Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2017, Az. VII R 13/15

7. Senat | REWIS RS 2017, 14481

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Gegenstand

Erhöhte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten - Aufrechnung


Leitsatz

NV: Beruft sich der Kläger auf das Erlöschen von Steuerforderungen aufgrund der Durchführung eines englischen Insolvenzverfahrens, hat er gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO nachzuweisen, dass er die von einer Aufrechnung betroffenen Forderungen und Gegenforderungen dort angegeben hat und somit die tatsächlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, dass diese von den Rechtswirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens erfasst werden.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 29. April 2015  1 K 1080/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Mit Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) fest, dass gegen die Erstattungsansprüche des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) aus der geänderten Einkommensteuerveranlagung für die [X.] und 2008 gemäß Bescheiden vom 11. Mai 2011 in Höhe von 5.700,73 € bzw. 12.671,17 € mit [X.] aus den Jahren 1993 und 2000 zu Recht aufgerechnet worden sei. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 2013 zurück, woraufhin der Kläger Klage erhob. Mit Bescheid vom 5. Juni 2014 änderte das [X.] den Abrechnungsbescheid dahin, dass hinsichtlich der Erstattungszinsen zur Einkommensteuer 2007 in Höhe eines [X.] von 168 € und der Erstattungszinsen zur Einkommensteuer 2008 in Höhe eines [X.] von 339 € die Aufrechnung wegen des Aufrechnungsverbots gemäß § 96 Abs. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) nicht zulässig gewesen sei. Das [X.] bezog sich dabei auf ein [X.] Insolvenzverfahren (bankruptcy), das am 5. Oktober 2010 beim High Court of Justice in [X.] eingereicht und am 5. Oktober 2011 unter Erteilung der [X.] beendet worden war.

2

Weiterhin teilte das [X.] dem Kläger mit Schreiben vom 12. März 2012 mit, das Steuerkonto weise derzeit keinen Rückstand auf.

3

Das Finanzgericht ([X.]) ging bei seiner Entscheidung zwar davon aus, dass der Kläger tatsächlich mit Eröffnung am 5. Oktober 2010 ein Insolvenzverfahren in [X.] durchgeführt und das [X.] als Insolvenzgläubiger benannt habe. Es urteilte allerdings, das [X.] Insolvenzverfahren und die nach einem Jahr eingetretene [X.] hätten nicht dazu geführt, dass die vom [X.] erklärte Aufrechnung gegen Erstattungsansprüche im Zuge der Einkommensteuerfestsetzung für die [X.] und 2008 mit Rückständen aus den Jahren 1993 und 2000 unwirksam sei. Das Schreiben vom 12. März 2012 sei kein Abrechnungsbescheid mit dem Inhalt, die strittigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis seien erloschen. Weiterhin seien der Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 und die durch das [X.] erklärte Aufrechnung rechtmäßig. Die [X.] 2007 und 2008 seien bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und erfüllbar gewesen. Insofern komme es nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) darauf an, ob im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung der Rechtsgrund für den Anspruch im insolvenzrechtlichen Sinne gelegt gewesen sei, und nicht auf den feststellenden Bescheid. Es sei davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der [X.] auch unter Berücksichtigung des [X.]n Verfahrensrechts eine Aufrechnungslage bestanden habe. Dem Einwand des [X.], die Forderung des [X.] habe durch die am 5. Oktober 2011 eingetretene [X.] nicht mehr bestanden, sei nicht zu folgen.

4

Seine Revision begründet der Kläger dahin, bei dem Schreiben vom 12. März 2012 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Wenn ein Steuerpflichtiger ein solches Schreiben erhalte, müsse er von der Anerkennung der Restschuldbefreiung ausgehen können. Da nach diesem Schreiben für lange Zeit nichts in der Akte vorhanden sei, was die plötzliche Meinungsänderung des [X.] hin zu einer Ablehnung der [X.] belege, müsse die Akte unvollständig sein. Abgesehen davon habe er seine Steuerschulden im Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens angegeben. Mit dem Eröffnungsbeschluss des High Court of Justice sei ausschließlich [X.] Insolvenzrecht angewendet worden. Die "lex fori concursus" entscheide sowohl über die materielle Wirksamkeit als auch über die insolvenzrechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung. Die Einkommensteuererstattungen seien abgesehen davon unter Anwendung des [X.]n Rechts erst mit den Feststellungsbescheiden für die Einkommensteuer 2007 und 2008 vom 11. Mai 2011 entstanden. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien die Erstattungsansprüche daher weder fällig noch entstanden oder dem Grund und der Höhe nach bestimmbar gewesen. Die Aufrechnungslage sei frühestens am 11. Mai 2011 entstanden. Mit der Restschuldbefreiung am 5. Oktober 2011 seien die Forderungen des [X.] endgültig untergegangen.

5

Das [X.] entgegnet, der Auffassung des [X.], sämtliche Voraussetzungen für eine Aufrechnung seien ausschließlich nach dem Insolvenzrecht des [X.] zu beurteilen, könne nicht gefolgt werden. Denn nach ausländischem Recht bestimme sich nur, ob eine Berücksichtigung im ausländischen Insolvenzverfahren in Betracht komme, nicht jedoch, ob der Erstattungsanspruch entstanden und fällig sei. Dem stehe auch die Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 ([X.] 1346/2000) des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ([X.] Nr. L 160/1) nicht entgegen, weil die Voraussetzungen der Aufrechnung und die Auswirkungen auf das Entstehen und die Fälligkeit der Forderungen bzw. Vermögenswerte in deren Art. 4 Abs. 2 nicht genannt seien. Der Gesetzgeber habe für Aufrechnungen eine von der "lex fori concursus" abweichende Sonderanknüpfung vorgesehen. Um dieses Ziel zu erreichen, bestimme Art. 6 Abs. 1 [X.] 1346/2000, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Befugnisse eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, nicht berühre. Im Übrigen schließt es sich den Ausführungen des [X.] an.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([[X.].]O). Der [[X.].] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

7

Das [[X.].] hat zu Recht mit Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2012 festgestellt, gegen die Erstattungsansprüche des [[X.].] aus der geänderten Einkommensteuerveranlagung für die [[X.].] und 2008 in Höhe von 5.700,73 € bzw. 12.671,17 € sei mit [[X.].] aus den Jahren 1993 und 2000 aufgerechnet worden. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Forderungen des [[X.].] vor der Erklärung der Aufrechnung am 24. November 2011 bereits aufgrund des [[X.].] Insolvenzverfahrens erloschen waren.

8

1. Nach den Feststellungen der Vorinstanz standen den Erstattungsansprüchen des [[X.].] aus den geänderten Bescheiden vom 11. Mai 2011 über Einkommensteuer für die [[X.].] und 2008 in Höhe von 5.700,73 € bzw. 12.671,17 € Einkommensteuerrückstände aus den Jahren 1993 und 2000 gegenüber.

9

Die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung --[[X.].]-- [[X.].]. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) lagen somit im Zeitpunkt der [[X.].] des [[X.].] am 24. November 2011 vor. Die Forderungen des [[X.].] gegen den Kläger aus Einkommensteuer 1993 und 2000 (Gegenforderungen) waren am 17. Oktober 2001 bzw. am 17. Juni 2006 fällig. Die Erstattungsansprüche des [[X.].] gegen das [[X.].] (Hauptforderung) aus den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 waren auch vor Festsetzung der Steuererstattungen erfüllbar, denn gemäß § 271 Abs. 2 BGB ist der Schuldner berechtigt, die ihm obliegende Leistung schon vor Fälligkeit zu erfüllen. Auf die Festsetzung des Anspruchs durch einen Steuerbescheid kommt es für die Erfüllbarkeit nicht an ([[X.].]surteil vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, [[X.].], 108, [[X.].] 1990, 523; BFH-Urteil vom 10. November 1953 I 108/52 S, [[X.].], 294, [[X.].]I 1954, 26). Die Erfüllbarkeit war damit mit Ablauf der Veranlagungszeiträume 2007 bzw. 2008 gegeben.

2. Der Aufrechnung standen weder insolvenzrechtliche [[X.].] entgegen noch sind die Ansprüche des [[X.].] aufgrund des [[X.].] Insolvenzverfahrens zum Zeitpunkt der [[X.].] erloschen gewesen.

In [[X.].] ist unstreitig kein Insolvenzverfahren durchgeführt worden, weshalb die insolvenzrechtlichen [[X.].] von § 95 Abs. 1 Satz 3 und § 96 [[X.].] nicht zum Tragen kommen. Das [[X.].] Insolvenzverfahren war im Zeitpunkt der [[X.].] bereits beendet.

Soweit der Kläger geltend macht, sämtliche Steuerschulden, insbesondere auch die aus den Jahren 1993 und 2000, seien aufgrund des in [[X.].] durchgeführten bankruptcy-Verfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung weggefallen, ist sein Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren zu wenig substantiiert und überdies in sich widersprüchlich gewesen.

Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs der [[X.].] bezieht, haben die Beteiligten diesen Sachverhalt gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 [[X.].]O [[X.].]. § 90 Abs. 2 [[X.].] aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen.

Im Streitfall hat der Kläger nicht dargelegt, dass er die streitigen Steuerschulden im Rahmen des [[X.].] Insolvenzverfahrens ordnungsgemäß angegeben hat und dass diese überhaupt Gegenstand des dortigen Verfahrens gewesen sind. Dementsprechend ist nicht nachgewiesen worden, dass die Steuerforderungen des [[X.].] aus den Jahren 1993 und 2000 überhaupt von den Rechtswirkungen der dem Kläger erteilten Restschuldbefreiung erfasst worden sind.

Wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, hat der Kläger dem [[X.].] lediglich zwei Seiten eines Formblatts vorgelegt, das das Finanzamt [X.] mit einem geschuldeten Betrag von ca. 110.000 £ aus dem [X.] und das Finanzamt [X.] mit einem geschuldeten Betrag von ca. 25.000 £ aus dem [X.] auswies. Ein Zusammenhang zu den Steuerforderungen des [[X.].] aus den Jahren 1993 und 2000 ist daraus nicht erkennbar. Gleiches gilt für eine im Auftrag des Official Receiver gefertigte E-Mail vom 17. April 2014, in deren Anhang die genannte Forderung des Finanzamts [X.] genannt wird. Auch aus dem vom [[X.].] angesprochenen "certificate of [X.]" vom 19. September 2011 geht nicht hervor, welche Forderungen von der [X.] erfasst sein sollen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [[X.].]O.

Meta

VII R 13/15

08.03.2017

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 29. April 2015, Az: 1 K 1080/13, Urteil

Art 4 EGV 1346/2000, Art 6 EGV 1346/2000, § 90 Abs 2 AO, § 226 AO, § 271 Abs 2 BGB, § 76 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2017, Az. VII R 13/15 (REWIS RS 2017, 14481)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14481


Verfahrensgang

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Az. VII R 13/15

Bundesfinanzhof, VII R 13/15, 08.03.2017.


Az. 1 K 1080/13

FG München, 1 K 1080/13, 29.04.2015.

FG München, 1 K 1080/13, 29.04.2015.

FG München, 1 K 1080/13, 29.04.2015.


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