Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2013, Az. 2 StR 311/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3319

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/13
vom
21.
August 2013
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers
am 21.
August 2013 gemäß §
349 Abs.
2 und 4, §
206a Abs.
1 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11.
Januar 2013
a)
mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Ange-klagte in den [X.] der Urteilsgründe wegen se-xuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren eingestellt,
b)
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in [X.] mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt
ist,
c)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehöri-gen Feststellungen aufgehoben.

2.
Im Umfang der Einstellung (Ziffer 1. a)
trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstan-denen notwendigen Auslagen.
3.
Im Umfang der Aufhebung (Ziffer 1.
c)
wird die Sache zu [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des [X.]s
zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit [X.] Missbrauch widerstandsunfähiger Personen,
zu einer Gesamtfreiheits-strafe von drei
Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte in den [X.] wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe;
im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Hinsichtlich der unter [X.] der Urteilsgründe abgeurteilten Straftaten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung der Anklageerhebung. Mit der unver-ändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 30.
Juli 2012 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, in der [X.] vom 5.
Dezember 1995 bis zum 4.
Dezember 1999 in 192 Fällen in seiner Wohnung spätabends auf der Wohn-zimmercouch sexuelle Handlungen an dem Nebenkläger

S.

vorgenommen zu haben. Er habe seine Hand in die Hose des Kindes geführt und jeweils für kurze Dauer am Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, wobei der Junge seinen eigenen Penis sehen konnte.
Gegenstand der Verurteilung durch das [X.] waren 23 diesem Tatbild entsprechende Fälle "in der [X.] zwischen dem 3.
November 1998 und dem 4.
Dezember 2000". Soweit dem Angeklagten weitere 168 gleichartige Ta-ten zum Nachteil des

S.

zur Last gelegt worden sind, hat es den Angeklagten freigesprochen, weil es nicht die für eine Verurteilung erforder-liche Überzeugung gewinnen konnte, dass "der Angeklagte bereits vor Novem-1
2
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4
-
ber 1998 und [X.] im Monat sexuelle Handlungen an dem Zeugen

S.

vorgenommen hat."
2. Das [X.] meint, dass der der Verurteilung zugrunde liegende Tatzeitraum von der Anklage mitumfasst gewesen sei, weil die "[X.]"
trotz der zeitlichen Abweichungen noch gewahrt sei; einer Nachtragsankla-ge habe es daher nicht bedurft.
a) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die 23 abgeurteilten Fälle des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des [X.]

S.

waren von der zugelassenen Anklage nicht umfasst. Gemäß §
264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung "die in der Anklage be-zeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt."
Ge-genstand der zugelassenen Anklage sind u.a. 192 Taten in der oben (Ziffer 1.) näher beschriebenen Ausführung in der [X.] vom 5.
Dezember 1995 bis zum 4.
Dezember 1999. Auf diese Taten erstreckte sich die Kognitionspflicht des Gerichts. Die abgeurteilten Straftaten betreffen mit dem 3.
November 1998 bis zum 4.
Dezember 2000 einen

zumindest teilweise (dazu anschließend b)

anderen [X.]raum. Zwar
braucht eine Veränderung oder Erweiterung des [X.] die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuhe-ben (vgl. [X.]R StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8), wenn die in der Anklage be-schriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individua-lisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (vgl. [X.]St 46, 130; [X.], Urteil vom 28.
Mai 2002

5 [X.]; [X.]R StPO,
§ 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit
unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des [X.] die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
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4
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5
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So verhält es sich in den abgeurteilten [X.] der Urteilsgründe. Diese sind durch eine jeweils gleichförmige Tatausführung an einem jeweils identischen Tatort gekennzeichnet. Die Taten sind also nicht unabhängig von der Tatzeit nach individuellen Merkmalen unverwechselbar charakterisiert. Inso-fern kommt dem
in der Anklageschrift genannten Tatzeitraum
eine wesentliche, die Kognitionspflicht des Gerichts im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO bestimmen-de und vor allem begrenzende Funktion zu.
b) Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Verfahren we-gen des von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses fehlender Anklage eingestellt werden. Dies betrifft alle
Missbrauchstaten, die nach den Feststellungen im Wohnzimmer des Angeklagten verübt wurden ([X.] der Urteilsgründe). Zwar überschneiden sich insoweit angeklagter und abgeurteilter Tatzeitraum teilweise. Das [X.]
geht
jedoch davon aus, dass es [X.] der angenommenen [X.]spanne vom 3.
November 1998 bis zum 4.
Dezember 2000 lediglich
über
einen [X.]raum von einem Jahr zu [X.] Übergriffen gekommen ist. Da dieser Ausschnitt von einem Jahr zeit-lich nicht näher bestimmt ist, kann der [X.] nicht ausschließen, dass die 23 abgeurteilten Straftaten insgesamt in den nicht von der Anklage erfassten [X.]-raum vom 5.
Dezember 1999 bis zum 4.
Dezember 2000 fallen. Die Einstellung des Verfahrens bedingt eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs so-wie die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
5
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6
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c) Dagegen lässt die Veränderung der Tatzeit im Fall [X.] 24 der Urteils-gründe die Identität zwischen angeklagter und abgeurteilter Tat unberührt, da die Tatausführung eine Vielzahl individueller und origineller Details aufweist, die dem Geschehen ein unverwechselbares Gepräge geben.
Fischer Appl

Schmitt

Ott Zeng

7

Meta

2 StR 311/13

21.08.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.08.2013, Az. 2 StR 311/13 (REWIS RS 2013, 3319)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3319

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