Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2014, Az. 4 StR 153/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 1163

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
153/14

vom
20. November 2014
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 20.
November
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Bender

als beisitzende [X.],

[X.] beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
des
Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt

aus Waldshut-Tiengen

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Auf die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil des [X.] vom
28.
November 2013 wird
a)
das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall
II.
1. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen [X.] des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b)
das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geän-dert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, schuldig ist.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3.
Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten sei-nes Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisi-onsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tra-gen.
Von Rechts wegen
-
4
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs
eines Kindes in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Es hat bestimmt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung fünf Monate als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit näheren Ausführungen zum ma-teriellen Recht. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte im Fall
II.
1. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verur-teilt worden ist und zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.
I.
1.
Hinsichtlich der unter II.
1. der [X.] fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung der Anklageerhebung. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 17.
November 2010 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, in der [X.] vom 1.
Juli 2009 bis zum 30.
April 2010 seine am 15.
Januar 2003 geborene [X.]

H.

in der
Familienwohnung mindestens einmal pro Monat, insgesamt also mindestens zehn Mal, über der Kleidung am Geschlechtsteil angefasst zu haben (Ziffern
2 bis 11 der Anklage).
Gegenstand der Verurteilung durch das [X.] ist eine diesem [X.] entsprechende Tat im Mai oder Juni 2010. Das [X.] hat in der Ziffern
2 bis 11 der Anklage gemäß §
154 bei einer Tat der Anklagepunkte
2 bis 11 eine Tatzeit

1
2
3
-
5
-
a)
Der abgeurteilte Fall des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der
Nebenklägerin war von der zugelassenen Anklage nicht umfasst.
Gemäß §
264 Abs.
1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Gegenstand der zugelassenen Anklage sind u.a. zehn Taten in der oben näher beschriebenen Ausführung in der [X.] vom 1.
Juli 2009 bis zum 30.
April 2010. Auf diese Taten erstreckte sich die Kognitionspflicht des [X.]. Die abgeurteilte Straftat betrifft einen anderen [X.]raum. Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung
des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Juni 1994

3
StR
457/93, [X.]R StPO §
200 Abs.
1 Satz
1 Tat
8), wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwech-selbares Geschehen gekennzeichnet ist (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 21.
August 2013

2
StR
311/13 Rn.
4; Urteil vom 17.
August 2000

4
StR 245/00, [X.]St 46, 130, 133; Beschluss vom 13.
März 1996

3
StR
43/96, [X.]R StPO §
200 Abs.
1 Satz
1 Tat
19). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des [X.] die
Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
So verhält es sich im abgeurteilten Fall
II.
1. der Urteilsgründe. Die ange-klagten Taten sind durch eine jeweils gleichförmige Tatausführung an einem jeweils identischen Tatort gekennzeichnet und nicht auf andere Weise unab-hängig von der Tatzeit nach individuellen Merkmalen unverwechselbar charak-terisiert. Insofern kommt dem in der Anklageschrift genannten Tatzeitraum eine 4
5
6
-
6
-
wesentliche, die Kognitionspflicht des Gerichts im Sinne des §
264 Abs.
1
StPO bestimmende und vor allem begrenzende Funktion zu.
b)
Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Verfahren im Fall
II.
1. der Urteilsgründe wegen des von Amts wegen zu beachtenden [X.] fehlender Anklage eingestellt werden. Die Einstellung des Verfahrens bedingt eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs.
2.
Die Verurteilung wegen tateinheitlicher fahrlässiger Körperverletzung im Fall
II.
3. der Urteilsgründe ist zu Recht erfolgt. Eine Verfahrensrüge ist nicht erhoben. Jedenfalls ist die fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil von

G.

wieder in das Verfahren einbezogen worden, wie sich aus
dem Vermerk des Vorsitzenden vom 27.
Mai 2014 ergibt.
3.
Hinsichtlich einer fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil von

H.

ist das [X.] entgegen der Auffassung des Generalbun-
desanwalts seiner Kognitionspflicht nachgekommen. Es hat ausdrücklich fest-gestellt, dass der Angeklagte bei

H.

keine Verletzungen verur-
sacht hat (UA
9).
II.
1.
Eine etwa erhobene Aufklärungsrüge entspricht nicht den Anforderun-gen von §
344 Abs.
2 Satz
2 StPO:

durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen, inwieweit der Angeklagte für die vorgeworfenen Taten strafrechtlich
verantwortlich im Sinne der §§
20 und 21 StGB sei. Das Gericht habe die evidenten Persönlichkeitsdefizite des 7
8
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10
11
-
7
-
Angeklagten nicht zum Anlass genommen, genauer zu hinterfragen, inwieweit er noch in
der Lage gewesen sei, das Unrecht seines Handelns zu verstehen und dagegen anzusteuern.
Selbst wenn dem das zu erwartende Beweisergebnis einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit noch entnommen werden kann (vgl. [X.]/
[X.], NStZ-RR 2008, 4
f.; [X.] in [X.], 7.
Aufl.,
§
344 Rn.
51 jeweils
mwN), ist dieses jedenfalls nicht bestimmt behauptet (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Januar 2003

4
StR
264/02,
NStZ 2004, 112).
2.
Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen durchgrei-fenden Rechtsfehler aufgezeigt.
Das [X.] hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit mit tragfähigen Erwägungen zum Ausmaß der alkoholischen Beeinflussung bei den Taten verneint. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste es nicht erörtern, weil aufgrund der Feststellungen zur Persönlichkeit des Angeklagten sicher ausgeschlossen werden kann, dass beim Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolgs besteht (vgl. hierzu [X.],
[X.], 594).
Die Beanstandungen, mit denen sich die Revision gegen die [X.] wendet, sind offensichtlich unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO. [X.] unbedenklich ist auch, dass das [X.] dem An-geklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Be-währung versagt hat. Die gemäß §
56 Abs.
1 StGB getroffene negative Prog-noseentscheidung des [X.]s hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dass es hierbei den [X.]ablauf seit den Taten aus dem Blick verloren haben könnte, ist angesichts der
ausdrücklichen Berücksichtigung dieses Umstands bei der 12
13
14
15
-
8
-
Strafzumessung und der Erörterung der Alkoholtherapie im Jahre 2011 bei der Prognoseentscheidung auszuschließen.
III.
Die Gesamtfreiheitsstrafe bleibt trotz Einstellung des [X.] zu
II.
1. der Urteilsgründe bestehen. Angesichts der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie der verbleibenden Einzelstrafen kann der Senat ausschlie-ßen, dass der Tatrichter ohne die wegen der Verfahrenseinstellung im Fall
II.
1. der Urteilsgründe entfallende Einzelstrafe von zehn Monaten eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbil-lig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§
473 Abs.
1 und 4 StPO).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Bender
16
17

Meta

4 StR 153/14

20.11.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.11.2014, Az. 4 StR 153/14 (REWIS RS 2014, 1163)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1163

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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