Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.07.2012, Az. 1 AZR 563/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 4649

STREIK ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) KÜNDIGUNG

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Gegenstand

Annahmeverzug - Streikteilnahme nach Kündigung


Leitsatz

Beteiligt sich ein außerordentlich gekündigter Arbeitnehmer an einem Streik, steht ihm für diese Zeit auch dann kein Annahmeverzugslohn zu, wenn in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Wer streikt, ist nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2011 - 8 [X.]/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] während eines Arbeitskampfes.

2

Die nicht tarifgebundene Beklagte beschäftigt etwa 45 Arbeitnehmer. Ende März 2010 forderte die tarifzuständige Industriegewerkschaft [X.] ([X.]) sie zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines [X.] auf. Am 8. April 2010 wurde eine Tarifkommission gewählt und zeitgleich die Durchführung einer Betriebsratswahl vorbereitet. Am Folgetag kündigte die Beklagte der Klägerin und weiteren Mitgliedern der Tarifkommission ordentlich zum 30. Juni 2010 und stellte sie von der Arbeit frei. Am 12. April 2010 erteilte sie der Klägerin ein Hausverbot.

3

Der Bundesvorstand der [X.] genehmigte am 12. April 2010 die Durchführung einer Urabstimmung im Betrieb der [X.] und die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen. Am folgenden Tag teilte sie der [X.] mit, 95,5 % der organisierten Beschäftigten hätten sich für einen Streik ausgesprochen. Sie forderte die Beklagte deshalb auf, ihr bis 10:00 Uhr schriftlich mitzuteilen, dass sie Tarifgespräche anbiete, ansonsten beginne um 10:01 Uhr ein unbefristeter Streik. Nachdem diese die gesetzte Frist verstreichen ließ, rief die [X.] die Belegschaft der [X.] zum Streik auf.

4

Mit Schreiben vom 22. April 2010, das der Klägerin am 24. April 2010 zuging, kündigte die Beklagte der Klägerin sowie weiteren Arbeitnehmern fristlos. Die hiergegen sowie gegen die zuvor erklärte ordentliche Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen hatten, ebenso wie die der anderen gekündigten Beschäftigten Erfolg. Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom 14. Juli 2010 die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin - ohne Tarifabschluss - beendet.

5

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Annahmeverzugsvergütung für die [X.] vom 25. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 verlangt. Sie hat gemeint, sie habe sich nach der fristlosen Kündigung nicht mehr rechtswirksam am Streik beteiligen, sondern nur noch mit den Streikenden solidarisch erklären können. Sie hätte allerdings auch dann gestreikt, wenn sie nicht außerordentlich gekündigt worden wäre.

6

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.320,00 Euro brutto abzüglich durch die Bundesagentur für Arbeit geleisteter 1.927,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

8

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Klägerin hat nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.

1. Aufgrund der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der gegenüber der Klägerin erklärten Kündigungen steht fest, dass zwischen den Parteien im streitgegenständlichen [X.]raum vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis bestand.

2. Die Beklagte kam durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 22. April 2010 an sich in Annahmeverzug. Da in der Kündigung zugleich die Erklärung der [X.] lag, sie werde die Leistung nicht annehmen, bedurfte es keines Angebots der Klägerin, §§ 295, 296 Satz 1 BGB (st. Rspr., zuletzt [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 12, [X.], 971).

3. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB steht jedoch entgegen, dass die Klägerin in der [X.], für die sie Annahmeverzugsvergütung verlangt, nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB war.

a) Nach dieser Bestimmung kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt schon daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Verzugszeitraums vorliegen müssen ([X.] 22. Februar 2012 - 5 [X.] - Rn. 16, [X.] 2012, 858).

b) Danach war die Klägerin im streitgegenständlichen [X.]raum nicht leistungswillig. Nach den Feststellungen des [X.]s (§ 559 Abs. 2 ZPO) hat sie sich in der [X.] vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 an dem von der [X.] geführten Streik beteiligt, indem sie sich ua. mit einer [X.] als Streikposten vor dem Betrieb der [X.] aufgestellt hat. Sie hat sich zudem durch die Veröffentlichung von Texten und Redebeiträgen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streik betätigt und hierdurch ihre fehlende Arbeitsbereitschaft unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Denn Streik ist definitionsgemäß die kollektive Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung, um durch die daraus resultierenden wirtschaftlich schädlichen Folgen Druck auf die Arbeitgeberseite dahin auszuüben, in eine gewünschte tarifvertragliche Regelung einzuwilligen ([X.] 26. Juli 2005 - 1 [X.] - zu II 2 b bb der Gründe, [X.]E 115, 247). Wer streikt, ist deshalb nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.

4. Soweit die Klägerin die Auffassung vertreten hat, sie sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmerin gewesen und habe deshalb nicht im Rechtssinne streiken können, verkennt sie die Folgen des aus ihrer Sicht erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses. Das Arbeitsverhältnis hat nach der dort getroffenen Feststellung des Arbeitsgerichts durch die jeweiligen Kündigungen nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen [X.]raum fortbestanden. Hätte dagegen - wie die Klägerin meint - in der [X.] vom 24. April 2010 bis zum 15. Juli 2010 kein Arbeitsverhältnis bestanden, stünde ihr ohnehin kein Anspruch auf Verzugslohn zu, da § 615 BGB nur den vertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält ([X.] 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 13, [X.]E 126, 198). Überdies hat ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil lediglich feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 [X.] Rn. 17 mwN); es wird also hierdurch nicht rückwirkend für die [X.] nach dem Kündigungstermin bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess ein Arbeitsverhältnis geschaffen, sondern nur dessen Fortbestehen festgestellt.

5. Aus der von der Klägerin zur Begründung ihrer Rechtsauffassung angeführten Senatsentscheidung vom 26. Juli 2005 (- 1 [X.] - [X.]E 115, 247) folgt kein anderes Ergebnis. In jenem Fall hatte sich ein Arbeitnehmer, bevor er an einer Streikkundgebung teilnahm, in zulässiger Weise aus dem betrieblichen [X.]erfassungssystem abgemeldet. Dies führte dazu, dass für diese [X.]dauer dem Arbeitszeitkonto auch keine [X.]gutschrift zugeführt wurde. Der Arbeitnehmer befand sich daher während der Teilnahme an der Streikkundgebung in Freizeit und konnte deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben. Hier hat sich die Klägerin nicht in ihrer Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer [X.], während derer sie nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.

II. Die Versagung der Annahmeverzugsvergütung begegnet keinen arbeitskampfrechtlichen Bedenken.

1. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des einzelnen Arbeitnehmers wird hierdurch nicht verletzt. Dieser kann durch tatsächlich gezeigte oder doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks verstärken, indem er diesem hierdurch öffentliche Aufmerksamkeit verleiht (vgl. [X.] 15. Januar 1991 - 1 [X.] - zu II 7 der Gründe, [X.]E 67, 50).

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Kampfparität nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein außerordentlich gekündigter und damit nicht beschäftigter Arbeitnehmer keinen satzungsrechtlichen Anspruch gegenüber der kampfführenden [X.] auf Streikbeihilfe hat, sondern nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung verlangen kann. Hierbei handelt es sich um eine gewerkschaftsinterne Regelung, die für die Beurteilung der Kampfparität unerheblich ist.

3. Schließlich führte es zu Wertungswidersprüchen, wenn der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer während der aktiven Streikteilnahme Annahmeverzugsvergütung verlangen könnte, während seine nicht gekündigten, streikenden Kollegen keinen Entgeltanspruch haben (dazu [X.] 26. Juli 2005 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 115, 247). Beide Personengruppen befinden sich in der gleichen Situation, da sie nach objektiver Rechtslage in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis an einem Arbeitskampf teilnehmen. Da der ungekündigte Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einem Streik die gegenseitigen Hauptpflichten aufhebt und deshalb für die [X.] der Streikteilnahme seinen Vergütungsanspruch verliert, kann für den unwirksam gekündigten nichts anderes gelten.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Rath    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 AZR 563/11

17.07.2012

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Herford, 15. Dezember 2010, Az: 1 Ca 1113/10, Urteil

§ 615 S 1 BGB, § 296 BGB, Art 9 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.07.2012, Az. 1 AZR 563/11 (REWIS RS 2012, 4649)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4649

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