Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. I ZB 4/16

I. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10095

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:010617BIZB4.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 4/16
vom

1. Juni
2017

in der
Rechtsbeschwerdesache

-
2
-
Der [X.] Zivilsenat des [X.] hat am 1. Juni
2017 durch die [X.] Prof.
Dr.
Koch,
Prof. Dr. Schaffert, Dr.
Kirchhoff, Dr.
Löffler und die
[X.]in Dr.
Schwonke
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde
gegen den
Beschluss des 9.
Zivilsenats des [X.]s [X.] vom 11.
Dezember 2015
wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Wert: 2
Mio.

Gründe:
[X.] Die Klägerin macht geltend, die Beklagte habe der Nebenintervenientin unter Verstoß gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot (Art.
108 Abs.
3 Satz
3 AEUV) Sonderkonditionen für die Nutzung des [X.] gewährt und an sie Zahlungen als "[X.]" geleistet. Die auf Rückforderung, Unterlassung und Auskunft gerichtete Klage blieb vor dem [X.] und dem Berufungsgericht mit der Begründung ohne Erfolg, es feh-le an einer Anspruchsgrundlage für die Begehren der Klägerin. Der [X.] hat das Berufungsurteil aufgehoben, weil das beihilferechtliche Durch-führungsverbot zugunsten der Wettbewerber des Beihilfeempfängers Schutz-gesetz im Sinne des §
823 Abs.
2 BGB und Marktverhaltensregelung im Sinne des §
4 Nr.
11 UWG aF (§
3a UWG) ist ([X.], Urteil vom 10.
Februar 2011

I
ZR
136/09, [X.]Z 188, 326 -
Flughafen Frankfurt-Hahn).
1
-
3
-
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht zur Frage der Bindungswirkung einer Entscheidung der [X.], ein beihilferechtliches Hauptprüfverfahren zu eröffnen, eine Stellungnahme der [X.] eingeholt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den
Gerichtshof
der [X.]
gerichtet. Im Hinblick auf die [X.] der [X.] und des Gerichtshofs der [X.] vertrat die Klägerin die Ansicht, die Eröffnungsentscheidung der [X.] sei hinsicht-lich der Beihilfequalität
einer
den Gegenstand der Prüfung bildenden Maßnah-me für das nationale Gericht bindend. Nachdem das Berufungsgericht in einem Hinweisbeschluss
vom 11.
August 2014 seine vorläufige Rechtsauffassung [X.] hatte, die nationalen Gerichte seien zur Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beihilfe berufen und verpflichtet, lehnte die Klägerin die an dem Hinweisbeschluss beteiligten [X.] wegen Besorgnis der Befangen-heit ab. Mit Beschluss vom 6.
Oktober 2014 wurde das Ablehnungsgesuch durch [X.] des [X.] für unbegründet erklärt.
Am 1.
Oktober 2014 erließ die Europäische [X.] eine das Beihil-feverfahren abschließende Entscheidung. Danach stellen insbesondere die der Nebenintervenientin in "Individualvereinbarungen" gewährten Konditionen keine staatlichen Beihilfen dar. Die Klägerin hat diese Entscheidung vor dem Ge-richtshof der [X.] angefochten.
Wegen der weiteren Verfahrensbehandlung durch das Berufungsgericht stellte die Klägerin mehrere Befangenheitsanträge gegen die jeweils beteiligten [X.], die sämtlich ohne Erfolg blieben. Die Befangenheitsanträge vom 13.
Oktober und 11.
November 2015 wurden
durch
Beschluss vom 16.
Novem-ber 2015 teils als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Die an diesem Beschluss beteiligten [X.] [X.], [X.] und Dr.
M. lehnte die Kläge-rin mit Schriftsatz vom 26.
November 2015 wegen Befangenheit ab. Darüber hinaus erhob die Klägerin gegen den Beschluss vom 16.
November 2015 mit 2
3
4
-
4
-
Schriftsatz vom 27.
November 2015 Anhörungsrüge, die sie mit Schriftsatz vom 8.
Dezember 2015 begründete.
In dem angefochtenen Beschluss vom 11.
Dezember 2015 hat das Beru-fungsgericht
durch die abgelehnten [X.] [X.], [X.] und Dr.
M. den Befangen-heitsantrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 26.
November 2015
als [X.] zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Befangenheitsgesuch weiter.
I[X.] Das Berufungsgericht
hat angenommen, das Ablehnungsgesuch vom 26.
November 2015 sei in mehrfacher Hinsicht offensichtlich unzulässig, so dass darüber in regulärer Besetzung unter Beteiligung der abgelehnten [X.] zu entscheiden sei.
Erstens sei das Ablehnungsgesuch unzulässig, weil es erst nach [X.] des Verfahrens über die Befangenheitsgesuche der Klägerin vom 13.
Oktober 2015 und 11.
November 2015 angebracht worden sei. Über die
Befangenheitsanträge
sei mit Beschluss vom 16.
November 2015 letztinstanz-lich entschieden worden. Die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrü-ge ändere daran nichts.
Zweitens sei das Ablehnungsgesuch vom 26.
November 2015 als Ableh-nung eines gesamten Spruchkörpers eines Gerichts unzulässig. Zwar würden die
an dem Beschluss vom 16.
November 2015 beteiligten [X.] in dem Ab-lehnungsgesuch namentlich benannt, jedoch sprächen
sowohl der Verlauf des Verfahrens in Bezug auf die bisherigen Befangenheitsanträge der Klägerin
als auch die Begründung des jetzt vorliegenden [X.]
dafür, dass
es
sich als Ablehnung des gesamten Spruchkörpers des Gerichts darstelle. Auf die Befangenheit aller an dem Beschluss vom 16. November 2015 beteiligten [X.] werde allein aus der nach Meinung der Klägerin grob fehlerhaften Entschei-5
6
7
8
9
-
5
-
dungsbegründung geschlossen, ohne konkrete, auf eine Befangenheit dieser [X.] hinweisende Anhaltspunkte aufzuzeigen.
Drittens sei der Befangenheitsantrag vom 26.
November 2015 offensicht-lich unzulässig, weil es sich um ein weiteres grundloses, nur der Verschleppung dienendes Gesuch handele und die Ablehnung als taktisches Mittel verfahrens-fremden Zwecken diene. Das sei rechtsmissbräuchlich. Die [X.] ergebe sich aus dem Vortrag der Klägerin, wie er im Zusammenhang mit verschiedenen Verfahrensvorfällen in der Akte dokumentiert sei.
II[X.] Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, Abs.
3 Satz
2 ZPO) und auch sonst zuläs-sig (§
575 ZPO). In der Sache hat sie
jedoch keinen
Erfolg.

1. Gemäß §
45 Abs.
1 ZPO entscheidet über ein Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Gericht im Sinne dieser Regelung ist der durch seine geschäftsplanmäßigen Vertreter er-gänzte Spruchkörper ([X.], Beschluss vom 15.
Juni 2010
XI
ZB
33/09, [X.] 2011, 427 Rn.
15; Beschluss vom 5.
März 2011
I
ZR
58/00, [X.]-Report 2001, 432, 433). Davon abweichend entscheidet bei eindeutig unzuläs-sigen
oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchen
das Gericht
unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] ([X.], Beschluss vom 8.
Januar 2015

V
ZB
184/14, juris Rn.
2
mwN; Beschluss vom 8.
Juli 2015
XII
ZA
34/15, [X.], 1698 Rn.
2).
In solchen Fällen
eindeutig
unzulässiger Ableh-nungsgesuche gerät die Beteiligung der
abgelehnten [X.]
nicht
mit Art.
101 Abs.
1 Satz
2 GG in Konflikt, weil die Prüfung
des [X.]
keine Beurteilung des eigenen Verhaltens voraussetzt und deshalb keine Entschei-dung in eigener Sache erfolgt (vgl. [X.], [X.] vom 11.
März 2013
1
BvR
2853/11, juris
Rn.
30; [X.], Beschluss vom 24.
August 2015

[X.]
(Brfg)
6/14, juris Rn.
2). Die Verwerfung eines [X.] als unzulässig unter Mitwirkung des abgelehnten [X.]s kommt regelmäßig aller-10
11
12
-
6
-
dings nur dann in Betracht, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein
ohne jede weitere Aktenkenntnis
offenkundig keine Ablehnung zu begründen [X.]. Ist
dagegen
eine über die bloß formale Prüfung hinausgehende inhaltliche Bewertung erforderlich, würde sich der abgelehnte [X.] zum "[X.] in ei-gener Sache machen"; eine unter Beteiligung des abgelehnten [X.]s erfol-gende Zurückweisung des [X.] als unzulässig kommt dann nicht in Betracht ([X.], Beschluss vom 24.
August 2015
[X.]
(Brfg)
6/14, juris Rn.
2).
2. Nach diesen Grundsätzen
lagen
die Voraussetzungen für eine Verwer-fung des [X.]
der Klägerin
als unzulässig unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] im Streitfall vor.
Das Ablehnungsgesuch stellt sich [X.] als eindeutig unzulässige Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers des Gerichts dar, so dass es auf die weiteren vom Berufungsgericht für eine Ent-scheidung unter Beteiligung der abgelehnten [X.] angeführten Gründe nicht
mehr ankommt.
Die Klägerin bezeichnet zwar die Mitglieder des [X.] namentlich, die an dem Beschluss vom 16. November 2015 mitgewirkt haben. Dies ist aber auch unter Berücksichtigung des Gebots, das Ablehnungsgesuch vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, nicht als eine zulässige Ablehnung einzelner [X.] anzusehen. Denn die Klägerin hat, wie das Beru-fungsgericht
im angefochtenen Beschluss
im Einzelnen ausgeführt hat, das Ab-lehnungsgesuch
vom 26. November 2015
lediglich mit ihrer Ansicht nach vor-handenen Verfahrensverstößen und offensichtlich fehlerhaften Entscheidungen begründet, ohne konkrete, auf eine Befangenheit der einzelnen Mitglieder des [X.] hinweisende Anhaltspunkte zu benennen. Dies genügt nicht zur Glaub-haftmachung eines Befangenheitsgrundes (vgl. [X.],
Beschluss vom 8.
Januar 2015
V
ZB
184/14, juris Rn.
4 mwN; [X.],
[X.], 1698
Rn. 4).
13
14
-
7
-

Die Zugrundelegung einer der [X.] ungünstigen Rechtsauffassung
oder Fehler in der Rechtsanwendung rechtfertigen
als solche nicht die Besorgnis der Befangenheit
([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011

V
ZR
8/10, NJW-RR 2012, 61 Rn. 7
mwN).
Das gilt etwa für die von der Klägerin
im Ablehnungsge-such vom 26. November 2015
behauptete Verkennung der Bindungswirkung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.], den Vor-wurf eines unrichtigen Maßstabs für die Prüfung von Befangenheitsanträgen oder die Behauptung eines verfahrensfehlerhaften Verzichts auf die Einholung dienstlicher Stellungnahmen der abgelehnten [X.]. Eine Besorgnis
der Be-fangenheit
kommt erst in Betracht, wenn die Auslegung des Gesetzes oder dessen Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite dieser [X.] in grundlegender Weise verkennt ([X.], NJW-RR 2012, 61 Rn. 7
mwN). Dafür sind dem Ablehnungsantrag vom 26. November 2015 keine konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen. So mussten weder die [X.] der [X.] noch der Inhalt der
Vorabentscheidung
des [X.] der [X.]
oder Einzelheiten des daran anschließenden
weiteren
Verfahrens des Berufungsgerichts
in dessen
Beschluss vom 16. No-vember 2015 ausdrücklich Erwähnung finden.
Die Zurückweisung des [X.] gegen [X.] am [X.] [X.]
beruhte auf dessen al-leiniger Begründung mit einer für unrichtig erachteten Rechtsansicht und nicht auf dem Vorwurf der Verfahrensverschleppung.
Soweit das Berufungsgericht seine Beurteilung, das Ablehnungsgesuch der Klägerin stelle sich als unzulässige Ablehnung eines gesamten [X.] eines Gerichts dar, daneben auf zahlreiche Einzelheiten des [X.] seit dem 11.
August 2014 unter vielfachen Bezugnahmen auf den [X.] gestützt hat, geht dies zwar über eine den abgelehnten [X.]n er-laubte bloße formale Prüfung hinaus (vgl. [X.],
[X.] vom 15
16
-
8
-
15.
Juni 2015
1
BvR
1288/14, juris Rn.
17, 22). Dieser Rechtsfehler ist für den angefochtenen Beschluss aber nicht tragend.
[X.] Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Koch
Schaffert
Kirchhoff

Löffler
Schwonke
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 16.05.2007 -
2 O 441/06 -

OLG [X.], Entscheidung vom 11.12.2015 -
9 [X.] -

17

Meta

I ZB 4/16

01.06.2017

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. I ZB 4/16 (REWIS RS 2017, 10095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10095

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