Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2006, Az. 4 StR 131/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 3574

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[X.] vom 11. Mai 2006 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a. - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Mai 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 23. November 2005 wird mit der Maßgabe als unbe-gründet verworfen, dass der Teilfreispruch entfällt. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] dadurch entstandenen notwendigen Auslagen. Gründe: Das [X.] hatte den Angeklagten durch Urteil vom 3. Mai 2004 wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen in zwei Fällen sowie wegen se-xuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf [X.] und sechs Monaten verurteilt. Ferner hatte es die Unterbringung des Ange-klagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Geschädigten verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revision des Angeklagten durch Beschluss vom 21. April 2005 - 4 StR 89/05 - ([X.], 232) insgesamt aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Es hat nunmehr den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen und sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ferner hat es erneut die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung 1 - 3 - angeordnet und den Angeklagten wiederum zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt lediglich zum Wegfall des Teilfreispruchs; im Übri-gen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Der Teilfreispruch war nicht veranlasst. Zwar hat das [X.] den Angeklagten, soweit es die sexuellen Übergriffe zum Nachteil des [X.] betrifft, statt der angeklagten zwei Fälle nur wegen einer Tat (§ 182 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB) verurteilt. Es hat jedoch die angeklagten Tathandlun-gen als erwiesen erachtet und lediglich nicht auszuschließen vermocht, dass beide Fälle bei einer einzigen Gelegenheit stattfanden und deshalb eine Tat im Rechtssinne bilden. Unter diesen Umständen war für einen Teilfreispruch kein Raum ([X.]St 44, 196, 201 f.). 2 2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat im Übrigen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in der [X.] vom 31. März 2006. 3 Ergänzende Ausführungen des Senats sind lediglich zu der Verfahrens-rüge veranlasst, mit der der Beschwerdeführer den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend macht, weil die Entscheidung über die Vereidi-gung und Entlassung des als Geschädigter vernommenen Zeugen [X.] in Abwesenheit des für die Dauer dieser Vernehmung gemäß § 247 (Sätze 1 und 2) StPO von der Verhandlung ausgeschlossenen Angeklagten stattgefunden habe. Auch diese Rüge dringt im Ergebnis nicht durch. Ihr liegt folgender von der Revision zutreffend mitgeteilter Verfahrensgang zugrunde: 4 - 4 - a) Nachdem durch [X.] bereits am zweiten Hauptverhand-lungstag für die Dauer der Vernehmung des [X.] sowohl die Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 StPO als auch der Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 171 [X.] angeordnet worden war, ordnete der Vorsitzende am vier-ten [X.] die Videoübertragung der Vernehmung des Zeugen in einen Nebenraum an, damit der Angeklagte dort die Vernehmung in Wort und Bild unmittelbar mitverfolgen könne. Sodann wurde der Zeuge in Abwesenheit des Angeklagten vernommen. Nach 40 Minuten wurde die Sitzung unterbro-chen, "damit der Verteidiger mit dem Angeklagten Rücksprache nehmen kann". Die Sitzung wurde neun Minuten später - weiterhin nicht öffentlich und in Abwe-senheit des Angeklagten - fortgesetzt, wobei der Verteidiger erklärte, "dass die Pause ausreichend war, um mit seinem Mandanten Rücksprache zu nehmen". Danach sagte der Zeuge weiter zur Sache aus. Sodann ist im Protokoll ver-merkt: Anordnung des Vorsitzenden "Der Zeuge bleibt nach richterlichem Er-messen gemäß § 59 StPO unvereidigt und wird im allseitigen Einverständnis entlassen". Die Entlassung des Zeugen erfolgte sechs Minuten nach Ende der vorangehenden Sitzungspause. Erst dann wurde die Öffentlichkeit wieder [X.] und der Angeklagte wieder in den Gerichtssaal verbracht. 5 Danach wurden zunächst zwei Zeugen in Anwesenheit des Angeklagten und sodann - nunmehr wiederum nach Entfernen des Angeklagten gemäß § 247 StPO - das Kind [X.] vernommen. Im [X.] an dessen Verneh-mung, die wiederum zeitgleich in Wort und Bild in den Nebenraum, in dem sich der Angeklagte aufhielt, übertragen wurde, erklärte der Angeklagte, dass er die Zeugenvernehmungen des [X.] und der [X.] "voll umfänglich verfol-gen konnte". Nachdem sodann noch fünf weitere Zeugen vernommen waren, erklärte der Angeklagte am Ende dieses Verhandlungstages, "dass er keine Fragen mehr an den Zeugen [X.] habe". 6 - 5 - b) Dieser Verfahrensgang begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht. Allerdings gehören nach ständiger Rechtsprechung des [X.] die Verhandlung über die Vereidigung ebenso wie die [X.] über die Entlassung eines Zeugen nicht mehr zu dessen Verneh-mung, sondern bilden einen selbständigen Verfahrensabschnitt. Danach ist in der Regel der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben, wenn der Angeklagte während dieser Verhandlungsteile von der Hauptverhandlung ausgeschlossen war (vgl. [X.]St 26, 218; [X.], 440; [X.], [X.] vom 21. März 2002 - 1 StR 543/01; kritisch - allerdings nicht tragend - [X.] NStZ 1998, 425; [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 19, 20 und StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 25). Der absolute Revisionsgrund scheitert hier indes trotz förmlicher Erfüllung seiner Voraussetzungen (vgl. [X.]R StPO § 247 Abwesen-heit 25) angesichts der Besonderheiten des Verfahrensgangs im [X.] mit der Vernehmung des Zeugen [X.]: 7 - Der Angeklagte hat die gesamte Vernehmung des Zeugen durch die Video-übertragung in Wort und Bild mitverfolgt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 26. August 2005 - 3 [X.], [X.], 509). Dies sicherte die umfas-sende Information des Angeklagten über die Aussage. Das hat der Angeklagte mit seiner persönlichen Erklärung auch ausdrücklich bestätigt. - Nach dem weit überwiegenden Teil der Vernehmung hatten während deren Unterbrechung der Verteidiger und der Angeklagte ausreichend Gelegenheit zur Besprechung. Zwar teilt die Revision den Inhalt dieser Rücksprache nicht mit. Es liegt aber nicht fern, dass Gegenstand auch ein Verzicht auf eine [X.] und auf weitere Fragen war, zumal der Vermerk über das "allseitige" Einverständnis mit der Entlassung ein insoweit von dem Verteidiger vorher vom Angeklagten eingeholtes Einverständnis jedenfalls nicht ausschließt (vgl. [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 20 S. 2). - 6 - - Nach der Unterbrechung zur Rücksprache des Verteidigers mit dem Ange-klagten wurde die Vernehmung des Zeugen bereits nach wenigen Minuten beendet (vgl. zum Fall einer möglicherweise vorher festgelegten ganz punktu-ellen Befragung des Zeugen [X.], Beschluss vom 24. Januar 2001 Œ 5 [X.]/00) und wurden Anträge zur Vereidigung auch seitens des Verteidigers nicht gestellt. - Der Angeklagte hat - wovon hier auszugehen ist - durch die Videoübertragung auch die Anordnung des Vorsitzenden, den Zeugen nicht zu vereidigen und ihn zu entlassen, mitverfolgt. Gleichwohl hat er nach der weiteren Beweisauf-nahme ausdrücklich auf weitere Befragung des Zeugen verzichtet. Angesichts dieser Besonderheiten spricht hier nichts dafür, dass es sich bei der genannten Anordnung des Vorsitzenden um wesentliche Teile der Hauptverhandlung gehandelt haben könnte (vgl. [X.]R StPO § 247 Abwesen-heit 21), bezüglich derer allein die bloße Abwesenheit des Angeklagten den [X.] Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründete und - ungeachtet der Berücksichtigung des [X.] (vgl. dazu [X.] NStZ 1998, 425, 426; [X.] in Festschrift für [X.], 1995, [X.], 205, 209 f.) - zur [X.] eines ansonsten materiell richtigen Urteils und zur Neuverhandlung der Sache führen müsste. Jedenfalls kann unter den hier gegebenen Umständen ausnahmsweise jegliches Beruhen des Urteils auf der bloßen Abwesenheit des Angeklagten während der Entscheidung über die Vereidigung und Entlassung des Zeugen denkgesetzlich ausgeschlossen werden (vgl. [X.]R StPO § 338 Beruhen 1 und StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Besetzungsrüge 6; [X.] StPO 48. Aufl. § 338 Rdn. 2 m.w.Nachw.). Dies gilt hinsichtlich der Anordnung des Vorsitzenden, den Zeugen nicht zu vereidigen, schon deshalb, weil nach der Änderung des § 59 StPO durch das [X.] vom 28. August 2004 ([X.]) die Nichtvereidigung den Regelfall bildet (vgl. 8 - 7 - dazu [X.] NJW 2006, 388, zur Veröffentlichung in [X.]St bestimmt; [X.]R StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 25; [X.], Beschluss vom 30. März 2005 - 1 StR 67/05, [X.], 208). Nichts spricht dafür, dass das Gericht bei Anwe-senheit des Angeklagten in diesem Verfahrensabschnitt den Zeugen [X.] ausnahmsweise vereidigt hätte, zumal ersichtlich keiner der (anwesenden) [X.] überhaupt in Erwägung gezogen hat, eine Vereidigung zu beantragen. Es kommt deshalb insoweit auch nicht mehr darauf an, dass we-gen des Ausmaßes der im Urteil festgestellten geistigen Behinderung dieses Zeugen ([X.]) einer Vereidigung von vorneherein nahe liegend auch das [X.]sverbot des § 60 Nr. 1 StPO entgegengestanden hat. Auch das [X.] (vgl. zur Sicherung des Fragerechts in diesen Fällen [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 20 S. 2 f.) ist nicht verletzt, weil der Angeklagte auf Fragen an den Zeugen ausdrücklich verzichtet hat. Tepperwien Maatz Kuckein Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 131/06

11.05.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2006, Az. 4 StR 131/06 (REWIS RS 2006, 3574)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3574

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