Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.11.2015, Az. V B 56/15

5. Senat | REWIS RS 2015, 2273

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Begründungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Büroversehen - Organisationsverschulden


Leitsatz

1. NV: Bei einer Versendung durch die Post gehört zu einem zuverlässigen Kontrollsystem, dass zwischen dem Fristenkalender und dem Postausgangsbuch eine Übereinstimmung in der Weise sichergestellt wird, dass die Fristen im Kalender erst auf der Grundlage der Eintragungen im Postausgangsbuch gelöscht werden .

2. NV: Den Prozessbevollmächtigten treffen besonders hohe Prüfungs- und Überwachungspflichten, wenn er mit der Fristenüberwachung keine ausgebildete und bewährte Fachkraft betraut, sondern eine Auszubildende .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 31. März 2015  3 K 562/15 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht ([X.]) hat die Klage des [X.] und Beschwerdeführers (Kläger) durch Urteil vom 31. März 2015  3 K 562/15 zum größten Teil abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 7. Mai 2015 gegen [X.] zugestellt. Der Kläger hat am 8. Juni 2015 fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

2

Nachdem die Geschäftsstelle des Senates den Kläger mit Schreiben vom 15. Juli 2015 (zugestellt am 20. Juli 2015) auf den Ablauf der Begründungsfrist am 7. Juli 2015 und § 56 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) hingewiesen hatte, beantragte dieser mit Fax vom 3. August 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist.

3

Zur Begründung des Antrags trägt der Kläger unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der beim Prozessbevollmächtigten mit der Führung des Fristenkalenders, des [X.] beauftragten Auszubildenden im zweiten Lehrjahr ([X.]) vor: Diese habe die Begründungsfrist sowohl im Fristenkalender als auch in der Akte vermerkt. Da in dieser Angelegenheit aber drei verschiedene Akten (Klage gegen Arrest, Lohnsteuerverfahren, Umsatzsteuerverfahren) bestünden und sie das gerichtliche Aktenzeichen nicht mit dem in der Akte vorhandenen gerichtlichen Aktenzeichen verglichen habe, sei die Frist zunächst in der falschen Akte eingetragen worden.

4

Der Prozessbevollmächtigte habe sie darauf hingewiesen, dass das Urteil nicht zur Akte passe. Daraufhin habe sie das Urteil in eine andere --wiederum falsche-- Akte mit dem gleichen Aktenzeichen gelegt, die Fristen in der ersten Akte gestrichen und in der zweiten Akte eingetragen.

5

Nach dem Ausgang der Beschwerdeeinlegung am 8. Juni 2015 sei ihr die falsche Zugehörigkeit des Urteils zur Akte aufgefallen. Sie habe daraufhin das Urteil in die --nunmehr richtige-- Akte eingeordnet, ohne jedoch die Frist zur Begründung der Beschwerde in diese richtige Akte einzutragen. Die noch eingetragene Frist zur Beschwerdebegründung in der "falschen" Akte sei von ihr nach einem Posteingang gestrichen worden, da für sie kein Zusammenhang mehr zwischen den Schriftsätzen in dieser Akte und der Frist erkennbar gewesen sei. Daraufhin sei von ihr auch die Frist im Fristenkalender entgegen der Arbeitsanweisung gestrichen worden. Zum Streichen von Fristen sei sie nur bei versehentlichen Eintragungen befugt.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen. Der Kläger hat die Beschwerde zwar fristgerecht erhoben, aber nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) begründet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.

7

1. Nach § 116 Abs. 3 [X.]O ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils des [X.] zu begründen. Diese Voraussetzung hat der Kläger nicht erfüllt:

8

Das Urteil des [X.] wurde dem Kläger am 7. Mai 2015 mittels [X.] zugestellt. Die zweimonatige Frist zur Begründung der Beschwerde lief mit Ablauf des 7. Juli 2015 ab (§ 54 [X.]O, § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Der Kläger hat erst mit Schriftsatz vom 7. August 2015 und damit einen Monat nach Ablauf der Frist die Begründung der Beschwerde nachgereicht.

9

2. Die mit Schriftsatz vom 3. August 2015 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.

a) Nach § 56 Abs. 1 [X.]O ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei schließt jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 16. September 2014 II B 46/14, [X.], 49, sowie vom 9. Januar 2014 [X.], [X.], 567). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 [X.]O i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die [X.] so gestalten, dass [X.] vermieden werden ([X.] vom 27. Juli 2011 IV B 131/10, [X.] 2011, 1909). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 [X.]O bestimmten Frist von einem Monat vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (vgl. [X.] in [X.], 49, sowie vom 28. März 2014 I[X.]115/13, [X.], 896). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

b) Wird --wie im [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren [X.] begehrt, so muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt. Der Prozessbevollmächtigte muss alle Vorkehrungen getroffen haben, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und muss durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen haben ([X.] vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, [X.] 2002, 795; vom 24. Juni 2002 IX R 38/01, [X.] 2002, 1467, und vom 14. Dezember 2011 [X.]50/11, [X.] 2012, 440). Bei Bevollmächtigten, die die Rechts- und Steuerberatung berufsmäßig ausüben, ist die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen. Denn zu den in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 [X.], [X.], 275, [X.] 1989, 266, sowie [X.] vom 5. November 1998 I R 90/97, [X.] 1999, 512, vom 13. November 1998 [X.], [X.] 1999, 941, sowie vom 14. Dezember 2001 XI R 21/01, [X.] 2002, 657).

Bei einer Versendung durch die Post gehört zu einem zuverlässigen Kontrollsystem, dass zwischen dem [X.] und dem Postausgangsbuch eine Übereinstimmung in der Weise sichergestellt wird, dass die Fristen im Kalender erst auf der Grundlage der Eintragungen im Postausgangsbuch gelöscht werden ([X.] vom 9. Februar 2004 VIII R 56/03, juris; vom 25. März 2003 I B 166/02, [X.] 2003, 1193, sowie in [X.] 1999, 512; BFH-Urteil in [X.], 275, [X.] 1989, 266, unter 2.a und b der Gründe, m.w.N.).

c) Diesen Maßstäben genügt der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht.

aa) Er erläutert --unter Beifügung von Kopien aus den Handakten und [X.]-- zwar, dass die jeweilige Frist nach Bearbeitung von ihm in der Akte gestrichen wurde und von [X.] sodann im [X.] zu streichen war, nachdem der Schriftsatz in die Postausgangsmappe gegeben und von [X.] gefaxt oder zum Postversand fertig kuvertiert wurde. Er hat aber weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ein Postausgangsbuch geführt wurde oder eine dem vergleichbare Dokumentation des Postausgangs stattgefunden hat. Damit war nicht ausgeschlossen, dass Fristen im [X.] nur auf der Grundlage von Eintragungen im Postausgangsbuch, sondern versehentlich gelöscht werden. Dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten ist auch nicht zu entnehmen, welche anderen Vorkehrungen er gegen versehentliche Löschungen von Fristen getroffen hat. Dieser Organisationsmangel ist kausal für die Fristversäumnis. Denn bei Führung eines Postausgangsbuchs und der Anweisung, Fristen nur auf der Grundlage einer Eintragung im Postausgangsbuch zu löschen, wäre es --mangels Eintragung im [X.] nicht zu einer Löschung der Begründungsfrist gekommen.

bb) Hinzu kommt, dass die Begründungsfrist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört ([X.] vom 3. April 2013 V R 24/12, [X.] 2013, 970, und vom 8. Februar 2008 [X.]95/07, [X.] 2008, 969 zur [X.]). Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ([X.] in [X.] 2013, 970, und in [X.] 2008, 969).

Der Prozessbevollmächtigte hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er dieser besonderen Prüfungs- und Überwachungspflicht nachgekommen ist. Dafür bestand vorliegend gesteigerter Anlass, weil der Bevollmächtigte mit der Fristüberwachung keine ausgebildete und bewährte Fachkraft betraut hat, sondern eine Auszubildende, die erst "seit über einem Jahr" bei ihm beschäftigt war. Selbst wenn sie sorgfältig ausgebildet wurde, gehörte sie nicht zu dem Kreis des [X.], das aufgrund seiner Ausbildung und längerfristigen Erprobung die Überwachung von [X.] eigenverantwortlich ausführen darf (vgl. Beschluss des [X.] vom 20. Oktober 1988 VII ZB 22/88, [X.] 1990, 151). Der Prozessbevollmächtigte hätte sich daher nicht auf regelmäßige Kontrollen beschränken dürfen, sondern durch kurzfristige und situative Kontrollen des [X.]s dafür sorgen müssen, dass etwaige Fehler oder Versehen der Auszubildenden rechtzeitig erkannt worden wären. Dies war schließlich auch deshalb geboten, weil für den Mandanten unter einem Kanzleiaktenzeichen drei Akten und damit drei Verfahren geführt wurden, sodass Verwechselungen nicht nur abstrakt möglich, sondern dem Prozessbevollmächtigten bereits aufgefallen waren, als die Auszubildende das Urteil des [X.] der falschen Akte zugeordnet und die Frist dort eingetragen hatte.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V B 56/15

17.11.2015

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 31. März 2015, Az: 3 K 562/15, Urteil

§ 54 FGO, § 56 FGO, § 116 Abs 3 FGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 222 Abs 1 ZPO, § 222 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.11.2015, Az. V B 56/15 (REWIS RS 2015, 2273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2273

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII B 12/14 (Bundesfinanzhof)

Keine Wiedereinsetzung bei Anwaltsverschulden


X B 50/11 (Bundesfinanzhof)

Keine Wiedereinsetzung bei bloßer Eintragung einer Wiedervorlagefrist - Anforderungen an eine ordnungsgemäße Fristenkontrolle - Mitarbeiterüberwachung


2 K 3421/16 (FG München)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


IX R 15/16 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung - Büroversehen


III R 64/09 (Bundesfinanzhof)

Berechnung der Frist zur Revisionseinlegung - Wiedereinsetzung: Anforderung an den Bürobetrieb eines Prozessbevollmächtigten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.