Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2020, Az. KVR 13/19

Kartellsenat | REWIS RS 2020, 1697

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Gegenstand

Verfahren vor den Kartellbehörden: Zulässigkeit der isolierten Feststellung des rechtswidrigen Zustands bei andauerndem Kartellrechtsverstoß; Begriff der beteiligtenfähigen nicht rechtsfähigen Personenvereinigung; Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung - Zahlungsauslösedienst


Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 30. Januar 2019 und die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen des [X.] tragen die Betroffenen.

Der Gegenstandwert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde und des [X.] wird auf 5.000.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Betroffene zu 1 (nachfolgend [X.]) ist die gemeinsame Interessenvertretung der [X.]pitzenverbände der [X.]           , insbesondere der Betroffenen zu 2 bis 4. Die [X.] verfügt über keine eigene Infrastruktur, tritt aber in der Öffentlichkeit und insbesondere gegenüber Organen der [X.]esetzgebung sowie Verwaltungsbehörden einheitlich auf, wobei sie auf die Ressourcen ihrer Mitglieder zurückgreift.

2

Die Beigeladene zu 5 (nachfolgend: [X.]     ) betreibt seit 2005 ein bankenunabhängiges Bezahlverfahren für den Internethandel, mit dem Zahlungen über das Online-Banking-Konto des Kunden ausgelöst werden. Dazu macht der Kunde die ihm von seinem Kreditinstitut mitgeteilten personalisierten [X.]icherheitsmerkmale für das Online-Banking ([X.] und [X.]) [X.]      zugänglich, die damit einen Zugang zum Online-Banking-Konto des Kunden herstellt, die Kontodeckung prüft und die Zahlung zugunsten des Internethändlers auslöst.

3

Die Beigeladene zu 6 (nachfolgend: [X.]     ) ist aus einem Projekt der [X.]pitzenverbände der [X.]          als Alternative zu [X.]      entstanden. [X.]      betreibt seinen Zahlungsauslösedienst seit 2006.

4

Für die Vertragsbeziehung zwischen den Kreditinstituten und ihren Kunden erarbeitet die [X.] allgemeine [X.]eschäftsbedingungen als Branchenstandards. Diese Bedingungen werden sodann von den in der [X.] zusammengeschlossenen [X.]pitzenverbänden ihren jeweils angeschlossenen Kreditinstituten zur Nutzung empfohlen. Auf diese Weise wurden auch die von der [X.] erarbeiteten [X.] (nachfolgend: [X.]) von den in [X.] tätigen Kreditinstituten zur [X.]rundlage der Vertragsbeziehungen mit ihren Kunden gemacht. Danach durfte der Bankkunde seine personalisierten [X.]icherheitsmerkmale ([X.] und [X.]) nicht außerhalb der mit der Bank gesondert vereinbarten Internetseiten eingeben (Nr. 7.2 [X.]); bei für ihn erkennbaren Verstößen gegen diese Verpflichtung musste er für daraus entstandenen [X.]chaden in vollem Umfang haften (Nr. 10.2.1 [X.]).

5

Mit Beschluss vom 29. Juni 2016 hat das [X.] festgestellt, dass der Beschluss der [X.] über die Annahme der [X.] hinsichtlich der Bestimmungen zu 7.2 und 10.2.1 sowie die Beschlüsse der Betroffenen zu 2 bis 4 über deren Annahme, Bekanntmachung und Empfehlung an die angeschlossenen Kreditinstitute rechtswidrig sind.

6

Nachdem die Betroffenen gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt hatten, wurde in Umsetzung der Richtlinie ([X.]) 2015/2366 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt ([X.]. 2015 L 337/35) § 675f B[X.]B mit Wirkung zum 13. Januar 2018 geändert. Danach ist der Zahlungsdienstnutzer nunmehr berechtigt, einen Zahlungsauslösedienst zu nutzen, wobei der kontoführende Zahlungsdienstleister die Nutzung dieses Dienstes nicht von einem Vertragsschluss zwischen ihm und dem [X.] abhängig machen darf. Die Betroffenen haben die vom [X.] beanstandeten empfohlenen [X.]eschäftsbedingungen daraufhin zum 13. Januar 2018 durch neue Regelungen ersetzt, die die Vorgaben des § 675f B[X.]B berücksichtigen.

7

[X.]oweit noch von Interesse, haben die Betroffenen mit ihren Beschwerden die Feststellung beantragt, dass der Beschluss des [X.]s rechtswidrig gewesen ist.

8

Das Beschwerdegericht hat die Beschwerden zurückgewiesen.

9

II. [X.]ründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

1. Die Frage, ob sich die Kartellbehörde auch bei einem im Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch andauernden Kartellrechtsverstoß darauf beschränken kann, den rechtswidrigen Zustand lediglich festzustellen, wenn ihr dies im Einzelfall ausreichend erscheint, ist nicht klärungsbedürftig. [X.]ie ist vielmehr mit dem Beschwerdegericht zweifelsfrei zu bejahen. Die Möglichkeit des [X.]s, in Ausübung des ihm durch § 32 Abs. 1 [X.]WB eingeräumten Ermessens in geeigneten Fällen eine isolierte Feststellung zu treffen, ergibt sich ohne weiteres aus dem [X.]rundsatz der Verhältnismäßigkeit, der das gesamte öffentliche Handeln beherrscht und in § 32 Abs. 2 [X.]WB ausdrücklich erwähnt ist. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit ist im Verhältnis zu einer Abstellungsverfügung das mildere Mittel, da die Feststellung zentrales und immanentes Begründungselement jeder Abstellungsverfügung ist. § 32 Abs. 3 [X.]WB ist nicht im Umkehrschluss zu entnehmen, dass eine isolierte Feststellungsverfügung vor Beendigung der Zuwiderhandlung unzulässig ist. Vielmehr sollen durch diese Vorschrift die Handlungsmöglichkeiten der Kartellbehörde sachgerecht erweitert, nicht aber die [X.]eltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor Beendigung der Zuwiderhandlung beschränkt werden.

2. Ebenso wenig ist klärungsbedürftig, ob es sich bei einer formlosen Zusammenarbeit von [X.]pitzenverbänden der Wirtschaft, wie hier der [X.], die über keine eigene Infrastruktur verfügt, sondern lediglich auf die Ressourcen ihrer zusammenarbeitenden [X.]pitzenverbände zurückgreift, um eine gemäß § 77 [X.]WB am Verfahren vor der Kartellbehörde beteiligtenfähige, nicht rechtsfähige Personenvereinigung handelt. Der Begriff der nicht rechtsfähigen Personenvereinigung in § 77 [X.]WB umfasst den Begriff der Unternehmensvereinigung im [X.]inne von § 1 [X.]WB und Art. 101 A[X.]V. Er ist funktional und weit auszulegen und jedenfalls erfüllt, wenn eine [X.] im Hinblick auf das unternehmerische Verhalten ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Mitglieder hat. Dies ist bei der [X.] unzweifelhaft der Fall.

3. Der von der Beschwerde zur bezweckten Wettbewerbsbeschränkung aufgeworfenen Frage fehlt bereits deshalb die Entscheidungserheblichkeit, weil nach den Feststellungen des [X.] jedenfalls eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt.

Darüber hinaus stehen die Erwägungen des [X.] zum Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung im Einklang mit den in ständiger Rechtsprechung des [X.]erichtshofs der [X.] entwickelten [X.]rundsätzen (vgl. nur Eu[X.]H, Urteil vom 11. [X.]eptember 2014 - [X.]/13 P, [X.]/E [X.]-R 3090 Rn. 48-54, 57 f, 70, 78 - [X.]; Urteil vom 26. November 2015 - [X.]/14, [X.], 74 Rn. 16-20 - Maxima Latvija). Insbesondere ist der Rechtsprechung des [X.] entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu entnehmen, bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen seien nur solche Verhaltensweisen, die offensichtlich den Wettbewerb auf dem relevanten Markt verhindern, einschränken oder verfälschen. Vielmehr muss die bezweckte Wettbewerbsbeschränkung nicht bereits auf den ersten Blick erkennbar sein; entscheidend sind ihr Inhalt, die damit verfolgten Ziele sowie der wirtschaftliche und rechtliche Zusammenhang, in dem die beanstandete Vereinbarung steht. Dafür bedarf es in aller Regel einer eingehenden Analyse der Vereinbarung, aufgrund deren sich eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung dann im Ergebnis unzweifelhaft zu ergeben hat. Diese Analyse hat das Beschwerdegericht durchgeführt.

4. Der Beschluss des [X.] weicht nicht von dem zu § 675l B[X.]B aF ergangenen Urteil des [X.] vom 26. Januar 2016 ([X.], B[X.]HZ 208, 331 Rn. 58) ab. In dieser Entscheidung hat der [X.]. Zivilsenat die Anwendbarkeit der [X.]rundsätze der [X.] und des Handelns unter fremdem Namen im Zusammenhang mit der unbefugten Verwendung von [X.] und [X.] durch eine andere Person als den Kontoinhaber geprüft und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass nach dem Vertrag zwischen Bank und Kunde bei Nutzung eines ohnehin nach § 675l B[X.]B geheim zu haltenden [X.] eine Bevollmächtigung Dritter ausgeschlossen sei. Abgesehen davon, dass damit, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, noch nichts über die Vereinbarkeit einer etwaigen Bevollmächtigung eines [X.]s mit § 675l B[X.]B aF gesagt ist, sind die Ausführungen des [X.] für die angeführte Entscheidung ebenso wenig tragend wie die von der Beschwerde selbst als obiter dictum bezeichneten Ausführungen des 4. [X.]trafsenats in einem Beschluss vom 23. November 2016 (4 [X.]tR 464/16, juris Rn. 4).

5. [X.]egenstand der angefochtenen Feststellung ist eine Verhaltenskoordinierung der [X.] Kreditinstitute. Infolgedessen stellt sich keine Frage nach den [X.]renzen der vertraglichen Regelung von [X.]orgfaltspflichten in individuellen Kundenbedingungen von Unternehmen der Digitalwirtschaft.

6. Das Beschwerdegericht hat auch nicht willkürlich eine Vorwirkung der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vor dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist angenommen. Es hat vielmehr lediglich ergänzend auf die bereits während der Übergangsfrist ab 12. Januar 2016 von den Mitgliedstaaten zu beachtenden Vorschriften des Art. 115 Abs. 5 und 6 der Richtlinie Bezug genommen.

7. Ebenso wenig ergibt sich ein Zulassungsgrund aus aufsichtsrechtlichen Vorgaben der [X.] ([X.]). Entgegen der Ansicht der Beschwerde gilt das [X.]-Rundschreiben Nr. 4/2005 nach seinem Titel [X.] ausdrücklich nicht für Zahlungsauslösedienste.

III. Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Eine [X.]ehörsverletzung ist nicht dargetan.

Der Anspruch auf rechtliches [X.]ehör ist nicht schon dann verletzt, wenn das Beschwerdegericht nicht jeden von einem Beteiligten vorgebrachten [X.]esichtspunkt ausdrücklich erörtert (st. Rspr.; s. nur B[X.]H, Beschluss vom 12. Juli 2013 - [X.] 11/12, [X.]/[X.] Rn. 4; Beschluss vom 23. [X.]eptember 2014 - [X.], [X.] [X.] 4475 Rn. 7 - [X.]). Vielmehr kann eine Versagung des rechtlichen [X.]ehörs ohne weitere Hinweise darauf, dass Vorbringen nicht erwogen worden ist, grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn das [X.]ericht auf [X.] des Vortrags eines Beteiligten zu einer bedeutsamen und auch vom [X.]tandpunkt des [X.]erichts entscheidungserheblichen Frage nicht eingeht (BVerf[X.]E 86, 133, 146; B[X.]H, Beschluss vom 27. Juni 2007 - [X.], B[X.]HZ 173, 47 Rn. 31). Dies zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

Das Beschwerdegericht hat insbesondere weder den Inhalt der [X.] verkannt oder den umfangreichen Vortrag der Betroffenen zur [X.]icherheit im Online-Banking, zur Reduzierung von "Phishing"-Risiken und zu Unterschieden zwischen den Diensten der [X.]      und der [X.]      unbeachtet gelassen, noch entscheidungserheblichen Vortrag der Betroffenen zur Möglichkeit eines Zertifizierungsverfahrens für Zahlungsauslösedienste übergangen. Auf die vom Beschwerdegericht angenommene Bankennähe von [X.]      kam es für seine Entscheidung schon nicht an. [X.]chließlich ist das Beschwerdegericht auch nicht gehörswidrig davon ausgegangen, das [X.]eschäftsmodell der [X.]      sei durch den Richtliniengeber ohne weiteres gebilligt, sondern hat lediglich der Richtlinie eine grundsätzliche Anerkennung der Tätigkeit bankenfremder Zahlungsauslösedienste entnommen.

IV. [X.] beruht auf § 78 [X.]WB.

Meier-Beck     

        

Kirchhoff     

        

Tolkmitt

        

Picker     

        

Linder     

        

Meta

KVR 13/19

07.04.2020

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 30. Januar 2019, Az: VI-Kart 7/16 (V), Beschluss

Art 101 Abs 1 AEUV, § 1 GWB, § 32 Abs 1 GWB, § 77 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2020, Az. KVR 13/19 (REWIS RS 2020, 1697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1697

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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KVZ 73/20 (Bundesgerichtshof)


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XI ZR 91/14

4 StR 464/16

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