Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.10.2018, Az. VII R 21/18

7. Senat | REWIS RS 2018, 2582

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Duldungsbescheid wegen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Steuerforderungen


Leitsatz

Ein auf die Vorschriften des AnfG gestützter Duldungsbescheid, der den Anfechtungsgegner verpflichtet, die Vollstreckung gegen den Schuldner bestehender Steuerforderungen zu dulden, die aus rechtsbeständigen Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung resultieren, muss keine zusätzliche Bedingung i.S. des § 14 AnfG enthalten .

Tenor

Auf die Revision des Finanzamts wird das Urteil des [X.] vom 27. März 2018  3 K 1997/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Mit [X.] erwarb die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) "unentgeltlich und schenkungsweise" den Miteigentumsanteil ihres Ehemanns an einer beiden Eheleuten gehörenden Wohnung.

2

Da gegen den Ehemann der Klägerin offene Steuerforderungen bestanden (Einkommensteuer 2012 und 2013, Umsatzsteuer 2007, 2009, 2012), die im Wege der Vollstreckung nicht hatten beigetrieben werden können, erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) unter dem 31. August 2016 einen gegen die Klägerin gerichteten, auf § 191 der Abgabenordnung ([X.]) und § 3 Abs. 2 des [X.] in der seinerzeit geltenden Fassung ([X.]) gestützten [X.], mit dem die Klägerin unter Angabe der im Einzelnen gegen den Ehemann bestehenden Steuerforderungen verpflichtet wurde, wegen der bezeichneten Forderungen die Zwangsvollstreckung in den erworbenen Gegenstand zu dulden oder zur Abwendung der Vollstreckung den Betrag zu entrichten. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die Steuerbescheide 2012 noch nicht bestandskräftig seien. Die Klägerin werde nur in Anspruch genommen, sobald und soweit die Einkommensteuer 2012 bestandskräftig festgesetzt sei. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch.

3

Die gegen den Ehemann gerichteten Einkommen-, Umsatz- und [X.] 2012 wurden im Oktober 2016 rechtsbeständig, standen aber weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

4

Der Einspruch der Klägerin gegen den [X.] blieb erfolglos. Das [X.] führte in der Einspruchsentscheidung u.a. aus, dass die der Duldung zugrunde liegenden Steuerforderungen ausnahmslos bestandskräftig festgesetzt worden seien. Daher bedürfe es auch nicht mehr eines Vorbehalts i.S. des § 14 [X.].

5

Die Klage hatte dagegen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, der [X.] sei aufzuheben, weil es sich bei den im Bescheid angegebenen Steuerforderungen zum Teil um Forderungen aus unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheiden handele, weshalb insoweit die Vollstreckung gemäß § 14 [X.] von der [X.] der Steuerfestsetzung hätte abhängig gemacht werden müssen. Von einer solchen Vollstreckungsklausel habe das [X.] in der Einspruchsentscheidung aber ausdrücklich abgesehen. Weder könne der [X.] durch Urteil um eine solche Klausel ergänzt werden noch komme eine Aufteilung nach den zugrunde liegenden Steuerrückständen in Betracht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2018, 1162 veröffentlicht.

6

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, bestandskräftige Jahressteuerbescheide, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 [X.] stünden, seien mit den in § 14 [X.] genannten vorläufig vollstreckbaren Urteilen und [X.] nicht vergleichbar. Solche Steuerbescheide könnten ebenso vollstreckt werden wie bestandskräftige vorbehaltlose Steuerbescheide. Jedenfalls habe das [X.] den [X.] wegen nur zum Teil unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Steuerbescheide nicht insgesamt aufheben dürfen. Im Übrigen könne der [X.] um eine ggf. fehlende Bedingung i.S. des § 14 [X.] ergänzt werden.

7

Die Klägerin schließt sich der Auffassung des [X.] an.

Entscheidungsgründe

II.

8

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.]-Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht. Das [X.] hat den angefochtenen [X.] zu Unrecht aufgehoben.

9

1. Wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann nach § 191 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch [X.] in Anspruch genommen werden. Aus § 3 Abs. 2 [X.], auf den das [X.] den angefochtenen [X.] stützt, folgt [X.]. § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] die gesetzliche Pflicht des [X.]s, die Vollstreckung zur Befriedigung der Forderung des [X.] zu dulden. [X.] ist nach § 2 [X.] jeder Gläubiger, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat oder wenn anzunehmen ist, dass sie nicht dazu führen wird.

a) Die Voraussetzungen des § 2 [X.] sind im Streitfall erfüllt. Nach den Feststellungen des [X.] und den Angaben des [X.] im angefochtenen [X.] hat das [X.] gegen den Ehemann der Klägerin fällige Steuerforderungen aus vollstreckbaren Steuerbescheiden, die im Wege der Vollstreckung nicht haben beigetrieben werden können. Nähme man daher an, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 [X.] erfüllt sind, was das [X.] ausgehend von seiner Rechtsauffassung nicht geprüft hat, ist die Klägerin verpflichtet, die Vollstreckung der Steuerforderungen in den übertragenen Miteigentumsanteil zu dulden, und war somit das [X.] berechtigt, die Klägerin gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch [X.] in Anspruch zu nehmen.

b) Ebenso wie bei einem im Wege der Klage geltend gemachten Anfechtungsanspruch gemäß § 13 [X.] anzugeben ist, für welche vollstreckbare Forderung und für welchen Betrag der Anfechtungsanspruch erhoben wird (vgl. [X.], [X.], 11. Aufl., § 13 Rz 9), muss ein [X.] die der Anfechtung zugrunde liegenden Forderungen im Einzelnen aufführen sowie den Betrag, bis zu welchem der [X.] die Vollstreckung in das Erlangte zu dulden hat [X.]/Rüsken, [X.], 14. Aufl., § 191 Rz 86). Diesen Anforderungen wird der im Streitfall angefochtene [X.] gerecht. Er bezeichnet die einzelnen gegen den Ehemann der Klägerin gerichteten Steuerforderungen unter Angabe ihrer Fälligkeit, der Steuerart und des betreffenden Veranlagungszeitraums.

c) Ermessensfehler bezüglich der Inanspruchnahme der Klägerin sind nicht ersichtlich. Die zweijährige Anfechtungsfrist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 [X.] (in der seinerzeit geltenden Fassung) ist gewahrt.

2. Die Auffassung des [X.], der angefochtene [X.] sei rechtswidrig und aufzuheben, weil er trotz dort aufgeführter, zum Teil auf Steuerbescheiden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung beruhender Steuerforderungen keinen Vorbehalt i.S. des § 14 [X.] enthalte, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Bei einem nur vorläufig vollstreckbaren Schuldtitel des Gläubigers oder einem unter Vorbehalt ergangenen Urteil ist nach dieser Vorschrift in dem Urteil, das den Anfechtungsanspruch für begründet erklärt, die Vollstreckung davon abhängig zu machen, dass die gegen den Schuldner ergangene Entscheidung rechtskräftig oder vorbehaltlos wird. Diese Vorschrift ist auf den Fall der Verfolgung des Anfechtungsanspruchs im Wege eines [X.]s der Finanzbehörde entsprechend anzuwenden; dabei stehen noch nicht rechtsbeständige Steuerbescheide einem vorläufig vollstreckbaren Schuldtitel gleich (Senatsurteil vom 9. Februar 1988 VII R 62/86, [X.] 1988, 752).

Deshalb ist im Fall eines auf einem noch nicht rechtsbeständigen Steuerbescheid beruhenden Steueranspruchs in analoger Anwendung des § 14 [X.] der Vorbehalt aufzunehmen, dass die Vollstreckung davon abhängt, dass der noch nicht rechtsbeständige Steuerbescheid rechtsbeständig wird (vgl. Senatsurteile vom 31. Mai 1983 VII R 7/81, [X.], 416, [X.] 1983, 545; in [X.] 1988, 752). Es handelt sich dabei um eine Nebenbestimmung zum Verwaltungsakt in Gestalt einer Bedingung i.S. des § 120 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Auf den Fall eines Steueranspruchs, der auf einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 [X.]) beruht, lässt sich vorgenannte Rechtsprechung indes nicht übertragen, da insoweit keine vergleichbare Lage hinsichtlich der im Tatbestand des § 14 [X.] aufgeführten zivilrechtlichen Schuldtitel besteht. Sowohl im Fall eines vorläufig vollstreckbaren Urteils (§§ 708 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO--) als auch im Fall eines Vorbehaltsurteils (§ 302, § 599 ZPO) ist der durch Erhebung der Klage verfolgte Anspruch des Gläubigers weiterhin streitbefangen und kann durch Einlegung bzw. Aufrechterhalten des entsprechenden Rechtsbehelfs ggf. noch zu Fall gebracht werden. Eine dieser zivilprozessualen Lage vergleichbare Situation, welche die analoge Anwendung des § 14 [X.] rechtfertigt, besteht zwar --wie ausgeführt-- im Fall eines auf einem noch nicht rechtsbeständigen Steuerbescheid beruhenden Steueranspruchs, nicht jedoch bei einem Steueranspruch, der auf einem rechtsbeständigen, wenn auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid beruht. Dieser Anspruch ist, da der Steuerbescheid unanfechtbar ist, nicht mehr streitbefangen (so auch [X.], Betriebs-Berater --[X.]-- 1983, 309, 310 f.).

Allein der Umstand, dass der gemäß § 164 [X.] ergangene Steuerbescheid von Amts wegen oder auf Antrag des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werden kann, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 [X.]), führt nicht zu einer Vergleichbarkeit eines solchen Steuerbescheids mit den in § 14 [X.] genannten Schuldtiteln. Denn nicht nur die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheide, sondern sämtliche Steuerbescheide sind unter den in §§ 172 ff. [X.] genannten Voraussetzungen änderbar. § 164 [X.] erweitert lediglich diese [X.] ([X.], [X.] 1983, 309, 311), ändert aber nichts daran, dass der aus einem rechtsbeständigen Steuerbescheid folgende Steueranspruch der Finanzbehörde nicht mehr streitbefangen ist. Das Wort "Vorbehalt" in § 302 und § 599 ZPO sowie in § 14 [X.] einerseits und in § 164 [X.] andererseits meint mit anderen Worten in rechtlicher Hinsicht nicht dasselbe. Es besteht bei rechtsbeständigen Bescheiden gemäß § 164 [X.] allein die bei Steuerbescheiden generell gegebene --und in dem Fall der vorbehaltenen Nachprüfung erweiterte-- Möglichkeit, dass sich später bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen der Steueranspruch der Finanzbehörde (Gläubiger i.S. des [X.]) ändert und neu festzusetzen ist. In dieser rechtlichen Situation bedarf der [X.] nicht des Schutzes des § 14 [X.], zumal es der Steuerpflichtige (Schuldner i.S. des [X.]) in der Hand hat, den gegen ihn gerichteten Steueranspruch streitig zu stellen.

Auch hinsichtlich der vom [X.] ([X.]) mit Urteil vom 3. März 1976 VIII ZR 197/74 ([X.]Z 66, 91) angestellten Erwägungen zu Fällen von Vorauszahlungsbescheiden, für deren Vollstreckung durch [X.] § 14 [X.] entsprechend anwendbar sein soll, finden sich keine Parallelen zu Steuerbescheiden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Solche Steuerbescheide sind nicht --wie der [X.] zu [X.] "wirtschaftlich gesehen ein Vollstreckungstitel für eine Forderung, die in ihrer endgültigen Höhe noch nicht feststeht, sondern von der betreffenden Steuerfestsetzung abhängt". Vielmehr handelt es sich bereits um die eigentliche Steuerfestsetzung. Aus dem Umstand, dass § 164 Abs. 1 Satz 2 [X.] für Festsetzungen von Vorauszahlungen den Vorbehalt der Nachprüfung fingiert, lässt sich ebenfalls nichts für die vom [X.] vertretene Rechtsauffassung herleiten. Wenn es sich in Anbetracht der vom [X.] dargestellten Besonderheit von Vorauszahlungsbescheiden rechtfertigen lässt, für Steuerforderungen, die auf solchen Bescheiden beruhen, § 14 [X.] analog anzuwenden, so kann daraus nicht gefolgert werden, dass sämtliche unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzungen ebensolche Besonderheiten aufweisen.

3. Die Sache ist nicht spruchreif, weil im finanzgerichtlichen Verfahren die Frage ungeprüft geblieben ist, ob hinsichtlich der Übertragung des Miteigentumsanteils auf die Klägerin die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 [X.] (in der seinerzeit geltenden Fassung) vorliegen. Diese Prüfung wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.

a) Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass das [X.] hinsichtlich der Anfechtungsvoraussetzungen zwar die Feststellungslast trägt, den [X.] jedoch eine Mitwirkungspflicht hinsichtlich in seinen Wissensbereich fallender Umstände trifft [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 191 Rz 87a).

b) Sollten die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 [X.] (in der seinerzeit geltenden Fassung) erfüllt sein, wird zu prüfen sein, ob es sich bei den Steuerforderungen des [X.], derentwegen die Klägerin die Vollstreckung dulden soll, um fällige und vollstreckbare Forderungen (§ 2 [X.]) handelt (was allerdings bisher nicht streitig war).

4. [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII R 21/18

23.10.2018

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 27. März 2018, Az: 3 K 1997/17, Urteil

§ 164 AO, § 191 Abs 1 AO, § 14 AnfG, § 120 Abs 2 Nr 2 AO, § 302 ZPO, § 599 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.10.2018, Az. VII R 21/18 (REWIS RS 2018, 2582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2582


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VII R 21/18

Bundesfinanzhof, VII R 21/18, 23.10.2018.


Az. 3 K 1997/17

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 3 K 1997/17, 27.03.2018.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII R 44/17 (Bundesfinanzhof)

Duldungsbescheid wegen auf Vorauszahlungsbescheid beruhender Steuerforderung


VII R 61/18 (Bundesfinanzhof)

(Duldungsbescheid bei bestandskräftiger Vorbehaltsfestsetzung ohne zusätzliche Bedingung i.S. des § 14 AnfG rechtmäßig)


3 K 1997/17 (Finanzgericht Rheinland-Pfalz)


VII R 8/19 (Bundesfinanzhof)

Leistungsklage nach Verfahrensaufnahme durch den Insolvenzverwalter aufgrund Anfechtung nach den Vorschriften des AnfG


5 K 239/16 (FG Nürnberg)

Vollstreckung in das übertragene Grundvermögen wegen Steuerschulden


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.