Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.08.2011, Az. X R 2/11

10. Senat | REWIS RS 2011, 3811

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Leitsatz

1. NV: Aus der Darlegung, warum eine Frist unverschuldet nicht eingehalten wurde, muss sich mit der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit ergeben, auf welchen konkreten Versehen von welcher Person die Fristversäumung beruhen soll .

2. NV: Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben erläutert oder ergänzt werden (ständige Rechtsprechung) .

Tatbestand

1

I. Zwischen dem [X.]läger und Revisionskläger ([X.]läger) und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ist streitig, ob der [X.]läger die Steuerbegünstigung gemäß §§ 10f, 7h des Einkommensteuergesetzes für das von ihm in [X.] erworbene [X.]ohneigentum beanspruchen kann. Das Finanzgericht wies die [X.]lage ab, ließ in seinem Urteil vom 17. November 2010 jedoch die Revision zu. Die Prozessbevollmächtigte des [X.]lägers [X.] legte mit dem Schriftsatz vom 21. Januar 2011 fristgerecht Revision ein und beantragte gleichzeitig die Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision um einen Monat. Mit Schreiben des Vorsitzenden des angerufenen Senats vom 28. Januar 2011, das in der [X.]anzlei der [X.] am 31. Januar 2011 einging, wurde die Begründungsfrist bis zum 22. März 2011 verlängert.

2

Am 31. März 2011 ging beim [X.] ([X.]) sowohl die Revisionsbegründung als auch ein Antrag auf [X.]iedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Begründet wurde der Antrag zunächst damit, dass durch ein bedauerliches Versehen der langjährigen und sehr zuverlässigen Mitarbeiterin, die für die Fristenüberwachung zuständig sei, anstelle des 22. März 2011 der 31. März 2011 erfasst worden sei. Da die Mitarbeiterin seit vielen Jahren im Bereich der Fristenverwaltung sehr ordentlich arbeite und noch nie ein derartiger Fehler vorgekommen sei, gehe man davon aus, dass das Versehen entschuldbar sei.

3

Das [X.] sieht die Revision als unzulässig an. Die Voraussetzungen für die [X.]ewährung von [X.]iedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht gegeben. Es mangele an einer konkreten Darlegung oder der durch präsente Beweismittel erforderlichen [X.]laubhaftmachung, wie es zu der fehlerhaften Fristenkontrolle gekommen sei und ob diese durch strukturelle organisatorische Maßnahmen nicht hätte vermieden werden können. Im Übrigen könne ohne [X.]enntnis der Person, die für die Fristenüberwachung verantwortlich gewesen sei, nicht beurteilt werden, ob es sich um eine fachkundige Person gehandelt habe.

4

Auf diese Äußerung des [X.] führte [X.] in zwei identischen am 16. Juni 2011 beim [X.] eingegangenen Schriftsätzen, die das Datum 31. März 2011 und 16. Juni 2011 tragen, aus, in ihrer [X.]anzlei werde seit November 2007 ein Dokumenten-Management-System ([X.]) von [X.] verwandt. [X.]ehe ein fristgebundenes Schriftstück ein, werde ein Posteingang aktiviert, der zum Fristenkontrollbuch führe. Das Fristenkontrollbuch werde seit dem 1. Oktober 1992 von [X.] geführt. Die Anweisungen an [X.] sowie deren Vertreter seien eindeutig, klar und jahrelang erprobt, wenn es um die Eintragungen in das Fristenkontrollbuch gehe. Es sei diesen Mitarbeitern bekannt, dass außer Steuerbescheiden auch alle Verwaltungsakte, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten oder per Postzustellungsurkunde eingingen, ins Fristenkontrollbuch einzutragen seien. Selbstverständlich überprüfe ein Berufsträger der [X.]anzlei die Eintragungen täglich auf ihre Richtigkeit. Die Erfassungen durch [X.] seien fehlerfrei.

5

Das Schreiben vom 21. Januar 2011, mit dem beim [X.] die Fristverlängerung beantragt wurde, sei in der [X.] nach Vorgabe der [X.] von ihrer Sekretärin [X.] mit dem [X.]iedervorlagetermin 21. März 2011 versehen worden. Am 31. Januar 2011, dem Eingang des [X.] des [X.], sei [X.] wegen eines auswärtigen Termins nicht in der [X.]anzlei gewesen. Beim Löschen des ursprünglichen [X.]iedervorlagetermins und Eintragen des neuen Bearbeitungstermins sei [X.] der Fehler unterlaufen, dass sie anstelle des in dem [X.]-Schreiben enthaltenen Termins "22. März 2011" den "31. März 2011" eingetragen habe. Es liege kein Büroversehen vor, das auf die fehlerhafte Berechnung von Fristen zurückzuführen sei, sondern ein mechanischer Fehler. [X.] arbeite seit dem 10. April 2003 in dem Sekretariat der [X.]; sie sei sehr gewissenhaft und habe in den vergangenen Jahren fast fehlerfrei gearbeitet. Es seien ihr in Bezug auf Fristen, Termine oder Überwachung deren Einhaltung keine Fehler unterlaufen.

6

Auch könne [X.] kein Verschulden vorgehalten werden, weil sie das Schreiben nicht in das Fristenkontrollbuch eingetragen habe. Das Schreiben des [X.] enthalte weder eine Rechtsbehelfsbelehrung noch sei es mit Postzustellungsurkunde eingegangen.

7

Da [X.] sich seit acht Jahren auf die Zuverlässigkeit von [X.] habe verlassen können, habe für [X.] keine Veranlassung bestanden, die Eintragung der Frist zu überprüfen, zumal der Unterschied zwischen der vorgesehenen Frist (22. März 2011) und der eingetragenen Frist (31. März 2011) nicht so erheblich gewesen sei, dass eine nochmalige Überprüfung angezeigt gewesen wäre.

8

Dem Schriftsatz vom 16. Juni 2011 sind eine eidesstattliche Versicherung der [X.], in der die Darstellung des [X.]eschehens bestätigt wird, sowie [X.]opien der Rechnung für den Flug zum auswärtigen Termin von [X.] sowie eine Ablichtung des [X.]-Schreibens mit den jeweiligen Erfassungssignaturen beigefügt.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unzulässig (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --F[X.]O--), weil sie verspätet begründet wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.

1. Dass die [X.] am 22. März 2011 endete, bedarf nach der Aktenlage und angesichts des klägerischen Vorbringens keiner weiteren Ausführungen.

2. Nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 F[X.]O ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen.

In formeller Hinsicht setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb dieser Frist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 56 Abs. 2 Satz 3 F[X.]O) und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (z.B. BFH-Urteil vom 21. Februar 1995 [X.], [X.] 1995, 989, m.w.N.). Das erfordert grundsätzlich eine in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen innerhalb dieser Frist. Es muss [X.] der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgebracht werden. Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben erläutert oder ergänzt werden ([X.] vom 26. April 2005 [X.], [X.] 2005, 1591; [X.]surteil vom 19. Januar 1993 [X.], [X.] 1993, 611, m.w.N.).

3. Unter Berücksichtigung dieser [X.]rundsätze kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

a) Dem fristgerechten Vorbringen des [X.] in dem Schriftsatz vom 31. März 2011 lässt sich nicht entnehmen, dass das Fristversäumnis unverschuldet war. Es wird lediglich vorgetragen, dass durch ein bedauerliches Versehen der langjährigen und sehr zuverlässigen Mitarbeiterin, die für die Fristenüberwachung zuständig sei, anstelle des 22. März 2011 der 31. März 2011 erfasst worden sei und dass die Mitarbeiterin seit vielen Jahren im Bereich der Fristenverwaltung sehr ordentlich arbeite und noch nie ein derartiger Fehler vorgekommen sei.

b) Anhand dieses Vorbringens kann nicht mit der notwendigen [X.]larheit und Eindeutigkeit festgestellt werden, auf welchem konkreten Versehen von welcher Person die Fristversäumung beruhen soll. Die betreffende Mitarbeiterin wird im Schriftsatz vom 31. März 2011 weder namentlich benannt noch ist eindeutig erkennbar, welche Mitarbeiterin der [X.]anzlei gemeint sein soll. Nach der Darstellung des Sachverhalts im weiteren Schriftsatz vom 16. Juni 2011 kommen nämlich zwei Mitarbeiterinnen in Betracht, [X.] und [X.].

[X.] ist die Mitarbeiterin, die für die Fristenüberwachung zuständig und seit 18 Jahren in der [X.]anzlei der Prozessbevollmächtigten im Bereich der Fristenverwaltung tätig ist, so dass es nahe liegt, dass es sich bei der in dem fristgerechten Schreiben erwähnten Mitarbeiterin um [X.] handelt. Für diese Annahme spricht zudem, dass im Schriftsatz vom 16. Juni 2011 die Organisation und die internen Anweisungen bezüglich der Fristenkontrolle durch [X.] eingehend beschrieben und die Zuverlässigkeit von [X.] besonders betont wird.

Dagegen, dass es sich bei der betreffenden Mitarbeiterin um [X.] handelt, spricht aber, dass nicht [X.], sondern [X.] das Ende der verlängerten Begründungsfrist fehlerhaft in die Wiedervorlage eingetragen hat. [X.] ist zwar auch seit acht Jahren in der [X.]anzlei beschäftigt, jedoch als Sekretärin der [X.] Selbst wenn die Sekretariatstätigkeit die Überwachung von Terminen und Fristen umfasst, ist diese Teilaufgabe nicht so charakteristisch für die Beschäftigung, dass sie die Beschreibung "Mitarbeiterin, die für die Fristenüberwachung zuständig ist" rechtfertigen würde.

Ohne [X.]enntnis der Person, die für die Überwachung der Fristen verantwortlich war, kann der [X.] nicht beurteilen, ob es sich um eine zuverlässige Mitarbeiterin handelte (vgl. auch [X.] vom 17. Februar 2010 [X.]/09, [X.] 2010, 1283). Die aufgezeigten Widersprüche und Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 und 2 F[X.]O nicht mehr geschlossen werden; sie gehen zu Lasten des Betroffenen. Bleibt die [X.] offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen ([X.]sbeschluss in [X.] 1993, 611).

Meta

X R 2/11

23.08.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 17. November 2010, Az: 2 K 3060/06 B, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.08.2011, Az. X R 2/11 (REWIS RS 2011, 3811)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3811

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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