Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. VII ZB 61/12

7. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5751

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Gegenstand

Selbstständiges Beweisverfahren: Duldungspflicht eines nicht beteiligten Dritten hinsichtlich einer Bauteilöffnung in seiner Wohnung; Zugehörigkeit von Nebenräumen zur Wohnung


Leitsatz

1. Ein Gericht kann einem am selbstständigen Beweisverfahren nicht beteiligten Dritten nicht aufgeben, eine Bauteilöffnung in seiner Wohnung zum Zwecke der Beweissicherung zu dulden.

2. Zur Wohnung in diesem Sinne gehören auch eine im Gemeinschaftseigentum stehende Außentreppe, ein Fahrradkeller und eine Tiefgarage.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] vom 1. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller sind Miteigentümer des [X.]. 32/35 in [X.] Das Objekt wurde durch die Antragsgegnerin zu 1 errichtet. Der Antragsgegner zu 2 war der planende und bauleitende Architekt.

2

Die Antragsteller betreiben gegen die Antragsgegner ein selbständiges Beweisverfahren. Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung von Mängeln der im Gemeinschaftseigentum stehenden Bausubstanz. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige teilte mit, für eine umfassende sachverständige Feststellung seien [X.] am Gemeinschaftseigentum notwendig.

3

Mit Zwischenurteil vom 19. Juli 2012 hat das [X.] "sämtlichen Eigentümern bzw. der Eigentümergemeinschaft [X.]. 32/35 in [X.]" die Duldung von fachmännisch durchgeführten [X.] an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des [X.] und der [X.] angeordnet. Die von einer am Beweisverfahren nicht beteiligten Wohnungseigentümerin, der Rechtsbeschwerdegegnerin zu 3, und der Wohnungseigentümergemeinschaft, der Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4, eingelegte Beschwerde gegen das Zwischenurteil hatte Erfolg. Das Beschwerdegericht hat auf die Beschwerde der Rechtsbeschwerdegegner das Zwischenurteil aufgehoben und den Antrag auf Duldung der Bauteilöffnung abgelehnt. Dagegen wenden sich die Antragsteller mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

5

1. Das Beschwerdegericht führt aus, die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten sei nach §§ 144, 387 ZPO statthaft und begründet, da die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 ZPO für ihre Verpflichtung zur Duldung von [X.] nicht gegeben seien. § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO nehme ausdrücklich die Wohnung von einer Duldung sachverständiger Begutachtung aus. Zur Wohnung in diesem Sinne gehörten Nebenräume wie Garagen und das Treppenhaus. Die [X.] verstoße auch gegen Art. 14 [X.]. Niemand und schon gar kein Dritter müsse Maßnahmen dulden, die sein Eigentum beschädigten.

6

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

7

a) Nach § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO kann die Duldung einer Sachverständigenbegutachtung angeordnet werden, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist. Mit dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an dem [X.] des Art. 13 [X.] orientiert (BT-Drucks. 14/4722, [X.] zu [X.]; [X.], Urteil vom 17. Juli 2009 - [X.], [X.], 653; [X.] in [X.], ZPO, 22. Aufl., § 144 Rn. 25; [X.], 4. Aufl., § 144 Rn. 25; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 144 Rn. 16; [X.], ZPO, 4. Aufl., § 144 Rn. 5; Musielak/[X.], ZPO, 10. Aufl., § 144 Rn. 10). Im Sinne von Art. 13 [X.] ist der [X.] umfassend zu verstehen. Schutzgut des Art. 13 [X.] ist die gesamte räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Wohnung ist danach der zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmte und benutzte Raum einschließlich der Nebenräume und des angrenzenden umschlossenen freien Geländes. Dazu gehören [X.], Speicher, Treppen, Garagen, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume und ähnliche Räume sowie umzäunte oder in anderer Weise der öffentlichen Zugänglichkeit entzogene Bereiche wie Gärten oder Vorgärten. Entscheidend ist, ob der jeweilige Raum oder die jeweilige Fläche für private Zwecke gewidmet und der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich ist (vgl. [X.] 32, 54, 72; 89, 1, 12; 97, 228, 265; [X.], Beschluss vom 14. März 1997 - 1 [X.], NJW 1997, 2189; Papier in [X.]/[X.], [X.], 66. Ergänzungslieferung, Art. 13 Rn. 10, 11; [X.] in [X.] Kommentar zum Grundgesetz, 71. Lieferung, Art. 13 Rn. 26; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl., Art. 13 Rn. 4, 5). Träger des Grundrechts aus Art. 13 [X.] sind neben natürlichen Personen auch juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen des Privatrechts ([X.] 42, 212, 219; 44, 353, 371; 76, 83, 88; [X.], Beschluss vom 14. März 1997, aaO; Papier in [X.]/[X.], aaO, Art. 13 Rn. 17), und damit auch die Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4 im Rahmen der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums (§ 10 Abs. 6 WEG).

8

b) Auf dieser Grundlage ist das Gemeinschaftseigentum (§ 1 Abs. 5 WEG) betreffend die Rechtsbeschwerdegegnerin zu 4 im Umfang der begehrten [X.] an der Außentreppe, dem Flachdachanschluss einer Wohnung, im Eingangselement, der Decke des [X.] und der [X.] einer [X.] nach § 144 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 ZPO entzogen (vgl. auch [X.], [X.] im Bauprozess, Rn. 532; [X.], [X.], 70; a.A. offenbar Keldungs, Jahrbuch Baurecht 2009, [X.], 222 f.). Es kommt nicht darauf an, ob der Sachverständige ausschließlich von außen [X.] vornehmen muss, da der Außenbereich ebenso wie der Innenbereich über Art. 13 [X.] geschützt wird. Soweit die Rechtsbeschwerde die Auffassung vertritt, aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.] 109, 279, 313) ergebe sich, Fahrradkeller, Tiefgaragen und Gemeinschaftsräume unterlägen nicht dem Schutzbereich des Art. 13 [X.], ist das unzutreffend. Gegenstand dieser Entscheidung war ein Eingriff in den "absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung" durch akustische Überwachungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang hat das [X.] die "Privatwohnung als letztes Refugium zur Wahrung der Menschenwürde" angesehen ([X.] 109, 279, 314). Die Frage, ob Fahrradkeller, Tiefgaragen und Gemeinschaftsräume vom Schutzbereich von Art. 13 [X.] umfasst sind, stellte sich nicht.

9

3. Nach allem kann dahinstehen, ob und inwieweit § 144 ZPO über § 492 Abs. 1 ZPO Anwendung findet (vgl. KG, Beschluss vom 10. April 2013 - 9 W 94/12, juris) und gegebenenfalls eine Grundlage für substantielle Eingriffe in das Eigentum Dritter bildet (vgl. Entwurf der Bundesregierung vom 24. November 2000 zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, [X.] zu [X.]).

Des Weiteren kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Beschluss gegen den Willen eines Wohnungseigentümers ergehen kann, ohne dass darüber die Wohnungseigentümergemeinschaft befunden hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Kniffka                           Eick                           Halfmeier

                 Kosziol                       Jurgeleit

Meta

VII ZB 61/12

16.05.2013

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 1. Oktober 2012, Az: 13 W 1654/12

§ 144 Abs 1 S 3 ZPO, § 492 Abs 1 ZPO, Art 13 GG, § 1 Abs 5 WoEigG, § 10 Abs 6 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. VII ZB 61/12 (REWIS RS 2013, 5751)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5751

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

VII ZB 61/12

20 W 1503/19

5 T 94/20

VII ZB 19/21

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