Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.06.2012, Az. 2 C 13/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 5149

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Gegenstand

Rückforderung von Versorgungsbezügen; Rücknahmefrist; Rücknahmevoraussetzungen


Leitsatz

1. Versorgungsbezüge sind zuviel gezahlt im Sinne von § 52 Abs. 2 BeamtVG, wenn sie nicht von den Festsetzungen des Versorgungsfestsetzungsbescheids gedeckt sind.

2. Die Vorschrift des § 53 Abs. 1 VwVfG über die Hemmung von Verjährungsfristen kann nicht analog auf die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG angewandt werden.

3. Wird ein Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben, so beginnt erst mit der Unanfechtbarkeit dieser Aufhebung der Lauf der Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG für den Erlass eines weiteren Rücknahmebescheids.

Tatbestand

1

Die 1946 geborene Klägerin war als Bundesbeamtin, zuletzt im Amt einer Fernmeldebetriebsinspektorin, bei der [X.] ([X.]) beschäftigt. Die [X.] versetzte sie mit Wirkung vom 1. Dezember 2000 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand.

2

Durch Bescheid vom 4. Januar 2001 setzte die [X.] das Ruhegehalt der Klägerin fest und bewilligte den Familienzuschlag der Stufe 1, weil der 1979 geborene [X.] in der Wohnung der Klägerin lebte. In der Folgezeit wies die [X.] die Klägerin auf die Bedeutung der Einkommensverhältnisse des [X.]es für die Zuschlagsberechtigung hin und forderte sie mehrfach auf, hierzu Angaben zu machen. Erst im Juli 2004 holte die Klägerin die Angaben nach. Hieraus ergab sich, dass die Eigenmittel des [X.]es aufgrund seines Arbeitseinkommens seit Juli 2002 in insgesamt 23 Monaten die gesetzliche Grenze für die Zuschlagsgewährung überstiegen.

3

Daraufhin hob die [X.] durch Bescheid vom 25. Oktober 2004 die "bisher erteilten Bescheide" auf und forderte die der Klägerin in den 23 Monaten gezahlten Zuschläge von insgesamt 1 585,46 € zurück. Diesen Bescheid hob das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 20. Juli 2006 rechtskräftig auf, weil die Begründung nicht erkennen lasse, dass die [X.] Ermessen ausgeübt habe.

4

Durch Bescheid vom 19. September 2006 widerrief die [X.] die Bewilligung des Familienzuschlags der Stufe 1 für die fraglichen Monate und setzte erneut einen Rückforderungsbetrag von 1 585,46 € fest. Zugleich erklärte sie sich bereit, der Klägerin Ratenzahlung zu gewähren.

5

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. In dem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

6

Die Beklagte könne den festgesetzten Betrag zurückfordern, weil die Klägerin in dieser Höhe den Familienzuschlag der Stufe 1 zu Unrecht erhalten habe. Durch den Bescheid vom 19. September 2006 habe die [X.] die Bewilligung des Zuschlags für die fraglichen Monate innerhalb der hierfür geltenden Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG aufgehoben. Nach dem entsprechend anzuwendenden § 53 Abs. 1 VwVfG habe der vom Verwaltungsgericht aufgehobene Bescheid vom 25. Oktober 2004 die Jahresfrist bis zum Ablauf von sechs Monaten nach [X.] der Rechtskraft des Urteils vom 20. Juli 2006 gehemmt. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, die überzahlten Beträge im Rahmen der Lebensführung verbraucht zu haben. Der Rückforderungsbetrag müsse nicht aus Billigkeitsgründen ermäßigt werden.

7

Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin. Sie beantragt,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts der [X.] vom 16. Februar 2011 und des Verwaltungsgerichts der [X.] vom 4. Dezember 2008 sowie den Bescheid der [X.] vom 19. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2007 aufzuheben.

8

Die in der [X.] nicht vertretene Beklagte hat schriftlich den Antrag angekündigt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

[X.]ie zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. [X.]as Urteil des [X.] steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). [X.]er Beklagten stehen Rückforderungsansprüche in der festgesetzten Höhe nach § 52 Abs. 2 Satz 1 bis 3 des Beamtenversorgungsgesetzes - [X.] - zu.

[X.]ie Zuständigkeit der [X.] für die Regelung der Versorgungsbezüge der Klägerin folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 des Postpersonalrechtsgesetzes - PostPersRG - in der Fassung des [X.] ([X.]). [X.]ie [X.] ist nach Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG ermächtigt, die [X.] für die bei ihr beschäftigten Bundesbeamten auszuüben (stRspr; vgl. nur Urteil vom 20. August 1996 - BVerwG 1 [X.] 80.95 - BVerwGE 103, 375 <377 f.> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 7 S. 20 f.).

Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 bis 3 [X.] steht dem [X.]ienstherrn unter folgenden Voraussetzungen ein Rückforderungsanspruch gegen einen [X.]n zu: Er muss zuviel Versorgungsbezüge gezahlt haben (Satz 1). Hat der [X.] die zuviel gezahlten Beträge für die Lebensführung verbraucht, schuldet er die Rückzahlung, wenn er erkannt hat oder hätte offensichtlich erkennen müssen, dass ihm das Geld nicht zugestanden hat (Satz 2). Schließlich muss die Rückforderung der Höhe nach der Billigkeit entsprechen (Satz 3).

1. Versorgungsbezüge sind zuviel gezahlt im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 1 [X.], wenn die Zahlungen nicht von den Festsetzungen des Versorgungsfestsetzungsbescheids gedeckt sind. Während die [X.]ienstbezüge der aktiven Beamten unmittelbar aufgrund Gesetzes gezahlt werden, werden die Ansprüche der [X.]n und anderer Versorgungsempfänger auf Zahlung der Versorgungsbezüge durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid begründet. Nach dem durch § 49 Abs. 1 [X.] vorgegebenen Regelungsgehalt ist dieser Bescheid die gesetzlich vorgeschriebene, rechtsverbindliche Mitteilung über die Höhe der Versorgungsbezüge. Er regelt die Versorgungsbezüge in ihrer Gesamtheit (stRspr; vgl. Urteil vom 24. April 1959 - BVerwG 6 [X.] 91.57 - BVerwGE 8, 261 <265 f.> = [X.] 232 § 87 [X.] Nr. 1 S. 10 f.). Hierzu gehört der Familienzuschlag der Stufe 1, weil diese Leistung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] Bestandteil der ruhegehaltfähigen [X.]ienstbezüge ist.

[X.]er Anspruch auf Zahlung der festgesetzten Versorgungsbezüge monatlich im Voraus (§ 49 Abs. 4 [X.], § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.]) besteht unabhängig davon, ob die Festsetzungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. [X.]aher kann der [X.]ienstherr festgesetzte Versorgungsbezüge erst dann als zuviel gezahlt zurückfordern, wenn und soweit er den Versorgungsfestsetzungsbescheid mit Wirkung für den Zeitraum der Zahlungen aufgehoben hat. § 52 Abs. 2 [X.] stellt keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung dar, sondern setzt sie voraus (stRspr; vgl. Urteil vom 24. April 1959 a.a.[X.]).

[X.]ementsprechend hat die [X.] in dem angefochtenen Bescheid vom 19. September 2006 nicht nur den Rückforderungsbetrag festgesetzt, sondern zunächst den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 aufgehoben, der die Rechtsgrundlage für die Zahlung des [X.] der Stufe 1 in den fraglichen Monaten war.

2. [X.]a der Versorgungsfestsetzungsbescheid eine laufende Geldleistung gewährt, ist er darauf gerichtet, dauerhaft Rechtswirkungen zu entfalten (sog. [X.]auerverwaltungsakt). [X.]ies hat zur Folge, dass sich Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die nach seinem Erlass eintreten, unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung auswirken können. Eine bei Erlass rechtmäßige Festsetzung kann nachträglich rechtswidrig werden. [X.]ie Aufhebung eines ursprünglich rechtmäßigen Versorgungsfestsetzungsbescheids wegen nachträglich eingetretener Rechtswidrigkeit richtet sich nicht nach den Bestimmungen des § 49 VwVfG über den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, sondern nach den Bestimmungen des § 48 VwVfG über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (Urteile vom 16. November 1989 - BVerwG 2 [X.] 43.87 - BVerwGE 84, 111 <113 f.> = [X.] 232 § 87 [X.] Nr. 64 S. 2 und vom 16. Juli 2009 - BVerwG 2 [X.] 43.08 - [X.] 239.1 § 11 [X.] Nr. 13 Rn. 15).

Nach § 48 Abs. 1 und 2 Satz 1 bis 4 VwVfG ist die Rücknahme einer nach Erlass des Versorgungsfestsetzungsbescheids rechtswidrig gewordenen Festsetzung mit Wirkung für die Vergangenheit regelmäßig geboten, wenn das Vertrauen des Versorgungsempfängers in den Bestand dieser Festsetzung nicht schutzwürdig ist. Genießt der Versorgungsempfänger keinen Vertrauensschutz, ist die Behörde zur Rücknahme verpflichtet, wenn keine atypischen Umstände vorliegen.

Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Er muss objektiv eine Mitursache für den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsakts gesetzt haben. Auf Verschulden kommt es nicht an. [X.]as Unterlassen von Angaben steht unrichtigen Angaben gleich, wenn eine Mitteilungspflicht besteht (Urteile vom 14. August 1986 - BVerwG 3 [X.] 9.85 - BVerwGE 74, 357 <363 f.> = [X.] 451.90 EWG-Recht [X.] f. und vom 19. [X.]ezember 1995 - BVerwG 5 [X.] 10.94 - BVerwGE 100, 199 <201> = [X.] 435.12 § 45 SGB X Nr. 12 S. 2 f.).

Nach dem Zweck des § 48 Abs. 2 VwVfG genießt ein Versorgungsempfänger auch dann keinen Vertrauensschutz, wenn er es versäumt hat, versorgungsrechtlich erhebliche Änderungen der Einkommensverhältnisse mitzuteilen. Er muss durch seine Untätigkeit dazu beigetragen haben, dass die Behörde den Eintritt der Rechtswidrigkeit des Versorgungsfestsetzungsbescheids nicht erkannt und daher die festgesetzte Leistung weiterhin gewährt hat. Zwar ist der Verlust des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG an das Erwirken, d.h. an den Erlass des Verwaltungsakts, durch unrichtige oder unvollständige Angaben geknüpft. [X.]ie Regelungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG legen aber nicht abschließend fest, wann der Vertrauensschutz entfällt. Vielmehr sind die darin zum Ausdruck kommenden Wertungen des Gesetzgebers auch bei der Entscheidung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG über die Rücknahme eines teilweise rechtswidrig gewordenen [X.]auerverwaltungsakts zu beachten.

[X.]anach ist der angefochtene Bescheid vom 19. September 2006 von § 48 Abs. 2 Satz 1 und 4 VwVfG gedeckt, soweit die [X.] die Bewilligung des [X.] der Stufe 1 in dem Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 für insgesamt 23 Monate aufgehoben hat:

In diesem Umfang ist der Versorgungsfestsetzungsbescheid nach seinem Erlass rechtswidrig geworden, weil die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Nr. 4 [X.] für die Gewährung des [X.] der Stufe 1 nicht vorlagen. Nach dieser Vorschrift, die nach § 50 Abs. 1 Satz 1 [X.] auch auf [X.] Anwendung findet, erhalten Beamte, die nicht bereits nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 [X.] zuschlagsberechtigt sind, den Zuschlag, wenn sie eine unterhaltsberechtigte Person, für deren Unterhalt nicht mindestens Mittel in Höhe des Sechsfachen des [X.] zur Verfügung stehen, in ihre Wohnung aufgenommen haben. Aufgrund der gesetzlichen Eigenmittelgrenze kann sich die Zuschlagsberechtigung von Monat zu Monat ändern (vgl. Urteil vom 3. November 2005 - BVerwG 2 [X.] 16.04 - [X.] 240 § 40 [X.] Nr. 35 Rn. 9). [X.]as Oberverwaltungsgericht hat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die Eigenmittel des [X.] diese [X.]enze in denjenigen Monaten überstieg, in denen er Arbeitseinkommen bezog.

[X.]ie Klägerin genießt keinen Vertrauensschutz, weil sie die Ursache für die gesetzwidrigen Zahlungen gesetzt hat. Sie hat es trotz mehrerer Aufforderungen unterlassen, die erforderlichen Angaben zu den Einkommensverhältnissen ihres [X.] zu machen. Ohne diese Angaben war es der [X.] nicht möglich, die Zuschlagsberechtigung zu beurteilen.

3. [X.]er angefochtene Rücknahmebescheid vom 19. September 2006 ist auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ergangen. Allerdings folgt dies nicht aus der entsprechenden Anwendung des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG, wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, sondern unmittelbar aus § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. [X.]as vom Oberverwaltungsgericht gefundene Ergebnis erweist sich daher aus anderen [X.]ünden als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder [X.]urchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder bis zum Ablauf von sechs Monaten nach seiner anderweitigen Erledigung. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist der Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG auf Verjährungsfristen beschränkt. Er kann nicht im Wege der Analogie auf die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erweitert werden.

[X.]ie analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. [X.]er Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des [X.] unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (stRspr; vgl. Urteil vom 13. [X.]ezember 1978 - BVerwG 6 [X.] 46.78 - BVerwGE 57, 183 <186 f.> = [X.] 235 § 40 [X.] Nr. 1 [X.] f.; Beschluss vom 7. Juli 1993 - BVerwG 6 P 15.91 - [X.] 251.2 § 40 [X.] Nr. 1 [X.] f.).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Gesetzgeber versehentlich unterlassen hat, die Regelungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG über die Hemmung von Verjährungsfristen auf die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zu erstrecken. [X.]ie Annahme eines derartigen Versäumnisses liegt bereits aufgrund der gesetzlichen Systematik fern. [X.]ie Vorschrift des § 53 VwVfG steht in dem besonderen, nur sie umfassenden Abschnitt 3 des Teils III "Verwaltungsakt" des Verwaltungsverfahrensgesetzes mit der [X.] "Verjährungsrechtliche Wirkungen des Verwaltungsaktes". Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Begriff "Verjährung" zweimal nur versehentlich gebraucht, eigentlich aber neben Verjährungsfristen auch gesetzliche Ausschlussfristen gemeint hat.

[X.]arüber hinaus fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich Beginn und Lauf der Ausschlussfrist durch Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG abschließend bestimmen lassen.

Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, welche die Rücknahme rechtfertigen. [X.]iese Jahresfrist kann weder verlängert werden noch ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (Ausschlussfrist). Nach dem Normzweck handelt es sich nicht um eine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist. [X.]er zuständigen Behörde wird ein [X.] eingeräumt, um die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu treffen. [X.]araus folgt, dass die Frist erst bei vollständiger behördlicher Kenntnis der für die Rücknahme maßgebenden Sach- und Rechtslage zu laufen beginnt. Erst wenn die Behörde auf der [X.]undlage aller entscheidungserheblichen Tatsachen den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen hat, dass ihr die Rücknahmebefugnis zusteht, muss sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie davon Gebrauch macht (Beschluss des [X.]oßen [X.]ats des [X.] vom 19. [X.]ezember 1984 - BVerwG [X.]. [X.]. 1.84 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <358 ff.> = [X.] 316 § 48 VwVfG Nr. 33 S. 16 ff.).

[X.]aher setzt der Fristbeginn zum einen voraus, dass sich die zuständige Behörde über die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts im Klaren ist. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass sie den Verwaltungsakt bislang zu Unrecht für rechtmäßig gehalten hat. Es ist unerheblich, ob sie sich zuvor in einem Irrtum über den entscheidungserheblichen Sachverhalt (Tatsachenirrtum) oder über dessen rechtliche Beurteilung (Rechtsirrtum) befunden hat. Auch wenn der Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts darauf beruht, dass die Behörde den ihr vollständig bekannten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewürdigt oder das anzuwendende Recht verkannt hat, beginnt die Jahresfrist erst mit der Kenntnis des Rechtsfehlers zu laufen (Beschluss vom 19. [X.]ezember 1984 a.a.[X.]; Urteile vom 19. [X.]ezember 1995 - BVerwG 5 [X.] 10.94 - BVerwGE 100, 199 <201 f.> = [X.] 435.12 § 45 SGB X Nr. 12 [X.] f. und vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 [X.] 8.00 - BVerwGE 112, 360 <361 ff.> = [X.] 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 ff.).

Zum anderen setzt der Fristbeginn voraus, dass sich die zuständige Behörde darüber im Klaren ist, dass sich aus der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts die Befugnis zu dessen Rücknahme ergibt. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die weiteren Rücknahmevoraussetzungen des § 48 VwVfG gegeben sind. [X.]ies ist anzunehmen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung imstande ist, diese Voraussetzungen des § 48 VwVfG, d.h. vor allem die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts, zutreffend zu beurteilen und daraus die richtigen rechtlichen Schlüsse zieht (Beschluss vom 19. [X.]ezember 1984 a.a.[X.] [X.]58 bzw. S. 16; Urteile vom 19. [X.]ezember 1995 a.a.[X.] S. 202 bzw. [X.] und vom 24. Januar 2001 a.a.[X.] [X.]63 bzw. S. 6).

Nach diesen [X.]undsätzen ist der Beginn des Laufs der Jahresfrist auch dann zu bestimmen, wenn ein erster Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben wird. In diesen Fällen läuft die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ab dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der aufhebenden Entscheidung. [X.]ies gilt unabhängig davon, ob die Aufhebung auf tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen beruht. [X.]ie [X.]ünde, auf denen die aufhebende Entscheidung beruht, verschaffen der [X.] die Kenntnis, welcher Tatsachen- oder Rechtsirrtum ihr angelastet wird. Erst dieses Wissen versetzt sie in die Lage, auf vollständiger tatsächlicher und rechtlicher [X.]undlage über die Ausübung der Rücknahmebefugnis zu entscheiden. [X.]ie der Aufhebung des ersten Rücknahmebescheids zugrunde liegende Rechtsauffassung ist maßgebend, weil Widerspruchsbehörde und Verwaltungsgericht die [X.] zusteht (§ 68 Abs. 1, § 113 Abs. 1 VwGO).

Wird der erste Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben, weil die Behörde bei Erlass dieses Bescheids nach Auffassung von Widerspruchsbehörde oder Verwaltungsgericht bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt hat, die ihr - aus welchen [X.]ünden auch immer - nicht bekannt waren, erlangt die Behörde erst mit Kenntnis dieser Auffassung die für den Fristbeginn erforderliche vollständige Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts (Beschluss vom 20. Mai 1988 - BVerwG 7 [X.] - [X.] 316 § 48 VwVfG Nr. 56 S. 5 = NVwZ 1988, 822).

Nichts anderes gilt, wenn der erste Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben wird, weil die Behörde nach Auffassung von Widerspruchsbehörde oder Verwaltungsgericht den vollständig aufgeklärten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewürdigt oder das anzuwendende Recht verkannt hat. [X.]ies ist auch anzunehmen, wenn die Behörde bestimmte, ihr bekannte Tatsachen aus Rechtsgründen für unerheblich gehalten hat. Auch in diesen Fällen erlangt die Behörde erst mit Kenntnis dieser Rechtsauffassung die für den Fristbeginn erforderlichen Rechtserkenntnisse.

[X.]ies gilt unabhängig davon, ob der der Behörde angelastete [X.] die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts oder eine weitere gesetzliche Rücknahmevoraussetzung betrifft. [X.]ie einheitliche Behandlung der beiden [X.] ist die zwingende Folge des Verständnisses der Jahresfrist als reiner Entscheidungsfrist, das der [X.]oße [X.]at des [X.] vor allem aus dem Normzweck hergeleitet hat (Beschluss vom 19. [X.]ezember 1984 a.a.[X.] [X.]59 f. bzw. S. 17 f.). Auch der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG legt diese Annahme nahe. [X.]anach bezieht sich die den Fristbeginn auslösende Kenntnis der Behörde nicht auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern auf die Rechtfertigung seiner Rücknahme.

Zwar hat der 5. [X.]at des [X.] entschieden, dass nur ein Rechtsirrtum über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, nicht aber über eine weitere Rücknahmevoraussetzung dem Beginn des Laufs der Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen steht (Urteil vom 19. [X.]ezember 1995 a.a.[X.] S. 202 f. bzw. [X.] f.). In Anbetracht des Beschlusses des [X.]oßen [X.]ats vom 19. [X.]ezember 1984 (a.a.[X.]) kann diese Rechtsprechung aber nicht auf § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG übertragen werden. Hinzu kommt, dass die Regelungen der §§ 44 f. SGB X die Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte, die Sozialleistungen gewähren, gegenüber § 48 VwVfG deutlich einschränkt. So ist etwa die Rücknahme rechtswidriger [X.] für die Vergangenheit und damit die Rückforderung der Leistungen nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Begünstigten nur möglich, wenn ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

[X.]anach hat im vorliegenden Fall die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ungeachtet der tragenden Erwägungen des [X.] und deren Richtigkeit erst mit Rechtskraft des Urteils vom 20. Juli 2006 zu laufen begonnen. [X.]emnach hat die [X.] durch den angefochtenen Bescheid vom 19. September 2006 den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 in Bezug auf die Bewilligung des [X.] der Stufe 1 mit Wirkung für die fraglichen Monate rechtzeitig zurückgenommen, sodass die Klägerin für diese Zeit im Umfang der Rücknahme zuviel Versorgungsbezüge erhalten hat.

4. [X.]er Klägerin kommt nicht zugute, dass sie die ungerechtfertigten Zuschlagszahlungen für ihre Lebensführung verbraucht hat. [X.] sind nach § 52 Abs. 2 Satz 2 [X.] zur Rückzahlung der zuviel gezahlten Beträge verpflichtet, wenn sie den offensichtlichen Mangel der Zahlung hätten erkennen müssen. [X.]ies ist anzunehmen, wenn der Empfänger die Überzahlung nur deshalb nicht bemerkt hat, weil er die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer [X.] gelassen hat (stRspr; vgl. zuletzt Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 2 [X.] 15.10 - juris Rn. 16 ).

Ein derartiger Pflichtenverstoß ist der Klägerin anzulasten. Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] wusste sie, dass ihr [X.] Arbeitseinkommen bezog. Auch musste ihr aufgrund der Hinweise und Belehrungen der [X.] klar sein, dass diese Mittel ihre Zuschlagsberechtigung für den jeweiligen Monat entfallen ließen.

Schließlich kommt eine Ermäßigung des [X.] nicht in Betracht, weil die Klägerin die Überzahlungen allein zu verantworten hat (vgl. Urteil vom 26. April 2012 a.a.[X.] Rn. 25 f.). [X.]iese hatten ihre Ursache ausschließlich darin, dass die Klägerin trotz mehrerer Aufforderungen die Einkommensverhältnisse ihres [X.] nicht mitgeteilt hat. [X.]ie [X.] war auf diese Angaben angewiesen, um Überschreitungen der gesetzlichen Eigenmittelgrenze festzustellen.

Meta

2 C 13/11

28.06.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 16. Februar 2011, Az: 2 A 37/09, Urteil

§ 49 Abs 1 BeamtVG, § 50 Abs 1 S 1 BeamtVG, § 52 Abs 2 BeamtVG, § 48 Abs 2 VwVfG, § 48 Abs 4 S 1 VwVfG, § 53 Abs 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.06.2012, Az. 2 C 13/11 (REWIS RS 2012, 5149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5149

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