Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.05.2021, Az. 2 C 10/20

2. Senat | REWIS RS 2021, 6116

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Gegenstand

Beweislast bei der Rücknahme der Anerkennung von Dienstunfallfolgen


Leitsatz

1. Wird der Bescheid über die Anerkennung von Dienstunfallfolgen zurückgenommen, trägt der Dienstherr die materielle Beweislast für dessen Rechtswidrigkeit (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung).

2. Die Ursache der Dienstunfähigkeit nimmt nicht an der Feststellungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung teil.

Tenor

Das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2019 und das Urteil des [X.] vom 16. Juni 2015 sowie die Bescheide der [X.] Mitte, [X.], vom 20. Juni 2012 und vom 13. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2013 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 7. August 2012 Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme zuvor anerkannter Dienstunfallfolgen und darauf aufbauender Dienstunfallfürsorgeleistungen.

2

Der 1952 geborene Kläger stand zuletzt als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe [X.] [X.]) bei der [X.] im Dienst der [X.]. Die [X.]akademie erkannte mit Bescheid vom 19. Januar 2010 einen vom Kläger im September 2008 auf dem Sportplatz der [X.]schule erlittenen Unfall (Zeckenbiss) als Dienstunfall an und stellte als Dienstunfallfolgen Zustand nach Zeckenbiss Kniegelenk links, [X.] und [X.] reaktive Arthritis fest. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2010 erkannte sie eine Reihe weiterer krankheitsspezifischer Dienstunfallfolgen an und setzte die eingetretene dienstunfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 100 v.H. fest, ausgenommen der Zeitraum von Juli bis September 2009, in dem sie 50 v.H. betrug. Diesen Bescheid hob die [X.]akademie mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 auf, setzte die darin anerkannten Dienstunfallfolgen und die Grade der Erwerbsminderung erneut und darüber hinaus eine weitere krankheitsspezifische Dienstunfallfolge fest.

3

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2010 versetzte die [X.]akademie den Kläger wegen Polizeidienstunfähigkeit und allgemeiner Beamtendienstunfähigkeit mit Ablauf des Dezember 2010 in den Ruhestand. Zur Begründung führte sie u.a. aus, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang der zur Dienstunfähigkeit führenden Leiden mit dem im Januar 2010 anerkannten Dienstunfall.

4

Die [X.] Mitte, [X.] nahm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 20. Juni 2012 den Bescheid vom 19. Januar 2010 hinsichtlich der anerkannten Dienstunfallfolgen [X.] und [X.] reaktive Arthritis mit Wirkung für die Zukunft zurück (Ziffer 1), entschied, dass der Bescheid im Übrigen bestehen bleibt (Ziffer 2), und stellte fest, dass der Zeckenbiss beim Kläger keine - mithin auch keine erwerbsmindernden - Folgen hinterlassen hat und ein Anspruch auf [X.] nicht mehr besteht (Ziffer 3), nahm den "Bescheid vom 18. Oktober 2010" mit Wirkung für die Zukunft zurück (Ziffer 4) und stellte weiter fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Unfallruhegehalt mehr hat (Ziffer 5). Die Rechtswidrigkeit der Bescheide der [X.]akademie stützte die [X.] auf die Annahme, dass es sich bei den Gesundheitsbeeinträchtigungen des [X.] um dienstunfallunabhängige, anlagebedingte Leiden handele. Der beim Dienstsport erlittene Zeckenbiss sei eine bloße Gelegenheitsursache.

5

Mit Bescheid vom 13. August 2012 lehnte die [X.] den Antrag des [X.] vom 7. August 2012 auf Erstattung von dienstunfallbedingten Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € ab.

6

Die dagegen erhobenen Widersprüche des [X.] sowie seine Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Rücknahme der zuvor anerkannten Dienstunfallfolgen und darauf aufbauender Dienstunfallfürsorgeleistungen für die Zukunft sei rechtmäßig. Die Anerkennung der Dienstunfallfolgen sei rechtswidrig, weil eine Kausalität zwischen dem beim Dienstsport erlittenen Zeckenbiss und den Erkrankungen des [X.] zum Zeitpunkt der Anerkennung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen gewesen sei. Ein solcher Kausalzusammenhang sei auch im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme offen geblieben. Dies gehe zu Lasten des [X.]; ihn treffe die materielle Beweislast auch in der Situation der Rücknahme zuvor anerkannter Dienstunfallfolgen.

7

Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen Divergenz zugelassene Revision des [X.], mit der er beantragt,

das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2019 und das Urteil des [X.] vom 16. Juni 2015 sowie die Bescheide der [X.] Mitte, [X.], vom 20. Juni 2012 und vom 13. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm aufgrund seines Antrags vom 7. August 2012 Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt [X.] (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), nämlich § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Mit dieser Vorschrift unvereinbar ist die tragende Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, bei der Rücknahme der Anerkennung von [X.] trage der betroffene Beamte die Beweislast, wenn sich die Frage der Ursächlichkeit des [X.] für die besonderen [X.] (im gerichtlichen Verfahren) nicht aufklären lässt. Denn im Fall der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts trägt grundsätzlich die Behörde die sog. Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen der Rücknahme, damit auch das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts, erfüllt sind. Danach hat die Anfechtungsklage gegen die Rücknahme der Anerkennung der [X.] und der darauf aufbauenden Dienstunfallfürsorgeleistungen sowie die Verpflichtungsklage auf Erstattung von [X.] Erfolg. Der Rücknahmebescheid vom 20. Juni 2012 und der die Kostenerstattung versagende Bescheid vom 13. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der unter dem 7. August 2012 beantragten Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 [X.] i.V.m. § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 b) der Verordnung zur Durchführung des § 33 des Beamtenversorgungsgesetzes (Heilverfahrensverordnung - [X.]) vom 25. April 1979 ([X.] I S. 502), zuletzt geändert durch Art. 15 Abs. 30 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 ([X.] I S. 160, [X.] a.F.).

1. Gegenstand des [X.] vom 20. Juni 2012 ist nicht nur die Aufhebung des Bescheids vom 19. Januar 2010 hinsichtlich der Anerkennung zweier [X.], sondern auch die Aufhebung des Bescheids vom 20. Dezember 2010 hinsichtlich der weiteren anerkannten [X.] für die Zukunft. [X.] ist, dass die Beklagte im Tenor des [X.] fälschlicherweise den bereits durch Bescheid vom 20. Dezember 2010 aufgehobenen Bescheid vom 18. Oktober 2010, nicht dagegen den Bescheid vom 20. Dezember 2010 selbst angegeben hat. Wie der Tenor und die Gründe des [X.] erkennen lassen (§ 133 BGB analog; vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Juli 2006 - 6 C 20.05 - BVerwGE 126, 254 Rn. 100 und vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 39), ging es der Beklagten darum, es für die Zukunft nur bei der im Bescheid vom 19. Januar 2010 anerkannten Dienstunfallfolge "Zustand nach Zeckenbiss Kniegelenk links" zu belassen. Sie hat ausdrücklich festgestellt, dass darüber hinaus keine - mithin auch keine erwerbsmindernden - Unfallfolgen bestehen. Dementsprechend stellt der Widerspruchsbescheid (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) klar, dass die Bescheide der [X.] vom 19. Januar 2010 und vom 20. Dezember 2010 verfahrensgegenständlich und mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden sind.

2. Die Rücknahme der ursprünglich anerkannten [X.] bestimmt sich nach § 48 Abs. 1 und 2 [X.] Bei der Entscheidung über die Anerkennung von [X.] handelt es sich um einen feststellenden begünstigenden Verwaltungsakt, der Grundlage für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sachleistungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ist (BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 2 B 26.19 - juris Rn. 14 f.). Die Anerkennung von [X.] kann eine Reihe von Leistungsansprüchen der Unfallfürsorge (vgl. § 30 Abs. 2 [X.]) auslösen. Der betroffene Beamte hat je nach Fallgestaltung und bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen, die Leistung vorsehenden Norm etwa einen Anspruch auf Heilverfahren, auf [X.] und auf Unfallruhegehalt.

a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahme bestehen keine Bedenken. Es ist davon auszugehen, dass die [X.] (nunmehr: Generalzolldirektion) für die Rücknahmeentscheidung gemäß § 49 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. Abschnitt A. Nummer [X.]. Anlage 1, Spalte 1 Ziffer 7, Spalte 5, Fußnote 4 und Anlage 2 der bis zum 30. Juni 2013 geltenden Anordnung zur Übertragung von Zuständigkeiten auf den Gebieten der Beamtenversorgung des Bundes und des Versorgungsausgleichs (Beamtenversorgungs-Zuständigkeitsanordnung - [X.]) vom 26. Juni 2010 ([X.] [X.]), geändert durch die Anordnung vom 14. Januar 2011 ([X.] I S. 51), sachlich zuständig war. Denn müsste zum Zeitpunkt der Rücknahme der Anerkennung von [X.] über die Anerkennung von solchen Folgen entschieden werden, wäre die Generalzolldirektion sachlich zuständig (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2018 - 2 A 1.18 - [X.] 316 § 48 VwVfG Nr. 143 Rn. 17).

b) Die Rücknahme der zuvor anerkannten [X.] ist aber materiell rechtswidrig. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann nur ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Nach den vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen, den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) kann nicht geklärt werden, ob die weiteren, neben dem Zustand nach Zeckenbiss aufgetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen des [X.] zu Recht oder zu Unrecht als [X.] anerkannt wurden. Dies geht zu Lasten der Beklagten.

aa) Die Anerkennung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder eines [X.]s als Dienstunfallfolge ist rechtswidrig, wenn zwischen dem Dienstunfall i.S.v. § 31 [X.] und der gesundheitlichen Beeinträchtigung oder dem [X.] des betroffenen Beamten kein Kausalzusammenhang besteht.

Für diese Beurteilung ist der Ursachenbegriff im Sinne des Dienstunfallrechts maßgebend. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg ([X.]) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. April 1967 - 2 C 118.64 - BVerwGE 26, 332 <333>, vom 10. Juli 1968 - 6 C 65.65 - [X.] 232 § 186 [X.] Nr. 6 S. 15, vom 30. Juni 1988 - 2 [X.] - [X.] 239.1 § 31 [X.] Nr. 6 S. 3 f., vom 1. März 2007 - 2 A 9.04 - Schütz [X.]/[X.] 3.5 Nr. 16 und vom 12. Dezember 2019 - 2 A 6.18 - [X.] 239.1 § 31 [X.] Nr. 33 Rn. 18). Nicht Ursachen im Rechtssinne sind dagegen sog. Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also etwa die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (BVerwG, Urteile vom 15. September 1994 - 2 C 24.92 - [X.] 237.6 § 227 NdsLBG Nr. 1 S. 3 f., vom 18. April 2002 - 2 C 22.01 - [X.] 239.1 § 31 [X.] Nr. 12 S. 3, vom 25. Februar 2010 - 2 C 81.08 - [X.] 239.1 § 31 [X.] Nr. 23 Rn. 10 und vom 12. Dezember 2019 - 2 A 6.18 - [X.] 239.1 § 31 [X.] Nr. 33 Rn. 19 m.w.N.).

Ist eine Ursächlichkeit in diesem Sinne zwischen dem Dienstunfall i.S.v. § 31 [X.] und der gesundheitlichen Beeinträchtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, ist ihre ursprüngliche Anerkennung als Dienstunfallfolge rechtswidrig.

bb) Das Berufungsgericht hat nach Ausschöpfen der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht feststellen können, ob zwischen dem als Dienstunfall anerkannten Zeckenbiss und den vorhandenen Körperschäden des [X.] eine Kausalität besteht. Es ist unter Berücksichtigung sämtlicher zum Gesundheitszustand des [X.] vorliegenden Stellungnahmen aufgrund der Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen im Ergebnis der Beweisaufnahme von der Situation eines non liquet ausgegangen. Für die Beschwerden des [X.] könne keine gesicherte Diagnose gestellt werden und ihre Ursachen seien nicht aufklärbar. Nach den sachverständigen Aussagen, denen das Berufungsgericht gefolgt ist, sei eine Lyme-Arthritis eher unwahrscheinlich; am ehesten liege eine rheumatoide Arthritis vor, deren kausale Rückführbarkeit auf den Zeckenbiss nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachweisbar sei. Es handele sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der relativ unbekannt sei, aufgrund welcher multifaktorieller Auslöser sie ausbreche. Eine Mitverursachung durch mit einem Zeckenbiss übertragene Erreger habe der Sachverständige nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen können; die Ursachen der Beschwerden des [X.] seien letztlich offen geblieben. Diese Feststellung einer non liquet-Situation ist für das Revisionsverfahren bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben.

cc) Aus der [X.] des [X.] hat das Berufungsgericht die Folgerung gezogen, dass die ursprüngliche Anerkennung der [X.] rechtswidrig sei, weil der Kläger die materielle Beweislast trage. Den betroffenen Beamten treffe die materielle Beweislast, wenn nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht offenbleibe, ob eine Kausalität zwischen dem erlittenen Dienstunfall und dem vorhandenen [X.] bestehe. Dies gelte nicht nur dann, wenn es um die ursprüngliche Anerkennung eines [X.] oder weiterer Folgen gehe, sondern auch wenn die Situation der späteren Rücknahme zuvor anerkannter [X.] und daran anknüpfender [X.] vorliege. Das ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

Nach der Rechtsprechung des [X.] gelten im Fall der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 VwVfG die allgemeinen Beweisgrundsätze. Die Verteilung der materiellen Beweislast ergibt sich aus der im Einzelfall maßgeblichen materiellen Norm. Derjenige, der aus einer Norm eine ihm günstige Rechtsfolge ableitet, trägt die materielle Beweislast, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit ("mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit") weder feststellen noch ausschließen kann (non liquet). Demzufolge trägt grundsätzlich die Behörde die sog. Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen der Rücknahme, damit auch das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts, erfüllt sind. Sie muss das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für den Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts nachweisen. Kann nicht geklärt werden, ob die [X.] gegeben sind, geht dies grundsätzlich zu Lasten der Behörde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt dann, wenn die [X.] auf einem gegen die Grundsätze von [X.] und Glauben verstoßenden unlauteren Verhalten des Begünstigten beruht (BVerwG, Urteile vom 30. Januar 2003 - 2 C 12.02 - [X.] 240.1 [X.] Nr. 27 S. 16 und vom 8. Dezember 2009 - 1 C 16.08 - BVerwGE 135, 334 Rn. 36).

In der Situation der Rücknahme zuvor anerkannter [X.] muss deshalb grundsätzlich der Dienstherr nachweisen, dass die Anerkennung der [X.] rechtswidrig war. Ihm obliegt der Nachweis, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und den anerkannten körperlichen Leiden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausscheidet. Er trägt die materielle Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit. Bleibt der Kausalverlauf nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) unaufklärbar, geht dies zu seinen Lasten.

dd) Danach ist die Rücknahme der Anerkennung der ursprünglich über den Zustand nach Zeckenbiss hinausgehenden [X.] rechtswidrig. Es geht zu Lasten der Beklagten, dass der Kausalverlauf zwischen diesen Unfallfolgen und dem anerkannten Dienstunfall und damit die Rechtswidrigkeit ihrer Anerkennung unaufklärbar ist. Besondere Umstände, die nach [X.] und Glauben eine abweichende Verteilung der Beweislast gebieten, sind nicht erkennbar. Dass die [X.] auf einem unlauteren Verhalten des [X.] beruht, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch von der Beklagten nicht geltend gemacht worden.

Dabei übersieht der Senat nicht den Einwand der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass die Sachverhaltsaufklärung - wie hier - Jahre nach der Anerkennung des [X.] und seiner Folgen erschwert und deshalb bei multifaktoriellen Erkrankungen - wie hier - eine Rücknahme der aus ihrer Sicht rechtswidrig anerkannten [X.] durch vormals zuständige Dienststellen faktisch unmöglich sei. Damit benennt die Beklagte keinen Aspekt, der eine Verteilung der Beweislast abweichend von den allgemeinen Grundsätzen rechtfertigt. Die Beweisnot ist nicht auf Umstände zurückzuführen, die typischerweise der Sphäre des [X.] zuzuordnen sind.

Die hinter diesem Einwand stehende Sorge der Beklagten, eine einheitliche Rechtsanwendung im Bereich des Dienstunfallrechts nicht gewährleisten zu können, ist unbegründet. Ihr kann - wie die Praxis in den Ländern zeigt - dadurch begegnet werden, dass einer zentralen Stelle mit speziell dienstunfallrechtlich geschultem Personal die Zuständigkeit für sämtliche dienstunfallrechtliche Angelegenheiten übertragen wird, d.h. von der Anerkennung des [X.] und seiner Folgen, über das Heilverfahren bis zur (Erst-)Festsetzung der dienstunfallbedingten Versorgungsbezüge (vgl. § 2 Nr. 4 [X.]).

ee) Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, denn weitere Feststellungen sind nicht erforderlich (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Ziffern 1 bis 3 Satz 1 und Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids betreffend die Rücknahme der Anerkennung von [X.] und die Feststellung ihres [X.] sind aufzuheben.

3. Die Rücknahme der an die anerkannten [X.] anknüpfenden [X.], [X.] und Unfallruhegehalt, für die Zukunft und die Feststellung des Nichtbestehens solcher Ansprüche, sind rechtswidrig, weil die begünstigenden Verwaltungsakte vom 19. Januar 2010 und vom 20. Dezember 2010 der [X.] über die Anerkennung der [X.] durch die Aufhebung der darauf bezogenen Regelungen des [X.] weiterhin wirksam sind. Ziffer 3 Satz 2 und Ziffer 5 des angefochtenen Bescheids sind aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

Auf die weiteren Einwände des [X.] kommt es in diesem Zusammenhang nicht mehr an. Anzumerken ist aber, dass der Verfügung über die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit, die als Grund den anerkannten Dienstunfall benennt, keine Feststellungswirkung zukommt, die einer Rücknahme der Gewährung des [X.] entgegenstünde. Die Ursache der Dienstunfähigkeit nimmt nicht an der Feststellungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung gemäß § 44 Abs. 1 [X.] (ebenso § 26 Abs. 1 BeamtStG) teil. Nach der Rechtsprechung des Senats kann jede Versetzung in den Ruhestand nur "wegen" eines bestimmten, gesetzlich festgelegten Grundes verfügt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2007 - 2 C 22.06 - [X.] 232 § 47 [X.] Nr. 3 S. 2). Der gesetzlich festgelegte Grund konkretisiert den Umfang der Feststellungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung. § 44 Abs. 1 [X.] (ebenso § 26 Abs. 1 BeamtStG) nennt als gesetzlichen Grund für die vorzeitige Zurruhesetzung aber allein die Dienstunfähigkeit. Unerheblich ist, auf welcher Ursache die Dienstunfähigkeit beruht (BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 - 2 B 5.19 - [X.] 232.01 § 26 BeamtStG Nr. 11 Rn. 9 f.), also hier auf einen bestimmten Dienstunfall. Die Klärung der Frage, ob die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit auf einen Dienstunfall zurückzuführen ist, ist dem Verfahren über die Festsetzung der Versorgungsbezüge (vgl. § 2 Nr. 4 [X.]) vorbehalten.

4. Der Kläger hat einen Anspruch auf die unter dem 7. August 2012 beantragte Erstattung von Aufwendungen für Arzneimittel in Höhe von 3 218,47 €.

Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 [X.] i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 der Verordnung über die Durchführung von Heilverfahren nach § 33 des Beamtenversorgungsgesetzes vom 9. November 2020 ([X.] I S. 2349, [X.]) ist hinsichtlich der Erstattung von Aufwendungen, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung am 14. November 2020 entstanden sind, die Heilverfahrensverordnung vom 25. April 1979 ([X.] I S. 502), zuletzt geändert durch Art. 15 Abs. 30 des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 ([X.] I S. 160, [X.] a.F.), weiter anzuwenden.

Gemäß § 1 Abs. 1 [X.] a.F. wird der Anspruch eines durch Dienstunfall Verletzten auf ein Heilverfahren dadurch erfüllt, dass ihm die notwendigen und angemessenen Kosten erstattet werden, soweit die Dienstbehörde das Heilverfahren nicht selbst durchführt oder durchführen lässt. Zu den zu erstattenden Kosten gehören nach § 3 Abs. 1 Buchst. b) [X.] a.F. schriftlich ärztlich verordnete Arzneimittel. Danach hat der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten für die ihm im Juli und August 2012 verordneten Arzneimittel [X.], [X.] und [X.] Kautabletten. Es ist in Übereinstimmung mit der Beklagten davon auszugehen, dass diese Aufwendungen für die Behandlung der anerkannten [X.] notwendig und angemessen waren.

Die Erstattung der geltend gemachten Heilbehandlungskosten ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zuzusprechen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

2 C 10/20

06.05.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 6. Mai 2019, Az: 14 B 17.1926, Urteil

§ 44 BBG, § 26 BeamtStG, § 2 BeamtVG, § 31 BeamtVG, § 33 BeamtVG, § 35 BeamtVG, § 36 BeamtVG, § 49 BeamtVG, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG, § 48 Abs 2 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.05.2021, Az. 2 C 10/20 (REWIS RS 2021, 6116)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6116

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