Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.05.2013, Az. XI R 28/11

11. Senat | REWIS RS 2013, 5513

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Gegenstand

Umsatzsteuersatz bei Verpflegungsleistungen für Kindergärten


Leitsatz

NV: Liefert ein Unternehmer verzehrfertige Speisen in Warmhaltebehältern an Kindergärten zu festen Zeitpunkten aus und übernimmt er über die Speisenlieferung hinaus mit der abgestimmten Speiseplanerstellung, dem Lastschrifteinzug bei den Eltern, der Vorportionierung in Schüsseln vor Ort sowie der Geschirr- und Besteckreinigung nach den Mahlzeiten zusätzliche Dienstleistungen, liegen dem Regelsteuersatz zu unterwerfende sonstige Leistungen selbst dann vor, wenn die Speisen in einem standardisierten Produktionsablauf hergestellt werden .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, war in den Streitjahren 2003 bis 2007 im [X.]/Catering tätig und belieferte u.a. Schulen und Kindergärten mit Mahlzeiten.

2

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) hat die Klägerin die wöchentlichen oder monatlichen Essens- und Speisepläne für die Kindergärten in Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen und den [X.] unter regelmäßiger Abwägung der Einzelwünsche erstellt, die Rechnungsbeträge von den Eltern im Lastschriftverfahren eingezogen, das Essen zu festgelegten Zeitpunkten in speziellen Thermobehältern angeliefert, dessen Empfang vor Ort durch ihre Mitarbeiter sichergestellt sowie es dort in [X.] vorportioniert und das von der belieferten Einrichtung jeweils zur Verfügung gestellte Geschirr und Besteck im [X.] an die Mahlzeiten gereinigt.

3

Anlässlich einer Betriebsprüfung stellte die Prüferin fest, dass die Klägerin die Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an Schulen dem Regelsteuersatz i.S. des § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterworfen habe, während die Umsätze aus an Kindergärten gelieferten Mahlzeiten gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG mit dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % erfasst worden seien. Nach Ansicht der Prüferin waren hingegen auch die Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an Kindergärten dem Regelsteuersatz zu unterwerfen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) änderte dementsprechend mit Bescheiden vom 18. Mai 2009 und 23. Juli 2009 die [X.] für die Streitjahre.

5

Die hiergegen gerichteten Einsprüche und die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen hatten keinen Erfolg.

6

Das [X.] führte zur Begründung aus, dass bei den streitigen Leistungen nicht von einer ermäßigt zu besteuernden bloßen Lieferung von verzehrfertigen Speisen ausgegangen werden könne.

7

Dem überwiegenden Dienstleistungscharakter der von der Klägerin erbrachten Leistungen stehe nicht entgegen, dass die Erzieherinnen die Essensverteilung an die Kinder und das anschließende Abräumen übernommen hätten, so dass keine --wie bei [X.] üblich-- direkte Essenszuteilung am Tisch und die Bedienung des Kunden stattgefunden habe.

8

Von einer durch § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG begünstigten Lieferung könne nur ausgegangen werden, soweit [X.] als hier-- lediglich standardisierte, also ohne vorherige Abstimmung mit dem Kunden hergestellte Speisen abgegeben würden und zusätzliche Dienstleistungselemente fehlten.

9

Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 758 veröffentlicht.

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Sie bringt vor, die Speisenlieferung sei --entgegen der Auffassung des [X.]-- der dominierende Bestandteil der streitigen Umsätze gewesen.

Die "Feinabstimmungen", in der im Durchschnitt [X.] pro Quartal stattfindenden Sitzungen der [X.] --wie weniger Zucker, weniger Salz, mehr [X.], die zudem der Vermarktung dienten, führten nicht zu einer individuellen Herstellung der Speisen nach Kundenwunsch.

Die "vorlaufenden Dienstleistungen" der Vermarktung sowie --wie hier das Kassieren des [X.] die "nachlaufenden Dienstleistungen" seien nicht für die Beurteilung bestimmend, ob eine Speisenlieferung oder eine Bewirtung vorliege.

Ebenso seien das Vorhalten spezieller Thermobehälter sowie einer entsprechenden Organisation und die Übernahme der Geschirr- und Besteckreinigung für die gesamte Leistung nicht prägend.

Hingegen spreche für eine Speisenlieferung, dass sie, die Klägerin, kein Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt habe.

Bei der Auslieferung von täglich insgesamt ca. … Speisen, von denen ca. … auf die Kindergärten entfielen, sei eine individuelle Zubereitung dieser Mahlzeiten nicht gegeben. Derartige Produktionsabläufe seien nur in standardisierter Form zu bewältigen. Die gelieferten Speisen seien mithin als Standardspeisen zu qualifizieren.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die [X.] vom 21. Oktober 2009 aufzuheben und die [X.] für 2003 bis 2005 vom 18. Mai 2009 und für 2006 und 2007 vom 23. Juli 2009 dahingehend zu ändern, dass die streitigen Umsätze aus den Mahlzeitenlieferungen an die Kindergärten dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % unterworfen werden.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen und bringt ergänzend vor, dass die streitigen Leistungen der Klägerin nicht mit denen verglichen werden könnten, die Imbissstände und Kino-Foyers erbrächten.

Aus der Sicht der von der Klägerin versorgten Einrichtungen liege der qualitativ überwiegende Bestandteil der erbrachten Leistungen in den zusätzlichen Dienstleistungselementen, weil --hätte die Klägerin sie nicht erbracht-- hierfür zusätzliches Personal von den Kindergärten hätte eingestellt werden müssen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war daher nach § 126 Abs. 2 [X.]O zurückzuweisen.

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin erbrachten Leistungen dem Regelsteuersatz i.S. des § 12 Abs. 1 UStG unterliegen, weil es sich bei ihnen um sonstige Leistungen handelt, für die der ermäßigte Steuersatz i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht gilt.

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für "die Lieferungen" der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände.

a) Nach § 3 Abs. 1 UStG sind "Lieferungen eines Unternehmers ... Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)".

b) Demgegenüber sind sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG "Leistungen, die keine Lieferungen sind". Die für die Streitjahre noch gültigen und inzwischen aufgehobenen Sätze 4 und 5 dieser Vorschrift hatten folgenden Wortlaut: "Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle ist eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke werden zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem [X.] in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden."

c) Diese Vorschriften beruhen unionsrechtlich auf Art. 5 Abs. 1 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]) --nunmehr Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL)--, wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, sowie auf Art. 6 Abs. 1 der [X.]/[X.], wonach als Dienstleistung jede Leistung gilt, die keine Lieferung eines Gegenstands i.S. des Art. 5 dieser Richtlinie ist --nunmehr Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL, wonach als Dienstleistung jeder Umsatz gilt, der keine Lieferung von Gegenständen ist--.

2. Bei der Abgrenzung zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Bereich der Speisenzubereitung ist das Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 10. März 2011 in den verbundenen Rechtssachen [X.]/09, [X.]/09, [X.]/09 und [X.]/09 --Bog [X.] (Slg. 2011, [X.], [X.], 515, [X.] 2011, 272) zu beachten (vgl. dazu auch Urteile des [X.] --BFH-- vom 12. Oktober 2011 V R 66/09, [X.], 525, [X.], 250, Rz 12 f.; vom 23. November 2011 XI R 6/08, [X.], 563, [X.], 253, Rz 23; ferner [X.] vom 22. Dezember 2011 V R 47/10, [X.], 812, Rz 12 f.).

Die Abgabe von Speisen zu festen Zeitpunkten in [X.] ist danach nur dann eine Lieferung und keine sonstige Leistung, wenn es sich um [X.] als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungsvorgänge nach Art eines Imbissstandes handelt (vgl. dazu BFH-Urteil in [X.], 525, [X.], 250, Rz 17; [X.] in [X.], 812, Rz 13). Nur beim Vorliegen einer [X.] kommt es für die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung auf zusätzliche Dienstleistungselemente --wie z.B. Überlassung, Abholung und Reinigung von Geschirr und [X.] an. Handelt es sich um eine qualitativ höherwertige Speise als eine Standardzubereitung, liegt demgegenüber auch ohne derartige zusätzliche Dienstleistungselemente eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vor (vgl. [X.] in [X.], 812, Rz 13).

3. Nach diesen Grundsätzen ist die Tätigkeit der Klägerin --wovon das [X.] zutreffend ausging-- selbst dann als sonstige Leistung zu beurteilen, wenn die gelieferten Speisen --wie die Klägerin meint-- als [X.] zu beurteilen wären. Im Streitfall kann daher dahinstehen, ob entsprechend dem Vortrag der Klägerin aufgrund der Fertigung von täglich insgesamt ca. … Speisen im standardisierten Produktionsablauf die hiervon an die Kindergärten gelieferten ca. … Mahlzeiten als [X.] anzusehen sind.

a) Die Klägerin hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des [X.], die den Senat nach § 118 Abs. 2 [X.]O binden, über die Speisenlieferung hinaus zusätzliche Dienstleistungen --mit den Erzieherinnen und Elternkuratorien abgestimmte Speiseplanerstellung, Vorportionierung durch eine Servicekraft und anschließende Geschirr- und Besteckreinigung-- erbracht. Dies genügt nach den vorgenannten Grundsätzen --entgegen der Ansicht der [X.] für die Annahme einer der Regelbesteuerung i.S. des § 12 Abs. 1 UStG zu unterwerfenden sonstigen Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 UStG (vgl. dazu auch [X.] in [X.], 812, Rz 15 f.).

Besondere Umstände, die belegen, dass die Lieferung von Speisen trotz der von der Klägerin zusätzlich erbrachten Dienstleistungen dominierender Leistungsbestandteil war, sind demgegenüber nicht ersichtlich. Sie ergeben sich --entgegen der Ansicht der [X.] weder aus der fehlenden Zurverfügungstellung von Geschirr und Besteck noch aus der fehlenden Essenszuteilung am Tisch und der nicht vorhandenen Bedienung.

b) Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass sich --wie im [X.] die in Großküchen ausgeübte Tätigkeit auf die Abgabe von [X.] als Ergebnis einfacher und standardisierter Zubereitungen nach Art eines Imbissstandes beschränkt (vgl. dazu BFH-Urteil in [X.], 525, [X.], 250, Rz 24). Selbst die Klägerin hat nicht vorgebracht, dass es sich bei den an die Kindergärten gelieferten Mahlzeiten um Speisen nach Art eines Imbissstandes gehandelt habe. Die Abgabe von Speisen --wie hier-- nach Maßgabe eines mit dem Leistungsempfänger vereinbarten Speiseplans zu vereinbarten Zeitpunkten in [X.] ist mit der Abgabe von [X.] nach Art eines Imbissstandes nicht vergleichbar und kann daher auch nicht gleich beurteilt werden (vgl. dazu BFH-Urteil in [X.], 525, [X.], 250, Rz 24), auch wenn --wie die Klägerin [X.] der Betreiber eines Imbisswagens oder [X.] ebenfalls auf Kundenwünsche eingehen muss, um sein Geschäft dauerhaft zu betreiben.

4. Im Streitfall nicht zu berücksichtigen war ferner Art. 6 der Durchführungsverordnung ([X.]) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Denn die Verordnung gilt nach ihrem Art. 65 erst ab 1. Juli 2011. Die Frage, welche Bedeutung dieser Regelung unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zukommt, stellt sich im Streitfall, der die Streitjahre 2003 bis 2007 betrifft, mithin nicht.

Meta

XI R 28/11

28.05.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 24. Oktober 2011, Az: 4 K 1582/09, Urteil

§ 3 Abs 1 UStG 2005, § 3 Abs 9 UStG 2005, § 12 Abs 1 UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, Art 5 Abs 1 EWGRL 388/77, Art 6 Abs 1 EWGRL 388/77, Art 14 Abs 1 EGRL 112/2006, Art 24 Abs 1 EGRL 112/2006, § 3 Abs 1 UStG 1999, § 3 Abs 9 UStG 1999, § 12 Abs 1 UStG 1999, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 1999, UStG VZ 2005, UStG VZ 2006, UStG VZ 2007, § 1 Abs 1 Nr 1 UStG 2005, § 1 Abs 1 Nr 1 UStG 1999

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.05.2013, Az. XI R 28/11 (REWIS RS 2013, 5513)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5513

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