Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. 4 StR 419/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1213

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Gegenstand

Beziehungstat: Strafmilderung bei Schadenswiedergutmachung im Rahmen einer Körperverletzung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Juni 2016 mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Hinsichtlich des Schuldspruchs hat die Prüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3

Dagegen können der Strafausspruch und die Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, nicht bestehen bleiben.

4

1. Nach den Feststellungen würgte der Angeklagte, der zuvor größere Mengen alkoholischer Getränke zu sich genommen hatte, die Geschädigte, mit der er eine Beziehung unterhielt, am Abend des 17. August 2015 in ihrer Wohnung mit seinen Händen am Hals. Im weiteren Handgemenge schlug er sie mit seinen Händen an diversen Stellen ihres Körpers und schleifte sie halb liegend durch die Wohnung. Hierdurch erlitt die Geschädigte Würgemale am Hals sowie multiple Prellungen an den Armen und Beinen, im Bereich zweier Rippen und am Kopf. Seit 15. März 2016 sind die Geschädigte und der Angeklagte verlobt. Der Strafzumessung hat die [X.] den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 223 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und dem Angeklagten unter anderem zugutegehalten, dass er sich mit der Geschädigten ausgesöhnt hat. Angesichts der von ihr angenommenen Aussöhnung zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten hätte sich die [X.] indes zur Prüfung veranlasst sehen müssen, ob die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB erfüllt sind (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 41/01, [X.], 457; Urteil vom 28. Januar 2016 - 3 StR 354/15, [X.], 401 f.). Dass ein Opfer dem Täter den Täter-Opfer-Ausgleich leicht macht, indem es an das Maß der Wiedergutmachungsbemühungen keine hohen Anforderungen stellt und schnell zu einer Versöhnung bereit ist, steht der Bejahung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB nicht grundsätzlich entgegen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 41/01 aaO).

5

Der Senat kann - trotz der strafmildernden Berücksichtigung der Aussöhnung im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne - nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass das [X.] im Falle einer weiteren Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB eine mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte.

6

2. Die Entscheidung des [X.]s, wegen fehlender Erfolgsaussichten von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abzusehen, begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die [X.] hat - sachverständig beraten - angenommen, dass beim Angeklagten eine Therapiemotivation nicht gegeben sei und auch nicht geweckt werden könne. Diese Bewertung hat es maßgeblich darauf gestützt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit nach anfänglichem Bemühen eine Therapie gegen Alkoholabhängigkeit bei der [X.] kurzfristig abbrach und im [X.] an die abgeurteilte Tat eine Entgiftungsbehandlung bereits nach zwei Tagen beendete, weil er nicht bereit war, sich den [X.] zu unterwerfen. Indem die [X.] ausschließlich die vom Angeklagten bislang freiwillig unternommenen „niederschwelligen“ Versuche einer Therapie in den Blick genommen hat, hat sie es versäumt, sich wie geboten mit der Frage zu befassen, ob bei dem Angeklagten die Bereitschaft, sich auf eine Behandlung seines Alkoholmissbrauchs im Rahmen einer Unterbringung nach § 64 StGB einzulassen, durch therapeutische Maßnahmen im Maßregelvollzug geweckt werden kann (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 - 4 StR 408/16 Rn. 7; vom 25. April 2013 - 5 [X.], [X.], 239, 240; vom 22. September 2010 - 2 [X.], [X.], 203; vom 5. Mai 2009 - 4 [X.], [X.], 277). Darüber hinaus lassen die [X.] eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten vermissen, wonach er nach der Tat, die für ihn ein „Denkzettel" gewesen sei, seinen Alkoholkonsum erheblich reduziert habe.

7

Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, deren Voraussetzungen nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht fernliegen, bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, [X.]St 37, 5, 9).

Sost-Scheible        

       

Roggenbuck        

       

Cierniak

       

Bender        

       

Paul        

       

Meta

4 StR 419/16

07.12.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stendal, 15. Juni 2016, Az: 502 Ks 6/15

§ 46a Nr 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2016, Az. 4 StR 419/16 (REWIS RS 2016, 1213)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1213

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