Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2011, Az. VIII ZR 226/09

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5948

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BUNDES[X.]RICHTSHOF

IM NAMEN DES VOL[X.]ES

URTEIL
VIII
ZR
226/09
Verkündet am:

8. Juni 2011

Vorusso

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3
Zu den Voraussetzungen einer [X.] zum Zweck der Veräußerung einer im vermieteten Zustand unrentablen und nicht oder nur unter erheblichem Preisabschlag verkäuflichen Immobilie.

[X.], Urteil vom 8. Juni 2011 -
VIII [X.] -
LG [X.]

[X.]

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Der VIII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2011 durch [X.] als Vorsitzenden, die Richte-rinnen Dr.
Milger und [X.] sowie [X.]
Achilles und Dr.
Schneider

für Recht erkannt:
Auf die Revision der [X.]läger wird das Urteil der 11. Zivilkammer des [X.] vom 23. Juli 2009 in der Fassung des [X.] vom 26. August 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens, an eine andere [X.]ammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Beklagte zu 1 mietete im Jahr 1953 -
zusammen mit ihrem inzwi-schen verstorbenen Ehemann
-
von einem volkseigenen Betrieb
der ehemali-gen [X.] ein dem Rechtsvorgänger der [X.]läger gehörendes, unter staatlicher Verwaltung stehendes Einfamilienhaus in [X.].

. Nach der Beendigung der staatlichen Verwaltung mit Ablauf des Jahres 1992 traten die [X.]läger in un-1
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geteilter Erbengemeinschaft nach dem ehemaligen Eigentümer in das Mietver-hältnis ein.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2007 sowie nochmals mit der [X.]lageschrift er-klärten die [X.]läger die [X.]ündigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB mit der Begründung, sie beabsichtigten, das verlustbringende Mietobjekt zum Zweck der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu veräußern; [X.] seien sie durch den Fortbestand des Mietverhältnisses gehindert. Die [X.] zu 2 wird von den [X.]lägern als Mitbesitzerin auf Räumung in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat die [X.]lage abgewiesen, das [X.] hat die Be-rufung der [X.]läger zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die [X.]läger ihr [X.]lagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Den [X.]lägern stehe der geltend gemachte Räumungsanspruch nicht zu, weil die von ihnen erklärte [X.] das Mietverhältnis der [X.] nicht beendet habe. Es sei nicht ersichtlich, dass die [X.]läger bei [X.] des Mietverhältnisses erhebliche Nachteile erleiden würden.
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Grundsätzlich sei ein erheblicher Nachteil zu bejahen, wenn der [X.] das Haus in vermietetem Zustand überhaupt nicht oder nur wirtschaftlich unangemessen verwerten könne, so dass ein Verkauf als wirtschaftlich sinnlos erscheine und der [X.]ündigungsschutz des Mietverhältnisses damit zu einem faktischen Verkaufshindernis werde. Ein derartiger Nachteil liege aber nicht vor. Nachdem die Erben das Objekt in vermietetem Zustand erworben hätten, sei Bezugspunkt für die Vergleichsrechnung nicht der absolute Vorteil, der den [X.] bei Veräußerung in unvermietetem Zustand entstehen
würde, sondern ihre Vermögenslage zum [X.]punkt des Erwerbs der Wohnung. Insoweit sei nicht auf den [X.]punkt des Erbfalls, sondern auf die Aufhebung der staatlichen [X.] Ende 1992 abzustellen, durch die die [X.]läger erst tatsächlich in die [X.] eingetreten seien.
Dass das Grundstück nach dem Vorbringen der [X.]läger zwölf Jahre lang nur Verluste eingebracht habe, genüge für die Darlegung eines erheblichen Nachteils im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht. Dem Grundstück habe von Anfang an der durch die Vermietung begründete Minderwert angehaftet. Die [X.]läger seien auch schon bei dem tatsächlichen Eintritt in das Mietverhältnis am 1. Januar 1993 hoch betagt gewesen; auch damals sei das Grundstück [X.] unrentabel gewesen.
Dem Beweisantritt der [X.]läger zur Unverkäuflichkeit des Grundstücks im vermieteten Zustand sei nicht nachzugehen. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass als Renditeobjekt ungeeignete Wohnungen nur im unvermieteten Zustand verkäuflich seien, existiere nicht. Eine Existenzbedrohung durch die Unterhal-tung der Immobilie sei gleichfalls nicht dargetan.

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II.

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der von den [X.]lägern ausgesprochenen [X.] (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) nicht verneint werden. Ein Räumungsanspruch kann auch gegenüber der [X.]n zu 2 bestehen, weil diese nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu le-genden Sachvortrag der [X.]läger Mitbesitzerin der Wohnung ist.
1. Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegan-gen, dass die Beurteilung der Frage, ob dem Eigentümer durch den [X.] eines Mietvertrages ein erheblicher Nachteil im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB entsteht, vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art.
14 Abs.
2 GG) und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verblei-ben, vorzunehmen ist. Das Eigentum gewährt dem Vermieter vor diesem [X.] keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art.
14 Abs.
1 Satz 1 GG und deshalb grundgesetzlich geschützt. Auf der anderen Seite dürfen die dem Vermieter entstehenden Nach-teile jedoch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen (Senatsurteil vom 28. Januar 2009 -
VIII
ZR 8/08, [X.], 234 Rn. 14 unter Bezugnahme auf [X.] 84, 382, 385; 89, 1, 6 ff.; 79, 283, 290).
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2. Die im Rahmen des §
573 Abs.
2 Nr.
3 BGB vorzunehmende Abwä-gung zwischen dem Verwertungsinteresse des Eigentümers und dem Be-standsinteresse des Mieters obliegt dem Tatrichter. Dessen Beurteilung kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt dahin überprüft werden, ob das [X.] die [X.] erkannt, die tatsächliche Wertungsgrundlage ausgeschöpft und die Denk-
und Erfahrungssätze beachtet hat (Senatsurteil vom 28. Januar 2009 -
VIII
ZR 8/08, aaO Rn. 15). Dem Berufungsgericht sind, wie die Revision zu Recht geltend macht, in dieser Hinsicht Rechtsfehler [X.].
a) Die Annahme des Berufungsgerichts, ein erheblicher Nachteil der [X.]lä-ger sei hier schon deshalb zu verneinen, weil sie das Grundstück in einem schlechten und unrentablen Zustand erworben und eine seither eingetretene wesentliche Verschlechterung nicht dargetan hätten, ist sachwidrig und lässt wesentliche Umstände des Sachverhalts unberücksichtigt.
aa) Entgegen der vom Berufungsgericht unter Verweis auf eine Ent-scheidung des [X.] ([X.] 2006, 323, 324) vertretenen Meinung ist ein erheblicher Nachteil im
Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Vermieter das vermietete Grundstück im Erbgang erworben hat und sich der Verkehrswert des Objekts seither nicht ver-schlechtert hat. Mit dieser Sichtweise verkürzt das Berufungsgericht die erfor-derliche Abwägung und Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls auf den singulären Aspekt, ob seit dem Erwerb des Objekts durch den jetzigen Vermieter eine Verschlechterung des Verkehrswertes oder der Rentabilität ein-getreten ist.
Dabei übersieht das Berufungsgericht, dass weder der Rechtsvorgänger der [X.]läger, von dem diese das Grundstück im Erbgang erworben haben, noch die [X.]läger selbst das Grundstück vermietet haben. Vielmehr ist die Vermietung 12
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durch einen volkseigenen Betrieb
der ehemaligen [X.] während der [X.] der staatlichen Verwaltung des Grundstücks erfolgt, worauf die [X.]läger ebenso we-nig Einfluss hatten wie auf die Fortdauer der staatlichen Verwaltung bis zum Ablauf des Jahres 1992. Auch deshalb ist die Argumentation des Berufungsge-richts, es sei maßgeblich auf den Wert des Grundstücks im vermieteten Zu-stand abzustellen, weil es bereits im [X.]punkt des Erbfalls vermietet gewesen sei, verfehlt.
[X.]) Mit der Erwägung des Berufungsgerichts, bezüglich der Frage des erheblichen Nachteils sei maßgeblich auf den schlechten Zustand und geringen Verkehrswert des vermieteten Grundstücks im [X.]punkt der Beendigung der staatlichen Verwaltung abzustellen, der sich seither nicht noch weiter ver-schlechtert habe, kann ein Vorrang des Bestandsinteresses der [X.] ge-genüber dem Verwertungsinteresse der [X.]läger nicht begründet werden; die Auffassung des Berufungsgerichts liefe darauf hinaus, Eigentümer ehemals staatlich verwalteter Wohnungen -
wie den [X.]lägern
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an den bei der Aufhebung
der staatlichen Verwaltung gegebenen Zuständen auch nach deren Beendigung festzuhalten und ihnen zuzumuten, auch dauerhaft Verluste ohne eine Verwer-tungsmöglichkeit hinzunehmen; dies ist mit dem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht vereinbar. Zutreffend weist die Revision in diesem Zusam-menhang darauf hin, dass der Gesetzgeber den Interessen der Mieter ehemals staatlich verwalteter Wohnungen dadurch Rechnung getragen hat, dass bis zum 30. April 2004 eine Berufung des Vermieters auf berechtigte Interessen gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen und somit eine Verwertungs-kündigung nicht möglich war (vgl. Art. 232 § 2 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 30.
April 2004 gültigen Fassung).
b) Zu Recht rügt die Revision ferner, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der [X.]läger zur Unverkäuflichkeit des Grundstücks in vermietetem 16
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Zustand für unsubstantiiert gehalten hat. Die [X.]läger hatten sich keineswegs pauschal auf eine generelle Unverkäuflichkeit des Grundstücks berufen, son-dern substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen, dass als [X.]äufer für das Einfamilienhaus von seinem Zuschnitt her nur ein "Normalverdiener"
in Betracht komme, der es selbst nutzen wolle. Ein solcher [X.]aufinteressent müsse aber für die Verwirklichung einer Eigenbedarfskündigung mehrere Jahre einkalkulieren und werde deshalb vom [X.]auf Abstand nehmen, so dass das Objekt -
jedenfalls auf absehbare [X.]
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praktisch unverkäuflich sei. Hierüber durfte sich das [X.] nicht mit generalisierenden Überlegungen zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Eigenbedarfskündigung eines potentiellen Erwerbers hinweg-setzen.

III.
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand ha-ben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur En-dentscheidung reif und deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zu der von den [X.]lägern be-haupteten Unrentabilität des Grundstücks, zur Höhe des Mindererlöses bei ei-nem Verkauf im vermieteten Zustand beziehungsweise zur Unverkäuflichkeit im vermieteten Zustand und gegebenenfalls zu den von der [X.] zu 1 gel-tend gemachten Härtegründen die erforderlichen
Feststellungen zu treffen ha-
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ben. Bei der Zurückverweisung macht der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz
2 ZPO Gebrauch.

[X.]

Dr. Milger

[X.]

Dr. Achilles

Dr. Schneider

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.10.2008 -
24 [X.]/08 -

LG [X.], Entscheidung vom 23.07.2009 -
11 [X.]/08 -

Meta

VIII ZR 226/09

08.06.2011

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2011, Az. VIII ZR 226/09 (REWIS RS 2011, 5948)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5948

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VIII ZR 226/09

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