsaufnahme ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis bei einem Hafeneinzelbetrieb begründet, ist der Hafeneinzelbetrieb.

2. Für die Frage, ob der Gesamthafenarbeiter über eine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG verfügt, weil er einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung dauerhaft zugeordnet ist, kommt es deshalb allein auf das jeweilige mit dem Hafeneinzelbetrieb begründete Arbeitsverhältnis an.

3. Unerheblich ist, dass das Arbeitsverhältnis zu einem Hafeneinzelbetrieb regelmäßig auf einen Tag befristet ist. Denn von einer dauerhaften Zuordnung ist nach § 9 Abs. 4 Satz 3  2. Alternative EStG dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer für die Dauer des (befristeten) Dienst- oder Arbeitsverhältnisses an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung tätig werden soll. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, für den vorliegenden atypischen Fall eine Ausnahmeregelung zu schaffen.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 30.08.2016 - 2 K 218/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit dem … 2010 für den [X.] als sogenannter [X.] im Bereich der Logistik tätig. Nach dem Arbeitsvertrag ("[X.] Logistik") übernimmt der [X.] gegenüber dem Kläger insoweit die Funktion eines Arbeitgebers, als diese nicht von den [X.] auszuüben ist (Ziffer 2 des [X.]s). Der Kläger hat sich nach näherer Bestimmung der [X.]s-Gesellschaft m.b.H. ([X.]) zur Arbeitseinteilung an den dafür vorgesehenen Stellen einzufinden, wobei er nach Maßgabe der vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten Anspruch auf Einteilung zur Logistikarbeit hat (Ziffer 3 des [X.]s). Während der Arbeit bei den [X.] gehört der Kläger mit allen Rechten und Pflichten auch zur Belegschaft des jeweiligen Logistikbetriebs. Die Auszahlung des Lohns erfolgt durch die [X.] (Ziffer 5 des [X.]s).

2

Der [X.] ist durch Vereinbarung über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für Hafenarbeiter in [X.] vom 9. Februar 1951 zwischen der Arbeitsgemeinschaft [X.]er Hafen-Fachvereine und der [X.], Transport und Verkehr auf der Grundlage des Gesetzes über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für Hafenarbeiter ([X.]) vom 3. August 1950 ([X.] 1950, 352) gegründet worden. Nach § 8 Abs. 2 der Satzung für den [X.] vom 30. April 1969 i.d.F. vom 26. Juni 1994 (Satzung) gehören [X.] während der Arbeit bei den [X.] mit allen Rechten und Pflichten auch zu deren Belegschaft. Der Lohnanspruch der [X.] richtet sich gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung gegen den Hafeneinzelbetrieb, bei dem sie beschäftigt waren. Die [X.] übernimmt im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Hafeneinzelbetriebs die Ausfallbürgschaft für den Lohnanspruch der von ihr dem Hafeneinzelbetrieb zugeteilten [X.] (§ 12 Abs. 2 der Satzung). Die Auszahlung des Lohns für die [X.] erfolgt durch die [X.] (§ 14 Abs. 1 der Satzung). Die Hafeneinzelbetriebe haben dafür zu sorgen, dass auf dem für sie bei der [X.] geführten Konto ein ausreichendes Guthaben zur Abdeckung der durch die Beschäftigung der [X.] entstehenden Kosten vorhanden ist (§ 15 Abs. 2 der Satzung).

3

Die Tätigkeit der [X.] ist im [X.] organisiert. Die Schichtzeiten werden von der [X.] vorgegeben und orientieren sich an den Zeiten der Hafenbetriebe. Die Einteilung zur Arbeit erfolgt grundsätzlich täglich, wobei die [X.] am Vortag ab 14:00 Uhr bei den [X.] der [X.] anzurufen haben, die ihnen dann ihren Einsatzbetrieb und die Schichtzeit mitteilen. Falls eine Arbeitseinteilung mangels Nachfrage nicht möglich ist, müssen sich die [X.] zur kurzfristigen Einteilung bereithalten ("Stand By"), wobei dies auch zu Hause erfolgen kann, wenn ein rechtzeitiges Erreichen des [X.] gewährleistet ist. Sofern keine Vermittlung erfolgt, sind die [X.] nicht verpflichtet, sich in den Geschäftsräumen des [X.] aufzuhalten.

4

Es kommt auch vor, dass [X.] von der [X.] längerfristig --für Wochen, Monate oder sogar [X.] zur Arbeit bei einem Hafenbetrieb eingeteilt werden, falls dort ein entsprechender Bedarf besteht (sog. Betriebsgruppen). Dies erfolgt in Abstimmung mit dem Mitarbeiter und dem anfordernden Betrieb.

5

Der Kläger war im Streitjahr (2014) nach arbeitstäglicher Zuteilung durch die [X.] bei insgesamt fünf verschiedenen [X.] tätig, …

6

Er ist zu diesen Betrieben, die im Gebiet des [X.]er Hafens ansässig sind und dort über ein eigenes Betriebsgelände verfügen, jeweils von seiner Wohnung aus mit dem PKW gefahren.

7

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger auf Grundlage einer Einsatzwechseltätigkeit Fahrtkosten in Höhe von 3.612 € geltend.

8

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Fahrtkosten in Höhe von lediglich 1.877 € fest. Er ging dabei davon aus, dass der Kläger als Hafenarbeiter gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet beschäftigt und deshalb für die Fahrten von der Wohnung zum nächstgelegenen Zugang zum Tätigkeitsgebiet (V- Straße) und auch innerhalb des [X.] die Entfernungspauschale von 0,30 € pro Entfernungskilometer anzuwenden sei.

9

Auf den Einspruch des [X.] berücksichtigte das [X.] alle Fahrten innerhalb des [X.]er Hafengeländes mit 0,30 € je gefahrenem Kilometer. Die Fahrtkosten erhöhten sich dadurch auf 2.944 €. Gegen den Änderungsbescheid legte der Kläger wiederum Einspruch ein, den das [X.] als unbegründet zurückwies.

Die hiergegen gerichtete Klage blieb aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte  2016, 1937 veröffentlichten Gründen erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 18. Juni 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2015 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 668 € berücksichtigt werden.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 [X.], ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 [X.]).

2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 [X.] die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 ([X.], 285) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 [X.] definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte".

a) Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. [X.], Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht (s. hierzu auch Senatsurteile vom 11. April 2019 - VI R 40/16, [X.], 248 und VI R 12/17, [X.], 265).

b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 [X.] durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.

aa) Nach der gesetzlichen Konzeption --und der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts prägenden [X.] wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits([X.] oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien (BTDrucks 17/10774, S. 15; ebenso Schreiben des [X.] --BMF-- vom 24. Oktober 2014 - IV C 5 S 2353/14/10002, [X.], 1412, Rz 2; [X.], [X.], 1015; [X.], [X.] 2014, 1316; [X.], [X.], 497; [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 559; [X.]/[X.], [X.], 38. Aufl., § 9 Rz 303; [X.] in [X.], [X.], 18. Aufl., § 9 Rz 52; [X.] in [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 1402; kritisch [X.], [X.] --[X.]-- 2013, 1017; [X.]. in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 9 [X.] Rz 546).

bb) Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen (im weiteren Verlauf: arbeitsrechtliche) zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen (BTDrucks 17/10774, S. 15). Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts (beispielsweise im Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn (im weiteren Verlauf: Arbeitgeber) vorgenommen werden. Die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss dabei nicht ausdrücklich erfolgen. Sie setzt auch nicht voraus, dass sich der Arbeitgeber der steuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung bewusst ist. Wird der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber einer betrieblichen Einrichtung zugeordnet, weil er dort seine Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung aufgrund der steuerrechtlichen Anknüpfung an das Dienst- oder Arbeitsrecht vielmehr auch steuerrechtlich maßgebend. Deshalb bedarf es neben der arbeitsrechtlichen Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung keiner gesonderten Zuweisung zu einer ersten Tätigkeitsstätte für einkommensteuerrechtliche Zwecke. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts auch das Auseinanderfallen der arbeitsrechtlichen von der steuerrechtlichen Einordnung bestimmter Zahlungen als Reisekosten verringern (BTDrucks 17/10774, S. 15). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden sollte.

cc) Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden (a.A. BMF-Schreiben in [X.], 1412, Rz 10). Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der Finanzgerichtsordnung zugelassenen Beweismittel möglich und durch das [X.] im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll.

dd) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an (BTDrucks 17/10774, S. 15; BMF-Schreiben in [X.], 1412, Rz 8; [X.], [X.] 2013, 1015; [X.], [X.] 2013, 1017; [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 551, 554 und 559; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 9 Rz 303; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 9 Rz 52; [X.] in [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 1402; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] 2018, § 9 Rz 122b und 252a; [X.] in [X.], [X.], § 9 [X.] Rz 68; [X.]/Harder-Buschner, [X.], 26, 33; kritisch [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 546).

Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die "erste Tätigkeitsstätte" als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von [X.] nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als [X.] gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies folgt nach Auffassung des erkennenden Senats insbesondere aus § 9 Abs. 4 Satz 3 [X.], der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig werden soll. Darüber hinaus ist das Erfordernis einer arbeitsvertrag- oder dienstrechtlich geschuldeten Betätigung an diesem Ort nicht zuletzt dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "erste Tätigkeitsstätte" geschuldet. Denn ein Ort, an dem der Steuerpflichtige nicht tätig wird (oder für den Regelfall nicht tätig werden soll), kann nicht als Tätigkeitsstätte angesehen werden. Schließlich zwingt auch das objektive Nettoprinzip, den Begriff der ersten Tätigkeitsstätte dahingehend auszulegen. Denn anderenfalls bestimmt sich die Steuerlast nicht --gleichheitsrechtlich geboten-- nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, sondern nach dem Belieben seines Arbeitgebers.

c) Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 [X.] aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen [X.]raum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte entsprechend § 9 Abs. 4 Satz 4 [X.] die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
1. typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
2. je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

aa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3  1. Alternative [X.], wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.

bb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3  2. Alternative [X.] für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt.

3. Das [X.] ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Der erkennende Senat kann aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht prüfen, ob dieses zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Kläger, der als Gesamthafenarbeiter von der [X.] täglich zur Arbeit bei einem Hafeneinzelbetrieb eingeteilt wurde, im Streitjahr eine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 [X.] hatte.

a) Lohnsteuerrechtlicher Arbeitgeber des [X.] im Streitjahr waren die Hafeneinzelbetriebe. Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass der Kläger als Gesamthafenarbeiter nicht nur in einem Arbeitsverhältnis zur [X.] stand, sondern gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 der Satzung an den Tagen, an denen er für einen Hafeneinzelbetrieb tätig wurde, auch ein Arbeitsverhältnis zu diesem begründete. Insoweit kommt für die Dauer des jeweiligen Einsatzes im Hafeneinzelbetrieb ein (weiteres) Arbeitsverhältnis zwischen dem Inhaber des Hafeneinzelbetriebs und dem Gesamthafenarbeiter dadurch zustande, dass der Gesamthafenarbeiter bei dem Hafeneinzelbetrieb, dem er zugeteilt ist, zur Arbeit antritt (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 25. November 1992 - 7 [X.], [X.], 12).

Soweit und solange ein Gesamthafenarbeiter in einem Hafeneinzelbetrieb eingesetzt ist, ist die Arbeitgeberstellung der [X.] nur subsidiär. Denn der Gesamthafenbetrieb nimmt im Rahmen seiner Aufgaben gegenüber dem Gesamthafenarbeiter die Funktionen eines Arbeitgebers nur insoweit wahr, als diese nicht von dem Hafeneinzelbetrieb auszuüben sind ([X.] in [X.], 12, unter B.II.2.a).

Diese besondere Konstruktion bezweckt, den [X.] einen im Verhältnis zu den im Regelfall nur schichtweise beschäftigenden [X.] zusätzlichen Arbeitgeber zu verschaffen, damit diese gerade auch während der [X.], in der sie nicht in einem Hafeneinzelbetrieb eingesetzt sind, einen vertraglichen Arbeitgeber haben und nicht arbeitslos sind. Der [X.] kommt damit lediglich eine [X.] zu. Während der [X.]en der Beschäftigung ist primärer --und damit auch lohnsteuerrechtlich [X.] Arbeitgeber der Hafeneinzelbetrieb. Dieser nimmt insoweit die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen wahr. So ist nur der Hafeneinzelbetrieb in der Lage, von dem Gesamthafenarbeiter die geschuldete Arbeitsleistung unter Ausübung des [X.] zu verlangen; umgekehrt ist nur der Hafeneinzelbetrieb --und nicht der [X.] für die Dauer des Einsatzes im Hafeneinzelbetrieb ([X.] in [X.], 12, unter B.II.2.c).

b) In Bezug auf das jeweilige Arbeitsverhältnis zu den [X.] lagen aufgrund des insoweit bestehenden Weisungsrechts dauerhafte Zuordnungen i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3  2. Alternative [X.] vor, da sie jeweils die Dauer des gesamten Arbeitsverhältnisses zum Hafeneinzelbetrieb umfassten. Denn das Arbeitsverhältnis des [X.] mit dem jeweiligen Hafeneinzelbetrieb dauerte nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss in [X.], 12), der sich der erkennende Senat anschließt, so lange, wie der Kläger für den Hafeneinzelbetrieb aufgrund der Einteilung durch die [X.] tätig wurde, im Streitfall folglich jeweils einen Tag. Dies stand bereits aus der Sicht ex ante fest.

c) Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist unerheblich, dass das jeweilige Arbeitsverhältnis nur einen Tag bestand. Dies ist Folge der vom Gesetzgeber gewählten Typisierung, wonach auch bei befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnissen von einer dauerhaften Zuordnung auszugehen ist.

Der Gesetzgeber ist bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2008 - 2 [X.], 2 [X.], 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, [X.] 122, 210, m.w.N.).

Den vorliegenden atypischen Sonderfall, dass ein Arbeitnehmer täglich ein neues Arbeitsverhältnis begründet, musste der Gesetzgeber nicht sehen und entsprechend auch nicht beson[X.] regeln.

d) Der erkennende Senat kann allerdings nicht beurteilen, ob die dauerhaften Zuordnungen jeweils auch zu ortsfesten betrieblichen Einrichtungen i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 [X.] erfolgt sind. Das [X.] hat lediglich festgestellt, dass die Hafeneinzelbetriebe, bei denen der Kläger im Streitjahr tätig war, im Gebiet des [X.] ansässig waren und dort über eigene Betriebsgelände verfügten. Es hat jedoch --aus seiner Sicht zu [X.] keine Feststellungen darüber getroffen, ob diese auf ihrem jeweiligen Gelände über eine ortsfeste betriebliche Einrichtung verfügten, an der der Kläger tätig werden sollte (§ 9 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 3 [X.]). Dies wird das [X.] im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

Sollte es im Einzelfall an einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 [X.] fehlen, wären die Fahrten des [X.] insoweit nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Sätze 1 und 2 [X.] mit den tatsächlichen Aufwendungen oder alternativ mit 0,30 € je gefahrenen Kilometer anzusetzen. Da es im Streitfall auf die Beschäftigung durch die Hafeneinzelbetriebe ankommt, ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 [X.] nicht einschlägig.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 36/16

11.04.2019

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 30. August 2016, Az: 2 K 218/15, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 4 S 1 EStG 2009, § 9 Abs 4 S 2 EStG 2009, § 9 Abs 4 S 3 EStG 2009, § 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.04.2019, Az. VI R 36/16 (REWIS RS 2019, 8200)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8200

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI R 4/21 (Bundesfinanzhof)

Weiträumiges Tätigkeitsgebiet - vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche


9 AZR 478/21 (Bundesarbeitsgericht)

Gesamthafenbetrieb im Lande Bremen - Zustandekommen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 Satz …


9 AZR 476/21 (Bundesarbeitsgericht)

Unanwendbarkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG im …


9 AZR 477/21 (Bundesarbeitsgericht)


VI R 6/17 (Bundesfinanzhof)

Erste Tätigkeitsstätte bei einem befristeten Beschäftigungsverhältnis


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.