Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2010, Az. AnwZ (B) 116/09

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2010, 4979

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Gegenstand

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Fortdauer der Berufsunwürdigkeit nach Strafverurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen vielfacher Untreue und erneuter Straffälligkeit während der Bewährungszeit


Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des [X.] [X.] vom 17. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der inzwischen 57 Jahre alte Antragsteller wurde im Juli 1991 in [X.] zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im August 1993 übernahm er als Rechtsanwalt eine Nachlasspflegschaft. Er hatte zu diesem [X.]punkt erhebliche Schulden und veruntreute aus dem Nachlass bis zum 27. August 1996 durch sieben Taten insgesamt 219.644 DM, von denen er allerdings insgesamt 198.000 DM kurzfristig wieder zurückzahlte. Ab Februar 1994 übernahm der Antragsteller eine [X.]etreuung. In der [X.] vom 30. März 1994 bis zum 4. März 1996 veruntreute er 173.235,49 DM durch insgesamt 21 Überweisungen zu Lasten der [X.]etreuten. Diese unberechtigten Überweisungen verschleierte er durch gefälschte Kontoauszüge, die diese Überweisungen nicht enthielten. Die Taten wurden erst später durch Nachprüfungen seitens der Justiz entdeckt. Im Februar 1997 verzichtete der Antragsteller auf seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Durch Urteil des [X.] vom 14. Januar 1998 wurde der Antragsteller rechtskräftig wegen Untreue in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde.

2

Im Oktober 1998 überließ der Antragsteller seinen PKW, der wegen Nichtzahlung der Versicherungsprämien nicht mehr haftpflichtversichert und zum Verkehr zugelassen war, einem Dritten zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr. Er wurde deshalb durch Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 1. Februar 1999 wegen Verstoßes gegen §§ 1, 2 [X.] zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Am 27. November 1998 ließ der Antragsteller sein Kopiergerät von der Firma [X.]. aus M. reparieren, die dafür 531,37 DM berechnete. Gegen das Versprechen, die Rechnung umgehend zu bezahlen, erhielt er das reparierte Gerät ausgehändigt. Er hatte allerdings schon am 13. Januar 1998 die eidesstattliche Versicherung abgegeben, was die Gläubigerin nicht wusste. Der Antragsteller leistete unter dem Druck des daraufhin eingeleiteten Strafverfahrens eine Teilzahlung von 250 DM. Er wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 23. Juli 1999 wegen [X.]etrugs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Aus den beiden Geldstrafen bildete das Amtsgericht mit [X.]uss vom 3. September 1999 eine Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen zu 50 DM. Im Hinblick auf diese Gesamtstrafe wurde die [X.]ewährungszeit aus der Verurteilung vom 14. Januar 1998 durch [X.]uss des Amtsgerichts M. vom 5. Mai 2000 um ein Jahr und sechs Monate verlängert. Mit Wirkung vom 17. April 2002 wurde diese Strafe erlassen.

3

Mit E-Mail vom 19. Juli 2005 bot der Antragsteller unerlaubt Rechtsdienstleistungen an. Deshalb leitete die Antragsgegnerin gegen ihn ein Verfahren wegen unerlaubter Rechtsberatung ein, das mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung endete. Auf seinen Antrag vom 6. Oktober 2005 hin eröffnete das [X.] mit [X.]uss vom 1. Dezember 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers. Mit [X.]uss vom 14. Mai 2007 kündigte es dem Antragsteller die Restschuldbefreiung an. Die Wohlverhaltensphase läuft noch bis 1. Dezember 2011.

4

Nach erfolglosen Anträgen auf Wiederzulassung vom 5. November 2002 bei der [X.] und vom 1. März 2004 bei der Antragsgegnerin hat der Antragsteller mit Schreiben vom 29. September 2008 bei der Antragsgegnerin erneut seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin mit [X.]escheid vom 5. Juni 2009 wegen fortdauernder Unwürdigkeit zurückgewiesen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der [X.] zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige [X.]eschwerde.

II.

5

Das nach § 215 Abs. 3 [X.] [X.]. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 [X.] a.F. zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat den erneuten Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Recht zurückgewiesen.

6

1. Nach § 7 Nr. 5 [X.] ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der [X.]ewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den [X.]eruf eines Rechtsanwalts auszuüben.

7

a) Der [X.]ewerber erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie [X.]ablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des [X.]ewerbers nach beruflicher und [X.] Eingliederung und das durch das [X.]erufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des [X.] einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (st. Rspr.; vgl. Senat, [X.]. v. 3. November 2008, [X.] ([X.]) 1/08 [X.]. 4; [X.]. v. 10. Juli 2000, [X.] ([X.]) 40/99, [X.]RAK-Mitt. 2000, 306; [X.]. v. 12. April 1999, [X.] ([X.]) 67/98, NJW-RR 1999, 1219; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 7 [X.]. 36 m.w.[X.]).

8

b) Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen [X.] durch Wohlverhalten oder andere Umstände soviel an [X.]edeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert (Senat, [X.]. v. 12. April 1999, aaO; [X.]. v. 8. Februar 2010, [X.] ([X.]) 94/08, juris [X.]. 6). Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem [X.]punkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den [X.]ewerber sprechenden Umstände (Senat, [X.]. v. 12. April 1999, [X.] ([X.]) 67/98, NJW-RR 1999, 1219; [X.]. v. 10. Juli 2000, [X.] ([X.]) 40/99, [X.]RAK-Mitt. 2000, 306; [X.]. v. 3. November 2008, [X.] ([X.]) 1/08, juris [X.]. 4; [X.]. v. 20. April 2009, [X.] ([X.]) 44/08, juris [X.]. 6; [X.]. v. 15. Juni 2009, [X.] ([X.]) 59/08, [X.]RAK-Mitt. 2009, 242 [[X.]], juris [X.]. 6; [X.]/[X.], aaO, § 7 [X.]. 36 m.w.[X.]; [X.] in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, § 7 [X.] [X.]. 45).

9

c) [X.]ei Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (zu diesem Gesichtspunkt: Senat, [X.]. v. 10. Mai 2010, [X.] ([X.]) 117/09 juris [X.]. 12) hält der Senat einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des [X.]ewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich ([X.]. v. 14. Februar 2000, [X.] ([X.]) 8/99, [X.], 1445; [X.]. v. 20. April 2009, [X.] ([X.]) 44/08, juris [X.]. 7; [X.]. v. 15. Juni 2009, [X.] ([X.]) 59/08, [X.]RAK-Mitt. 2009, 242 [[X.]], juris [X.]. 10; [X.]. v. 7. Dezember 2009, [X.] ([X.]) 113/08, Anw[X.]l. 2010, 289 [[X.]], juris [X.]. 8; [X.]. v. 10. Mai 2010, [X.] ([X.]) 117/09, juris [X.]. 6). Dabei darf auch die bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des [X.]ewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur [X.]ewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand (Senat, [X.]. v. 1. März 1993, [X.] ([X.]) 49/92, [X.]RAK-Mitt. 1993, 102, 103; [X.]. v. 21. Juni 1999, [X.] ([X.]) 79/98, NJW 1999, 3048; [X.]. v. 4. April 2005, [X.] ([X.]) 21/04, juris [X.]. 9; [X.]. v. 6. November 2006, [X.] ([X.]) 87/05, [X.]RAK-Mitt 2007, 77 [[X.]], juris [X.]. 11; [X.]. v. 9. November 2009, [X.] ([X.]) 13/09, juris [X.]. 20; [X.]/[X.] und [X.] jeweils aaO). Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume [X.] nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der [X.]ewährungsfrist fortgesetzt worden sein (Senat, [X.]. v. 21. Juni 1999, [X.] ([X.]) 79/98, aaO).

2. Von diesen Grundsätzen ist der [X.] ausgegangen. Der Senat teilt - auch unter [X.]erücksichtigung des weiteren [X.]ablaufs seit der angefochtenen Entscheidung - die Auffassung des [X.]s, dass die erheblichen Straftaten des Antragstellers dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bei Würdigung aller Umstände weiterhin entgegenstehen.

a) Der Antragsteller ist wegen Straftaten im Kernbereich seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt verurteilt worden. Er hat in der [X.] und in der [X.]etreuungssache das ihm als Rechtsanwalt anvertraute Vermögen veruntreut. Mit diesen Straftaten hat er zudem das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des [X.] und insbesondere das Vertrauen der Rechtsuchenden in die unabhängige Wahrnehmung ihrer Interessen besonders nachhaltig erschüttert.

b) Hinzu kommt, dass diese Straftaten besonders schwer wiegen. Der Antragsteller hat seine Pflichten sowohl in der [X.] als auch in der [X.]etreuungssache über Jahre hinweg verletzt und jeweils einen beträchtlichen Schaden angerichtet. In der [X.]etreuungssache hat er seine Pflichtverletzung durch die ebenfalls strafbare Manipulation von [X.] verschleiert und dadurch die Aufsicht durch das Gericht erschwert.

c) [X.]ei einem solch nachhaltigen Verstoß im Kernbereich kann das Vertrauen der Rechtsuchenden nur durch eine Wartezeit in einer Größenordnung von 15 bis 20 Jahren wiederhergestellt werden. Eine solche Wartezeit hat der Antragsteller bislang nicht erreicht.

aa) Seit den Straftaten, derentwegen der Antragsteller am 14. Januar 1998 verurteilt worden ist, sind derzeit etwas weniger als 14 Jahre verstrichen. Die Tathandlungen endeten nämlich erst am 27. August 1996. Die seitdem vergangene [X.] kann auch nicht uneingeschränkt als Wartezeit berücksichtigt werden. [X.]erücksichtigungsfähig ist nämlich nur Wohlverhalten, also [X.]räume, in denen sich der [X.]ewerber beanstandungsfrei geführt hat. Daran hat es der Antragsteller aber in den ersten Jahren nach seiner Verurteilung gerade fehlen lassen.

bb) Noch in der ursprünglichen [X.]ewährungszeit ist er in der [X.]ewährungszeit zweimal erneut straffällig geworden. Die neuen Straftaten haben nicht nur zu einer Verlängerung der [X.]ewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate geführt. Sie zeigen vielmehr auch, dass der Antragsteller seinerzeit noch nicht bereit war, auf die berechtigten Interessen Anderer die gebotene Rücksicht zu nehmen, und nicht davor zurückschreckte, ihre Interessen leichtfertig zu gefährden. Das Überlassen eines nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs zur Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr gefährdet die Interessen der durch den [X.]etrieb des Kraftfahrzeugs möglicherweise Geschädigten. Das gilt insbesondere dann, wenn der Halter, wie seinerzeit der Antragsteller, vermögenslos und nicht in der Lage ist, einen etwa entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Firma [X.]. hätte der Antragsteller gar nicht erst mit der Reparatur seines Kopiergeräts beauftragen dürfen, weil er nicht in der Lage war, den Werklohn zu bezahlen. Er hat zudem ihr Werkunternehmerpfandrecht unterlaufen.

d) Unter [X.]erücksichtigung all dieser Umstände ist die Annahme einer kürzeren als der regelmäßigen Wartezeit, wie sie für Ausnahmefälle in [X.]etracht kommt, ausgeschlossen.

Sie lässt sich bei der gebotenen Gesamtwürdigung entgegen der Ansicht der [X.]eschwerde auch nicht damit rechtfertigen, dass der Antragsteller nur wegen seiner ungeordneten Vermögensverhältnisse straffällig geworden und diese Ursache nach seinem Vortrag jetzt beseitigt sei.

Auch das Alter des Antragstellers rechtfertigt eine kürzere Wartefrist nicht (vgl. Senat, [X.]. v. 10. Mai 2010, [X.] ([X.]) 117/09, juris [X.]. 13), zumal er nur zwei Jahre beanstandungsfrei als Rechtsanwalt tätig war.

[X.]                                          [X.]                                     Fetzer

                           Wüllrich                                                      [X.]raeuer

Meta

AnwZ (B) 116/09

12.07.2010

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Stuttgart, 17. Oktober 2009, Az: AGH 31/09 (II), Beschluss

§ 7 Nr 5 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2010, Az. AnwZ (B) 116/09 (REWIS RS 2010, 4979)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4979

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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