Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.07.2018, Az. 6 B 79/18

6. Senat | REWIS RS 2018, 6317

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Gegenstand

Versagung und Widerruf des Kleinen Waffenscheins; freiwillige Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe; Gewaltausübung


Leitsatz

Die Versagung und der Widerruf des Kleinen Waffenscheins können auf die freiwillige Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe gestützt werden, wenn die Gewaltausübung ein prägendes Strukturmerkmal dieser Gruppe darstellt und ein Mitglied jederzeit in deren Gewalttätigkeiten hineingezogen werden kann (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 105).

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] kann keinen Erfolg haben. Aus seiner Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Aufgrund des [X.] nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist das [X.] darauf beschränkt, über die Zulassung der Revision aufgrund der Gesichtspunkte zu entscheiden, die der Beschwerdeführer fristgerecht in der Beschwerdebegründung vorgebracht hat.

2

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf des [X.]. Der Verwaltungsgerichtshof hat die erstinstanzlich erfolgreiche Anfechtungsklage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen, der Kläger besitze die für das Führen von Waffen erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr, weil das Risiko bestehe, dass er nicht umfassend ordnungsgemäß mit Waffen umgehen werde. Diese ungünstige Prognose ergebe sich aus dem Umstand, dass der Kläger zunächst Mitglied, seit 2011 Vizepräsident und seit 2014 Präsident des "[X.]", eines "[X.]hapter" des Motorradclubs "[X.]", sei. Die Gruppenzugehörigkeit einer Person rechtfertige für sich genommen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn die Gruppe durch eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung geprägt sei und sich das einzelne Mitglied der Unterstützung im Konfliktfall aufgrund freiwillig eingegangener Bindungen nicht entziehen könne. Dies sei bei dem Motorradclub, dem das "[X.]hapter" des [X.] angehöre, der Fall: Zahlreiche Vorfälle belegten, dass auch dessen Mitglieder jederzeit bereit seien, Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Motorradclubs gewaltsam auszutragen. Auch sei belegt, dass sich die "[X.]hapter" eines [X.]lubs in derartigen Auseinandersetzungen bedingungslos gegenseitig Beistand leisteten. Die Mitglieder könnten jederzeit in diese Gewalttätigkeiten hineingezogen werden, weil sie in eine streng hierarchische Struktur eingebunden und sich zu unbedingter Loyalität verpflichtet hätten. Es sei nicht ersichtlich, dass das "[X.]hapter", dem der Kläger vorstehe, eine Ausnahme darstelle.

3

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger die Frage als rechtsgrundsätzlich bedeutsam auf, ob die Zuverlässigkeit in Bezug auf das Führen von [X.], Reizstoff- und Signalwaffen (Kleiner Waffenschein) nach demselben Maßstab zu beurteilen sei wie die Zuverlässigkeit in Bezug auf das Führen von Schusswaffen. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit verlange, dass der Kleine Waffenschein nur versagt oder widerrufen werden dürfe, wenn sich die Unzuverlässigkeit aus konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles ergebe. Generalisierende Annahmen wie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe reichten nicht aus.

4

Damit hat der Kläger einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt (stRspr; vgl. nur [X.], Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Es ist in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe die waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] entfallen lässt. Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung auf die Erteilung des [X.] sowie auf dessen Rücknahme und Widerruf.

5

Die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 [X.] gehört zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Waffen- und Munitionserlaubnissen. Die Zuverlässigkeit muss dauerhaft gegeben sein; ansonsten ist die Erlaubnis zu widerrufen (§ 45 Abs. 2 [X.]). Personen besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie [X.] für den Umgang mit Waffen und Munition nicht beachten werden, etwa diese Gegenstände missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, nicht sorgfältig verwahren oder nicht berechtigten Personen überlassen werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). [X.] ist auch das Führen von [X.], Reizstoff- und Signalwaffen; diese Erlaubnis wird durch den Kleinen Waffenschein erteilt. Auch dessen Erteilung setzt die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 [X.] voraus, weil diese Erlaubnisvoraussetzung nicht für entbehrlich erklärt worden ist (§ 10 Abs. 4 Satz 4 [X.] i.V.m. der Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1 dieses Gesetzes).

6

Über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist aufgrund einer Prognose des künftigen Verhaltens zu entscheiden, deren Maßstab dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen hat. Dieser besteht darin, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Gebot der Risikominimierung ist Ausdruck der präventiven [X.]. Daraus folgt, dass nur solche Personen als zuverlässig gelten können, bei denen die tatsächlichen Umstände keinen vernünftigen Zweifel zulassen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden (stRspr; vgl. [X.], Urteile vom 30. September 2009 - 6 [X.] 29.08 - [X.] 402.5 [X.] Nr. 100 Rn. 17; vom 28. Januar 2015 - 6 [X.] 1.14 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.] 402.5 [X.] Nr. 105 Rn. 17 und vom 17. November 2016 - 6 [X.] 36.15 [[X.]:[X.]:[X.]] - [X.]E 156, 283 Rn. 15).

7

Dementsprechend können sich berechtigte Zweifel, dass eine Person die Anforderungen an den Umgang mit Waffen und Munition dauerhaft ohne Einschränkungen beachten wird, auch aus der Zugehörigkeit zu einer gewaltaffinen organisierten Gruppe ergeben. Die Bereitschaft, unter bestimmten Umständen Gewalt auszuüben, muss ein prägendes Strukturmerkmal der Gruppe darstellen. Davon kann ausgegangen werden, wenn gewaltsame Angriffe auf Außenstehende oder gewalttätige Auseinandersetzungen in der Vergangenheit zum spezifischen Erscheinungsbild der Gruppe gehört haben, ohne dass diese sich umfassend und glaubhaft davon distanziert hat. Hinzukommen muss, dass das einzelne Mitglied der Gruppe aufgrund freiwillig eingegangener Bindungen, etwa aufgrund einer Verpflichtung zur unbedingten Loyalität, typischerweise in die Gewaltausübung hineingezogen werden kann ([X.], Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 [X.] 1.14 - NJW 2015, 3594 = [X.] 402.5 [X.] Nr. 105 Rn. 11 ff.).

8

Zwar muss die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] die in Rede stehende Erlaubnispflicht in den Blick nehmen. Die jeweilige Person muss in Bezug auf diejenigen Waffen, für die der Umgang gestattet werden soll, zuverlässig sein. Dies ändert aber nichts daran, dass der dargelegte Maßstab für die Zuverlässigkeitsprognose für alle gesetzlich vorgesehenen Erlaubnisse und damit auch für die Erteilung und den Widerruf des [X.] gilt. Dieser Prognose müssen diejenigen Tatsachen zugrunde gelegt werden, die für die Beurteilung des künftigen Verhaltens der Person von Bedeutung sein können. Damit lässt sich nicht vereinbaren, bestimmte Tatsachen wie die Zugehörigkeit zu einer gewaltaffinen organisierten Gruppe generell auszublenden. Dieser Bedeutungsgehalt des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ergibt sich eindeutig aus der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck.

9

Das [X.] nach § 5 [X.] ist in die Liste des § 4 Abs. 1 [X.] aufgenommen, der die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung waffenrechtlicher Erlaubnisse einheitlich festlegt. Dem entspricht die Stellung der Vorschriften in dem Unterabschnitt 1 des Abschnittes 2 des Waffengesetzes mit der Überschrift "Allgemeine Voraussetzungen für Waffen- und Munitionserlaubnisse". Auch Rücknahme und Widerruf von Erlaubnissen sind einheitlich geregelt (§ 45 Abs. 1 und 2 [X.]). Eine Erlaubnis muss widerrufen werden, wenn eine Voraussetzung wie die Zuverlässigkeit nach § 5 [X.] aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen nicht mehr besteht. Aus diesem gesetzlichen Regelungskonzept ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der einheitlich vorgegebene, "vor [X.] gezogene" gesetzliche Begriff der Zuverlässigkeit unterschiedliche, je nach Erlaubnis variierende Prognosemaßstäbe enthält.

Hiergegen spricht auch das Gebot der Risikominimierung als allgemeiner gesetzlicher Grundsatz für den erlaubnispflichtigen Umgang mit Waffen. Es gilt uneingeschränkt auch für den Umgang mit [X.], Reizstoff- und Signalwaffen und damit für Erteilung und Widerruf des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2016 - 6 [X.] 36.15 - [X.]E 156, 283 Rn. 15). Auch diese Waffen sind geeignet, erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und Verletzungen herbeizuführen. Hinzu kommt der missbräuchliche Umgang mit solchen Waffen, den der Gesetzgeber durch die Einführung der Erlaubnispflicht durch das [X.] vom 11. Oktober 2002 ([X.] I S. 3970) eindämmen wollte ([X.]. 14/7758 S. 1). Nach dem Waffen- und Sprengstoffbericht des [X.] für das [X.] waren 55 % der für die Begehung von Straftaten verwendeten Waffen bis dahin erlaubnisfreie [X.], Reizstoff- und Signalwaffen (BR-Drs. 764/99 S. 2).

Das [X.] als Voraussetzung für das Führen von [X.], Reizstoff- und Signalwaffen ist mit dem dargelegten Inhalt verhältnismäßig. Es ist geeignet und erforderlich, um die gesetzlichen Ziele zu erreichen. Es stellt keine unzumutbare Belastung dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Erteilung des [X.] nur an die grundlegenden Anforderungen der Zuverlässigkeit und der persönlichen Eignung, nicht aber an den Nachweis der Sachkunde und eines waffenrechtlichen Bedürfnisses geknüpft hat (§ 4 Abs. 1, § 10 Abs. 4 Satz 4 [X.] i.V.m. der Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1 dieses Gesetzes). In Anbetracht des legitimen gesetzlichen Zwecks, das Risiko des Umgangs mit Waffen zu minimieren, der Gefährlichkeit der erfassten Waffen und der [X.] liegt auf der Hand, dass sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein Verbot herleiten lässt, eine negative Zuverlässigkeitsprognose unter den dargestellten Voraussetzungen darauf zu stützen, dass sich eine Person freiwillig in einem gewaltaffinen Umfeld bewegt, in dessen Gewaltausübung sie jederzeit hineingezogen werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die dargestellte Rechtsprechung des [X.]s zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] seiner Sachverhaltswürdigung zugrunde gelegt. Insoweit erhebt der Kläger keine Einwendungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

6 B 79/18

10.07.2018

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 7. Dezember 2017, Az: 4 A 814/17, Urteil

§ 4 Abs 1 WaffG 2002, § 5 Abs 1 Nr 2 WaffG 2002, § 10 Abs 4 S 4 WaffG 2002, Anl 2 Abs 2 UAbs 3 Nr 2 WaffG 2002, Anl 2 Abs 2 UAbs 3 Nr 2.1 WaffG 2002, § 45 Abs 2 WaffG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.07.2018, Az. 6 B 79/18 (REWIS RS 2018, 6317)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6317

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

M 7 S 23.684

7 B 11152/18

7 A 11748/17

AN 16 K 18.01864

1 S 542/18

6 L 184/21

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