Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2017, Az. XII ZB 525/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 3724

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Gegenstand

Anfechtung der Vaterschaft durch den biologischen Vater


Leitsatz

Zur Anfechtung der Vaterschaft durch den biologischen Vater bei bestehender sozial-familiärer Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des [X.] vom 14. Oktober 2016 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Wert: 2.000 €

Gründe

I.

1

In der vorliegenden Abstammungssache ficht der Antragsteller (Beteiligter zu 2) als biologischer Vater die [X.]chaft des Beteiligten zu 4 zu dem im Oktober 2013 geborenen Kind (Beteiligter zu 1) an und begehrt die Feststellung, selbst rechtlicher Vater zu sein.

2

Der Antragsteller, ein [X.] Staatsangehöriger, hatte während der gesetzlichen Empfängniszeit eine intime Beziehung zu der Kindesmutter und ist ausweislich eines außergerichtlich durchgeführten Abstammungstests der biologische Vater des Kindes. Der Beteiligte zu 4, der die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, erkannte die [X.]chaft zu dem Kind im Oktober 2014 an. Er lebt mit der Mutter zusammen. Aus der Beziehung ist ein im Oktober 2015 geborenes Kind hervorgegangen.

3

Das Amtsgericht hat den Anfechtungsantrag wegen Bestehens einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 4 als rechtlichem Vater und dem Kind zurückgewiesen. Das [X.] hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Anfechtungsbegehren weiter.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

5

1. Das [X.] hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung damit begründet, dass zwischen dem Beteiligten zu 4 und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestehe, die die Anfechtung ausschließe. Der Beteiligte zu 4 lebe schon länger mit dem Kind in häuslicher [X.] zusammen und trage tatsächliche Verantwortung für das Kind. Die gesetzliche Regelung sei auch verfassungsgemäß.

6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Anfechtung durch den Antragsteller scheitert daran, dass zwischen dem Beteiligten zu 4 als rechtlichem Vater und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 Abs. 2 BGB).

7

a) Das [X.] ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der vorliegende Anfechtungsantrag nach [X.] Recht zu beurteilen ist.

8

aa) Bei der Qualifizierung der Anfechtung der [X.]chaft durch den leiblichen Vater ist zu beachten, dass diese aus zwei Komponenten besteht, indem sie im Erfolgsfall die bestehende rechtliche [X.]chaft beseitigt und zugleich zur Feststellung des Antragstellers als (rechtlichem) Vater des Kindes führt (§ 182 Abs. 1 FamFG). Dementsprechend richtet sich die Beurteilung der Beseitigung der bestehenden rechtlichen [X.]chaft nach Art. 20 EGBGB, während die Feststellung der [X.]chaft nach Art. 19 EGBGB zu beurteilen ist (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2011 - [X.] - FamRZ 2012, 616 Rn. 14 ff. zur qualifizierten [X.]chaftsanerkennung).

9

bb) Nach diesen Maßstäben kann die Abstammung gemäß Art. 20 Satz 1 EGBGB nach jedem Recht angefochten werden, aus dem sich ihre Voraussetzungen ergeben. Die Vorfrage der Abstammung bestimmt sich dabei nach Art. 19 EGBGB und führt nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zum [X.] Recht und der [X.]chaft des Beteiligten zu 4 gemäß § 1592 Nr. 2 BGB.

Dass auf die [X.]chaftsanfechtung in der vorliegenden Konstellation wahlweise auch eine weitere Rechtsordnung (etwa das Heimatrecht des Antragstellers oder des Beteiligten zu 4) Anwendung finden könnte und diese zudem an den Erfolg der Anfechtung geringere Voraussetzungen stellen würde, ist von keinem der Beteiligten vorgebracht worden. Auch die Rechtsbeschwerde erhebt insoweit keine Beanstandungen. Das [X.] ist daher entsprechend dem Vorbringen des Antragstellers zutreffend von der Anwendbarkeit des [X.] Rechts ausgegangen.

b) Nach den Feststellungen des [X.]s besteht zwischen dem Beteiligten zu 4 und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung, welche die Anfechtung ausschließt.

aa) Nach § 1600 Abs. 2 BGB setzt die Anfechtung durch den leiblichen Vater voraus, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im [X.]punkt seines Todes bestanden hat. In zeitlicher Hinsicht kommt es abgesehen vom Fall, dass der rechtliche Vater verstorben ist, für das Bestehen der sozial-familiären Beziehung auf den Abschluss der Beschwerdeinstanz als der letzten Tatsacheninstanz an (vgl. Senatsurteil BGHZ 170, 161 = [X.], 538, 539; [X.] FamRZ 2015, 817 f.; aA noch [X.] FamRZ 2010, 1174, 1175; [X.]/[X.] BGB [2011] § 1600 Rn. 41a).

bb) Der Beteiligte zu 4 hat nach den Feststellungen der Vorinstanzen tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen und lebt mit diesem wie auch mit seinem im Oktober 2015 geborenen leiblichen Kind und der Kindesmutter bereits längere [X.] zusammen. Dagegen ist in rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Von der Rechtsbeschwerde werden insoweit auch keine Beanstandungen erhoben.

cc) Die bestehende gesetzliche Regelung ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verfassungsgemäß. Mit der durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der [X.]chaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes vom 23. April 2004 ([X.] I S. 598) eingeführten und am 30. April 2004 in [X.] getretenen Regelung hat der Gesetzgeber sich an den Vorgaben des [X.] in seiner Entscheidung vom 9. April 2003 ([X.], 816) orientiert. In dieser Entscheidung hat das [X.] hervorgehoben, dass dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu eröffnen sei, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht ([X.] [X.], 816, 819 f.). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber der in einer sozial-familiären Beziehung gelebten Elternschaft des rechtlichen [X.] den Vorrang vor dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen [X.] eingeräumt hat, seinerseits in die rechtliche Elternstellung einzurücken. Das [X.] hat in der Folgezeit in ständiger Rechtsprechung eine Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung verneint ([X.] FamRZ 2015, 817 f. mwN). Damit übereinstimmend hat auch der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Regelung erhoben (Senatsurteil BGHZ 170, 161 = [X.], 538, 540 f.).

Die Gesetzeslage ist auch mit Art. 8 [X.] vereinbar (vgl. [X.] FamRZ 2015, 817). Der [X.] hat die vom [X.] Gesetzgeber getroffene Entscheidung in mehreren Entscheidungen als im Rahmen des nationalen [X.] zulässig angesehen (vgl. EGMR FamRZ 2012, 691 f.; [X.], 1257 f. und [X.], 437). Zwar prüft der [X.] die Gesetzeslage bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall, was nicht ausschließt, dass die gesetzliche Regelung in Anwendung auf einen anderen Fall Bedenken auslösen könnte. Insofern zeichnet sich der vorliegende Fall indessen nicht durch wesentliche Besonderheiten aus, sondern entspricht vielmehr der regelmäßig anzutreffenden allgemeinen Konkurrenz zwischen leiblichem und rechtlichem Vater. Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt im Rahmen des ihm zustehenden [X.] zugunsten des in einer sozial-familiären Beziehung zum Kind stehenden rechtlichen [X.] aufgelöst. Die weitergehende Frage, ob dies auch zukünftig noch rechtspolitisch wünschenswert erscheint oder ob den Interessen des leiblichen [X.] ein höherer Stellenwert gebührt (vgl. [X.] Abschlussbericht des [X.] [2017] S. 52 f.; [X.] FamRZ 2017, 386 f.), fällt in die alleinige Zuständigkeit des Gesetzgebers.

Dose     

      

[X.]     

      

Schilling

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 525/16

18.10.2017

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 14. Oktober 2016, Az: 10 UF 17/16, Beschluss

Art 19 BGBEG, Art 20 BGBEG, § 1600 Abs 2 BGB, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 8 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2017, Az. XII ZB 525/16 (REWIS RS 2017, 3724)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 34 REWIS RS 2017, 3724

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