Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2015, Az. XII ZB 58/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 4314

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII [X.]/15
vom
7. Oktober
2015
in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §
1896 Abs.
1
a
Das Gericht hat auch im Aufhebungsverfahren festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (im [X.] an Senatsbeschluss vom 16.
September 2015
XII
ZB
500/14
zur Veröffentlichung bestimmt).
BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2015 -
XII [X.]/15 -
LG Bielefeld

[X.]

-
2
-

Der XII. Zivilsenat des [X.] hat am 7.
Oktober 2015
durch den Vorsitzenden Richter Dose und [X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 23.
Zivilkammer des [X.]s
Bielefeld
vom 15.
Januar
2015
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der 56-jährige Betroffene begehrt die Aufhebung
seiner Betreuung.
Für den Betroffenen, der im Jahr 1987 wegen [X.] entmün-digt worden war, besteht seit langer Zeit eine rechtliche Betreuung.
Sie wurde zuletzt durch Beschluss vom 18.
März 2011 mit [X.] bis zum 18.
März 2018 verlängert und umfasst derzeit die Aufgabenkreise [X.], Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge. Ferner ist für die Vermögenssorge und die Aufenthaltsbestimmung ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.
1
2
-
3
-

Im August 2014 beantragte der Betroffene "eine Aufhebung der Betreu-ung oder einen [X.]". Das Amtsgericht hat
den Antrag des Be-troffenen auf Aufhebung der Betreuung abgelehnt. Die dagegen gerichtete Be-schwerde hat das [X.] zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landge-richt.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Betreuung nach §
1896 Abs.
1 und Abs.
1
a BGB nicht weggefallen seien. Vielmehr seien sie aus den in der Verlängerungsentscheidung vom 18.
März 2011 genannten Gründen weiterhin gegeben. Es sei weder dargelegt noch er-sichtlich, dass sich an der bestehenden Situation seit der letzten Verlängerung der Betreuung etwas geändert hätte. Zuletzt seien im Zuge der Prüfung einer geschlossenen Unterbringung ausführliche medizinische Sachverständigengut-achten des Prof.
Dr.
S. vom 28.
November 2013 und des Herrn
E. vom 17.
Feb-ruar 2014 eingeholt worden. Aus beiden Gutachten folge, dass der Betroffene seit Jahrzehnten insbesondere an einem schizophrenen Residuum leide. Sein Zustand sei geprägt durch eine unkontrollierte Impulsivität und Aggressivität, einen Verlust an [X.] Kontaktfähigkeit und eine fehlende angemessene Selbstversorgung, so dass ihm
eine selbständige Lebensführung ohne Unter-stützung nicht möglich
sei. Es bestehe im Einklang mit den Feststellungen des Amtsgerichts, die auf der Anhörung und dem sonstigen persönlichen Kontakt 3
4
5
6
-
4
-

mit dem Betroffenen beruhen, kein Zweifel am Fortbestand der psychischen Erkrankung, die dazu führe, dass der Betroffene
in den bestehenden Aufgaben-kreisen weiterhin der Unterstützung durch einen Betreuer bedürfe. Bei dieser eindeutigen Sachlage bestehe keine Notwendigkeit für weitere Ermittlungen oder eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach
§
1908
d
BGB ist eine Betreuung aufzuheben, wenn ihre Vo-raussetzungen weggefallen sind. Daher kann ein Antrag auf Aufhebung der [X.] nur dann abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Ent-scheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers noch vorliegen. Der Wegfall nur einer dieser Voraussetzungen reicht für die Aufhe-bung der Betreuung aus. Da nach §
1896 Abs.
1
a BGB gegen den freien Wil-len eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, muss vor der Ablehnung
eines Antrags auf Aufhebung der Betreuung festgestellt werden, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in bestimmten Aufga-benkreisen frei zu bestimmen. Das Gericht hat daher auch im [X.] festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist
(Senatsbeschluss vom 16.
September 2015

XII
ZB
500/14

zur Veröffentlichung bestimmt).
Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wil-le vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grund-satz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine über-spannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt wer-den. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des §
1896 Abs.
1 BGB leidende 7
8
9
-
5
-

Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu [X.]. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass der Be-troffene seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechen-den Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bil-dung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen
(Senatsbeschluss vom 22.
Januar 2014

XII
ZB
632/12

FamRZ 2014, 647 Rn.
7
f.
mwN).
Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbe-stimmung

auch im Aufhebungsverfahren

durch
ein noch aktuelles Sachver-ständigengutachten belegt sein
(Senatsbeschluss vom 16.
September 2015

XII
ZB
500/14

zur Veröffentlichung bestimmt).
b) Gemessen daran rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass es an ausreichenden Feststellungen zu den Voraussetzungen des §
1896 Abs.
1
a BGB fehlt.
aa) Feststellungen dazu, ob der Betroffene in den von der Betreuungs-anordnung erfassten Aufgabenbereichen zur freien Willensbildung fähig ist, können schon deshalb nicht auf Erkenntnisse aus dem letzten amtsgerichtli-chen [X.] im Jahre 2011 gestützt werden, weil der Be-troffene seinerzeit
mit der Aufrechterhaltung
der Betreuung einverstanden war. Damit entfiel für das Amtsgericht
die Pflicht zur Prüfung, ob der
Betroffene zur Bildung eines freien Willens in der Lage war.

Tragfähige Feststellungen zu den Voraussetzungen des §
1896 Abs.
1
a BGB hätten sich aufgrund der im [X.] durchgeführten Er-10
11
12
13
-
6
-

mittlungen auch nicht treffen lassen können. Das Amtsgericht hat im Verlänge-rungsverfahren

verfahrensfehlerhaft

weder ein den Anforderungen des §
280 FamFG genügendes neues Sachverständigengutachten (§
295 Abs.
1 Satz
1 FamFG) noch
ein ärztliches Zeugnis gemäß §
295 Abs.
1 Satz
2 FamFG ein-geholt. Es hat vielmehr ein
in einem [X.] eingeholtes
me-dizinisches
Sachverständigengutachten des Dr.
R. vom 28.
Oktober 2010 ver-wertet. Diesem Gutachten
lässt sich zwar
entnehmen, dass der Betroffene auf-grund seiner schizophrenen Erkrankung im Zeitpunkt der Begutachtung
nicht in der Lage war, die Notwendigkeit einer Heilbehandlung und einer geschlossenen Unterbringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln. Damit ist [X.] noch nichts darüber ausgesagt, ob dem Betroffenen krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, die für und gegen eine Bestellung eines Betreuers

insbesondere mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge

sprechenden Gesichtspunkte zu erfassen und gegeneinander abzuwägen.
bb) Nichts anderes gilt für
die vom Beschwerdegericht ergänzend heran-gezogenen Sachverständigengutachten des Prof.
Dr.
S. vom 28.
November 2013 und des Herrn
E. vom 17.
Februar 2014. Auch diese Gutachten sind in [X.] eingeholt worden
und verhalten sich (lediglich) dazu, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung aus dem schizophrenen [X.] nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit einer geschlossenen Unter-bringung zu erkennen und nach dieser Einsicht zu handeln.
3.
Die angefochtene Entscheidung kann daher
keinen Bestand haben. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

14
15
-
7
-

4. Die Zurückverweisung gibt dem [X.] auch Gelegenheit, ergän-zende Feststellungen zum Vorliegen eines objektiven Betreuungsbedarfs und
-
insbesondere
-
zu den Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilli-gungsvorbehalts zu treffen.
[X.]

Schilling Günter

Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.11.2014 -
6 [X.] 696/14 H -

LG Bielefeld, Entscheidung vom 15.01.2015 -
23 [X.] -

16

Meta

XII ZB 58/15

07.10.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2015, Az. XII ZB 58/15 (REWIS RS 2015, 4314)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4314

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 58/15 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Notwendige Tatsachenfeststellungen bei Ablehnung eines Antrages auf Aufhebung der Betreuung zur Fähigkeit des Betreuten …


XII ZB 363/15 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 500/14 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Notwendige Tatsachenfeststellungen bei Ablehnung eines Antrages auf Aufhebung der Betreuung


XII ZB 455/15 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 363/15 (Bundesgerichtshof)

Verfahren zur Aufhebung einer Betreuung: Erneute Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren bei Verweigerung der Kommunikation …


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 455/15

Zitiert

XII ZB 58/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.